Ich fragte nicht nach meinem Anteil
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- Sabine Kebir
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- Ich fragte nicht nach meinem Anteil
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- Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht
Kebir holt die fruchtbare Arbeit Elisabeth Hauptmanns zusammen mit Brecht aus der Vergessenheit und diskutiert dabei die Möglichkeit kollektiver Arbeit.
Sabine Kebir hat sich vorgenommen, dem Leben all der Frauen nachzugehen, die mit Brecht zusammengearbeitet und - zeitweise - gewohnt haben. Erfreulicherweise ist jetzt ihr Buch über Elisabeth Hauptmann wieder herausgekommen, nach einem ersten Erscheinen 1998 beim Aufbau Verlag. Zugrunde liegen bisher völlig vernachlässigte Tonbandinterviews mit der Schriftstellerin, die 1972 angefertigt wurden für einen Film in der DDR. Sabine Kebir soll für eine Edition dieser Bänder jahrelang keinen Verlag gefunden haben.
Dass Kebirs Buch über Hauptmann erst jetzt wieder herausgekommen ist, deutet nicht auf ein übergroßes Interesse des Publikums hin. Es steht damit wohl genau so wie mit Brechts Schülerin, Mitarbeiterin und Geliebte Margarete Steffin, deren eigene Texte noch im letzten Jahrtausend herausgegeben wurden, jetzt aber nur noch antiquarisch zu haben sind. Kebir weist nach, wie diese ausschließliche Fixierung auf Brecht dem immer noch vorhandenen Bild vom einsamen Schöpfer und Denker sich verdankt. Das Publikum lehnte damit gerade die neue Auffassung Brechts ab, der Schreiben und vor allem Theatermachen immer schon - seit seinen Augsburger Tagen - als etwas im Kollektiv zu Verrichtendes ansah. So waren es auch keineswegs nur Frauen, die er in der Mitarbeit nach Ansicht neidischer Chauvis “ausgebeutet” hat, sondern zu seinen Mitarbeitern gehörten ebenso Männer wie Eisler, Weill, Feuchtwanger und als einer der wichtigsten, heute ebenfalls kaum noch erwähnt, Emil Hesse-Burri. Im Buch dazu ein wunderbares Photo: Brecht mit Schiebermütze diktiert Burri mit Hut in die Maschine. Hut in der Wohnung zu tragen muss als amerikanisch cool gegolten haben. Burri hält die Maschine auf den Knien und beherrscht offenbar auch nur das von weitherkommende tastensuchende Tippen. Jedenfalls eine lustige Umkehrung des auf dem Cover des Buches figurierenden Kittler-Schemas: hochragender Schriftsteller diktiert gebeugter Sekretärin.
Kebir interessiert offenbar vor allem die Möglichkeit wirklich gemeinsamen Produzierens. Denn es liegt nicht nur am Patriarchat, sondern auch an lang schon tränierten Haltungen und Gewohnheiten, dass für die geläufige Vorstellung Lesen und Schreiben Einsamkeit und totale Stille brauchen. Das gilt schon für das Lesen: Augustinus in den “Bekenntnissen” berichtet staunend über eine ganz seltsame Gewohnheit des Bischofs Ambrosius von Mailand: er bewegte beim Lesen bloß lautlos die Lippen, anderen unverständlich. Offenbar war vor dieser Zeit auch der Lesevorgang immer laut und damit quasi öffentlich.
Ab der Zeit ist Lesen in der Regel schweigende Versenkung. Schreiben noch mehr. Alle bildhaften Darstellungen des Schreibens seit der Spätantike zeigen einen Einsamen am Tisch, allenfalls - wenn etwa Evangelist - vom heiligen Geist flatteremsig als Taube am Ohr assistiert. Das Schema ist also tief verinnerlicht und es brauchte große Anstrengung, es zu überwinden. Die Photos von Brechts Arbeitszimmer zeigen dagegen regelmäßig einen mittleren Auflauf. Kebir beschreibt, wie Brecht in allen seinen Kreisen auf Notizen und Notaten von Arbeitsgesprächen bestand - von Augsburg an. Und das erste große Zerwürfnis mit Elisabeth Hauptmann knüpfte sich - zumindest äußerlich - an einen verschwundenen Koffer nach dem plötzlichen Aufbruch aus Deutschland 1933, ein Koffer voller Aufzeichnungen und Papiere, die - wie Kebir unterstreicht - keineswegs nur Brecht allein verlorengingen, sondern einem ganzen Kreis von Produzentinnen und Produzenten.
Mit dem kollektiven Schreiben verbunden die Verwerfung des Klischees der unbedingten Originalität. Kaum eine der Handlungen in Brechts Drama ist von ihm erfunden. In weniger individualistischen Zeiten war das freilich auch weniger ungewöhnlich, vor allem bei Theaterdichtern. Weder Shakespeare noch Molière, weder Nestroy noch Raimund, allesamt Dichter, Regisseure und Schauspieler zugleich, legten Wert darauf, als Erfinder der Handlungen in den Stücken zu gelten. Laut Seghers war Brecht ein wahrer “Kleptomane” (Anm. S. 257), und doch war sie einmal nicht vorsichtig genug und erzählte ihm nach einer Zeitungsnotiz die Fabel der Kurzgeschichte ”Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen”, von der dann bezeichnenderweise eine Fassung Brechts, eine der Hauptmann und Entwürfe der Seghers vorliegen.
