Im Trüben gefischt
- Buchautor_innen
- Martin Langebach, Andreas Speit
- Buchtitel
- Europas radikale Rechte
- Buchuntertitel
- Bewegungen und Parteien auf Straßen und in Parlamenten
Die Reportagen zu den extrem rechten Erscheinungen in Europa geben zwar einen Überblick, lassen allerdings Tiefe vermissen.
Eine gefällige Reportage-Sammlung haben die beiden Autoren und „Rechtsextremismus“-Experten Martin Langebach und Andreas Speit mit ihrem Buch „Europas radikale Rechte“ vorgelegt. Für Leute, die sich noch nicht viel mit dem rasanten Rechtsruck in Europa beschäftigt haben, mag das Buch eine gute, schnell wegzulesende Einführung sein. Wer schon mal etwas vom Überraschungssieger der österreichischen Nationalratswahlen „Team Stronach“, der Casa-Pound-Bewegung in Italien und der Rechtspartei „Europäische Allianz für Freiheit“ gehört hat, wird das Buch müde zur Seite legen. Immerhin macht es eines deutlich: die Entwicklungen am rechten Rand des europäischen politischen Spektrums sind so schnelllebig, bisweilen diffus und auf so vielen, sich zum Teil völlig widersprechenden Ebenen zu betrachten, dass man sie schlicht nicht überblicken kann. Insofern ist die Reportage vielleicht nicht unbedingt das richtige Mittel, um diese hochkomplexe Materie aufzuschlüsseln, vielleicht war das auch gar nicht die Absicht der Autoren.
Eine Analyse dessen, was der „europäische Rechtsruck“ sein könnte, verfällt deshalb häufig in endlose Aufzähleritis. So auch Langebach und Speit: aus 14 Ländern (beziehungsweise 11, weil sie Skandinavien in einem Kapitel abhandeln) tragen sie in sicher fleißiger Sammel- und Reisearbeit etwas holzschnittartig komponierte Reportagen zusammen, die mit der Fülle an Namen, Zahlen, Bezügen, Parteigründungen, Auf- und Abstiegen von Protagonist_innen und ihren zum Teil sehr kurzlebigen rechten Splittergruppen an einem vorbeiziehen wie eine nicht enden wollende Litanei. Am Ende des Buches sind winzige Erinnerungs-Bits übrig, ein großes Bild, eine valide Einschätzung von kontinentaler Reichweite bekommt man nicht.
Aufzähleritis statt Analyse
Die Verfasser geben sich dabei, wie fast alle, die es unternehmen, die europäische Rechte umfassend beschreiben zu wollen, der Neigung hin, am Schluss doch irgendwie alles über einen Kamm zu scheren. Nachdem eine diskutierende Community aus Wissenschaft, (Fach-)Medien und Antifa-Recherche seit Jahren in unterschiedlichen Sprachen versucht, mit den Begriffen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Neonazismus, Neofaschismus, völkischer Nationalismus der europäischen Phänomene Herr zu werden und eine begriffliche Klarheit zu finden, die zwischen den SS-Veteranentreffen in Litauen, Geert Wilders „Partei für die Freiheit“, den Neonazis von der „Goldenen Morgenröte“ und der Schweizerischen nationalistischen und rassistischen Spießerpartei SVP vom Millionär Christoph Blocher unterscheiden kann, grätschen Speit und Langebach nun mit einem weiteren, nicht mal neuen, ebenfalls untauglichen Sammelbegriff ins Spiel, der „radikalen Rechten“. Dabei beziehen sie sich auf den Politologen Michael Minkenberg, dessen Definition des Begriffes interessant (S. 12), aber ebenso wenig geeignet ist, diese Klarheit herzustellen. Den (in vielfacher Weise auch positiv konnotierten) Begriff der „Radikalität“ hier als Klammer anzubieten ist eher ein Rückschritt: Die Diskussion der zurückliegenden Jahrzehnte jedenfalls wird man sicher nicht angemessen berücksichtigen können, wenn man ein weiteres Mal versucht, einen alles abdeckenden Überbegriff zu finden. Die Problematik etwa des virulenten Extremismusbegriffs, der als politische Waffe vor allem gegen Linke in Stellung gebracht wird, wird nicht reflektiert, ebensowenig wie die Tatsache, dass der Begriff des „Rechtspopulismus“, des „Populismus“ überhaupt, im Diskurs weder ausreichend ausdifferenziert wurde, noch präzise beschreibt, was er benennt: Ist Silvio Berlusconi zum Beispiel ein Rechtspopulist, ein Neofaschist oder nur ein braun gesprenkelter, korrupter Oligarch? Kann man Fidesz in Ungarn wirklich als „konservativ“ bezeichnen (S. 110), wo schon der Begriff „rechtspopulistisch“ nicht hinreichend den offen völkisch-nationalistischen oder gar (krypto-)faschistischen Charakter der ungarischen Regierungspartei beschreibt. Wo wollen wir den neuen Kometen am österreichischen Polithimmel Frank Stronach mit seinen irren Spinnereien – Stichwort „Todesstrafe für Berufskiller“ – hinpacken? Ist Andonis Samaras' Nea Dimokratia in Griechenland bürgerlich-konservativ, rechts-national oder schlimmeres? Und was sind diese Leute von der United Kingdom Independence Party (UKIP) eigentlich für Vögel?
