Ein Affe gehört aufs Hochhaus
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- King Kong Theorie
Virginie Despentes blickt zurück auf ihr Leben als Punk, Sexarbeiterin und Skandalautorin und schreibt für alle, die wie sie nicht so ganz reinpassen wollen.
Haarig, hässlich, wütend und laut. Wäre King Kong eine Frau, sie würde nicht gut wegkommen im Patriarchat. Welche gute Frau klettert schon hysterisch auf Hochhäuser? Schlägt genervt nach den Flugzeugen, die sie wie Fliegen umschwirren, wehrt sich wütend gegen ihre Angreifer? Es ist die Sorte Frau, für die Virginie Despentes ihr Buch „King Kong Theorie“ geschrieben hat. Das stellt sie gleich am Anfang klar:
„Ich schreibe aus dem Land der Hässlichen und für die Hässlichen, die Alten, die Mannsweiber, die Frigiden, die schlecht Gefickten, die nicht Fickbaren, die Hysterischen, die Durchgeknallten, für alle vom großen Markt der tollen Frauen ausgeschlossenen.“ (S. 9)
In „King Kong Theorie“ blickt Virginie Despentes auf ihr bisheriges Leben zurück und schreibt so rotzig und trotzig, wie vielleicht auch King Kong schreiben würde. Es ist aber nicht nur das Leben einer unangepassten (Affen-)Frau, vom Punk zur Sexarbeiterin und Skandalautorin. Virginie Despentes bezieht Stellung zu feministischer Theorie und rechnet ab. Durch das gesamte Buch zieht sich aber vor allem eine grundlegende Kritik am Kapitalismus als die Voraussetzung für das Patriarchat und die Unterdrückung von Frauen und Männern.
Mama weiß, was gut für dich ist
Despentes beginnt mit der Mutterschaft. Eine der vielen „Verarschungen“ im Leben einer Frau. Frauen sollen Kinder kriegen, in einer Welt, in der nur Lohnarbeit das Überleben sichert. Eine Frau ohne Kind ist keine gute Frau, aber ein Kind unter guten Bedingungen aufzuziehen ist unmöglich. Denn eine Mutter kann es nie richtig machen und steht unter ständiger Kritik, ob sie zu Hause bleibt oder neben ihrem Job als Mutter auch noch einer Lohnarbeit nachgeht. Wie sie es macht, macht sie es falsch. Mutter sein ist also eine einzige no-win Situation, findet Despentes.
Parallel zu dieser Abwertung der Mutterschaft hat sich die Funktion der „großen Mutter“, die alles weiß und es vor allem am besten weiß, was gut für ihre Kinder ist, aus der Familie hinaus auf alle Lebensbereiche ausgeweitet. So ist ein absoluter Staat, der sich zur absoluten Mutter aufschwingt, das, was wir heute vielfach erleben. Die Mama weiß, was gut für ihr Kind ist, man darf sie nicht hinterfragen. Was der Mann von der Frau verlangt, verlangt der Mutter-Staat vom Mann:
„Heute höre ich Männer jammern, die feministische Emanzipation raube ihnen ihre Männlichkeit. Sie sehnen sich nach dem früheren Zustand zurück, als ihre Kraft in der Unterdrückung der Frau wurzelte. Sie vergessen, dass dieser politische Vorteil immer einen Preis hatte: Die Körper der Frauen gehören den Männern nur dann, wenn die Körper der Männer in Friedenszeiten der Produktion und in Kriegszeiten dem Staat gehören.“ (S. 28)
Die Frauen sollen sich vom Mann emanzipieren. Aber der Mann muss sich auch vom Kapitalismus und vom Staat emanzipieren. Das hat er nicht geschafft, der Mann ist der Welt seine Emanzipation schuldig. Männer kommen in „King Kong Theorie“ also nicht nur schlecht weg. Despentes stellt klar, dass auch sie Opfer eines patriarchalen, kapitalistischen Systems sind: Stark sein, einen großen Penis haben, die Frauen befriedigen, sich nicht schminken, aggressiv sein, seine Gefühle unterdrücken.
„Der Kapitalismus ist insofern eine egalitäre Religion, als er uns alle unterwirft und jeden dazu bringt, sich so gefangen zu fühlen, wie alle Frauen sind.“ (S. 31)
Mit Sexarbeit den Körper zurückerobern
Lange hatte Virginie Despentes mit Feminismus nichts am Hut. Sie ist Punk und Feminismus gilt als etwas elitäres, viel zu brav. Mit 17 Jahren wird sie beim Trampen von Calais nach Paris vergewaltigt. Lange Zeit kann sie nicht darüber sprechen, was ihr passiert ist. Darüber zu sprechen würde bedeuten, die Vergewaltigung anzuerkennen und sich dem Trauma zu stellen: Scham, Schuldgefühle, Angst in der Nacht, Angst vor Männern, Angst vorm Sex, die Erkenntnis, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, oft kein Glauben geschenkt wird. Immer noch herrscht die Annahme in den Köpfen vieler Menschen vor, dass es ja auch ein bisschen die eigene Schuld der Frau gewesen sein könnte. Denn wenn sie einen kurzen Rock getragen hat, hat sie es dann nicht herausgefordert? Hat sie vielleicht zu sehr über einen Witz gelacht? Hat sie zu schön geschaut? War sie etwas zu freundlich? Jede Frau kennt diese Fragen, auch wenn sie nicht direkt ausgesprochen werden. Sie sind da, eingebrannt in die Köpfen der Frauen. Und sie wirken.
