Liebe als Luxus und Ritual
- Buchautor_innen
- Eva Illouz
- Buchtitel
- Der Konsum der Romantik
- Buchuntertitel
- Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus
Erfahrungen romantischer Augenblicke sind gebunden an Kauf und Konsum.
Ich sitze mit meiner Freundin im Außenbereich einer Weinbar in der Stadt, in die wir zu zweit gereist sind. Es ist spät am Abend, wir sind in leichte Decken gehüllt, auf dem Tisch brennt eine Kerze, meine Freundin hält ihr Weinglas in einer Hand, trinkt hin und wieder einen Schluck, meines steht vor mir. Wir reden bis spät in die Nacht hinein und bestellen noch mehrere Gläser Rotwein. Unsere Blicke fallen abwechselnd auf unsere vom Kerzenschein beschienenen Gesichter und auf die Lichter der Stadt, die uns umhüllt. An diesem Abend haben wir das Gefühl, weit entfernt von unserem Alltag und ganz für uns sein zu können. Das wohlige Gefühl der innigen Verbundenheit sowie die Entschleunigung, die wir in dem Moment erleben, überblenden die Tatsache, dass uns all das nur möglich ist, weil wir – neben einem Pass, der uns das unbeschwerte Reisen über diverse Ländergrenzen hinweg erlaubt – über monetären Zugang zum touristischen Markt verfügen. Wir können in diesem Augenblick nur zu zweit an diesem Tisch in dieser Weinbar sitzen, weil wir uns unter anderem ein Zugticket gekauft, ein Hotelzimmer reserviert und viele Gläser Wein konsumiert haben.
Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz nimmt Situationen wie diese in ihrer Studie „Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus“ von 2007 historisch wie empirisch differenziert in den Blick. Entgegen der gesellschaftlich vorherrschenden Sichtweise, Liebe und Romantik würden sich in der Zurückgezogenheit des Privaten den Logiken des kapitalistischen Marktes entziehen, zeigt die Autorin, dass romantische Erfahrungen in der Gegenwart kaum ohne die Verwendung von Konsumartikeln auskommen und somit an den Markt gebunden sind.
Die Kommerzialisierung romantischer Liebe
Während klassische Positionen der Soziologie oft davon ausgehen, dass die Sphäre menschlicher Beziehungen durch den Einzug des Ökonomischen untergraben wird, nach und nach ihre Sinnhaftigkeit verliert und schließlich in eine alles einnehmende, kalkulierende Kälte abrutschen muss, richtet Illouz ihre Studie in einem fragenden Dazwischen ein. Jenseits einer normativen Kritik besteht ihr Interesse darin, unerwartete Widersprüche zu Tage zu fördern, die verdeutlichen, dass die Zusammenhänge von Markt und Romantik nicht so leicht zu entwirren oder gar festzusetzen sind.
So zeigt die historische Analyse, dass sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts parallel zum Rendezvous ein Freizeitmarkt entwickelt, der zunehmend die Erfahrung von Romantik kommerzialisiert. Besonders die Werbebranche sorgt dafür, dass kommerzielle Freizeitaktivitäten mehr und mehr mit romantischer Liebe assoziiert werden und umgekehrt Romantik mit Konsum. Produkte werden nun vor allem vor dem Hintergrund romantischer Motive oder im Kontext von Liebesbeziehungen beworben.
Der im Laufe des 20. Jahrhunderts entstehende Freizeitbereich vermittelt einen Zugang zu Intimität, bindet die Liebenden jedoch durch Geld und Kauf fest an den Markt. Daraus ergibt sich für Illouz eine „politische Ökonomie der Liebesbeziehung“ (S. 89), die durch ungleiche Machtverhältnisse geprägt ist.
Kulturelle Praxen der Arbeiterklasse und romantische Standards der Mittelschicht
Wurden bestimmte kulturelle Praxen der Arbeiterklasse von der Mittelschicht übernommen und legitimiert, blieb die Idealvorstellung des Rendezvous trotzdem vom Wohlstand der Mittelschicht bestimmt. Neben dem Konsum von ebenfalls günstig zu erwerbenden Produkten des Massenmarktes, spielten dafür vor allem der Kauf von Luxusgütern wie teure Kleidung, Champagner oder der Besuch in einem hochpreisigen Restaurant eine zentrale Rolle. Ein ideales romantisches Treffen erforderte demnach nicht nur ein gewisses Maß an Freizeit, sondern in Bezug auf die Habitus-Theorie Pierre Bourdieus sowohl ausreichend finanzielles als auch kulturelles Kapital – also das Wissen um den richtigen Umgang mit den jeweiligen Luxuswaren und die Fähigkeit das eigene Verhalten den gehobenen sozialen Räumen anzupassen.
Obwohl Illouz herausstellt, dass die Arbeiterklasse sowie Teile der unteren Mittelschicht dadurch von der Erfüllung romantischer Ideale ausgeschlossen waren, findet sie gleichwohl Anhaltspunkte dafür, dass die Kommerzialisierung der romantischen Liebe punktuell auch zur Demokratisierung und zum Verschwimmen der Klassenunterschiede beigetragen hat.
