Auf einem toten Planeten gibt es keinen Klassenkampf
- Buchautor_innen
- Alexander Neupert-Doppler
- Buchtitel
- Ökosozialismus
- Buchuntertitel
- Eine Einführung
Ein theoretisches Konvolut fragt danach, wie die Befreiung des Menschen mit der Befreiung des Planeten verbunden ist?
Kommunistische und sozialistische Theorie ist immer ein Versuch, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu erfassen, ihre Verschleierung durch ideologische Deformierung zu enttarnen und gleichzeitig Fragen der Möglichkeit von Emanzipation zu stellen. Das theoretische Konvolut, das Alexander Neupert-Doppler in seinem Buch unter dem Schlagwort „Ökosozialismus“ subsumiert, ist diesem Zugang verpflichtet. Und eine entscheidende Stärke des Buches liegt in jenen Passagen, welche die Paradigmenwechsel ökosozialistischer Theorie als Ergebnis von verlorenen und gewonnenen Kämpfen verstehen.
Gleich zu Beginn seines Buches stellt Neupert-Doppler klar, dass der Ökosozialismus als eine utopische Denkbewegung zu verstehen ist. Utopisches Denken speist sich für ihn aus den Faktoren der Negation des Bestehenden, der Konkretion bestehender Möglichkeiten, der Intention gesellschaftlicher Veränderung, der Artikulation bislang sublimierter Bedürfnisse und der Motivation als Horizont für reale Kämpfe. Dies als Grundlage macht nachvollziehbar, wie der Autor operativ vorgeht. Sein Begriff vom Ökosozialismus ist einer, der ihn vor seinem utopischen Hintergrund versteht und ihn als Abstraktion konkreten und praktischen Eingreifens bestimmt.
Fünf Jahrzehnte ökosozialistische Debatte
Der Einführungsband verfolgt den Anspruch, einen Eindruck des Verlaufes ökosozialistischer Debatten zu gewinnen. Neupert-Doppler geht dabei chronologisch – beginnend mit den 1970er-Jahren – durch die Jahrzehnte und zeichnet anhand von einschneidenden Ereignissen und Entwicklungen die Genese der theoretischen Debatte nach. Ausgangspunkt ist der 1972 veröffentlichte Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, der in seiner politischen Tragweite ohne weiteres als Zäsur zu begreifen ist. Um dies zu untermauern, führt er prominente linke Reaktionen auf den Bericht ins Feld, so zum Beispiel die Reaktion Herbert Marcuses, der als Person eine entscheidende Bedeutung für die Debatte behalten wird. In Bezug auf die 1980er-Jahre beschäftigt sich der Autor maßgeblich mit der Frage des Verhältnisses von Ökosozialismus und Parlamentarismus. Dies drängt sich insbesondere deshalb auf, weil die 80er-Jahre eine Dekade waren, die von Klimagerechtigkeitskämpfen geprägt waren und gleichzeitig eine Domestizierung weiter Teile der Bewegung in der Partei Bündnis 90/Die Grünen stattfand.
