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Neues und Bekanntes zu Antisemitismus und Rechtsextremismus

Buchautor_innen
Michael Kohlstruck, Andreas Klärner (Hrsg.)
Buchtitel
Ausschluss und Feindschaft
Buchuntertitel
Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus

Ein Sammelband, der Einblick in aktuelle Forschungen zu Antisemitismus und Rechtsextremismus verschafft, dabei aber nicht viel Neues präsentiert.

„Fest steht: Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann ordinär reden, dann heißt das 'Verbrecherstaat Israel'. Er kann es auf manierlichere Art machen und vom 'Brückenkopf des Imperialismus' sprechen, dabei nebstbei allenfalls in bedauerndem Tonfall hinweisen auf die mißverstandene Solidarität, die so ziemlich alle Juden, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, an den Zwergstaat bindet, und kann es empörend finden, daß der Pariser Baron Rothschild die Israel-Spenden der jüdischen Bevölkerung Frankreichs als eine Steuer einfordert.“ (Améry 2001, 7)

So schrieb es 1969 Jean Améry im Angesicht einer Debatte über Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Linken. Geändert hat sich seitdem vieles, aber doch nicht viel. Der Antisemitismus kann heute auf eine jahrhundertealte Tradition zurück blicken. Den Antisemitismus hat es dabei wohl nie gegeben. Die Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden entstand stets aus ihrer Zeit heraus, speiste sich zwar aus Traditionsbeständen, aktualisierte und modernisierte sich indes immer wieder und erfand sich aufs Neue.

Der Sammelband „Ausschluss und Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. Rainer Erb zum 65. Geburtstag“ fokussiert neue Erkenntnisse der Antisemitismus-Forschung und ergründet Zusammenhänge von Antisemitismus und Rechtsextremismus. Jubilar Rainer Erb, zu dessen Ehrung Michael Kohlstruck und Andreas Klärner den Band herausgegeben haben, befasst sich seit Gründung des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin 1982 mit der Geschichte von Antisemitismus und Rechtsextremismus und stellte in seiner vielfältigen Arbeit nicht zuletzt die Frage, ob „das Konzept der Sozialen Bewegung geeignet“ sei, „auch die auf Exklusion und bewusst gewählten Partikularismus geeichte rechtsextreme Bewegung zu erfassen“ (S. 8), so Kohlstruck und Klärner in ihrer Festschrift. Erb sei „der unentwegte, leidenschaftliche Feldforscher und theoretisch interessierte Materialsammler“ (S. 7), für ein Gespräch unter Gleichen stets offen. So ist ein Sammelband, der die verschiedenen Facetten des Antisemitismus und des Rechtsextremismus beleuchtet, sicherlich eine angemessene Anerkennung. Kein Muss für jede_n, aber: Wer sich eingehend mit den Fachdebatten um Antisemitismus und Rechtsextremismus befasst, sollte über eine Lektüre des Bandes nicht hinweg gehen. Einige Beiträge des umfangreichen Bandes sollen daher an dieser Stelle erwähnt werden.

Der in fünf thematische Schwerpunkte untergliederte Band stellt zunächst „Historische Darstellungen“ vor: Johannes Heil befasst sich mit „Judenfeindschaft, Frömmigkeit und Gewalt im Mittelalter“, so der Titel, und fragt, ob die bisherige Beschäftigung mit Antijudaismus im Mittelalter „ausreicht, um die mittelalterliche Judenfeindschaft in all ihren komplexen Äußerungen zu erfassen“ (S. 18). Gewalt gegen Juden und Jüdinnen musste keineswegs legitimiert werden, sondern war – mit Ausnahmen – Konsens der mittelalterlichen Gesellschaft. Mittelalterliche Chroniken berichten recht freimütig über Pogrome und zeugen so von der unbefangenen Judenfeindschaft damaliger Zeit, die sich nicht selten über Ritualmord-Legenden artikulierte.

