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Wie aus Täterinnen Heldinnen wurden

Auf dem Foto schieben vier Frauen  eine Lore. Vorneweg läuft ein Mann, er zieht die Lore, die ugenscheinlich mühsam auf den schmalen Gleisen  bewegt wird. Man kann nicht erkennen, ob die Lore
 beladen oder unbeladen ist. Von den Frauen ist nur der Rücken zu sehen. Es scheint kalt zu sein, alle tragen warme Kleidung. Der Mann trägt eine dicke Jacke, die Frauen tragen Kopftücher, lange Kittel und Röcke und an den Füßen tragen sie Holzpantinen. Die fünfköpfige Gruppe bewegt sich mit der Lore scheinbar auf ein Gebäude im Hintergrund zu. Es scheint sich dabei um das schwer beschädigte Gebäude des Berliner Reichstags zu handeln.
Buchautor_innen
Leonie Treber
Buchtitel
Mythos Trümmerfrauen
Buchuntertitel
Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes
Die Autorin widerlegt den Mythos der deutschen Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit bloßen Händen die zerstörten deutschen Städte wieder aufbaute, und legt dar, wie sich dieser so hartnäckig im (gesamt-)deutschen Kollektivgedächtnis manifestieren konnte.

Dass nach dem Krieg die zerstörten Städte wieder aufgebaut werden mussten, scheint genauso unbestritten wie die Antwort auf die Frage, wer den maßgeblichen Beitrag dazu geleistet habe, nämlich die deutsche „Trümmerfrau“. Das Bild der „Trümmerfrau“ hat heute einen festen Platz in der Erinnerungskultur Nachkriegsdeutschlands. Leonie Treber erläutert in ihrer Dissertation, wie es dazu kommen konnte, dass – entgegen empirischer Faktenlage – vor allem Frauen als Wiederaufbauerinnen Deutschlands gelten.

Akteure der Trümmerräumung

Hierfür stellt sie zunächst dar, dass die Trümmerräumung mitnichten ein Nachkriegsphänomen war. Bereits im Mai 1940, mit Beginn des strategischen Luftkriegs gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich, waren nach Bombardierungen durch die britische Luftwaffe erste Trümmer zu räumen. Weitreichend, im Hinblick auf die historische Materialfülle, die sie berücksichtigt, analysiert Treber akkurat, wer die eigentlichen Akteure bei der Trümmerräumung waren, sowohl in der Kriegszeit als auch in der Nachkriegszeit. Grundlage dieser Untersuchung, gleichzeitig der erste von drei Teilen, sind vor allem Akten aus den Stadtarchiven jener Städte, die Treber für ihre Analyse fokussierte. Aber auch zeitgenössische Broschüren verschiedener Bau-Ämter, Ansprachen und Briefwechsel werden untersucht. Dabei wird deutlich, dass in der Kriegszeit vor allem männliche Arbeitskommandos Trümmer räumen mussten. Außerdem wurde das deutsche Handwerk zum Wiederaufbau mit eingesetzt. Allerdings wird die männliche Konnotation von Trümmerräumung in der Kriegszeit durch die Nazis aufgelöst, indem, solange es um Gefangene geht, ebenjene Konnotation nicht vorhanden war. Es sind nämlich vor allem Zwangsarbeiter_innen und KZ-Häftlinge, die während des Krieges die Trümmer in den deutschen Großstädten räumen mussten.

Direkt nach dem Krieg wurde die Trümmerräumung einerseits sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Alliierten als Sühneleistung verstanden. Die Bürger_inneneinsätze waren entsprechend mal mehr, mal weniger freiwillig. Vor allem schuf schweres Baugerät die Grundlage für den Wiederaufbau. „Die Trümmerräumung in der Nachkriegszeit muss demnach in erster Linie als synchrones Phänomen mit vielen Facetten gedacht werden“ (S. 82).

