Zwischen Mangel und Markt: Bildungsmisere in Deutschland
- Buchautor_innen
- Kai Eicker-Wolf, Gunter Quaißer, Ulrich Thöne (Hg.)
- Buchtitel
- Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit
- Buchuntertitel
- Grundlagen für eine sachgerechte Bildungs- und Finanzpolitik
Der Sammelband widmet sich der Bildungsmisere in Deutschland, die zugleich eine Finanzmisere ist.
An Bekenntnissen zur Bedeutung von Bildung mangelt es hierzulande wahrlich nicht. Von links bis rechts, so scheint es, herrscht über die Wichtigkeit von Aus-, Fort- und Weiterbildung, von Krippe bis Hochschule große Einigkeit. Auf den ersten Blick ist es daher umso überraschender, dass die Finanzierung von Bildung in Deutschland nach wie vor völlig unzureichend und auch auf mittlere und lange Frist keine Besserung absehbar ist. Der vorliegende Sammelband enthält sechs Aufsätze, die sich der Frage nach Ausmaß und Folgen der Misere bei der Bildungsfinanzierung wie auch der Frage nach den Gründen hierfür widmen.
Finanzwissenschaftliche Perspektive
Allen Aufsätzen gemein ist, dass sie eine finanzwissenschaftliche Perspektive mit bildungspolitischen Fragestellungen verbinden – wobei das Pendel bei den einzelnen Texten mal stärker in die eine und mal stärker in die andere Richtung ausschlägt. Der erste Aufsatz, geschrieben von dem linken österreichischen Ökonomen Stephan Schulmeister, präsentiert eine Analyse der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Bedeutung des Finanzsektors für das Entstehen und Verschärfen dieser Krise betont. Bezüge zu bildungspolitischen Fragestellungen enthält dieser Text dabei nur indirekt, gleichwohl beschreibt er sehr gut die finanz- und wirtschaftspolitischen Hintergründe aktueller Finanzpolitik. Schulmeister macht überzeugend, aber leider in nicht immer gut lesbarer Weise deutlich, dass es in Europa mehr Investitionen braucht – Investitionen eben auch in Bildung.
Der zweite Aufsatz rückt verteilungspolitische Fragen in den Mittelpunkt. Wilfried Altzinger von der Wirtschaftsuniversität Wien beschreibt die faktische „Vererbbarkeit“ von Reichtum wie auch von guter Bildung. Die Zusammenhänge zwischen der sozialen Situation von Eltern und Kindern sind eng, die soziale Mobilität ist in westlichen Staaten nur sehr gering ausgeprägt und in der Tendenz rückläufig.
Der dritte Aufsatz, geschrieben von Kai Eicker-Wolf (Deutscher Gewerkschaftsbund) und Achim Truger (Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin), fragt nach den finanziellen Grundlagen einer ausreichenden Bildungsfinanzierung in Deutschland. Angesichts von „Schuldenbremse“ und einer völlig unzureichenden Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte kommen sie zur Überzeugung, dass Deutschland an einem „Scheideweg“ stehe: Es müsse für eine bessere Bildungsfinanzierung jetzt gelingen, die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen wieder herzustellen. Andernfalls könne man nur, wie es Liberale und Konservative etwa im zurückliegenden Bundestagswahlkampf zur Genüge getan haben, Hoffnung auf einen deutlichen und dauerhaften Konjunkturaufschwung predigen. Eine Hoffnung, die allerdings trügerisch sein dürfte.
