DDR - Innenansichten in der Literatur Ausgabe Nr. 53, 08. Oktober 2019
Es ist wieder Gedenkzeit: 70 Jahre DDR, 30 Jahre Mauerfall und, ein paar Monate später, 30 Jahre offizieller Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland. Doch irgendetwas scheint dieses Mal anders zu sein. Es stehen nicht mehr nur die Themen Stasi und Mauertote im Vordergrund. War die Auseinandersetzung bisher geprägt von einem Bild von außen ist jetzt mehr Raum für die Brüche, die Widersprüche, den Alltag der real existierenden DDR. „Gundermann“ statt „Das Leben der Anderen“.
Die Zeit scheint reif für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Versuch, in Deutschland eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, eine Auseinandersetzung jenseits von Vergötterung und Verdammung.
Was können Linke und was kann ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts also lernen aus der DDR, aus den Siegen und Erfolgen, aus den Niederlagen und dem Scheitern?
Wir wollen auf die literarischen Innenansichten der DDR blicken und ziehen Autor*innen wie Maxie Wander, Thomas Brasch und Peter Hacks zurate. Wie sahen sie ihre DDR? Welche Widersprüche haben sie verhandelt? Wie haben sie den Versuch der sozialistischen Gesellschaft bewertet? Und, nicht zuletzt, wie können wir diesen Texten heute angemessen begegnen – ohne zu verklären, aber auch ohne vorschnell aus der vermeintlich besserwissenden Position der Nachgeborenen zu verurteilen?
Das Wiederlesen und Bewerten von DDR-Literatur konfrontiert uns automatisch mit dem eigenen politischen und historischen Standpunkt. Es stellt daher besondere Herausforderungen an die gegenwärtige Lektüre. Diese Innenansichten entstehen nicht im luftleeren Raum. Ihre Lektüre muss daher nicht nur die Texte selbst, sondern auch ihre Kontexte beachten. Dazu zählen die sozialistische Begeisterung, das Engagement und der Idealismus, von dem eine Literatur getragen wurde, die innerhalb eines nicht-marktwirtschaftlich ausgerichteten Literaturbetriebs entstehen konnte. Die Proklamation einer eigenständigen DDR-Literatur seit den 1960er Jahren ging mit dem Aufbau eines eigenen Literaturkanons einher, der nicht nur identitätsstiftend nach innen wirken sollte, sondern der über die DDR hinaus mitunter zur Projektionsfläche für linke Lektüren wurde. Dazu zählen aber auch Kontexte, die das Sagbare und Nicht-Sagbare innerhalb genau dieses Literaturbetriebs dirigierten, wie die ästhetischen Vorgaben des sozialistischen Realismus und die offiziell nicht existente Zensur.
Diesen Herausforderungen begegnen wir in der aktuellen Ausgabe von zwei Seiten: Die Rezensionen nehmen literarische DDR-Texte kritisch in den Blick, und in Essay und Interview sprechen wir über das Schreiben, Lesen und Publizieren in der DDR.
Viel Spaß beim kritischen Lesen!
In der Januarausgabe #54 wenden wir uns dem Thema „Neoliberale Krisenbearbeitung“ zu. Weltverbessern ist die Mode schlechthin geworden. Innovative Ideen und Konzepte haben Hochkonjunktur. Der Knackpunkt: Zur Lösung aller Probleme wird vor allem das Individuum adressiert. Wer richtig konsumiert, trägt scheinbar seinen Teil bei zur Rettung der Welt. Soziale Lösungen? Fehlanzeige. Unangetastet bleibt der Kapitalismus als Produzent der Misere. Leider sind auch linke Debatten von diesen Denkmustern betroffen und lassen mehr und mehr radikale Ansätze hinter kurzsichtigen Konzepten zurück. Wer, wenn nicht wir?