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Hitzige Diskussionen

Buchautor_innen
Steffen Mau, Linus Westheuser, Thomas Lux
Buchtitel
Triggerpunkte
Buchuntertitel
Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft

Die soziologische Studie seziert unsere Gesellschaft nach Konfliktlinien und widerlegt das Bild einer polarisierten Gesellschaft.

Fünf Uhr morgens, Streikposten der Straßenbahnfahrer*innen, es ist eisig kalt. Deshalb haben sich ein paar um die Feuertonne versammelt – Jens, Straßenbahnfahrer (Name geändert), zwei seiner Kolleg*innen und ich, Klimaaktivist von der Kampagne #WirFahrenZusammen. Ich bin nicht nur zur Streikunterstützung hier, sondern auch, um mit den Beschäftigten über die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu sprechen und darüber, wie es ihnen im Arbeitsalltag geht. Würde man Jens und mich auf Klischees reduzieren, dann müsste Jens der mittel(alte) weiße Mann und Facharbeiter mit den konservativen Ansichten sein, ich der studierte, junge Klimaaktivist mit den progressiven Meinungen. Zwischen unseren gesellschaftlichen Positionierungen haben die Medienerzählungen der letzten Jahre immer mehr Spaltungspotentiale aufgetan: Arbeitsplätze versus Klima, Wohlstand versus Emissionsreduktion, Klassen- versus Identitätspolitik.

Aber wir kommen zügig auf einen Konsens: Der ÖPNV ist unterfinanziert. Es müsste massiv umverteilt werden. Eine Minute später landet das Gespräch doch bei den Bürgergeldempfänger*innen, für die „unsere Steuern” ausgegeben werden.

Keine polarisierte Gesellschaft – aber Triggerpunkte

Aber stimmt das viel beschworene Narrativ einer in zwei Lager gespaltenen Gesellschaft? In ihrem Buch „Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ sezieren die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser Spaltungen und gesellschaftliche Diskurse sozialer Ungerechtigkeiten. Anschaulich, nicht hoch kompliziert und trotzdem wissenschaftlich beschreiben sie auf 420 Seiten ihre Forschungsergebnisse, die vor allem aus eigenen und Fremdstudien der Jahre 2021 und 2022 stammen, sowie aus Gesprächsrunden mit unterschiedlichsten Menschen.

Ihr Fazit: Es gibt einen breiten Konsens, eine „gerechte Gesellschaft“ zu wollen. Nur die konkreten Vorstellungen unterscheidet sich. Anstatt einer Zwei-Lager-Gesellschaft lässt sich daher eine zerklüftete Konfliktlandschaft erkennen. Basiert haben die Autoren ihre Forschung auf vier sogenannten Konflikt-Arenen: Der ökonomischen Verteilungsungerechtigkeit (Oben-Unten-Arena), der Migration (Innen-Außen-Arena), Identität und Diskriminierung (Wir-Sie-Arena) und dem Klima (Heute-Morgen-Arena). Jede der vier Arenen weist dabei eigene Dynamiken auf. Konservative Meinungen in einer Arena, zum Beispiel eine ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten, müssen entgegen einer Spaltungstheorie nicht mit konservativen Haltungen in anderen Arenen einhergehen, zum Beispiel einer Ablehnung von gendergerechter Sprache oder Klimaschutz.

Diese Konflikte übersetzen sich laut Mau, Lux und Westheuser politisch vor allem in die Gegensätze zwischen den Grünen und der AfD. Das Narrativ einer Polarisierung entstehe vor allem, weil medial Triggerthemen laut und emotional diskutiert werden. Meinungsbestimmend sind dabei „radikale Ränder“ der Grünen und der AfD, mögen diese auch noch so klein sein.

Konsens heißt nicht Gemeinschaft

Unterlegt werden die Ergebnisse mit Zitaten aus Gesprächsrunden, die Teil der Forschung waren sowie einer großen Sammlung verschiedenster eigener und fremder Statistiken. Die Forscher greifen auf die Cleavage-Theorie zurück, die anstatt einer Zwei-Lager-Spaltung mehrere Konflikt-Konstellationen zu identifizieren sucht, entlang derer sich bei gesellschaftlichen Veränderungen Meinungen formieren, die sich in die Parteienlandschaft übersetzen.

Ein zentraler Befund ist, dass Verteilungsfragen deutlich weniger bestimmend für Konflikte sind als zu früheren Zeiten.

„In der verteilungspolitischen Oben-Unten-Arena existiert zwar ein verbreitetes ‚Unbehagen mit der Ungleichheit‘, aber statt einer klassenpolitischen Mobilisierung dominieren meritokratische [auf Leistung zentrierte, Anm. YA] Verteilungsnormen und horizontale Positionskämpfe.“ (S. 26)

Kurz gefasst: Wer sich viel anstrengt, dürfe auch reicher sein. „Die Akzeptanz der Leistungsgesellschaft ist zweifellos einer der wichtigsten Hemmschuhe politischer Mobilisierung für mehr Gleichheit.” (S. 87), schlussfolgern die Autoren.