Der zweite Abschnitt fokussiert auf „Motivtradierungen“: In einem Artikel richtet Mona Körte die Aufmerksamkeit auf die Nase als physiognomisches Identifikationssymbol und seine Nutzung zur Identifikation des Jüdischen, während sich der inzwischen ausgeschiedene Leiter des ZfA Wolfgang Benz der Blut-und-Boden-Belletristik des Dritten Reiches widmet. Denn: „Was nachträglich nur als Kitsch und Provinzialismus erscheint und längst der Lächerlichkeit anheimgefallen ist, war damals wirkungsvoll zur Selbststilisierung eigener Art und zur Ausgrenzung von feindlich-unerwünschter Fremdheit.“ (S. 126) So appellierte die völkische Literatur ebenso wie der NS-Durchhaltefilm „Kolberg“ an Erdverbundenheit, Männlichkeit und Opfersinn, und verband Bauernkult mit Großstadtfeindlichkeit. Mit der Metapher „Heimat“ verknüpften die Nazis eine angeblich spezifisch „deutsche Art“ mit Traditionsbeständen und Ahnenkult, so dass „Geschichte als Vehikel für den Transport von Weltanschauung“ (S. 128) missbraucht wurde. Heute wiederum greifen rechte Parteien wie NPD, „Die Republikaner“ (REP) und die österreichische FPÖ den Heimatbegriff auf und gerieren sich jeweils als „soziale Heimatpartei“.

Wie ein ursprünglich in der Tradition der deutschen Demokratie-Bewegung des Vormärz stehendes Lied sich zur antisemitischen Hymne wandelt, zeigen Michael Kohlstruck und Simone Scheffler am Beispiel des „Heckerliedes“.

Dass sich der Antisemitismus aus dem Rassismus ableiten ließe, bezweifelt Armin Steil, ist doch die Rasse-Semantik ein Phänomen des 19. Jahrhunderts. Der Autor arbeitet in seinem Text, der im dritten Abschnitt zu „Theoretischen Analysen“ Platz fand, anhand des „Berliner Antisemitismusstreits“ und der Rassetheorie Houston Chamberlains Unterschiede zwischen einem „ethnischen und einem rassischen Konzept des Volkes“ (S. 165) heraus. So trete bei Heinrich von Treitschke ein „Widerspruch zwischen dem ethnisierend-ontologischen Fremdbild und der Assimilationsperspektive“ (S. 169) zutage, der bei Chamberlain bereits eingeebnet sei. Schließlich verurteilte Letzterer die Juden nicht für ihre angeblichen Taten, sondern einzig für ihr Dasein als „zusammengeschraubte Bastarde“ (zit. nach S. 182).

Vom Begriff des 'Fremden' aus versucht sich Sigrun Anselm der Problematik des Antisemitismus zu nähern: „Das hegemoniale Denken, ob religiös oder nicht, bedurfte und bedarf des Fremden.“ (S. 197) Fremde übten immer schon eine Faszination aus, sie wurden aber auch stets als Bedrohung wahrgenommen. „An dem Umgang mit Fremden kann man die innere Verfasstheit einer Gesellschaft studieren.“ (S. 200), so die Autorin, die sich der Frage stellt, was passiere, wenn der 'Fremde' bleibt, sich niederlässt. Bleibe der 'Fremde' im Sinne eines Nationalismus isoliert, bedeute dies den gesellschaftlichen Ausschluss. Da dieses Problem noch heute Aktualität besitze, versucht Anselm das Konzept des 'Fremden' auf die Exklusion von Muslimen anzuwenden. Dies erscheint fragwürdig, wird hier doch unterstellt, antisemitische und antimuslimisch-rassistische Exklusionsmechanismen funktionieren nach dem selben Muster und dies ist mitnichten der Fall.

Helmut Thome plädiert hingegen dafür, Emile Durkheims Soziologie für die Erfassung des Rechtsextremismus nutzbar zu machen. Der regressive Kollektivismus des Rechtsextremismus könne als Abweichung vom kooperativen Individualismus moderner westlicher Gesellschaften verstanden werden. Dem Universalismus, dem Wertepluralismus und der Gleichwertigkeit der Demokratien wird die „Volksgemeinschaft“ gegenüber gestellt. So gebe es in neonazistischen Gruppen eine „kollektive Ehre“, die Ein- und Ausschluss produziere und damit konstitutiv sei. Thome versteht unter Rechtsextremismus aber in erster Linie Kameradschaften und Jugendcliquen und zeichnet ein dichotomes Bild zwischen antidemokratischem Kollektivismus und demokratischem Individualismus, wobei Nuancen, Überschneidungen verwischen. Zudem zeichnet er einseitig das Bild des rechtsextremen Modernisierungsverlierers, der die durch die „Ökonomisierung der Gesellschaft“ verursachten „Anerkennungsverluste“ durch das Treten nach den noch Schwächeren zu kompensieren versucht (S. 219).