Quantitative Messbarkeit von Bildungsausgaben
Die quantitative Messbarkeit von Bildungsausgaben beleuchtet der Sammelband gleich in zwei Artikeln. Zunächst widmet sich die Publizistin Cornelia Heintze der internationalen Vergleichbarkeit der Höhe von Bildungsausgaben verschiedener Länder. Sie beschreibt zunächst die Sinnhaftigkeit, aber auch die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens. In dem leider deutlich kürzeren, politischeren zweiten Teil ihres Artikels untersucht und kritisiert sie die „nationale Darstellungspolitik“ Deutschlands – also den Versuch quasi aller Bundes- und Landesregierungen der letzten Jahre, die eigenen Bildungsausgaben künstlich hochzurechnen. Dazu hat man hierzulande eigene nationale Erfassungssysteme entwickelt, die von den strengeren internationalen Systemen mit Absicht abweichen. Die Ökonomen Henrik Piltz und Gunter Quaißer ergänzen diesen Artikel mit einer Berechnung der in Deutschland eigentlich notwendigen Bildungsausgaben. Sie zeigen auf, dass der Mehrbedarf an Finanzmitteln im Bildungsbereich enorm ist: Sie kommen auf Mehrkosten zur Qualitätsverbesserung der Bildung in Höhe von über 56 Mrd. Euro pro Jahr sowie auf einmalige Investitionskosten zur Behebung des Investitionsstaus in Höhe von über 45 Millarden Euro.
Den inhaltlich interessantesten Artikel des Sammelbands hat der Politikwissenschaftler Tobias Kaphegyi vorgelegt. Er untersucht kritisch den so genannten „Bildungsmonitor“, mit dem das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) jährlich den Stand der Bildungspolitik in Deutschland untersucht. Obgleich nicht einfach zu lesen und an einigen Stellen zu sehr in methodologische Fachsprache abgleitend, führt Kaphegyi auf äußerst interessante Weise die gravierenden methodischen Unzulänglichkeiten dieser selbsternannten „Arbeitgeberforschung für ‚mehr Wachstum und Gerechtigkeit‘“ wie auch deren ideologische Grundlagen vor. Nicht zusätzliches Geld für Bildung, sondern „Haushaltskonsolidierung“ hat für das IW oberste Priorität – und nicht der Mensch als soziales Wesen, sondern der Mensch als funktionierende Humanressource ist das Idealbild dieser „Forscher“. Einmal mehr macht Kaphegyi damit deutlich, dass auch im Bereich der Bildungsforschung vermeintliche Wissenschaft von den dahinterstehenden Interessen nicht zu trennen ist.
Fazit
Die in „Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit“ versammelten Aufsätze decken breit und aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Thema der Bildungsfinanzierung ab. Wünschenswert wäre allerdings eine intensivere Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Rolle von Bildung im Zusammenhang mit Verteilungsfragen gewesen. Lediglich die Aufsätze von Altzinger und Kaphegyi widmen sich in Ansätzen der Frage, welche verteilungspolitische Funktion der Bildung im öffentlichen Diskurs von welchen Akteuren und aus welchen Gründen zugeschrieben wird. Die damit zusammenhängende Frage, ob und in welchem Maße Bildung diese Funktion überhaupt erfüllen kann, bleibt weitgehend unbeantwortet. Genau dies zu untersuchen, erscheint nach Lektüre des Buches aber umso dringlicher, als dies erlaubt hätte, verteilungspolitische Aspekte noch stärker und noch umfassender in den Mittelpunkt zu rücken. Angesichts der Tatsache, dass „Verteilungsgerechtigkeit“ ja sogar im Titel des Buches steht, hätte dies einen echten Gewinn dargestellt.
Dennoch: Die Lektüre lohnt. Das Buch ist sowohl für Laien als Einstieg in diese Thematik wie auch für bildungspolitische Aktivistinnen und Aktivisten als aktuelle Sachstandsbeschreibung geeignet und zu empfehlen. Für Laien und Neueinsteiger/innen mag allerdings die in einzelnen Aufsätzen anspruchsvolle Sprache das Lesen etwas erschweren.
Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit. Grundlagen für eine sachgerechte Bildungs- und Finanzpolitik.
Metropolis Verlag, Marburg.
ISBN: 978-3-7316-1018-2.
220 Seiten. 24,80 Euro.