Die anderen Arenen sind dagegen trotz liberalem Grundkonsens deutlich umstrittener. So zeigt sich beim Thema Migration eine „stärkere Spannung“, bei Anerkennung und Diskriminierung zwar eine Liberalisierung, aber auch Entgrenzungsbefürchtungen à la „Wo soll das noch hinführen?“.

„Die umweltpolitische Heute-Morgen-Arena schließlich ist als Konfliktfeld erst im Entstehen und noch nicht vollständig konturiert. Unsere Befunde deuten darauf hin, dass der Klimawandel in der Breite der Bevölkerung zwar als drängendes Problem angesehen wird, aber zugleich sehr unterschiedliche – und durchaus klassenspezifische – Vorstellungen zu seiner Bewältigung vorhanden sind. Es handelt sich um einen ,Klassenkonflikt im Werden‘, für dessen weitere Entfaltung die Geschwindigkeit und die Tiefe des Umbaus wie auch die Verkopplung mit der sozialen Frage entscheidend sein werden.“ (S. 26 f.)

All diese gebrochenen Gleichheits- oder Gerechtigkeitserwartungen äußern sich in den sogenannten Triggerpunkten. So sind beispielsweise eigene Zeiten im Schwimmbad für trans* Personen ein solcher Triggerpunkt. Anstatt sachlichen Diskussionen werden Triggerpunkte emotional und dynamisch diskutiert, rufen Entgrenzungsbefürchtungen, Eingriffe in Autonomie („Man kann gar nichts mehr sagen.”) und Brüche in der vermeintlichen gesellschaftlichen Normalität auf.

Bewirtschaftet werden diese Trigger zu großen Teilen von „Polarisierungsunternehmern“ (S. 375) primär aus den Reihen der Rechten. Sie erzeugen ihre „Profilierung primär über die Erzeugung und Kapitalisierung polarisierter Auseinandersetzungen“ (ebd.). Die „Verstärkung von Konflikt und politischer Frontenbildung“ (ebd.) ist die Kernkomponente der Strategie von Rechtspopulist*innen, wie Giorgia Meloni oder Marine Le Pen.

Rechts und links

Was dem Buch fehlt, auch wenn es grundsätzlich verständlich geschrieben ist, ist eine generelle Einordnung der Ergebnisse für die Nicht-Soziolog:innen. So müsste die Rolle der radikalisierten Rechten klarer werden. Eine große Meinungsmitte der Gesellschaft ist nicht automatisch gut, denn diese Mitte kann politisch rechts sein, was sich unter anderem daran zeigt, dass es eine breite Zustimmung zu „kontrollierter Migration“ gibt oder identitätspolitische Gleichbehandlung zwar gewollt ist, konkrete Maßnahmen jedoch eher abgelehnt werden.

Die Fixierung auf eine symmetrische Polarisierung in konservativ versus liberal führt zudem zur irreführenden Charakterisierung beider Seiten als „extrem“, obwohl der Anreiz auch hier eher von der Radikalisierung der Rechten rührt.

Generell sind die Schlussfolgerungen unbefriedigend. Es ist die Rede von „moralisch plausiblen Institutionen“ (S. 408), die Gerechtigkeitsfragen in den Mittelpunkt stellen sollten. Zudem werden Parteien und Medien in einer aktiven Rolle gesehen, Polarisierung zu verhindern, obwohl wenige Seiten zuvor noch herausgestellt wurde, dass diese genau aus den polarisierenden Konflikten, den Triggerpunkten, ihr Geld beziehungsweise ihre Wählerschaft ziehen.

Dennoch liefern die Forscher einen wichtigen Anstoß, einer möglichen Polarisierung entgegenzuwirken. Denn Institutionen, die auf Meinungsvielfalt aus sind, werden obsolet, wenn die gegenüberstehenden Lager sich gar nicht mehr zuhören können

Steffen Mau / Linus Westheuser / Thomas Lux 2023:
Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft.
Suhrkamp Verlag.
ISBN: 978-3-518-02984-8.
540 Seiten. 25,00 Euro.
Zitathinweis: Yaro Allisat: Hitzige Diskussionen. Erschienen in: Politisches Christentum. 74/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/bK4MH. Abgerufen am: 22. 01. 2025 11:01.

Zum Buch
Steffen Mau / Linus Westheuser / Thomas Lux 2023:
Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft.
Suhrkamp Verlag.
ISBN: 978-3-518-02984-8.
540 Seiten. 25,00 Euro.