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Keine Maskeraden

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Ein fertiges Buch ist ein Argument
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Brigitte Reimann und Günter de Bruyn in Briefen

Die Briefe zwischen Brigitte Reimann und Günter de Bruyn zeigen zwei sensible literarische Stimmen voller Warmherzigkeit und Tiefgang.

Der Briefwechsel zwischen der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann und ihrem Kollegen Günter de Bruyn ist „ein Argument“ dafür, dass es nicht vieler Worte bedarf, um einer Freundschaft Ausdruck zu verleihen; einer gegenseitigen Zuneigung, die manchmal sogar über Freundschaft hinausging und doch platonisch blieb. Dieser Briefwechsel wurde nun von Carola Wiemers in einem 112-seitigen, anspruchsvoll gestalteten Band herausgegeben.

Wiemers hat sorgfältig alle erhalten gebliebenen Briefe und Karten der schmalen Korrespondenz zwischen Reimann und de Bruyn zusammengetragen. Dies ist gerade deshalb bedeutsam, weil der Inhalt jener 25 Dokumente bislang schwer oder überhaupt nicht zugänglich war. Um einen Blick auf jene Zeilen werfen zu können, die Brigitte Reimann ihrem zurückhaltenden Schriftstellerfreund geschickt hatte, musste man persönlich im Deutschen Literaturarchiv Marbach vorstellig werden und sich Reimanns Briefe aus den insgesamt 26 Kästen des dort lagernden de-Bruyn-Nachlasses vorlegen lassen. Was de Bruyn Brigitte Reimann antwortete, blieb gänzlich im Dunklen. Warum? Weil der umsichtige Brief- und vor allem Kartenschreiber Günter de Bruyn die im Brigitte-Reimann-Archiv des Literaturzentrums Neubrandenburg gelagerten Dokumente vorsichtshalber für die Benutzung sperren ließ. Dass sie dort gelandet waren, hatte er nicht verhindern können, denn all das, was er ihr seinerzeit hatte persönlich mitteilen wollen, war nun mitsamt dem Nachlass der Autorin ins Archiv gewandert. So blieb de Bruyn jener Weg als einzige Zugriffsmöglichkeit.

Doch: Reichen 25 Briefe, um daraus ein Buch zu machen?

Der Spiegel im Gegenüber

Schade, dass der Herausgeberin ausgerechnet in ihrem „Prolog“ ein unschöner Fehler unterläuft, der bei aufmerksamer Lektüre des zitierten Bandes „Alles schmeckt nach Abschied“ hätte vermieden werden können. Reimann und de Bruyn lernten sich nicht am Tag der Heinrich-Mann-Preis-Verleihung kennen (28.3.1965) und auch nicht am 15.3.1965, wie von Wiemers angegeben, sondern am Freitag, dem 12.3.1965; anlässlich einer Tagung des Deutschen Schriftstellerverbandes in Berlin. Zur Verleihung des Heinrich-Mann-Preises an Brigitte Reimann am 28. März 1965 begegneten sich beide zum zweiten Mal. Glaubt man Reimanns Tagebuch, habe de Bruyn sie „damals bei der DSV-Sitzung die ganze Zeit angestarrt“ und sei nur ihretwegen zur Preisverleihung gekommen. (Abschied 1998, S. 123)

Treffend ist hingegen Wiemers Beschreibung, Günter de Bruyns „höfliche Empathie“ sei für Brigitte Reimann „bald zu einer Art Markenzeichen“ (S. 9) geworden. Unter dem wunderbar doppeldeutigen Titel „Maskeraden“ erschienen Günter de Bruyns Parodien – in vollendeter Höflichkeit „Gewidmet in herzlicher Verehrung einigen Autoren der mißbrauchten Originale“. (Maskeraden 1966, S. 4) In diesem Band, wie könnte es anders sein, gibt es auch eine solche auf Brigitte Reimanns Erzählung „Die Geschwister“, für die die Autorin den Heinrich-Mann-Preis erhalten hatte. Vermutlich ist dieser de-Bruyn-Text die subtilste und intelligenteste Form, um mit „höflicher Empathie“ – und unter aller Augen – seine Liebe zu gestehen. Der Titel der Parodie? „Elisabeth und die Liebe“.

Günter de Bruyn spiegelte in den „Maskeraden“ seinen Blick auf Brigitte Reimann. Brigitte Reimann spiegelte in ihren Briefen für den scheuen Dichter ihren Blick auf ihn – oder seinen Blick auf sie? Wie sie das tat, ist im Briefwechselband nachzulesen. Sie formulierte in höflich gesetzten Worten („daß Sie bereit sind, unserer Bitte zu entsprechen“, S. 15), benutzte Metaphern à la de Bruyn („Sie haben mir ihren Giftpfeil auf den Geburtstagstisch gelegt.“, S. 14), geschickt formulierte Doppeldeutigkeiten („übrigens habe ich Ihnen eine Tabaksbüchs geklaut“, S. 53) oder bewusst schlicht formulierte Eindeutigkeiten („Ich denke viel an Sie.“, S. 51)

Politische Themen werden in der Korrespondenz Reimann / de Bruyn vollständig ausgespart. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich beide, angesichts einer nicht auszuschließenden Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit, lieber mündlich darüber ausgetauscht haben.