Kurz und gut, es fehlt dem Buch ein brauch- und vielleicht durchaus auch streitbarer Analyseteil, der Zusammenhänge und Unterschiede auffächert, wie sie etwa entlang einer Ost-West-Achse auszumachen sind, oder – im Zusammenhang mit einem chauvinistischen „Leistungsnationalismus“ – entlang einer Nord-Süd-Achse. Ein Analyseteil, der den klerikalen Aspekt des polnischen Antisemitismus mit der Israel-Sympathie von Gianfranco Fini, Geert Wilders und Rene Stadtkewitz zusammendenken kann, der den ubiquitären Antiziganismus, den Hass auf Sinti und Roma, in eine europäische Blickachse nimmt und nicht als ein osteuropäisches Problem der dortigen starken nationalen Minderheiten abtut. Ähnliche Betrachtung hätte die Unterschiedlichkeit rechten Hasses auf Schwule in Europa verdient, wo im Osten- und Südosten Gay Pride Paraden von gewalttätigen, oft von Kirchenkreisen unterstützten Horden von den Straßen gefegt werden, während spätestens seit Pim Fortuyn etwa in den Niederlanden Homosexualität kein Problem mehr für Rechte darstellt, im Gegenteil: wo die eigene „Homo-Freundlichkeit“ als Form des Homo-Nationalismus den antimuslimischen Rassismus befeuert. Wesentliche Länder, wie etwa Polen oder Rumänien, fehlen ebenso im Buch wie „weiße Flecken“ zumal in Südeuropa, so Spanien und Portugal, weiß bleiben. Außerdem ist das Europa der Autoren wie selbstverständlich ein EU-Europa ohne Russland und den Balkan.
Ein ganzes Kapitel am Ende des Buches ist dem europäischen Parlament gewidmet, wo das Kursorische der Herangehensweise etwas besser funktioniert, um die unüberschaubaren Konstellationen der europäischen Rechten mit ihren Animositäten und Sympathien untereinander und den meist kurzlebigen Koalitionen und Fraktionen zumindest grob zu skizzieren. Vollends die europäischen Rechtsparteien überfordern die Aufnahmefähigkeit auch der interessierten Leser_innen: Was macht welche rechte Partei auf je nationaler Ebene, wie geht sie mit der EU, dem Euro und dem Europäischen Parlament um und mit welcher Absicht tritt sie zur Europawahl an, mit welchen anderen Rechtsparteien tut sie sich zusammen und zu welchem Zweck, wie finanziert sie sich und welche Netzwerke existieren jenseits von nationalem und europäischem Parlament: Sich hier einen Überblick verschaffen zu wollen, scheint unmöglich. Insofern ist analytische Literatur und Forschung hierzu bitter notwendig und sollte sich nicht auf Kolportage beschränken: Wen interessiert es, dass Marine Le Pen „mit Zetteln in der Hand“ am Redner_innen_Pult des Europäischen Parlaments steht, eine „diskrete schwarz-grau-weiße Jacke“ trägt und „die blonden Haare zum Dutt gesteckt“ hat (S. 266).
