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Mal mal Marx

Buchautor_innen
Ansgar Lorenz, Reiner Ruffing
Buchtitel
Karl Marx
Buchuntertitel
Philosophie für Einsteiger

Die gute Idee eines Comic-Bands in Karl Marx’ Theorie entpuppt sich als Einführung, in der Ablehnung und Affirmation der Thesen Marx’ eine widersprüchliche Ko-Existenz fristen.

Kann man eigentlich die Theorien Karl Marx’ in Comicform darstellen? Das bekannteste Beispiel eines solchen Versuchs stammt von Rius, bürgerlich Eduardo del Rio, der seinen Sachcomic „Marx para principantes“ 1972 veröffentlichte. 1975/76 erschien die englische Übersetzung, die ihn weltbekannt machte, 1979/90 bei Rowohlt die deutsche Fassung „Marx für Anfänger“.

Was die Comics Rius’ auszeichnet, ist, dass sie mit sehr wenig Text auskommen. Er folgt der Idee einer educación popular, wie sie etwa Paulo Freire in seiner „Pädagogik der Unterdrückten“ (1970) formulierte. Gerade in den nicht alphabetisierten Regionen und Schichten Mittel- und Südamerikas war dies von Relevanz, der Sachcomic ist hier heute noch von hoher Bedeutsamkeit – keineswegs nur im Sinne engerer politischer Literatur, auch die Bildungsmaterialien der Promotores in den zapatistischen Gemeinden in Chiapas haben bis heute oft Comicform.

Rius’ „Marx für Anfänger“ war ein Welterfolg und begründete die bis heute erscheinende englische Sachcomic-Serie „for beginners“. Insofern ergibt sich ein dreifacher Bezug zu der Comicreihe „Philosophie für Einsteiger“ des Autoren-Zeichner-Duos Reiner Ruffing und Ansgar Lorenz: Erstens folgt die Reihe „… für Einsteiger“ letztlich demselben Konzept wie die englische Reihe „for beginners“. Zweitens hat Ansgar Lorenz, bevor diese Reihe begann, bezüglich seines Sachcomic-Erstlings „Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung“ dezidiert erklärt, dass seine Inspiration zu politischen Comics – neben dem unvermeidlichen Gerhard Seyfried – eben Rius gewesen sei. Und drittens kehrt das Duo mit dem aktuellen Band zu den Wurzeln dieser Reihe zurück, indem sie sich Karl Marx widmen.

Unterschiedliche Erzählweisen

Im Gegensatz zu Rius sind die Bände der „Philosophie für Einsteiger“ – bisher erschienen vor Marx bereits Bände zu Nietzsche, Adorno, Foucault und Heidegger – allerdings vergleichsweise textreich. Letztlich sind die Bände allesamt eher so gestrickt, dass Reiner Ruffing in einem Textteil die Philosophie des jeweils vorgestellten Theoretikers (Frauen fehlen bislang in der Reihe) beschreibt, während Ansgar Lorenz diese dann in der Karikatur kommentiert. Oftmals kommt hier auch das Lorenzsche Faible für Gerhard Seyfried zum Vorschein, den einen oder anderen Flachwitz nicht ausgeschlossen. Die Stärke in den Zeichnungen Lorenz’ liegt jedoch darin, dass diese das leisten, was der Text Reiner Ruffings nicht leistet und mutmaßlich auch nicht leisten will: Ruffing präsentiert uns Marx, seinen Lebenslauf, das Marxsche Denken und den Marxismus in etwa so, wie ich mich aus meiner (westdeutschen) Schulzeit daran erinnere. Kaum wird ein früher Marx von einem späten Marx unterschieden (außer durch Louis Althusser auf S. 59), kaum ein Philosoph von einem Ökonomen von einem Politiker (worüber auch durchaus zu streiten wäre) – und vor allem wird das Denken Marx’ kaum vom marxistischen Denken unterschieden. In diese Bresche springt der Zeichner: Wie schon in anderen Bänden stellen oft die Zeichnungen erst Assoziationen her, etwa zwischen dem theoretischen Denken und der „wirklichen Bewegung“ oder aber auch zwischen Marxscher Theorie und heutigen sozialen und ökonomischen Zuständen – man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Marx für Ruffing nur deswegen wichtig ist, weil er eine historische Bedeutung hat als Begründer eben des „Marxismus“ und damit Ahnherr des „real existierenden Sozialismus“ sowie vielleicht noch deswegen, weil er im ZDF mal zu einem der „wichtigsten Deutschen“ gewählt wurde.

