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Am Ende des schwarz-rot-goldenen Regenbogens

Buchautor_innen
Patrick Wielowiejski
Buchtitel
Rechtspopulismus und Homosexualität
Buchuntertitel
Eine Ethnografie der Feindschaft

Zwischen Sexspielzeugsammlung und Germania-Romantik lotot die Studie aus, was Homosexualität in der extremen Rechten als eigene Lebensrealität und als politisches Thema bedeutet.

Um die extreme Rechte nachhaltig zu bekämpfen, reichen weder Abgrenzung zu ihnen noch das Einschränken ihres Aktionsfelds. Man muss auch ihre Handlungslogiken und (individuellen) Motivationen verstehen. Patrick Wielowiejski leistet dazu mit „Rechtspopulismus und Homosexualität“ einen bedeutenden Beitrag. Seine ethnographische Untersuchung Homosexueller in der AfD eröffnet Einblicke in extrem rechte Subjektivität, indem er die extrem Rechten zu Wort kommen lässt, ohne ihnen dabei ungebührlichen Raum zu bieten. So kann Wielowiejski nicht nur unterschiedliche politische Linien in puncto Homosexualität aufzeigen, sondern stößt sogar auf eine Fluidität der Homosexualität, welche die von den Homosexuellen in der AfD propagierte Geschlechterbinarität unterläuft.

Alleine mit dem Feind(?)

Diese Nähe ist nicht ungefährlich. Wielowiejski berichtet von Kolleg*innen, die während der Untersuchung der extremen Rechten zu deren Unterstützer*innen oder – auf der anderen Seite des Spektrums – Zielen von Angriffen wurden. Er selbst verteilte „nur“ Flyer für eine AfD-Veranstaltung. Darüber hinaus nimmt er an diversen Treffen teil. Mal sitzt er auf größeren Parteiveranstaltungen mit namhaften Abgeordneten, mal in kleiner Runde mit den Mitgliedern der AHO (Alternative Homosexuelle) beim Bier und tauscht sich über Privates aus. Er gewinnt Sympathie, erduldet Flirtversuche, verschweigt seine Sympathien für einzelne Personen nicht, aber behält die politische Distanz bei. Diese wird im Feld weitgehend akzeptiert und steht der persönlichen Nähe nicht im Weg.

Dies ermöglicht ihm, in extrem rechte Lebenswelten vorzustoßen. Dabei versucht er, seinen Untersuchungsgegenstand ethnographisch zu verstehen. Etwa indem er die Expertise seiner wichtigsten Kontaktperson in der Partei prüft, die sich selbst als Experte für Fragen rund um Gender versteht. Resigniert stellt Wielowiejski jedoch fest, dass die Person den Diskurs nur einseitig rezipiert, Primärtexte wurden nie gelesen und, dass die von ihm genannten Autor*innen gar nicht bekannt sind. Die vorgebliche Expertise ist lediglich ein selbstreferenzielles Aufplustern.

Zudem stößt er immer wieder auf Mitglieder der AfD, die anfangs besorgt waren, dass es eine homophobe Partei sei und erst das Vergewissern darüber, dass von der AfD keine Gefahr für sie ausgehe, einen Eintritt rechtfertigte. Dabei folgen sie einer doppelten Logik: Zum einen möchten sie mit ihrer Mitgliedschaft zeigen, dass die Partei offen für Homosexuelle ist, um so eine neue Zielgruppe zu erschließen. Dabei sind sie sich sicher, dass die AfD Homosexualität nicht ablehnt oder homophobe Positionen vertritt. Denn diese bedeuten erstens für die meisten zu Wort kommenden Homosexuellen in der Partei keinen Widerspruch zur propagierten Heteronormativität.

Zum anderen würde sich Homophobie in tätlichen Angriffen äußern. Dies kenne man auch von „Rechtsextremisten“ aus dem Umfeld der damaligen NPD. In der AfD gebe es zwar einzelne Personen, die sich ablehnend gegenüber Homosexuellen äußerten. Dies sei aber eine Minderheit, die zudem nicht physisch aggressiv sei. Daraus schließen jene Mitglieder, dass die AfD nicht nur keine homophobe, sondern auch keine „rechtsextreme“ Partei sei. Dabei wird gerade angesichts der Entwicklung der Arbeitsgruppen zum Thema Homosexualität die politische Entwicklung der Partei seit 2013 deutlich: Während zunächst der Regenbogen an Präsenz einbüßte, erstrahlt er seit 2021 wie beim „Stolzmonat“ in den Nationalfarben.

Die Radikalisierung der AfD im Zeitraum der Feldforschung wird aber mehr an solchen strukturellen Markern deutlich als in den Gesprächen. Vielmehr scheint sich die Radikalisierung der Partei an ihren Mitgliedern vorbei zu vollziehen. Zu dieser Unklarheit trägt bei, dass der Autor von Rechtspopulismus spricht und damit einen Begriff verwendet, der aufgrund seiner fehlenden Präzision die Entwicklung der AfD und die Funktionsweise extrem rechter Agitation nicht abbilden kann. Zwar räumt der Autor ein, dass es Kritik am Begriff gäbe, setzt sich aber über sie hinweg.