Die spezifische Rolle der Frau oder: Ein Mythos wird geboren

An dieser Stelle scheint die These Trebers, dass die deutsche Frau als alleinige Wiederaufbauerin keineswegs der Realität entspricht, bereits ausreichend belegt. Dennoch wird die Rolle von „Frauen als Akteurinnen bei der Trümmerräumung“ (S. 199) als eigenständiges Kapitel nochmals detailliert dargestellt. Während sich Treber im ersten und dritten Teil des Buches vor allem darauf konzentriert, auf Grundlage ihrer Quellen die „eigentliche“ Geschichte der Trümmerräumung zu erzählen, stehen in diesem zweiten Teil Begriffserklärungen und Definitionen im Fokus. So wird der Begriff der Trümmerfrau samt seines Ursprungs und der Begriffsgeschichte erläutert. Um zu illustrieren, wie sich der Mythos der „Trümmerfrau“ etablieren konnte und warum dieser in Westdeutschland bis in die 1980er keine Rolle spielte, werden verschiedene Printmedien als Belege angeführt. Vor allem die Systemkonkurrenz erhält in diesem Kapitel Gewicht, da es systemimmanente Unterschiede in der DDR und BRD gab:

„In Berlin und den Städten der SBZ [Sowjetische Besatzungszone, Anm. FJ] war die Heranziehung von Frauen die Regel und ihre Nicht-Heranziehung die Ausnahme, genau umgekehrt dazu verhielt es sich in den Städten der britischen, amerikanischen und französischen Besatzungszonen“ (S. 253).

Treber beschreibt detailliert die Situation in der SBZ/DDR, wo die rote Armee wesentlich strikter die Bevölkerung zum Arbeitseinsatz verpflichtete. Sie greift dazu auf das typische sozialistische Frauenbild, die Frau als gleichberechtigte Arbeitskraft neben dem Mann, zurück, um zu erklären, warum die „Trümmerfrau“ als Heldin stilisiert wurde und sich dieser Mythos etablierte. Im Kontrast dazu steht die Restauration des Frauenbilds in der BRD: Das Bild der Trümmerfrauen war hier eher negativ besetzt und stand im öffentlichen Bewusstsein für die schweren Nachkriegsjahre. Während das Wirtschaftswunder vor allem Männer in Lohn und Brot brachte, wurden Frauen aus dem Berufsleben (zurück-)gedrängt und aufgefordert, sich auf ihre „eigentliche“ Rolle, die der Hausfrau und Mutter zu konzentrieren. Sie wurden darauf aus dem Berufsleben (zurück-)gedrängt und aufgefordert, sich auf ihre „eigentliche“ Rolle, die der Hausfrau und Mutter zu konzentrieren.

Ein Mythos manifestiert sich

Ausgehend von diesen Unterschieden legt Treber im dritten und letzen Teil der Arbeit dar, warum sich die „Trümmerfrau“, die in der DDR eine zentrale Rolle spielte, im wiedervereinigten Deutschland so stark etablieren konnte. Erstaunlich ist hierbei, dass gerade die in der DDR verbreitete Erinnerung an die heldenhafte „Trümmerfrau“ in das gesamtdeutsche Kollektivgedächtnis übergeht. Als Beispiel führt Treber gezielte Debatten an, in denen es darum ging, in (west-)deutschen Städten ein „Trümmerfrauendenkmal“ aufzustellen. Hier wird die Stärke des Buches deutlich und auch, warum dieses Buch notwendig ist. Denn trotz massiver Widerlegungen in den letzten Jahrzehnten hält die öffentliche Meinung am Mythos fest.

