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Die vergessene Revolte

Buchautor_innen
Bernd Langer
Buchtitel
Im Glauben an die Weltrevolution
Buchuntertitel
Die Märzrevolte 1921

Vor über hundert Jahren erschütterte die Märzaktion das mitteldeutsche Industrierevier. Sie war ein Aufstand zwischen Hoffnung, Verzweiflung und politischem Irrtum.

1921 herrschen turbulente Zeiten in Deutschland. Die Jahre nach dem ersten Weltkrieg waren geprägt von Matrosen-, Arbeiter- und Soldatenaufständen, die die Monarchie zu Fall brachten, zahlreichen Gründungen und Spaltungen im sozialdemokratischen bis kommunistischen Parteiengefüge und dem ständigen Kampf um deren politische Führung und der Regierungsübernahme der SPD, die die Revolution niederzuhalten versuchte. Die sogenannte Märzaktion spielt dabei eine zentrale Rolle, löste sie doch in Berlin wie Moskau Diskussionen rund um die Taktik und Rolle einer revolutionären Partei aus. Linke Historiker*innen sind sich dabei weitgehend einig, dass es sich bei den Kämpfen und der „Strategie der Offensive“ der KPD um völlige Selbstüberschätzung handelte.

Der Antifaschist Bernd Langer widmet sich seit vielen Jahren diesem fast vergessenen Teil deutscher Geschichte. 2021 konzipierte das Bildungskollektiv BIKO gemeinsam mit den Landesverbänden Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Veranstaltungsreihe zum Thema, in deren Rahmen es zur Idee einer Buchveröffentlichung kam. Der Unrast Verlag hat nun eine Neuauflage gedruckt. „Im Glauben an die Weltrevolution – Die Märzrevolte 1921“ beschreibt detailliert, lebhaft und mit bisher unveröffentlichtem Material diese Revolte, sowie ihre spätere Rezeption in der NS-, der DDR- und der Nachwendezeit. Zu kurz kommen jedoch die Diskussionen, die der Aufstand innerhalb der KPD auslöste.

Die Revolution stockt

Nach der Revolution in Russland, bei der die Bolschewiki die Führung übernahmen, lag das Augenmerk Moskaus auf der Revolution in Deutschland, die als entscheidend für den Kampf um die kommunistische Weltrevolution angesehen wurde. Nach den Matrosenaufständen 1918, die zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich und Preußen, sowie dem Ende des Ersten Weltkriegs geführt hatten, breitete sich die Revolte über ganz Deutschland aus. Überall gründeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Um den Jahreswechsel 1918/19 wurde, maßgeblich durch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die KPD gegründet. Die junge Partei wurde wenige Wochen später in die bewaffneten Arbeiter- und Soldatenrevolten geworfen. Noch nicht zur einheitlichen Stimme fähig, versagte die Partei darin, die Arbeiter*innen strategisch klug zu koordinieren. In der Führung stritten Rechte, Linke und militante Kräfte darum, ob man bereits stark genug sei, die SPD an der Spitze der Weimarer Republik zu stürzen, oder ob es besser sei, die hochmotivierten und aktionistischen Arbeiter*innen eher zurückzuhalten und zunächst eine breitere Massenbasis aufzubauen. Jedoch war die KPD nicht in einem Maße in den Kämpfen verankert, als dass sie eine Weisungsgewalt hätte ausüben können.

So kam es zur Märzrevolte 1921. Im mitteldeutschen Industrierevier rund um das Chemiewerk in Leuna herrschten zu dieser Zeit miserable Lebens- und Arbeitsbedingungen bei gleichzeitig massivem Bevölkerungszuwachs. Die 1917 gegründete USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) hatte hohe Zustimmungswerte unter der regionalen Bevölkerung. Neben Berlin galt das Mitteldeutsche Industrierevier 1921 so als eine der aussichtsreichsten Regionen für einen revolutionären Aufstand.