Zwei Dinge helfen Virginie Despentes, mit der Vergewaltigung umzugehen. Erstens die Erkenntnis, dass eine mögliche Vergewaltigung einfach zum Leben jeder Frau dazugehört. Eine Realität, mit der Frau einfach zurechtkommen muss. Auf die Leserin wirkt das zunächst befremdlich, aber nach und nach stellt sich heraus: Es ist eine annehmbare Alternative zum Opferdasein, das dem Weiblichen anzuhängen scheint.
Zweitens, Sexarbeit. Vergewaltigungsopfer müssen zerstört sein, sich auflesen und reparieren lassen, aber niemals vergessen oder gar verarbeiten. Eine gute Frau fühlt sich zerstört. Nicht aber die King-Kong-Frau. Für Virginie Despentes ist es das Verkaufen ihres Körpers, was ihr wieder Selbstvertrauen gibt. Sie kann mit ihm machen was sie will, auch Geld. Sie holt sich die Autonomie zurück, die ihr genommen wurde, „Geldschein für Geldschein“ (S. 74).
Frau gegen Frau?
Despentes schlussfolgert, dass die meisten Menschen, die arbeiten, in ihrer Zeit lieber etwas anderes tun würden. Sie werden vielmehr dazu gezwungen, Geld mit einer Tätigkeit zu verdienen, um im kapitalistischen System zu bestehen. Ob diese Tätigkeit nun Sexarbeit oder Arbeit als Friseurin ist, sollte im Prinzip egal sein, beides sind Formen kapitalistischer Ausbeutung. Doch das vorherrschende Bild, eine „würdevolle Frau“ zu sein und was sie zu tun und vor allem nicht zu tun hat, macht die Sexarbeit oft zu einer unsicheren und gefährlichen Arbeit. Virginie Despentes fordert ein besseres und sicheres Arbeitsklima für Sexarbeiter*innen, denn unter den herrschenden Bedingungen wäre auch „der Verkauf von Brot Extremsport“ (S. 60).
Despentes stellt sogar die These auf, dass, wären die beruflichen Bedingungen vergleichbar mit denen einer Apothekerin oder Psychiaterin und die Sexarbeiterin vom gesetzlichen Druck befreit, wäre die Stellung der verheirateten Frau plötzlich weniger attraktiv. Hier scheint es, als würde sie zwei konkurrierende Lager entwerfen, die Verheirateten und die Sexarbeiterinnen, die sich die Geilheit der Männer aufteilen müssten. Gäbe es den Prostitutionsvertrag, wäre der Ehevertrag ihrer Ansicht nach obsolet. Dann wäre plötzlich klar sichtbar, dass zwischen diesen beiden Verträgen kein Unterschied besteht. Und davor würden sich vor allem „anständige Frauen“ fürchten. Jedoch lässt sie hier Solidarität zwischen Frauen vermissen. Sie unterstellt verheirateten Frauen den Unwillen, ihre Abhängigkeit zu erkennen und erschafft so wieder sich ausschließende Kategorien. Als könnte eine Frau nur Heilige oder Hure sein, Ehefrau oder Sexarbeiterin.
Übertreib endlich mal!
Virginie Despentes blickt in „King Kong Theorie“ zurück auf ihr Leben als Frau und Unterdrückte und zieht klare Grenzen zwischen dem, was weiblich und was männlich ist, zwischen den bösen und den guten Frauen, die sich gegenüber stehen. Sie verwendet jedoch in ihren krassen Gegenüberstellungen ein uraltes patriarchales Werkzeug. Die Einteilung von Frauen in jene, mit denen man Sex hat und jene, die man heiratet, die bösen und die guten Frauen, die gesellschaftlich geächteten und die geachteten. Daraus resultiert nicht nur die weibliche Angst vor gesellschaftlichem Abstieg. Es wird auch ein Klima geschaffen, in dem hinter jeder Ecke eine Rivalin zu lauern droht. So ist der Heilige-Hure-Komplex wiederum eine Methode, das Verhalten von Frauen zu kontrollieren und gegeneinander auszuspielen. Dies verhindert aber einen gemeinsamen, solidarischen Kampf aller Frauen gegen das Patriarchat.
Nun könnte dieses von Despentes angewandte Heilige-Hure-Werkzeug klar kritisiert werden. Doch nur, wenn man eines nicht vorwegnimmt: Despentes weiß das und sie treibt es auf die Spitze. King Kong klettert aufs Hochhaus und brüllt. Und das ist gut so. Denn viel zu sehr wird Mädchen immer noch beigebracht, lieber am Boden zu bleiben. Durch die Übertreibung kommen die Verhältnisse klar und deutlich zum Vorschein. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf und einem aktiven Bewusstsein für diese starken Gegenüberstellungen, liest sich das Buch als eine rotzig-treffende Analyse. Bereits 2006 erschienen, ist „King Kong Theorie“ jetzt in einer neuen Übersetzung herausgekommen. Auch 14 Jahre nach Erstveröffentlichung sind die Themen, die Despentes beschreibt, noch hochaktuell und dringlich. Leider!
King Kong Theorie. Übersetzt von: Claudia Steinitz und Barbara Heber-Schärer.
Kiepenheuer & Witsch, Köln.
ISBN: 978-3-462-05239-8.
160 Seiten. 10,00 Euro.