Am Ende schreibt Treber, dass die „Trümmerfrau“ zu einem Generationsbegriff geworden ist, der alles umfasst, was die Nachkriegszeit zu bedeuten scheint: Elend und Entbehrung, das Gefühl der Niederlage und davon, von den Faschist_innen betrogen worden zu sein. Dieses Bild findet sich wieder in dem der (hilflosen) Frau, die nun Männerarbeit zu verrichten hat. Treber schafft es einerseits, den Antifeminismus, der diesen Aussagen zugrunde liegt, herauszuarbeiten. Ambivalent dazu bezichtigt Treber die Frauenbewegung, aktiv am Mythos mitgewirkt zu haben, kommt doch einer emanzipierten Frauenbewegung das Bild der selbstständigen und anpackenden Frau entgegen und passt der Mythos somit ins Selbstverständnis. An dieser Stelle geht Treber mit ihrer Kritik nicht weit genug. Sie kritisiert zwar die Frauenbewegung, die aktiv an der Mythenbildung beteiligt war. Allerdings versäumt sie es, auf die Leerstelle „Antifaschismus“ innerhalb der Frauenbewegung hinzuweisen. Denn, das Bild der „Trümmerfrau“ impliziert auch immer die Reinheit der Frau, als wäre die deutsche Frau vergangenheitslos und nicht mitschuldig. Mit der Glorifizierung der „starken Frau“ wird die Vergangenheit als Täterinnen ebenjener Frauen vergessen. Denn das die deutsche Frau keineswegs reines Opfer der Nationalsozialist_innen war, wurde mit dem Historikerinnenstreit hinreichend ausdiskutiert. Eben dieser Historikerinnenstreit ist eine Schwäche des Buches. Treber geht zwar auf diesen ein, also auf die Frage, inwieweit Frauen Täterinnen im NS sein konnten, oder ob sie nicht vielmehr Opfer des Systems wurden, bezieht dazu allerdings keine klare Stellung. Das Thema wäre jedoch bestens dazu geeignet, eine scharfe feministische, antifaschistische Kritik an der Nachkriegsgesellschaft zu üben, welche allzu oft aus Täter_innen Opfer gemacht hat. Auch heutzutage wird die „Trümmerfrau“ zunehmend von rechts vereinnahmt.

Für die Forschung bringt Treber den Mythos der „Trümmerfrau“ sicherlich wieder aufs Tableau, und ihre Arbeit stellt somit ein Novum in der Geschichtswissenschaft dar. So kann der Ansatz der antifaschistischen und feministischen Perspektive auf die „Trümmerfrau“ ausgebaut werden. Andere Fragen bleiben leider ungeklärt, zum Beispiel, inwieweit Vertriebene und displaced persons auch nach dem Krieg bei der Trümmerräumung mit anpacken mussten.

An einigen Stellen ist die Darlegung langatmig, und es erscheint nicht auf den ersten Blick sinnvoll, dass Treber immer und immer wieder neue Kategorien mit in die Betrachtung einbezieht. Allerdings überzeugt am Ende das Gesamtkonzept. Für ein nicht fachlich versiertes Publikum allerdings ist das Buch weniger geeignet, und somit wird sich das populäre „Wissen“ um die „Trümmerfrau“ mit der Veröffentlichung dieses Buches nicht erschüttern lassen. Letztlich stellt das Buch einen Beitrag dazu dar, den Erinnerungsort der „Trümmerfrau“ beziehungsweise die Nachkriegsgeschichtsschreibung im Allgemeinen auf den kritischen Prüfstand zu stellen!

Leonie Treber 2014:
Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes.
Klartextverlag, Essen.
ISBN: 978-3-8375-1178-9.
483 Seiten. 29,95 Euro.
Zitathinweis: Friederike Jahn: Wie aus Täterinnen Heldinnen wurden. Erschienen in: Linke EU- und Europakritik. 39/ 2016. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1335. Abgerufen am: 18. 04. 2024 18:49.

Zur Rezension
Zum Buch
Leonie Treber 2014:
Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes.
Klartextverlag, Essen.
ISBN: 978-3-8375-1178-9.
483 Seiten. 29,95 Euro.