Verhielten sich romantische Verhaltensweisen von Arbeiterklasse und Mittelschicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch vollständig entgegengesetzt zueinander, näherten sie sich in dessen weiteren Verlauf in einigen Fällen nach und nach an. Der aufsteigende Massenmarkt ermöglichte günstigere Preise und einen breiteren Zugang zu Luxusgütern, die vormals ausschließlich den reichen Klassen vorbehalten waren. Gleichzeitig übernahmen Angehörige der Mittelschicht einige Ausgehgewohnheiten der Arbeiterklasse, nachdem Unternehmer und die Werbebranche sie ihnen schmackhaft gemacht hatten. So entstammt etwa die kulturelle Praxis des Ausgehens zum Tanzen, um sich zu vergnügen und miteinander zu flirten, aus der Arbeiterklasse, die in der Enge ihrer Wohnungen keinen Raum für ein geregeltes Kennenlernen im Privaten fand und daher den Weg in die Öffentlichkeit suchte. Vormals von der Mittelschicht als sexuell und emotional zu freizügig abgewertet, wurde diese Praxis jedoch schnell von ihr übernommen, als sie in die Kommerzialisierung romantischer Freizeitaktivitäten mit einbezogen wurde. In den 1930er Jahren galt das Ausgehen zum Tanzen schließlich als die am häufigsten und von allen Teilen der Gesellschaft praktizierte Form des Rendezvous.
Konsum als romantisches Ritual
Ausschnitte aus Interviews, die Illouz mit „Gewährspersonen“ (S. 159) unterschiedlicher sozialer Klassen geführt hat, lassen erkennen, dass der gemeinsame romantische Augenblick vor allem durch den Konsum von Luxuswaren erlebt und erzeugt wird. Jenen kommt eine Symbolik und Emotionalität zu, die ihren bloßen ökonomischen Wert übersteigen. Luxusgüter definieren sich gerade nicht über das Notwendige oder einen gesellschaftlichen Nutzen. Ihr besonderes Charakteristikum ist es, nicht nützlich zu sein. Deshalb ermöglichen ihr Konsum und der dabei entstehende symbolische und emotionale Überschuss den Liebenden nicht nur intensive Gefühle in Kombination mit verschwenderischem Geldausgeben, sondern insbesondere den Eintritt in einen alternativen sozialen Raum außerhalb ihres Alltags. Hier festigt das Paar seine Beziehung über „das feierliche Zelebrieren“ (S. 167), während die Marktgesetze von Akkumulation und Leistung vernachlässigt werden.
Über das Ritual des Konsumierens – zum Beispiel durch das Öffnen einer Flasche Crémant in einem atmosphärischen Restaurant oder eine gemeinsame Reise zu zweit – erlebt das Paar einen romantischen Augenblick, der sie in einen besonderen sozialen Zwischenraum befördert und sich sinnfällig von ihren alltäglichen Strukturen und Pflichten abgrenzt.
Liminale Romantik
Dem Ritual kommt nach Illouz eine Schlüsselrolle zu. Darüber rahmt und vermittelt der kapitalistische Markt subjektive Erfahrungen von Romantik. Gleichzeitig bleibt die Anbindung an den Markt dabei meist verkannt. Das Paar erfährt mit zunehmender Ritualisierung Verbundenheit und festigt seine Beziehung. Mit dem wiederholten Eintritt in das Außeralltägliche verwischt jedoch auch die Selbstwahrnehmung als konsumierende Subjekte und ein mögliches Bewusstsein über die eigene Verwicklung in kapitalistische Machtverhältnisse schwindet.
Dabei liegt eigentlich gerade darin revolutionäres Potenzial. Die Art der Sozialität, die eine romantische Liebesbeziehung befördert, umreißt Eva Illouz als eher antiinstitutionell und organisch, anstatt vertraglich oder förmlich. Funktionierende Liebesbeziehungen werden eben nicht als eine immer gleichbleibende, starre Form, als distanziert oder gar kalt erlebt, sondern als lebendige, zugewandte zwischenmenschliche Beziehungen, die persönlich gestaltet werden – und somit über die Möglichkeit, Veränderung herbeizuführen, verfügen.
Die Interviewten, die sie befragt, erleben den romantischen Augenblick als „echtere“ Interaktion, fühlen sich entspannter und nehmen sich selbst mehr als Einheit wahr. Dies fasst die Autorin unter den Begriff der „communitas“ (S. 176). Dieser stammt von dem Soziologen Victor Turner, der damit den Zustand der emotionalen Verschmelzung unter Angehörigen einer Gruppe beschreibt, aus dem sich eine „Zwischenphase der ‚Liminalität‘“ (S. 175), des Austritts aus der sozialen Ordnung, ergibt. In diesem liminalen Zwischenraum besteht die Möglichkeit, aus den uns zugewiesenen Positionen herauszutreten und unbegrenzt alternative soziale Strukturen zu formieren.
Die Erfahrung des romantischen Konsums kennzeichnet also einen Moment des gemeinsamen Rückzugs des Paares in die Zweisamkeit, der zugleich als potenzielle Umkehr der Verhältnisse in die Gesellschaft zurückwirken kann. Dabei bleibt allerdings fraglich, in welchem Umfang dies realistisch möglich ist und ob sich Erfahrungen liminaler Romantik nicht eher als kurzfristige revolutionäre Mikropraktiken andeuten, die ihren spezifischen Rahmen nur schwer überschreiten. Da sich ohne ein kritisches Bewusstsein über die Einbindung in kapitalistische Strukturen langfristige und gesellschaftlich breite revolutionäre Veränderungen nicht realisieren können, bleiben Erfahrungen von Liminalität hier eher im konkreten Moment des Konsums und im romantischen Augenblick der Paarbeziehung verhaftet.
Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Übersetzt von: Andreas Wirthensohn.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-29458-1.
343 Seiten. 22,00 Euro.