So etwas gehört meines Erachtens gar nicht in eine philosophische Einführung. Ebenso wenig wie die zahlreichen biographischen Details aus Marx’ Leben, die erwähnt werden. Damit soll nicht behauptet sein, dass diese irrelevant wären, sicherlich kann man einem Philosophen, der postulierte, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, zumuten, die Biographie mit in die Interpretation seiner Schriften einfließen zu lassen. Das passiert hier allerdings nicht. Vielmehr stehen die biographischen Versatzstücke kaum im Zusammenhang mit den theoretischen Erläuterungen. Und gleiches gilt für die eher episodenhaft erzählte Geschichte der Arbeiterbewegung, die man durchaus in einen wesentlich deutlicheren Zusammenhang mit den Analysen Karl Marx’ hätte bringen können. Kurzum: Reiner Ruffing weiß nicht, was an Marx wichtig ist beziehungsweise kann sich nicht entscheiden, auf welche wichtigen Aspekte er sich konzentrieren will. Das gilt insbesondere für den Marx, der heute als „klassisch“ gelten kann, den Marx der Kritik der politischen Ökonomie. Ruffing konzentriert sich sehr deutlich auf den frühen, philosophischen Marx – was auch nicht verkehrt ist, gerade in Zeiten, in denen angesichts des Krisengeschehens lediglich die ökonomische Analyse, aber nicht die philosophischen Grundlagen dieser Analyse reflektiert werden.

Plattitüden

Das führt aber auch zu Auslassungen, einseitigen Interpretationen und sogar zu Fauxpas: Obwohl Ruffing seine Darstellung damit beginnt, Marx und Engels vom Utopismus abzugrenzen und die „rücksichtslose Kritik alles Bestehenden“ (MEW 1, S. 344) betont, kehrt er in seiner Beschreibung doch immer wieder zu vermeintlichen Zukunftsvorstellungen des Autorenduos zurück – und so wird letztlich der vermeintlich philosophische Weltverbesserer Marx von dem scharfen Kritiker der Verhältnisse getrennt. Beispielsweise ist sich die Marxforschung recht einig, dass Marx – zumindest theoretisch – den Staat ablehnt, während Ruffing, mit der Kritik des Hegelschen Staatsrechts argumentierend, aus Marx den Anhänger eines Sozialstaats macht, unter dem Motto „Der Staat ist für den Menschen da!“ (S. 21) Das mag für einen aktuellen Mainstream-Marxismus beschränkt gelten, soweit dieser sich als Neo- oder Linkskeynesianismus generiert, ist aber kaum aus den Marxschen Schriften selber abzulesen. Der durchaus zentrale Begriff des Warenfetischs schafft es als „Fetisch“ so gerade ins Glossar (S. 81). Am ärgsten aber – und das ist genannter Fauxpas – trifft es den Anarchismus. Im Kapitel über die Erste Internationale (S. 70f.) wird Michail Bakunin dargestellt und mit ihm die „Theorie des Anarchismus“ (S. 71). Dass eine solche – wenn denn tatsächlich nur von einer die Rede sein kann – auf Staatsfeindlichkeit reduziert wird, ist nicht weiter unüblich, Ruffing lässt aber auch das platteste Klischee nicht aus: „Für ihn [gemeint ist Bakunin, Anm. T.B.] war der Mensch von Natur aus gut, erst der Staat schafft den Neid und die Ungerechtigkeit“. Wenn man schon den Anarchismus in einer Darstellung Marxscher Philosophie behandelt und das auch noch unter dem Titel „Zur Theorie des Anarchismus“, so hätte man sich zumindest mit der Bakuninschen Sichtweise auseinandersetzen sollen, statt allgemeine Plattitüden wiederzugeben.

