Zum Inhalt springen

Der Geist der Ökonomie

Buchautor_innen
Tomáš Sedláček
Buchtitel
Die Ökonomie von Gut und Böse

Tomáš Sedláček zeigt mit seinem viel beachteten Blick in die Geistesgeschichte ökonomischen Denkens, dass Wirtschaft mehr ist als Mathematik.

Der junge tschechische Ökonom und Politikberater Tomáš Sedláček hat ein Buch vorgelegt, das in den letzten Monaten in den Medien zu Recht breit aufgegriffen wurde. Dass es insbesondere beim Kulturjournalismus und in den Feuilletons Aufmerksamkeit gefunden hat, ist einmal mehr ein Hinweis auf die weit verbreitete Einfältigkeit sowohl der heutigen Wirtschaftswissenschaften als auch des heutigen Wirtschaftsjournalismus. Eine Einfältigkeit, gegen die Sedláček erklärtermaßen anschreiben möchte. Dies ist ihm mit einem flüssig geschriebenen, spannenden Buch zur Geistesgeschichte ökonomischen Denkens gelungen – einem Buch, an dem sich aus linker Sicht allerdings auch einige Detailkritik anbringen lässt.

Mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise sind die Wirtschaftswissenschaften massiv in die Kritik geraten, und dies völlig zu Recht. Banal und wenig zielführend mag der Vorwurf sein, sie hätten die Krise nicht vorhergesehen. Fundierter hingegen der Verweis, dass sie mit ihrer Selbst-Mathematisierung in den letzten Jahrzehnten zu isolierten, hochgradig ideologisierten und realitätsfernen Wissenschaften geworden sind. Zu Recht merkt Sedláček an, dass rein optisch zwischen einem Lehrbuch der Ökonomie und einem Lehrbuch der Physik kein Unterschied mehr zu erkennen sei – und dies, obwohl die Wirtschaftswissenschaften im Kern Sozialwissenschaften sind.

Kernthese von Sedláčeks Buch ist, dass das Denken über Wirtschaft von jeher ein Denken über Gut und Böse war und ist. Noch die mathematisierteste Ökonomie beruht auf Annahmen auch hinsichtlich dessen, was moralisch akzeptabel und was moralisch verwerflich ist. Um die moralphilosophischen, ethischen und religiösen Wurzeln der Ökonomie offenzulegen, unternimmt Sedláček einen – bisweilen etwas holzschnittartigen – Parforceritt durch mehrere tausend Jahre Geistesgeschichte. Er beginnt mit dem Gilgamesch-Epos als dem ältesten erhaltenen erzählerischen Text der Menschheit, fährt fort mit alttestamentarischem Judentum, antikem Griechenland und Christentum, um über die mittelalterliche Philosophie und die Aufklärung hinweg schließlich im 19. und im 20. Jahrhundert zu landen.

Nicht immer folgt Sedláček dabei stringent seinem Kernanliegen. Der Text ist vielmehr gewürzt mit zahlreichen Ausführungen und Gedanken zu Nebenaspekten und Details, die der guten Lesbarkeit und spannenden Aufbereitung des Themas allerdings nicht nur keinen Abbruch tun, sondern sogar zuträglich sind. Dass man dabei nicht jeder These und Interpretation folgen mag, überrascht nicht. Beispielsweise gehört sicherlich einige Phantasie dazu, das alttestamentarische Gleichnis von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren als frühe Form einer antizyklischen Konjunkturpolitik zu verstehen. Und doch macht Sedláček genau an solchen Textstellen klar: Es ist dieses spekulative, dogmengeschichtliche Denken, das den modernen Wirtschaftswissenschaften fehlt.

Sedláček ist kein Linker. Als Chefvolkswirt der größten tschechischen Bank, Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrates und als ehemaliger Berater des tschechischen Ex-Präsidenten Václav Havel dürfte er eher einem liberal-konservativen Spektrum zuzuordnen sein. Dies macht sich an einigen Stellen von „Die Ökonomie von Gut und Böse“ bemerkbar – aus linker Sicht sind genau dies auch die schwächsten Teile des Buches. Gemeint sind jene Textstellen, an denen er sich tagespolitisch über ökonomische Probleme äußert, insbesondere im Zusammenhang mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise. So kritisiert er mehrfach die vermeintlich ausufernde Staatsverschuldung sowie vermeintlich zu hohe Staatsausgaben; ein ganzes Kapitel widmet er affirmativ der so genannten „Wachstumskritik“.

Umgekehrt fehlt jede kritische Auseinandersetzung beispielsweise mit dem Neoliberalismus oder der weltweit immer ungleicheren Verteilung des Wohlstands. Seine kritische Darstellung der Mathematisierung heutiger Wirtschaftswissenschaften ist stark und überzeugend – bleibt ohne Kritik am Neoliberalismus aber auf halber Strecke stehen. Zu Recht kritisiert Sedláček beispielsweise wiederholt diverse Grundannahmen dieser Wirtschaftswissenschaften, ohne die eine derart weitreichende Mathematisierung letztlich gar nicht möglich wäre. Hier nennt er allen voran den „Homo oeconomicus“, also die Annahme, dass jeder Mensch stets ausnahmslos egoistisch und nutzenmaximierend handle. Sedláček zeigt geistesgeschichtlich die Wurzeln dieses Denkens auf, und überzeugend widerlegt er diese und andere Annahmen der modernen Wirtschaftswissenschaften. Er setzt diese Ideologisierung und inhaltliche Verengung der Ökonomie aber an keiner Stelle mit dem Neoliberalismus in einen Zusammenhang. Die fragwürdige Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften erscheint hierdurch als isolierter Prozess, der mit Klassenverhältnissen und Kapitalakkumulation nichts zu tun hat.

Dennoch: Sedláčeks „Die Ökonomie von Gut und Böse“ ist ein insgesamt verdienstvolles Buch, das von philosophie- und geistesgeschichtlich Interessierten mit Gewinn gelesen werden kann. Es ist verständlich geschrieben und bietet zahlreiche spannende Gedanken und Ideen. Verdienstvoll ist es vor allem, weil es die philosophischen Wurzeln der modernen Ökonomie offenlegt. Die von Sedláček präsentierte Kritik an den modernen Wirtschaftswissenschaften ist dabei fundiert und überzeugend.

Als Linke/r möchte man an vielen Stellen allerdings noch deutlich weiter gehen. So zeigt das Buch eben auch auf, dass es zwischen der Mainstream-Ökonomie und neoliberalem sowie konservativem Denken eine starke inhaltliche Nähe gibt. Ihr kann oder will sich auch Sedláček nicht vollständig entziehen.

Tomáš Sedláček 2012:
Die Ökonomie von Gut und Böse.
Hanser Verlag, München.
ISBN: 978-3-446-42823-2.
448 Seiten. 24,90 Euro.
Zitathinweis: Patrick Schreiner: Der Geist der Ökonomie. Erschienen in: Arabische Revolutionen. 23/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/s/3gHwG. Abgerufen am: 11. 10. 2024 13:27.

Zum Buch
Tomáš Sedláček 2012:
Die Ökonomie von Gut und Böse.
Hanser Verlag, München.
ISBN: 978-3-446-42823-2.
448 Seiten. 24,90 Euro.