Insbesondere in der Behandlung dieses Jahrzehntes gelingt dem Autor die Verhältnisdarstellung von politischer Erfahrung und theoretischer Entwicklung. In den Analysen des Verlaufes von der Hoffnung linker und linksradikaler Kräfte und Akteure auf die Parteigründung bis hin zu ihrer schließlich vollzogenen Eingliederung in das politische Establishment der BRD liegt ein enormer Mehrwert. Angereichert wird diese Analyse immer wieder mit Einschätzungen und einer Vielzahl von Zitaten beteiligter Akteur*innen wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann oder Rainer Trampert. Diese beschreiben die Integration der Partei in den parlamentarischen Normalvollzug nicht als Automatismus, sondern als bewusste, wenn auch aus linker Perspektive katastrophale, strategische Entscheidung:
„Die Grünen entschlossen sich in mehreren Etappen, ihre aus den sozialen Bewegungen mitgenommene oppositionelle, gesellschaftskritische und bisweilen kulturrebellische Politik fallenzulassen, um als staatstragende Regierungspartei wirken zu wollen.“ (S. 78)
In den 1980er-Jahren verortet der Autor die Entstehung einer fundamental wichtigen Intervention in ökosozialistische Diskurse, die ebenfalls bis heute nichts an Relevanz eingebüßt hat: die Position des Ökofeminismus. Die Rekonstruktion der bedeutendsten ökofeministischen Beiträge fällt umfangreich aus, wobei ihr Interventionscharakter innerhalb der bestehenden Debatte dargestellt wird. Die Beiträge drehen sich dabei um das Verhältnis von Produktion und Reproduktion in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und deren Bedeutung sowohl für ökologische Krisen, als auch für deren potentielle ökosozialistischen Lösungskonzepte. Außerdem kommen antikoloniale feministische Ansätze zur Sprache, die das Verhältnis von geschlechtlicher Arbeitsteilung zu ihrer imperialen Entsprechung beleuchtet. Einen mindestens so großen Stellenwert misst der Autor dem Aufkommen sowie der Genese der Debatte rund um den Begriff der Nachhaltigkeit bei. Hier zeichnet er nach, weshalb dieser Begriff nicht alleine den Konsumkritiker*innen gehört, sondern durchaus auch einen radikalen Gehalt hat. Trotzdem stellt er die These auf, dass seine Konjunktur mit der Schwäche ökosozialistischer Theorie und Praxis korreliert.
Reform oder Revolution?
Die dominante Bruchlinie ökosozialistischer Diskurse in den 2000er-Jahren stellt für Neupert-Doppler die Debatte um Revolution oder Transformation dar. In der Parteinahme Alain Lipietz’ für eine transformative und also reformistische Strategie mit der Begründung der zeitlichen Dringlichkeit lassen sich Positionen wiedererkennen, die auch heute bis weit in die Linke hinein hörbar sind. Kontrastiert werden diese Argumente unter anderem von den anarchistischen Positionen Murray Bookchins und vieler weiterer Stimmen. Auch in den 2010er-Jahren bleibt das Verhältnis von sozialer und ökologischer Frage das bestimmende Spannungsfeld ökosozialistischer Diskurse. Eine Rekonstruktion der Vermittlung konkreter Klassenkämpfe mit ökologischen Kämpfen kommt dabei manchmal etwas kurz.
Im Buch wird diese Debatte von einer ständigen Diskussion um die Konstitution eines ökosozialistischen Subjektes flankiert, um die Organisations-Frage also. Diese Frage scheint auch in der Parteidebatte durch. Erfrischend ist dabei, dass der Autor keine ahistorische Antwort auf die Organisationsfrage zu formulieren versucht, sondern die Konstitution von Organisation streng aus dem historischen Gegenstand ableitet.
Form follows function
Der vorliegende Einführungsband ist eine mitunter sehr kleinteilige, überblicksartige Darstellung des ökosozialistischen Diskurses. Das macht ihn an manchen Stellen schwer greifbar. Vor allem die teilweise sehr detaillierte Rekonstruktion einzelner Positionen und ihrer Gegenspieler sorgt dafür, dass man stellenweise verloren zu gehen droht. Die Stärken des Buches liegen in jenen Teilen, die spiegeln, dass es einen Unterschied zwischen Diskurs an und für sich gibt. Bedeutet: Dort wo erkennbar wird, dass die mitunter stark akademischen Debatten letztlich die Reflexion von Bewegungs- und Klassenhandeln sind, liegen die stärksten Episoden. Neupert-Doppler flicht mancherorts kleine Bewertungen in den Text ein, die allesamt ein Ziel hinter dem Text erkennen lassen: die Stärkung jener Bewegungen, welche die Angst vor dem Ende der Welt und die Angst vor dem Ende des Monats zusammen denken und so auch ihre Kämpfe führen. Wer sich diesen Bewegungen zugehörig fühlt oder zumindest mit ihnen sympathisiert, sollte das Buch lesen.
Ökosozialismus. Eine Einführung.
Mandelbaum Verlag, Wien.
ISBN: ISBN: 978385476-918-7.
204 Seiten. 14,00 Euro.