Wenn ich daher auch zu dem Schluss komme, dass dieser Comic als Einführung in das Werk Marx’ nur wenig taugt, so muss ich dieses Urteil in gewissem Sinne einschränken: Ich habe für diese Comicbesprechung vergleichsweise lange gebraucht, einfach deswegen, weil sich dauernd jemand mein Rezensionsexemplar ausgeliehen hat und die Rückgabe zumeist doch sehr zufrieden erfolgte.

Der Comic endet – vor dem genannten Glossar – mit einer Darstellung verschiedener bekannter „Marxist_innen“ – im weitesten Sinne als Autor_innen und Aktivist_innen, die sich in irgendeiner Art und Weise auf Marx berufen haben – von einerseits Lenin und Stalin bis andererseits Rosa Luxemburg, Georg Lukács und Karl Korsch. Dieser bunte Reigen endet mit Karl Poppers Kritik am Marxismus und mit Norbert Bolz „Konsumistischem Manifest“. Dieses wiederum interpretiert Ruffing als Lob des Konsumismus gegen die Gefahr von Krieg und Fundamentalismus, das heißt, er beteiligt sich an der Verbreitung der politikwissenschaftlichen These, dass die freie Marktwirtschaft ein friedliches Zusammenleben ermöglichen würde. Dabei unterschlägt er, dass Bolz diesen „Konsumismus“ als „unglaublich primitive Lebensform“ bezeichnet hat und dass Bolz’ Theorie von eben jenem Marxschen Begriff des Warenfetischismus ausgeht.

Das offenbart das Dilemma dieses Comics in zweifacher Weise: In der Auswahl der Marxrezeptionen behält die Kritik das letzte Wort. Mit dieser Auswahl distanziert der Autor sich auch selber von Marx und dem Marxismus. Das ist selbstverständlich völlig legitim, man hätte sich allerdings gewünscht, er hätte diese Kritik selber an den Stellen vorgetragen, an denen er die entsprechenden Thesen Marx’ vorgestellt hat. Das zweite Dilemma: Diese immer wieder aufkeimende skeptische Grundstimmung des Textes will nicht so recht zu den Illustrationen passen – denn, das wird offensichtlich, Ansgar Lorenz ist hier offenbar anderer Meinung. Es empfiehlt sich daher meines Erachtens den Band zweimal zu lesen, einmal konzentriert auf den reinen Text, einmal auf die Illustrationen. Man wird feststellen, dass man quasi zwei Publikationen zu Marx vorliegen hat, eine ablehnende und eine zustimmende. Der ablehnenden fehlt es leider an Fundament.

Zusätzlich verwendete Literatur

MEW 1 - Marx, Karl / Engels, Friedrich (1961): Werke. Band 1. Dietz Verlag, Berlin

Ansgar Lorenz, Reiner Ruffing 2013:
Karl Marx. Philosophie für Einsteiger.
Wilhelm Fink Verlag, München.
ISBN: 978-3-7705-5485-0.
84 Seiten. 19,90 Euro.
Zitathinweis: Torsten Bewernitz: Mal mal Marx. Erschienen in: Kunst in Ketten. 31/ 2014. URL: https://kritisch-lesen.de/s/yHaGA. Abgerufen am: 21. 12. 2024 17:57.

Zum Buch
Ansgar Lorenz, Reiner Ruffing 2013:
Karl Marx. Philosophie für Einsteiger.
Wilhelm Fink Verlag, München.
ISBN: 978-3-7705-5485-0.
84 Seiten. 19,90 Euro.