In der Rubrik „Aktuelle Phänomene“ beschreibt Dirk Wilking anhand der politischen Kurzbiographien verschiedener Rechtsextremer die Professionalisierung des Rechtsextremismus im südlichen Brandenburg. Zunächst skizziert der Autor verschiedene Generationen rechtsextremer Kader, von denen einige wie Frank Hübner bereits in der DDR der 1980er Jahre aktiv waren. Die zweite Generation rekrutiert sich aus Rechtsextremen wie dem Ehepaar Jörg und Stella Hähnel, die in der Hauptsache rechtsextrem tätig sind. Als dritte Generation fasst Wilking junge Rechtsextreme, die keine eigenen Erinnerungen mehr an die DDR haben, aber als „Produkte der rechtsextremen Aufbauarbeit“ (S. 237) anzusehen seien: „Über zwei Jahrzehnte hinweg wurden hier vielfältige rechtsextreme Erlebniswelten geschaffen.“ (S. 237) Trotzdem könne die Szene nicht allzu viele Rechtsextreme ernähren, weswegen der Professionalisierung des Rechtsextremismus enge Grenzen gesetzt seien.

Mit dem Antizionismus bzw. antizionistischen Antisemitismus im deutschen Rechtsextremismus befasst sich Mitherausgeber Andreas Klärner. Anhand verschiedener Fallbeispiele beleuchtet er die Spielarten des rechtsextremen Antizionismus: So habe sich Horst Mahler vom antizionistischen Linksterroristen zum holocaustleugnenden Rechtsextremen entwickelt, ohne dabei weite Teile seines antisemitischen Denkens revidieren zu müssen. An einem weiteren Beispiel zeigt sich, wie ein gegen Israel gerichteter Antisemitismus und ein sich antiimperialistisch gerierender Antiamerikanismus der Rechtsextremen am Fluchtpunkt Nahost-Konflikt immer wieder verbünden, ja zwei Seiten der selben Medaille sind. Gleichwohl unterscheide sich dieser vorsichtige, fast verdeckte Antisemitismus der neonazistischen Freien Kräfte von der offenen Judenfeindschaft Mahlers. Der dritte Typus behandelt die antiisraelische Agitation auf der Internetseite eines NPD-Ortsverbandes, die nur unterschwellig antisemitische Ressentiments bedient. Hier wird suggeriert, man dürfe Israel nicht „kritisieren“. Man geriert sich als 'Tabubrecher'. Doch die NPD verzichtet aus taktischen Gründen auf die offene Artikulation von Antisemitismus und begnügt sich mit Anspielungen. Mit seinen Beispielen zu Ausprägungen des Antisemitismus in verschiedenen Spektren des Rechtsextremismus unterscheidet Klärner „zwischen einem fundamentalistischen und einem realpolitischen Flügel der rechtsextremen Bewegung“ (S. 283). Das scheint jedoch schematisch, haben Vertreter der NPD in der Vergangenheit doch immer wieder mit antisemitischen Aussprüchen und verharmlosenden Vergleichen auf sich aufmerksam gemacht – und zwar, weil sie diese Provokation brauchen und weil sie gerade auch der Antisemitismus für einen Teil der Bevölkerung wählbar macht. Spannender wäre sicherlich die Frage nach Antisemitismus und Philosemitismus innerhalb der in Europa aufkeimenden rechtspopulistischen Parteien. So schließt der Autor seinen bebilderten Beitrag selbst mit der Frage nach der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit der verschiedenen Spielarten des rechtsextremen Antisemitismus.

