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Forschung und (Anti-)Militarismus

Buchautor_innen
Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, DFG-VK Baden-Württemberg, Die AnStifter (Hg.)
Buchtitel
Jetzt entrüsten
Buchuntertitel
Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs-„Dienstleister“?
Eine Tagungsdokumentation liefert einen Überblick über aktuelle Diskussionen der „Zivilklausel-Bewegung“.

Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation 1989/90 hat sich die Bundesrepublik Deutschland zunehmend als zentraler geopolitischer Akteur in Europa positioniert. Damit einher geht eine wachsende Rolle des Militärs, was sich nicht nur in Kriegseinsätzen wie im Kosovo und in Afghanistan ausdrückt, sondern auch in einer breiten Militarisierung der Gesellschaft.

Seit Jahren liegt die BRD weltweit auf Rang 3 der meisten Rüstungsexporte. Auch wird vermehrt Rüstungsforschung an Universitäten forciert: In einigen Universitäten wird in diesem Zusammenhang seit geraumer Zeit versucht, bestehende Regelungen wie die Zivilklausel zu kippen oder die Einführung solcher Klauseln zu verhindern. Zivilklauseln regeln die satzungsmäßige Bindung und gesellschaftliche Verantwortung aller Hochschulangehörigen, Forschung und Lehre, sich ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken zu widmen. Es entwickelten sich regionale und bundesweite Initiativen für Zivilklauseln, die etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor bereits knapp zwei Jahren von einer immer größer werdenden „Zivilklausel-Bewegung“ sprechen ließ (FAZ vom 12.01.2011).

Diese „Zivilklausel-Bewegung“ traf sich am 15. und 16. Juni am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu einem Kongress, aus dem nun die Streitschrift „Jetzt entrüsten“ beim Stuttgarter Grohmann-Verlag entstanden ist. Karlsruhe bot sich als Ort geradezu perfekt an, denn dort fand nicht nur 25 Jahre zuvor ein viel beachteter Kongress statt, sondern dort wirkte auch der 2003 verstorbene Physiker und Aktivist Werner Buckel, dem zu Beginn der Broschüre Reiner Braun eine Laudatio widmet. Doch Karlsruhe ist auch aus einem anderen Grund ein bedeutsamer Schauplatz einer zunehmenden Militarisierung der Universitäten: Am KIT wurden erstmals in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte Atom- und Waffenforschung zusammen gelegt, weshalb seit 2008 dort Aktivist_innen eine Zivilklausel fordern. Nicht nur in Karlsruhe, sondern auch an anderen Orten wie Tübingen und Bremen haben sich Initiativen gegründet, um dem etwas entgegen zu setzen, denn es zeigt sich, dass mehr und mehr Hochschulen im naturwissenschaftlichen, aber auch im medizinischen und geistes-wissenschaftlichen Bereich mit Militärforschung zu tun haben. Im Editorial werden beispielhaft die Universitäten Tübingen und Karlsruhe genannt, an denen an Drohnen für Kriegs- und Überwachungseinsätzen geforscht werde.

Wie dem begegnen? Bei der Beantwortung dieser Frage wird auf Werner Buckel zurückgegriffen, für den die Verantwortung der Wissenschaft im Zentrum stand. Das heißt, dass nicht geforscht oder entwickelt werden darf, ohne die Möglichkeiten der Nutzung des Erforschten und Entwickelten zumindest zu reflektieren. Darum geht es auch bei der Forderung der Einführung von Zivilklauseln, die Peter Herrlich wie folgt zusammenfasst:

„Zur Erziehung und Schärfung des Bewusstseins für Verantwortung sollte jede Universität und jede Forschungseinrichtung eine moralische Aufforderung in ihren Satzungen enthalten, die Forschung ausschließlich zum Wohle der Menschen auszurichten (Zivilklausel). Es geht um Verantwortungsschulung und Anstoß zu ständiger Diskussion, nicht um juristische Kontrollen. ForscherInnen müssen sehr kritisch gegenüber Auftragsforschung sein (wer ist AuftraggeberIn, mit welchem Zweck wird gefördert!). Die Offenlegung aller Forschungsergebnisse ist die wichtigste Forderung.“ (S. 15)

Mit einer Zivilklausel soll eine Hochschule nicht nur verpflichtet sein, Forschung ausschließlich für zivile Zwecke einzusetzen, sondern auch dazu, keine Gelder von Rüstungskonzernen oder vom Verteidigungsministerium anzunehmen. Wie weit solche Praktiken bereits Realität sind, wird an den Beispielen Bremen und Potsdam veranschaulicht: An einer Hochschule in Bremen seien Studienplätze an die Bundeswehr verkauft worden und an der Universität Potsdam würden Studienplätze für Offiziersschüler reserviert werden.