Brigitte Reimann und Günter de Bruyn berichteten stattdessen über Schaffensprobleme, die in die Entstehungszeit der gegenseitig gewechselten Briefe und Karten fallen (9. August 1966 bis Januar 1973). Vor allem Reimann klagte über die Schwierigkeiten des Fortgangs der Arbeiten an ihrem Roman „Franziska Linkerhand“. Am 9.8.1966 schrieb sie: „[…] ich war ein paar Wochen sehr deprimiert – wegen meines Romans“ (S. 14), am 4.10.1969: „Ich habe einen schlimmen Sommer hinter mir: Krankheit, eine zertrümmerte Ehe, keine Arbeit am Buch […]“ (S. 29) und am 1.1.1973: „[…] morgen werde ich endlich, endlich die spröde Dame Franziska ihrem Ben ins Bett legen.“ (S. 51) Günter de Bruyns Brief vom 13.1.1970 gibt Auskunft darüber, dass er „bester Laune“ sei, weil er „eine Woche fieberhaftester Arbeitswut“ hinter sich habe. „In 7 Tagen 27 Seiten ist doch enorm“, setzte er fort, „wenn man bedenkt, daß ich für 90 davon, 2 Jahre brauchte.“ (S. 39)

Darüber hinaus ging es um organisatorische Dinge. Allein die detailreiche Planung einer Lesung Günter de Bruyns in Neubrandenburg (Mai 1969), die auf Vermittlung Brigitte Reimanns zustande kam, beanspruchte neun Briefe.

Zu Tränen rührt das gegenseitige Einfühlungsvermögen, das den gesamten Briefwechsel durchzieht. „An Ihre letzten Wochen in Buch denke ich wie an etwas ganz Fernes, Schönes, Helles zurück – trotz der Traurigkeit, die über allem liegt.“ (S. 52) schloss Günter de Bruyn seinen letzten Brief an die todkranke Brigitte Reimann; weniger als zwei Monate vor ihrem Tod.

Die besondere Fähigkeit, sich perfekt in die Gedanken und Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen und ihre Reaktionen dementsprechend anzupassen, war das verbindende Element zwischen den beiden, ansonsten so gegensätzlichen Charakteren; und der Schlüssel zu ihrer ganz besonderen Beziehung. Den Schlüssel für die Leserinnen und Leser und das Vergnügen daran bieten jene 25 Briefe; mehr braucht es nicht.

Inhalt und Form

Dafür, dass sämtliche Briefe und Karten ohne Kürzungen veröffentlicht wurden, kann man Carola Wiemers und den Rechteinhabern nur dankbar sein. Besonders die regelmäßigen Leserinnen und Leser von Brigitte Reimanns bisher publizierten Brief- und Tagebuchausgaben werden das zu schätzen wissen.

Dennoch entsteht der Eindruck, dass hier versucht wurde, die ausgesprochen schmale Korrespondenz so weit wie möglich aufzublähen, um deren selbstständige Buchpublikation zu rechtfertigen. Dies zu behaupten, scheint ob der Sorgfalt der Edition ungerecht, doch das Gefühl bleibt. Warum? Was am meisten ins Auge fällt und den Lesefluss stört, sind die vielen halbvollen oder sogar fast leeren Buchseiten. War es wirklich notwendig, dass jeder Brief auf einer neuen Seite beginnt? Vor allem unter dem Aspekt, dass die kurzen Kartengrüße bei weitem überwiegen? Der Briefteil, einschließlich der Faksimiles und zweier Briefe zwischen de Bruyn und Reimanns Eltern, erstreckt sich auf diese Weise über insgesamt 46 Buchseiten. Hinzu kommen noch einmal 25 Seiten locker gesetzter „Stellenkommentare“. Macht insgesamt 71 Seiten für 27 Briefe, durch die man erstmal blättern muss, ehe man lesen kann.

Stimmiger wäre gewesen, Brigitte Reimanns raumgreifende Buchstaben und Günter de Bruyns akkurates Schriftbild, mit denen beide stets ihre Blätter füllten, sei es auf einer Briefseite oder einer kleinen Karte, in direkter Zwiesprache aufeinander folgen zu lassen.

Trotzdem: Die Überzeugung, mit den tiefgründigen und warmherzigen Briefen, die den Sprachwitz der „Maskeraden“ in sich tragen, einen Schatz in den Händen zu halten, bleibt. Die vielen weißen Stellen im Buch, so scheint es plötzlich, könnten auch der unberührte Schnee rund um de Bruyns ehemaligem Brandenburger Wohnsitz, die Blabbermühle, sein, und die unbeschriebenen Buchzeilen jene Leerstellen, die der Tod von Brigitte Reimann und Günter de Bruyn hinterlassen hat.

Zusätzlich verwendete Literatur

Bruyn, Günter de (1966): Maskeraden. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) Reimann, Brigitte (1998): Alles schmeckt nach Abschied. Aufbau-Verlag, Berlin

Carola Wiemers (Hg.) 2024:
Ein fertiges Buch ist ein Argument. Brigitte Reimann und Günter de Bruyn in Briefen.
Quintus Verlag.
ISBN: 978-3-96982-088-9.
112 Seiten. 20,00 Euro.
Zitathinweis: Kristina Stella: Keine Maskeraden. Erschienen in: Politisches Christentum. 74/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/LvqSz. Abgerufen am: 22. 01. 2025 07:56.

Zum Buch
Carola Wiemers (Hg.) 2024:
Ein fertiges Buch ist ein Argument. Brigitte Reimann und Günter de Bruyn in Briefen.
Quintus Verlag.
ISBN: 978-3-96982-088-9.
112 Seiten. 20,00 Euro.