Brecht selbst hätte den Titel des “Kleptomanen” als Anerkennung verstanden. Die sozialistische Vorstellung von gemeinsamer Produktion versuchte Brecht nach Kräften mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchzuziehen, so lange es eben ging. Im amerikanischen Exil zum Beispiel nur selten - außer dem Glücksfall Laughton, mit dem Brecht den Galilei umarbeitete und realisierte. Es fehlten Theater und erreichbare Publikumsreaktionen. Für Sabine Kebir, die in der DDR aufgewachsen ist, hat die Diskussion der Kollektivarbeit als einer Möglichkeit der Steigerung des individuellen Vermögens ganz besondere Brisanz. Denn offenbar hat sie Kollektiv nur als Beaufsichtigen, Obrigkeitsorientierung und konzentriertes Schurigeln von Kollektivierten verstanden. Sie erzählt:
”In meiner Schule Berlin-Mitte wurden 1965/66 der “Jasager” und der “Neinsager” auf Initiative des Musiklehrers einstudiert. Ich lehnte die Mitwirkung ab, weil in unserer Schule das stalinistische Prinzip, den einzelnen vom Kollektiv erschlagen zu lassen, auf besonders brutale Weise durchgesetzt wurde, und zwar durch Sabotage aller naturwüchsigen Impulse der Solidarität, die junge Menschen haben können”. (S. 154)
Resumé: bei der Kunstarbeit in der DDR, schon kurz nach Brechts Tod, blieb es bei Führung und Ehrgeiz der jungen Regisseurin. Kollektiv wurde Gefolgschaft. Im Rückblick referiert Sabine Kebir, was dann das Funktionieren wirklicher Zusammenarbeit ausmacht: gemeinsames Vokabular und halbwegs gemeinsame politische Ausrichtung.
Die Kehrseite wird nicht verschwiegen: vor allem in den USA zeigte sich, dass die zerstreuten Bestandteile des Kollektivs nur mit größter Mühe noch produzieren konnten. Brecht selbst, vor allem nach dem Tod von Steffin. Keineswegs wurde er, wie Theweleit es darstellt, zum Sänger, der seinen Schmerz um sie als Energie aufbraucht, um weiter Schmerz auszudrücken, um weiter dichten zu können. Theweleits Schema des Orpheus passt zu Brecht am allerwenigsten. Das Zusammensinken, das Lebenfristen über im Vergleich zu vorher langweiligen Tätigkeiten traf Helene Weigel, Ruth Berlau und eben auch Elisabeth Hauptmann genau so. Der einsame Laotse, der gerade im Exil das höchste vollbringt, konnte keine und keiner der ehemaligen Gruppe sein. Und selbst dem Weisen hatte Brecht den fragenden Zöllner zugesellen müssen, um ihn dem Schema des Hieronymus im Gehäus zu entreißen.
Elisabeth Hauptmann, geboren noch im neunzehnten Jahrhundert in Peckenheim, einem Ort, dessen Namen sich Brecht nie merken konnte, gehörte gemäß Kebir zu den Frauen, die nach dem ersten Weltkrieg, kurzen Rocks und kurzer Haare, sich wirklich frei machten von der Sehnsucht nach Familie - und unter Schmerzen von familiären Zufluchtsräumen. Freilich - nach Zusammenleben mit Brecht, mit dem ehemaligen SPD-Polizeipräsidenten Baerensprung und mit Paul Dessau muss sie auf ihre alten Tage sich doch alleingelassen gefühlt haben. Immerhin eingebunden in die Arbeit der Herausgeberschaft von Brechts Nachlass, relativ einig mit Mitherausgeberin Helene Weigel, in ewigem Clinch mit dem Politbüro der DDR und dessen Besorgnissen, was dem “Volk” gerade noch zuzumuten sei. Hier blieb sie hinter der zäheren Taktikerin Weigel zurück; ausdrücklich wird sie postum von Sabine Kebir verwarnt, weil sie das bekannte Gedicht “Die Lösung” zum 17. Juni unbedingt aus dem Komplex der Buckower Elegien herausnehmen wollte. Hauptmann ging es um den Fortgang der Ost-Edition, Helene Weigel wusste, dass Herausnahme des schon weltbekannten Gedichts auch die West-Ausgabe in ihrer Zuverlässigkeit gefährdet hätte. Ende vom Lied: 1964 kam die Lösung im Westen heraus, 1969 im Osten. Auch dann herrschte noch verbreitete Kieferstarre bei den Amtsinterpreten.
Elisabeth Hauptmann, Übersetzerin der Rohvorlage der Dreigroschen-Oper und des NO-Spiels “Jasager” aus der englischen Fassung des japanischen Stücks, wurde im Kreis um Brecht stets als Mitschöpferin seiner Werke anerkannt (und übrigens - entgegen den Meldungen der Quengler - mit in späteren Jahren ergiebigen Anteilen an den Tantiemen bedacht.)
Dass sie zwischendurch immer wieder fast vergessen wurde, lag an der Fixierung auf den einsamen Schöpfer Brecht im Westen, die zu einer Kultur des selbständigen Unternehmers und des pfiffigen Gründers einer Ich-AG passte. Sabine Kebir hat gegen diese Fixierung nach Kräften angekämpft. Hoffen wir, dass es nicht wieder acht Jahre dauert bis zur nächsten Auflage.
PS: Ganz nebenbei wird hier umfassend aus Briefen von Elisabeth Hauptmann an Benjamin zitiert. Aus den USA an den in Paris Exilierten. Nach der Ausgabe der gesammelten Briefe Benjamins scheint kein Brief von ihm an sie erhalten. Auf jeden Fall wäre eine kleine Sonderausgabe der jetzt nur in Microfiche zugänglichen Briefe an ihn außerordentlich wünschbar.
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Die Rezension erschien zuerst im Dezember 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ast, 01/2006)
Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht. 2. Auflage.
Aufbau Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-7466-8148-1.
292 Seiten. 8,95 Euro.