Lebensgeschichten von Trans*-Menschen
- Buchautor_innen
- Alexandra Köbele
- Buchtitel
- Ein Junge namens Sue
- Buchuntertitel
- Transsexuelle erfinden ihr Leben
Den Menschen im Mittelpunkt – nicht das Geschlecht. In „Ein Junge namens Sue“ erzählen Transsexuelle ihre Lebensgeschichte. Alexandra Köbele lässt hierfür Raum – und wertet gleichzeitig wissenschaftlich aus.
„Ein Junge Namens Sue“ ist ein äußerst wichtiges Buch. Es werden die Lebensgeschichten von fünf ganz konkreten Menschen vorgestellt, die schildern, wie sie zu ihrer eigenen geschlechtlichen Identität gefunden haben. Allen fünf waren dabei auch hormonelle Eingriffe und körperliche Veränderungen wichtig – das muss aber keineswegs auch bei anderen Menschen so sein, doch für Franca, Anton, Rob, Sylvia und Jan war es eben so. Und die Autorin Alexandra Köbele schafft es mit Bravur, ihnen Raum zu geben, ihre Geschichten zu erzählen.
Aktuelle Einordnung
Wichtig ist dieses Buch auch, weil aktuell bezüglich Transsexualität politisch und gesellschaftlich einiges in Gang gekommen ist, aber sich nach wie vor noch schwerwiegende Vorurteile gegen Transsexuelle und Transgender zeigen. So ist den politisch Aktiven gut im Gedächtnis, wie aktuell durch politisches Streiten und Massen-Proteste gesetzliche Änderungen erreicht werden konnten. Bislang war es in Schweden für einen Geschlechtswechsel notwendig, dass der jeweilige Mensch auch sterilisiert wurde. Das ist nun Geschichte. Kurz zuvor wurde eine solche Regelung auch vom Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland kassiert. Auch in der BRD war für die Änderung des Personenstandes im Transsexuellengesetz vorgesehen, dass die Zeugungsunfähigkeit des Menschen herzustellen sei. Dass wurde vom Gericht nun als massiver Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen erkannt und als rechtswidrig eingestuft.
Neben diesen positiven Entwicklungen, die zeigen, was durch politisches Streiten erreicht werden kann, liegt aber weiterhin einiges im Argen. Ist mit diesen Urteilen noch nicht gelöst, dass Transsexualität nicht mehr als Krankheit betrachtet wird, kommen an anderer Stelle Anfeindungen hinzu. Einige sind explizit physisch gewalttätig, andere hetzen schriftlich und liefern damit die Hintergrundmusik für die Schläger. Aktuelles Beispiel ist hier der taz-Autor Jan Feddersen. Fielen er und seine Artikel in den letzten Jahren besonders für antimuslimischen Rassismus auf, äußert er sich nun verstärkt transphob. In vollkommener Verkennung der gesellschaftlichen Realitäten, in denen Trans*-Menschen oft mit massiver psychischer und physischer Gewalt konfrontiert sind, beschreibt Feddersen, dass Trans*-Menschen einer Diskriminierung wegen Homosexualität entgehen wollten und daher ihren Geschlechtswechsel vorantrieben. Vor diesem Hintergrund spricht er sich dafür aus, dass die Hürden für einen Geschlechtswechsel weiter erhöht werden sollten. Er konterkariert damit jedes emanzipatorische Streiten, dass sich gerade darauf richtet, Menschen Selbstbestimmung zu ermöglichen und Zwänge aufzuheben. Stattdessen überträgt Feddersen seinen eigenen Lebensentwurf auf andere Menschen und möchte ihn ihnen mit Zwang überhelfen.
Zuhören und miteinander sprechen
Dabei kann es manchmal so einfach sein, die Lebensentwürfe und Identitäten von Menschen tatsächlich nachvollziehen zu können. Es lohnt sich einfach zuzuhören und mal gar nichts zu sagen – oder auch einfach interessiert nachzufragen. Hier hilft das Buch „Ein Junge Namens Sue“ weiter. Alexandra Köbele schafft es, ihre Interviewpartner_innen plastisch vorzustellen – und dies dennoch mit einer wissenschaftlichen Auswertung zu verbinden. Einfach nebenbei stellt sie die neueren Geschlechtertheorien vor und führt anschaulich in die qualitative Sozialforschung ein – als Psychologin, Familientherapeutin und Theaterpädagogin im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis tätig, gehört sie wohl auch zu den wenigen Menschen, die einen solchen Balanceakt zwischen Wissenschaftlichkeit und Lesbarkeit meistern können.
Und klar wird, wie sich die Lebensgeschichten von Trans*-Menschen unterscheiden. Je individuelle Erfahrungen bewegen Menschen dazu, ihre Erscheinung und gegebenenfalls auch ihre körperlichen Merkmale ihrem gefühlten und erlebten Geschlecht anzugleichen. Es verbinden sich schlechte und gute Erfahrungen damit und obwohl Trans*-Menschen, wenn sie eine Änderung des Vornamens oder des Personenstandes wünschen, schon auf Grund der gesetzlichen Regelungen Mediziner_innen immer wieder eine klare und geschlechtliche Lebensgeschichte erzählen müssen, wird aus dem Buch von Köbele deutlich, dass sich die Lebensgeschichten selbstverständlich nicht darin erschöpfen. Sondern es spielen Eltern und Geschwister eine Rolle, Erwerbsarbeit taucht auf und zahlreiche Erlebnisse, die gar nicht ins vergeschlechtlichte und von Mediziner_innen erwartete Bild passen.
Dass tatsächlich Francas, Antons, Robs, Sylvias und Jans Positionen zum Tragen kommen, erreicht Köbele damit, dass sie zunächst alle Personen detailliert vorstellt und dann noch einmal die Gespräche ausführlich nacherzählt. Damit gewinnt die_der Leser_in ein Bild von den Protagonist_innen. Und erst danach schließt die Autorin eine wissenschaftliche Auswertung an, in dem sie aus den Interviews unterschiedliche Erzähletappen herausarbeitet und sie schließlich in den Kontext der Geschlechterforschung einbindet. Dabei erläutert sie auch die wesentlichen Begriffe, die der_dem ungeübten und auch der_dem geübten Leser_in ein Verständnis gut ermöglicht.
„Ein Junge Namens Sue“ ist ein rundherum gelungenes Buch.
Ein Junge namens Sue. Transsexuelle erfinden ihr Leben.
Psychosozial-Verlag, Gießen.
ISBN: 9783837921250.
282 Seiten. 24,90 Euro.