Bei aller Notwendigkeit des Engagements der Zivilklausel-Bewegung liegt das Problem auf der Hand: Was helfen Papiere und Abkommen, wenn durch die Hintertür doch der Rüstung zugearbeitet wird? Wer weiß schon genau, wer wofür forscht? Was heute noch zivil genutzt wird, kann schon morgen im Krieg zum Einsatz kommen. Eine Stärke der Broschüre liegt darin, dass diese Fallstricke auch thematisiert werden. So wird sich etwa der Dual-Use-Problematik gewidmet, das heißt, dass offiziell für zivile Zwecke geforscht wird, die Ergebnisse aber dann auch militärisch genutzt werden können. Zu der Vermengung ziviler und militärischer Bereiche meint Peter Förster:

„Wir sollten genau hinschauen, was geforscht wird, in wessen Interesse geforscht wird und überlegen, was die Voraussetzungen dafür sind, dass wirklich im allgemeinen Interesse für Frieden und soziale Verbesserungen geforscht werden kann. Deshalb reicht es nicht, nur eine Zivilklausel hinzuschreiben, sondern es kommt auf die gelebte Praxis für die Zivilklausel an den Hochschulen an.“ (S. 23)

Die kurzen Zusammenfassungen der Panels werden ergänzt durch Beiträge, die sich nicht nur speziell um die Notwendigkeit der Einführung beziehungsweise mit dem Erhalt von Zivilklauseln befassen. So widmet sich etwa Volker Eick Drohnen, also unbemannten technischen Systemen, die ferngesteuert oder auch autonom durch die Gegend fliegen, schwimmen, krabbeln, tauchen, klettern und fahren und vermehrt zivil und militärisch genutzt werden. So kommen sie bei der Waldbrandprävention in Brandenburg zum Einsatz oder prüfen im Mittelmeer die Wasserqualität. Sie werden auch bei Demonstrationen durch die Polizei gesteuert oder bei der Kontrolle von als problematisch kategorisierten Stadtteilen und kommen in Kriegen zum Einsatz und töten Menschen. Doch damit nicht genug. Nach Eick würden momentan Drohnen erforscht, die vollständig autonom und selbst entscheidend sind und sich mit anderen Drohnen zu Schwärmen koordinieren sollen.

Zum Thema Drohnen fand ebenfalls ein Panel bei dem Kongress statt, das dokumentiert wurde. In der Diskussion lassen sich die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Forderung nach Zivilklauseln herausarbeiten. Die Forderung nach der Zivilklausel kann einen Beitrag zu einer Politisierung von Naturwissenschaften und Forschung im Allgemeinen leisten, obgleich die Forderung nicht hinreichend ist, wohl aber notwendig. Zugleich ist es notwendig, dass breit gegen Militarisierung gekämpft wird und Bündnisse eingegangen werden, wie Dietrich Schulze am Beispiel des Aufbaus der Zivilklausel-Bewegung klarstellt:

„Wir haben es als wichtig empfunden, dass den Studierenden geholfen wird bei ihrem heute ausgesprochen verschulten Studium - durch Zusammenarbeit mit den Beschäftigten und auch von außen mit den Gewerkschaften, den Friedensgruppen und anderen. Ein Beispiel dafür, wo das gut funktioniert, ist Bremen. Es ist kein Zufall, dass in Bremen eine solche Bewegung entstanden ist, weil dort diese Zusammenarbeit klappt.“ (S. 18)

Die Broschüre umfasst nur knapp 50 Seiten und kann dadurch nicht in die notwendige Tiefe gehen. So fehlen etwa Ausführungen zum Zusammenhang von Militarismus und Kapitalismus, auch sind insbesondere die Dokumentationen der Workshops teilweise nicht ohne weiteres für Menschen, die nicht an der Tagung teilgenommen haben, zu verstehen. Doch das tut der Empfehlung keinen Abbruch, denn die Broschüre eignet sich hervorragend, um sich einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Diskussionen innerhalb der Zivilklausel-Bewegung zu verschaffen. Vor allem aber, und darin liegt ihre besondere Stärke, regt sie zum Nachdenken an und führt im besten Fall dazu, tätig zu werden – in den Betrieben, an den Hochschule, im Alltag; kurzum an allen Orten, an denen sich die schleichende Militarisierung vollzieht.

Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, DFG-VK Baden-Württemberg, Die AnStifter (Hg.) 2011:
Jetzt entrüsten. Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs-„Dienstleister“?
Peter-Grohmann-Verlag, Stuttgart.
ISBN: 978-3-944137-01-8.
48 Seiten. 4,50 Euro.
Zitathinweis: Sebastian Friedrich: Forschung und (Anti-)Militarismus. Erschienen in: Kriegerischer Frieden. 24/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1088. Abgerufen am: 29. 03. 2024 01:43.

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Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, DFG-VK Baden-Württemberg, Die AnStifter (Hg.) 2011:
Jetzt entrüsten. Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs-„Dienstleister“?
Peter-Grohmann-Verlag, Stuttgart.
ISBN: 978-3-944137-01-8.
48 Seiten. 4,50 Euro.