Auf eben jene Frage geht Werner Bergmann ein: Rechtsextremer, linker, islamischer Antisemitismus, gar ein „Antisemitismus der Mitte“ werde konstatiert. Das Bild vom Antisemitismus sei diffuser geworden, so Bergmann. Heute nimmt der Antisemitismus jedweder Couleur hauptsächlich im Bezugspunkt Israel Formen an, kommt in offener Ablehnung des Existenzrechts Israels daher, aber auch als Israelkritik verpackt, wobei der Autor vor einer vorschnellen Verurteilung von Kritik an der Politik des israelischen Staates und vor vereinfachenden Korrelierungen zwischen Antisemitismus und Israelkritik warnt. In seiner Zusammenschau diverser empirischer Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung stellt Bergmann grundlegende Tendenzen fest. So seien in gebildeten Schichten antisemitische Einstellungen weniger verbreitet, Westdeutsche allgemein antisemitischer als Ostdeutsche.

Die sozialpädagogische Perspektive eröffnet Ulrich Dovermann, der den Verein Manne e.V. vorstellt, der im Land Brandenburg Sozialarbeiter zu Jungenarbeitern ausgebildet hat und den Anspruch einer genderorientierten Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jungen, den „kleinen Männer[n]“ (S. 309), verfolgt. Dabei geht es Manne e.V. nicht um die Dekonstruktion von Männlichkeit als sozialer Kategorie, sondern darum, aufzuzeigen wie man „erfolgreich Mann sein kann“ (S. 310). Ob das reicht, darf zumindest hinterfragt werden, sind doch weite Teile der geschlechterreflektierenden Jungenarbeit schon weiter. Und diese Erkenntnisse müssten in der Tat für die Rechtsextremismusprävention und die Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen nutzbar gemacht werden.

Besonders verwundert der Beitrag von Friedel Gromotka, seines Zeichens Polizeihauptkommissar und Leiter der Berliner Polizeieinheit „Mobiles Einsatzkommando Aufklärung/ Operative Dienste – Bekämpfung Politischer Motivierter Straftaten/ Straßengewalt rechts“, kurz PMS. Sein Aufsatz gibt – freilich in teils ermüdendem „Amtsdeutsch“ gehalten – Einblicke in die polizeiliche Interventionsarbeit gegen rechtsextreme Straf- und Gewalttaten. Unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus muss allerdings kritisch betrachtet werden, dass PMS auch in der Präventionsarbeit tätig ist. Auch die Bemerkung, dass sich die Kooperation zwischen dem Landeskriminalamt, bei dem die Spezialeinheit angesiedelt ist, und der Verfassungsschutzbehörde auf reinen „Informationsaustausch“ (S. 313) beschränke, kann kritisch hinterfragt werden. Und überhaupt: Wie ist die offenbare Zusammenarbeit von ZfA und Polizei zu werten? Welches Licht wirft diese Tatsache auf eine unabhängig sich gerierende Wissenschaft? So lässt der Beitrag offen, inwiefern das LKA in Berlin eben nicht nur reine Polizeiarbeit leistet, sondern darüber hinaus geht. So bleibt der Rezensent verärgert und mit seinen Fragen allein.

Der vorgestellte Sammelband bietet Einblick in aktuelle Forschungen zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. Neben Bekanntem warten viele der vertretenen Autor_innen mit erhellenden Erkenntnissen auf. Viele Beiträge mögen für den unbedarften Leser jedoch schwere Kost sein. So bleiben die Inhalte einer breiteren Leser_innenschaft verborgen. Das ist nicht weiter tragisch, fehlt es dem Band doch sowieso an Brisanz. So bieten die meisten Aufsätze nur wenig Kontroverses und Fragwürdiges, eher Spezifisches einer Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung, derer der Jubliäums-Band nur einen kleinen Teil widerzuspiegeln vermag.

Zusätzlich verwendete Literatur

Améry, Jean 2001: Der ehrbare Antisemitismus. In: Gremliza Hermann L. (Hg.): Hat Israel noch eine Chance? Palästina in der neuen Weltordnung. Konkret Verlag, Hamburg.

Michael Kohlstruck, Andreas Klärner (Hrsg.) 2011:
Ausschluss und Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Metropol-Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86331-002-8.
340 Seiten. 24,00 Euro.
Zitathinweis: Yves Müller: Neues und Bekanntes zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. Erschienen in: Italienischer Faschismus. 6/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/s/Jm3UP. Abgerufen am: 27. 12. 2024 00:53.

Zum Buch
Michael Kohlstruck, Andreas Klärner (Hrsg.) 2011:
Ausschluss und Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Metropol-Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86331-002-8.
340 Seiten. 24,00 Euro.