Kein Klimaschutz ohne Kapitalismuskritik
- Buchautor_innen
- Emma
- Buchtitel
- Ein anderer Blick auf den Klimawandel
In einfachen Bildern skizziert der Comic die Klimakrise als Problem des Kapitalismus und reißt widerständige Praxen und Gegenentwürfe an.
Die mit feministischen Comics bekannt gewordene französische Künstlerin Emma widmet sich in ihrem neuesten Buch dem Klimawandel und entlarvt dabei die gängigen Mythen eines grünen Kapitalismus und der vermeintlichen Macht von Verbraucher*innen. Vom Entstehen der globalen Erwärmung über die Rolle der Konzerne und der Politik leitet sie chronologisch in widerständige Praxen und Gegenentwürfe über. Die Autorin selbst führt als Figur durch das Buch und richtet sich in direkter Ansprache an die Leser*innen. Das Ziel ist es, die Ursache der Klimakrise aufzuzeigen – kapitalistische Produktionsweisen.
Zunächst wird der historische Beginn der menschengemachten Klimakrise dargestellt. Ausgehend von der Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt im 18. Jahrhundert zeigt Emma auf, wie der Grundstein für die heutige Erderwärmung gelegt wurde. Denn der fossile Motor ermöglichte erst die weitere industrielle Entwicklung. Während zuvor Maschinen mit Wasserkraft betrieben wurden, ermöglichte die kohlenbetriebene Dampfmaschine, die Arbeit zu den Arbeiter*innen in die Städte zu bringen. Dies machte Kohle zum Energielieferanten Nummer eins, der gleichzeitig aber bei der Verbennung massenhaft CO2 ausstößt – und damit die Erderwärmung wortwörtlich beschleunigte. In übersichtlichen Zeichnungen mit viel Begleittext werden die Konsequenzen der globalen Erwärmung – von steigendem Meeresspiegel, der Zerstörung von Ökosystemen bis hin zu klimatischen Veränderungen als Fluchtgrund – dargestellt.
Das Klimaproblem wegkonsumieren
Der umfangreichste Teil des Buches widmet sich der Rolle multinationaler Konzerne. Am Pranger steht auch eine Politik, die sich an dem Wachstumsversprechen der Wirtschaft orientiert und mit dieser kollaboriert, statt dauerhaft und nachhaltig alternative Energiegewinnung jenseits von kapitalistischer Akkumulationslogik zu fördern. Emma demaskiert die kampagnenhaften Versuche von Konzernen und Politik, einen „grünen Kapitalismus“ in Form von Recycling, Emissionszertifikaten oder den Appell an Konsument*innen voran zu treiben und zeigt, wie diese Argumentation vom grundlegenden Problem ablenkt: dass fossile Brennstoffe und Kapitalismus das Problem sind. Irritierend stößt hier die Personalisierung des Kapitalismus auf: Statt von einer systematischen Betrachtung auszugehen, spricht der Comic von „den Kapitalist*innen“ und stellt Konzern-Logos vermenschlicht mit Armen und Beinen dar. Der Wunsch nach Vereinfachung ist hier verständlich, wirkt aber deplatziert, wenn gleichzeitig komplexe Maßeinheiten wie die CO2-Konzentration in parts per million oder als Angabe von Solarenergie Exajoule verwendet werden, ohne diese zu erklären. Auch sind neben generellen Beispielen viele Bezüge gegeben, die eher auf eine französische Leser*innenschaft ausgerichtet sind. Hier wären mehr redaktionelle Anmerkungen bei der Übersetzung wünschenswert gewesen, um die gegebenen Informationen und benannten Konzerne besser einordnen zu können.
Organisierung statt Mülltrennung?
Emma zeigt, welche Veränderungen notwendig sind, um zumindest in Teilen die Folgen der Klimakrise zu begrenzen. Dass die Industriestaaten im globalen Norden dabei für einen Großteil der Schäden verantwortlich sind, diese aber aufgrund kapitalistischer Produktion und Ausbeutung vor allem für die Menschen im globalen Süden spürbar ist, wird auf wenigen Seiten in deutlichen Bildern sichtbar. Das Kapitel endet mit dem Appell, kein Vertrauen in große Konzerne, Staaten und Justiz zu setzen, sondern sich mit anderen zusammen zu tun und selbst aktiv zu werden. Fridays for Future, Ende Gelände und Proteste wie aktuell beim Cop26 in Schottland formulieren dabei eindeutige Forderungen. Nachdem vermeintlich ethischer Konsum und Konsumboykotte im Kapitel davor noch als verkürzt dargestellt werden, wird hier drauf eingegangen, dass langfristig im globalen Norden ein anderer Lebensstil notwendig ist, um eine andauernde Wachstumslogik zu durchbrechen und internationale, gemeinschaftsorientierte Verbindungen zu schaffen. Hier wird der inhärente Widerspruch sichtbar, dass ein ethischer Konsum im Kapitalismus sich immer noch innerhalb kapitalistischer Logiken bewegt, aber auch eine utopische Zukunft jenseits des Kapitalismus einen anderen Lebensstil und weniger Verbrauch von Ressourcen erfodert.
Das Buch richtet sich dem Eindruck nach an Menschen, die denken, mit Bio-Cola, Wasser sparen und Mülltrennung könnte die Klimakrise verhindert werden (Spoiler: Die Klimakrise ist schon da). Ihnen zeigt Emma mit klaren Beispielen auf, dass persönlicher Konsumverzicht nicht zum Ende des Kapitalismus beiträgt – sondern Aktivismus und Organisierung. Dementsprechend kann es als Einführungsliteratur dienen für Menschen, die auf solche Weise tätig werden wollen. Für Leser*innen, die bereits Teil von klimagerechten und antikapitalistischen linken Kämpfen sind, bietet der Comic jedoch weder neue Inhalte noch eine innovative Aufbereitung dieser.
Ein anderer Blick auf den Klimawandel. Übersetzt von: Lena Völkening.
Unrast-Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-297-3.
96 Seiten. 14,80 Euro.