Ein halbes Jahrhundert Krisen
- Buchautor_innen
- Edlinger, Fritz / Baraki, Matin (Hg.)
- Buchtitel
- Krise am Golf
- Buchuntertitel
- Hintergründe, Analysen, Berichte
Der Persische Golf ist seit über einem halben Jahrhundert eine konfliktreiche Region. Der Sammelband zeigt einen aktuellen Querschnitt der politischen Lage.
Der Titel könnte auch aus einem beliebigen anderen der letzten fünf Jahrzehnte stammen. Krisen gab es wahrlich genug in dieser Zeit am Persischen Golf. In den 1960er-Jahren kämpften im Nordjemen Nationalisten und ägyptische Einheiten gegen von Saudi-Arabien unterstützte Monarchisten, während der Süden einen Guerillakrieg gegen die britische Kolonialmacht führte. 1968 rief die PFLOAG (Volksfront zur Befreiung des besetzten Arabischen Golfs) zum Sturz aller Golfmonarchien auf. Anfang 1979 wurde im Iran der Schah gestürzt, wenig später begann der achtjährige Krieg mit dem Nachbarland Irak. Diesem folgte Saddam Husseins Abenteuer in Kuwait, das die USA nutzte, um den Irak in den 90er-Jahren mithilfe der UNO sturmreif zu sanktionieren; 2003 dann die Invasion, in deren Folge paradoxerweise Teheran zum engsten Partner Bagdads aufstieg. Auch zwischen dem Iran auf der einen und den USA, Israel und den Golfmonarchien auf der anderen Seite spitzte sich die Lage bereits in den 2000er-Jahren stetig zu. Dies entlud sich unter anderem im Syrien-Krieg 2011 und im Jemen-Krieg 2015; mit dem Atomabkommen zwischen Washington und Teheran entschärfte sich der Konflikt kurzzeitig, bis Donald Trump ihn mit der Aufkündigung des Abkommens 2018 auf eine neue Stufe hob.
Ein Spiel mit vielen Playern
Schon dieser kurze Überblick zeigt, weshalb allein die letzten Jahre die knapp 240 Seiten mühelos füllen können. 14 AutorInnen widmen sich in diesem Sammelband den Spannungen und Konflikten rund um den Golf. Michael Krieg, Markus Schauta und Fritz Edlinger geben mit unterschiedlichen Schwerpunkten Einblicke in die erheblichen politischen Differenzen zwischen den Staaten des Golfkooperationsrats (GCC), welche häufig über einen Kamm geschoren werden. Dabei spielen neben der Regionalmacht Saudi-Arabien insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Qatar und auch Oman jeweils besondere Rollen. Konkret verfolgen sie unterschiedliche außenpolitische Strategien, insbesondere dem Iran gegenüber.
Sowohl Heinz Gärtner als auch Joachim Guilliard widmen sich der Einflussnahme der USA. Während Guilliard vom Kalten Krieg über die beiden Irak-Kriege und die Einmischungen Obamas in Libyen, Syrien und Jemen bis hin zu Trump einen zeitlich wie geographisch weit gefassten Bogen schlägt, konzentriert sich Gärtner auf die aktuelle US-Administration und deren Kurs gegenüber Iran. Dabei betont er, dass dieser nicht, wie häufig unterstellt, kopflos sei. Vielmehr folge Trump drei Prinzipien: Roll-Back der Obama-Politik, Aufkündigung internationaler Verträge, die die außenpolitischen Handlungsoptionen der USA einschränken, und die Einlösung seiner Wahlversprechen. Leider wird diese Strategie im Buch nicht in Verbindung mit polit-ökonomischen Interessen gesetzt und bleibt damit eher Beobachtung als Analyse. Dafür beschreibt Gärtner anschaulich das Dilemma des Iran, dem derzeit als einziges Druckmittel bleibt, seinerseits Stück für Stück gegen den Vertrag zu verstoßen, und zeigt auf, wie auch die EU dazu beitrug, den Atomvertrag zu schreddern. Guilliard dagegen zeichnet ein differenzierteres und widersprüchlicheres Bild der Trump-Politik.