Laut Langer sei es zu dem Aufstand nur gekommen, weil die Dritte Internationale, auch Komintern genannt, diesen verfügt habe. Andere Historiker*innen sehen dies jedoch anders. Die Komintern habe zwar den Aufstand befürwortet, schreibt beispielsweise Chris Harman in „Die verlorene Revolution. Deutschland 1918–1923“, grundsätzlich habe sie zu dieser Zeit aber noch nicht den autoritären Charakter wie später unter Stalin gehabt.

Zentraler Akteur, da ist man sich einig, ist der parteiunabhängige, militante Aktivist Max Hoelz. Innerhalb KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands) und VKPD (Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands) zirkulierten Ideen von Sabotageakten und politischen Provokationen, um eine militärische Auseinandersetzung anzuzetteln. Indes zog die Regierung immer mehr Polizeikräfte vor Ort zusammen. Zur Tat schreitet schließlich auf eigene Faust Max Hoelz:

„Um Zweifel zu zerstreuen, erklärt Hoelz dem überrumpelten Aktionsausschuss, er sei von der Zentralleitung der Partei geschickt worden, um das Oberkommando zu übernehmen. Einen derartigen Auftrag gibt es zwar weder von der Zentrale der KAPD noch der Führung der VKPD – aber wer weiß das schon? (…) Es folgt der Aufruf, eine militärische Einheit zu formieren. Auf ein solches Signal haben viele Anwesende gewartet.“ (S. 56)

Kämpfe im Mitteldeutschen Industrierevier

Gleichzeitig traten im Leuna-Werk die 20.000 Arbeiter*innen in den Streik, 2.000 bewaffneten sich und besetzten die Fabrik. Max Hoelz zieht mit seiner Kampftruppe von Ort zu Ort, zündet Polizeistationen an, plündert Fabriken und Banken, kann jedoch kaum Siege erringen. Die lokale Bevölkerung ist vielfach von dem Vorgehen abgeschreckt. Gleichzeitig führt der Ausbruch der Kämpfe auch zu einer Ausbreitung der Streiks im gesamten Industrierevier. Die VKPD, KPD und KAPD erkennen die Dynamik und versuchen, sich anzuschließen und eine politische Führung zu etablieren. Die Kämpfenden bleiben jedoch vereinzelt. Die Arbeiter*innen in Leuna waren nicht in der Lage, einen Plan für den Übergang in die Offensive zu entwickeln, sie ignorierten Parteiweisungen und blieben isoliert. Hoelz‘ Armee, es gibt unterschiedliche Zahlen über deren Größe, konnte sich nie länger als 24 Stunden an einem Ort aufhalten. Der Aufstand selbst hatte kaum Folgen und ist nicht mit den blutigen Kämpfen gegen die Freikorps der SPD oder während des Kapp-Putsches zu vergleichen. Am 1. April wird Hoelz‘ Armee schließlich von der Polizei niedergeschlagen. Insgesamt 145 Aufständische verlieren das Leben, zwei werden vermisst; 35 Schutzpolizisten sterben, einer ist vermisst.

Die Rolle von KPD und Komintern

„Als Fazit bleibt, dass VKPD und KAPD in den Diensten der Moskauer Zentrale, eine von vornherein verlorene, bewaffnete Putschaktion initiiert haben“ (S. 107), schlussfolgert Langer. So wenig sich diese Darstellung der Moskauer Dominanz aus dem Buch ableiten lässt, so historisch umstritten ist sie. Einseitig betrachtet Langer auch die anschließenden Diskussionen, die sich in Berlin und Moskau abspielen – und die das eigentlich Spannende und historisch Relevante des Aufstands sind. Langer stellt dar, wie Kritiker*innen der Aktion wie Paul Levi aus der Partei ausgeschlossen werden. Nur oberflächlich bespricht er, wie Lenin und die Dritte Internationale die „Offensivstrategie“ verwerfen und beginnen die „Einheitsfrontpolitik“ unter dem Slogan „Heran an die Massen“ zu propagieren. Langer kritisiert den Dominanzanspruch der KPD gegenüber der SPD und bezeichnet die Einheitsfrontpolitik als unaufrichtig – die Tagespolitik sei nur Mittel zum Zweck, um eine Dominanz der kommunistischen Linie herzustellen.

Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Zwar ist die „Offensivstrategie“, die Tote in einem sinnlosen Kampf forderte und nicht zur Popularisierung kommunistischer Ideen beitrug, im Nachhinein natürlich als großer Irrsinn einzustufen. Gleichzeitig hatte die Partei jedoch mit ihrem rechten Flügel zu kämpfen, der auf Reformismus und Parlamentarismus setzte, sowie mit einer an den Kriegskrediten gespaltenen Sozialdemokratie. Auch dass die KPD erst so jung war und ein Jahr zuvor ihre wichtigsten politischen Führer*innen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von der SPD ermordet worden waren, zerrütteten sie. Zweifel und Streit dominierte. Der Mangel an Selbstvertrauen zerstörte beinahe die eben erst entstandene Massenpartei.

Auch die Komintern lässt sich noch nicht als autoritäre Organisation unter der Führung Moskaus bezeichnen, wie Bernd Langer sie beschreibt. Die Internationale war zu diesem Zeitpunkt selbst noch zu organisiert und erst im Findungsprozess, Prinzipien und Leitlinien für die Arbeit festzulegen. Erst später entwickelte sich ihr stalinistischer Charakter.

So spannend und gut recherchiert Langers Buch in Bezug auf die konkreten Ereignisse auch ist, fehlt es dem größeren Blick auf die Diskussionen innerhalb der Kommunisten und Sozialisten doch deutlich an Tiefe.

Spätere Rezeption

Nach 1933 vereinnahmte die NSDAP die Märzaktion für sich und gedachte den „deutschen Arbeitern“, die ihr Leben ließen. Später verstaatlichte die SED das Gedenken in der DDR. Von den vielen Gedenksteinen und Gräbern der Gefallenen ist heute nur noch einer in Leuna-Kröllwitz übrig. Die anderen wurden laut Langer entweder schon in der DDR oder spätestens nach der Wende dem Verfall preisgegeben.

Gleichzeitig zeigt sich in der heutigen Erinnerungskultur ein fast vollständiges Vergessen der Märzrevolte 1921 – nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im kollektiven Gedächtnis der Linken. Langers Buch ist somit auch ein wichtiger Beitrag gegen dieses historische Vergessen. Es rückt eine Episode ins Licht, die für das Verständnis der politischen Kämpfe in der frühen Weimarer Republik zentral ist, nicht trotz, sondern gerade wegen ihres Scheiterns. Die Fragen, die der Aufstand aufwarf, etwa die nach der Rolle revolutionärer Gewalt, der Bedeutung von politischer Führung oder der Taktik gegenüber reformistischen Kräften, sind bis heute von Relevanz.

Auch für die Regionalgeschichte ist Langers Buch ein nützliches und gut geschriebenes Werk. Obwohl es ein Sachbuch ist, liest es sich fast wie ein fundierter Abenteuerroman. Zur größeren politischen Bedeutung dürfte es jedoch nützlich sein, sich weiterer Quellen zu bedienen, um Langers spezifische Einschätzung der Ereignisse um andere Perspektiven zu erweitern.

Zusätzliche Literatur

Harman, Chris (1998): Die verlorene Revolution. Deutschland 1918-23. VGZA e.V. (edition aurora), Frankfurt am Main.

Bernd Langer 2025:
Im Glauben an die Weltrevolution. Die Märzrevolte 1921.
Unrast Verlag.
ISBN: 978-3-89771-279-9.
176 Seiten. 14,80 Euro.
Zitathinweis: Yaro Allisat: Die vergessene Revolte. Erschienen in: Der Wert des Körpers. 77/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/Z7cvC. Abgerufen am: 14. 10. 2025 22:06.

Zum Buch
Bernd Langer 2025:
Im Glauben an die Weltrevolution. Die Märzrevolte 1921.
Unrast Verlag.
ISBN: 978-3-89771-279-9.
176 Seiten. 14,80 Euro.