Mit Politik der Passion gegen rechts
Ein Verdienst des Buches, wenn vielleicht auch kein intendiertes, mag es sein, dass es uns vor Augen führt, dass die Unüberschaubarkeit der Parteienlandschaft und die wechselvolle Rasanz der Entwicklungen mit dem Auftauchen und Verschwinden immer neuer und sehr differenter rechter Parteien möglicherweise verhindert, dass eine menschenrechtlich-antifaschistische Kampagnenarbeit oder auch eine positive, visionäre, linke Politik auf europäischer Ebene sich entwickeln kann. Mit Slavoj Žižek lässt sich allemal konstatieren:
„In ganz Europa sind wir in der misslichen Lage, dass Politik als Passion eigentlich nur noch von der immigrationsfeindlichen, rassistischen Rechten gemacht wird. […] Man hat die Wahl zwischen der Nicht-Politik der breiten Mitte und der Leidenschaft der nationalistischen Rechten. Das Problem mit dieser hedonistischen postpolitischen Gesellschaft ist, dass sie Rassismus generiert, denn sie kann nicht durch sich selber überleben: Sie braucht das ‚große Andere‘. Diesen Fundamentalismus kann nur die Re-Politisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen bekämpfen“ (Žižek 2010).
Zwar weisen die Autoren den Buches „Europas radikale Rechte“ zurecht ein ums andere Mal auf die so bekannten wie erschütternden Studien zu „Deutschen Zuständen“ (etwa S. 237) und „Europäischen Zuständen“ (S. 10) hin, die das Vorhandensein völkischer, menschenfeindlicher, nationalistischer und rassistischer Gedankenwelten in den Köpfen breiter Bevölkerungsschichten nachweisen, es gelingt ihnen aber nicht, so den Bogen zu „normaler“ konservativer Regierungspolitik zu schlagen, die sich etwa in Akteuren wie dem Bundesinnenminister Friedrich personifiziert, der quasi amtlich Stimmung gegen Roma und Flüchtlinge macht, wie sonst nur NPD und andere völkisch-nationale Kreise: Sie warnen unisono vor der „Einwanderung in die Sozialsysteme“ (S. 269), die andere, wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, „bis zur letzten Patrone“ (u.a. Tagesspiegel v. 10.3.2011) verteidigen wollen. Was unterscheidet eine latent oder offen rassistische Regierungspolitik von der Hetze und den Forderungen der Parteien und Gruppen noch weiter rechts? Das Kapitel über Deutschland verbleibt – zum Teil unverhältnismäßig detailliert – bei der auf NSU, NPD, Autonome Nationalisten und eingeworfene Fensterscheiben von linken und grünen Parteibüros verengten Perspektive und lässt die immer handgreiflicher werdenden Übereinstimmungen zwischen jener viel beschworenen „Mitte der Gesellschaft“ und den organisierten Rechten außer Acht. Der Anti-Euro-Newcomer „Alternative für Deutschland“ (AfD) kommt bezeichnenderweise in dem Buch nicht vor, dabei kann als sicher gelten, dass sie nach 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl 2013 den Sprung über die 3-Prozent-Hürde bei den Europawahlen schaffen und damit ein neuer deutscher Player im Defilee der nationalistischen Euro- und EU-Gegner werden. Oder mögen die Autoren der neuen Partei trotz ihres enormen Elitismus und Nationalismus das Label „rechtsradikal“ nicht aufkleben, weil sie selber sehen, dass der Begriff so nicht ohne weiteres funktioniert?
Platitüden schließlich wie der letzte Satz des Buches werden uns sicher nicht weiterhelfen. Er lautet: „Offensive Wahlkämpfe, die sich deutlich gegen eine Abwertung des ‚Anderen‘ und für eine plurale, liberale und offene Gesellschaft einsetzen, könnten die großen Hoffnungen der radikalen Rechten trüben“ (S. 277) – und kommt kaum über das Niveau eines „Bunt statt braun“ hinaus.
Und natürlich unterlaufen auch beim Lektorat Fehler, da heißt der faschistische Vordenker Arthur Moeller van den Bruck schon mal „van den Brock“ (S. 91) - soetwas passiert. Die Zahl der ermordeten Sinti und Roma während des Nationalsozialismus mit 100.000 unkommentiert als wissenschaftliche Schätzung anzugeben (S. 71), ist jedoch ein Ärgernis: die wahren Opferzahlen dürften um ein Vielfaches höher, etwa bei 500.000 Toten liegen.
Zusätzlich verwendete Literatur
Zizek, Slavoj (2010): Der Balkan verschwindet. Ein Gespräch mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek. Interviewt von Andreas Ernst. In: Neue Zürcher Zeitung, 22.11.2010. Online hier.
Europas radikale Rechte. Bewegungen und Parteien auf Straßen und in Parlamenten.
Orell Füssli, Zürich.
ISBN: 978-3-280-05483-3.
287 Seiten. 21,95 Euro.