Ludwig Watzal und Karin Leukefeld widmen sich zwei weiteren Staaten, die mit den Spannungen am Golf verwoben sind: Israel und Syrien. Während letzteres zum Schlachtfeld des Stellvertreterkrieges zwischen den GCC-Staaten und den USA auf der einen und dem Iran sowie Russland auf der anderen Seite wurde, drängt die Feindschaft zum Iran die Golfmonarchien und Israel zusammen. Besonders interessant, weil weniger bekannt, sind daneben die Beiträge über Russland und China in diesem Kontext. Pjotr Kortunow skizziert die Nahost-Strategie Moskaus als eine Art Pendelpolitik: Russland profitiere von den zahlreichen Spannungen in der Region, habe aber kein Interesse an einer Eskalation, sondern bemühe sich um gute Beziehungen zu allen Konfliktparteien. Einfluss nehme der Kreml insbesondere als Vermittler und Schutzmacht über den Export von Rüstungsgütern und im Bereich der Kernenergie. Bislang gehe diese Strategie auf: „die Türkei, Saudi-Arabien, Iran, die VAE und Israel kooperieren aktiv mit Russland“. (S. 130) Wie Robert Fitzthum darlegt, gehört auch China zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Mächten in der Region: Neben zahlreichen anderen arabischen Ländern, der Türkei und Pakistan sind alle relevanten GCC-Staaten wie auch der Iran Teil von Pekings Seidenstraßeninitiative. Im Übrigen wird in dem Buch auch die zunehmenden Einflussnahme der GCC-Staaten in Afrika behandelt.
Zwischen Geopolitik, Klientelismus und Islam(ismus)
Werner Ruf legt die geopolitischen und ökonomischen Hintergründe des unter Führung von Riad angeführten Jemen-Kriegs dar – es geht um Öl und Handelswege – und erklärt, wie dieser die Verbündeten Saudi-Arabien und VAE, die das Land gemeinsam überfallen haben, zunehmend auseinandergebracht hat. Tyma Kraitt zeichnet Teherans Atomprogramm nach, von dessen Begründung mit Unterstützung der USA 1967 über die jahrelangen Spannungen um den angeblichen Bau einer iranischen Atombombe bis hin zum Vertrag 2015 und dem Austritt drei Jahre später. Ali Fathollah-Nejad sieht in den Spannungen zwischen Iran und den GCC-Staaten vor allem sicherheitspolitische Spannungen, die er in den „maximalistischen geopolitischen Ansprüche[n]“ (S. 75) sowohl bei Saudi Arabien als auch Iran sieht. Diese müsse man fallen lassen und ohne Vorbedingungen in Verhandlungen treten. Zugleich warnt er vor einem „reaktionären autoritären Pakt“ (S. 82) zwischen Teheran und Riad, der aktuell allerdings äußerst unwahrscheinlich ist.
Matin Baraki stellt die Unterstützung der GCC-Staaten für islamistische Gruppen in Afghanistan in eine Reihe mit der historischen Islamisierung des Landes zwischen dem 7. und 19. Jahrhundert. Rachid Ouaissa schließlich diskutiert das Verhältnis zwischen Autoritarismus, Demokratie und Kapitalismus im sogenannten Rentiersystem. Damit werden Staaten bezeichnet, deren Wirtschaft in erster Linie auf der Ausbeutung nahezu unbegrenzter Ressourcen (meist Öl oder Handelswege) basiert, welche sich in den Händen einer Staatsklasse (Militär oder Monarchen) befinden. Die daraus erzielten Profite werden zum Teil unter der Bevölkerung verteilt, wodurch die untere Klassen in starke Abhängigkeit von den Herrschenden geraten. Baraki argumentiert, dass dieses System die Entstehung eines nationalen Kapitalismus und damit auch die Emanzipation des Individuums als „Voraussetzung für die Entstehung von politischer Gegenmacht im Sinne einer demokratische[n] Struktur“ (S. 223) verhindere. Leider bezieht er in seine Diskussion keine Theorien über die Differenzen zwischen westlich-liberalem und gerade in vielen postkolonialen Staaten vorzufindenden Staatskapitalismus mit ein, sondern beschränkt sich weitgehend auf soziologischen Konzepte über das Verhältnis der Gesellschaft zum Individuum. Auch bleibt er allzu abstrakt angesichts der Tatsache, dass es in der Region so unterschiedliche Rentierstaaten, wie die Golfmonarchien, Ägypten oder Syrien gibt. Dass sich Klassenkämpfe in Klientelsystemen häufig kulturalistisch äußern, ist dafür eine wichtige Erkenntnis, gerade mit Blick auf den aktuellen Nahen Osten.
Im Fokus der Beiträge stehen insgesamt zwischenstaatliche Verhältnisse und Konflikte, die jeweilige Innenpolitik wird, abgesehen von Saudi-Arabien, wo Kronprinz bin Salman derzeit einiges umzukrempeln versucht, weitgehend ausgeblendet. Bei der Vielzahl von AkteurInnen wäre alles andere auch unmöglich. Das Buch hält wegen seiner vielen Themenschwerpunkte sowohl für interessierte Laien als auch für ExpertInnen reichlich Informationen bereit, die ein komplexes Verständnis für die aktuellen Konflikte in der Region ermöglichen.
Krise am Golf. Hintergründe, Analysen, Berichte.
Promedia Verlag, Wien.
ISBN: 978-3-85371-466-9..
248 Seiten. 19,90 Euro.