So hat die Untersuchung eine Blindstelle, die die Gefahr der Nähe in der Ethnographie aufzeigt, wenn man den Blick für diejenigen Dinge verliert, die nicht unter die Lupe genommen wurden. Dafür besticht Wielowiejski mit der Schilderung dessen, was sich in seinem Fokus befindet. Er reflektiert nicht nur die politischen Grenzziehungen zwischen Forscher und Feld, sondern auch die persönlichen, sodass seine angestrebte „Ethnographie der Feindschaft“ eine weitere Bedeutungsebene erhält: Einerseits tritt er als potenzieller politischer Gegner des Feldes auf, andererseits untersucht er eine Politik, die sich vor allem durch die Ablehnung des Feindes konstituiert.

Versuche über Feindschaft

Der Autor versucht der Schmitt‘schen Unterscheidung von Freund und Feind zu entkommen, denn er sieht in dieser keine Grundlage für Emanzipation. Stattdessen bemüht er sich mit Chantal Mouffe, den Antagonismus in der Beziehung in einen Agonismus zu überführen. Diesen grenzt sie „einerseits von der liberalen Konzeption eines politischen Raums ab, der auf Kompromiss und Konsens ausgerichtet ist und den Konflikt vermeidet, andererseits aber auch von einem antagonistischen Verständnis des_der politischen Gegner_in, von einem Freund-Feind-Schema, nach dem der Feind vernichtet werden muss“[sic!] (S. 95). Somit versucht das Konzept Agonismus sowohl den Liberalismus zu überwinden, dem Chantal Mouffe eine Blindheit gegenüber Antagonismen attestiert, als auch Carl Schmitt, dessen Freund-Feind-Verhältnis bloß eine „mögliche Ausdrucksform des politischen Antagonismus“ sei (ebd.). Das letztlich auf Vernichtung abzielende Freund-Feind-Verständnis Schmitts möchte sie jedoch in eine Akzeptanz der Gegner*innen, das Begreifen ihrer notwendigen Legitimität überführen. Wielowiejski versucht dies, mit einer Interpretation von Queerness zu entwickeln, welche er als postidentitär und zugleich als Bewusstsein über die Überlebenswichtigkeit von Identität begreift:

„Denn weniger als im Antinormativen und Antiidentitären liegt das Queere heute vielleicht eher in einer ‚postnormativen‘ und ‚postidentitären‘ Logik, die sich Normen und Identitäten gegenüber kritisch positioniert, auch wenn sie versteht, dass das Leben in und mit Normativität und Identität gerade für queere Subjekte schlicht und ergreifend eine Frage des Überlebens sein kann.“ (S. 366)

Demnach böte ein queeres politisches Projekt den Raum für die Vielzahl an Lebensentwürfen, ohne notwendig tolerant gegenüber denjenigen zu sein, die diese Pluralität ablehnen.

So ansprechend dies klingen mag, ist die Perspektive des vom Autor immer wieder ins Feld geführten poststrukturalistisch-politisch „Imaginären“ eben nur das – imaginär. Das erstaunt, da Wielowiejski in die Welt homosexueller Rechter vordringt und dabei eben nicht nur das „imaginäre Selbstbild der Menschen“ (S. 45) untersucht, sondern aufzeigt, wie sie dieses Selbstbild sowie die Vereinbarung von Vulnerabilität und Menschenfeindlichkeit produzieren und praktizieren. Das gilt für das Propagieren einer „männlicher Gesellschaft“ nach Hans Blüher (S. 281) ebenso wie für das Schaffen einer rechten Geschichte der Homosexuellenemanzipation, die sich in der AfD fortsetze – wofür man selbst als Beweis durch die Kreisverbände reist. Ohne die Berücksichtigung dieser Materialität des politischen Konflikts, ist dies nur blanker Voluntarismus. Vielmehr sollte ausgehend von der so glänzend dargestellten Subjektkonstituierung bestimmt werden, wo die Grenze zwischen Gegner*innen und Feinden liegt – denn im Zweifelsfall bekommt man sie zu spüren –, und was sie für den Antifaschismus in seinen unterschiedlichen Facetten bedeutet.

Patrick Wielowiejski 2024:
Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft.
Campus Verlag.
ISBN: 9783593519609.
398 Seiten. 49,00 Euro.
Zitathinweis: Alexander Maschke: Am Ende des schwarz-rot-goldenen Regenbogens. Erschienen in: Der Wert des Körpers. 77/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/6kt8r. Abgerufen am: 15. 10. 2025 10:59.

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Patrick Wielowiejski 2024:
Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft.
Campus Verlag.
ISBN: 9783593519609.
398 Seiten. 49,00 Euro.