Wem gehört mein Zuhause?
- Buchautor_innen
- Ernst Hubeli
- Buchtitel
- Die neue Krise der Städte
- Buchuntertitel
- Zur Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert
Elegant geschrieben, kämpferisch und brandaktuell: Eine Streitschrift fragt nach der Gerechtigkeit der Wohnungsversorgung.
In diesem Jahr geht die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in ihre entscheidende Phase. Damit es im September 2021 zu einem Volksentscheid kommt, müssen in Berlin 175.000 Unterschriften gesammelt werden. Das Ziel: die Enteignung von Immobilienkonzernen mit 3.000 Wohnungen und mehr und anschließender Vergesellschaftung der insgesamt 243.000 Wohnungen durch die Überführung in eine Anstalt öffentlichen Rechts.
Der Architekt und Stadtplaner Ernst Hubeli liefert der Bewegung in seinem Buch „Die neue Krise der Städte“ einige Argumente für dieses Vorhaben. So greift er die bereits vor 150 Jahren von Friedrich Engels gestellte Wohnungsfrage auf und formuliert sie, wie es der Untertitel seines Buches verrät, für das 21. Jahrhundert neu. Die Dringlichkeit dieser Frage wird in Hubelis politischer Streitschrift schnell deutlich: „Schließlich hat der Wohnungsmarkt in den letzten dreißig Jahren selbst bewiesen, dass er unfähig ist, eine Grundversorgung zu garantieren.“ (S. 29)
Ein Plädoyer für Urbanität
Akribisch demontiert Hubeli die Mythen der Wohnungspolitik: Der Begriff der Durchschnittsmiete verschleiert die Wohnungsmisere der Städte, Förderprogramme für die Immobilienbranche lindern nicht die Wohnungsnot und der Massenwohnungsbau entspricht nicht dem Bedarf der Stadtbevölkerung. Letzterer orientiere sich immer noch am Ideal der städtischen Kleinfamilie mit drei Zimmern, Küche und Bad. Eine Besonderheit bei der Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert sei die „Diskrepanz zwischen heterogenen Lebensformen und homogenen Wohnformen.“ (S. 37f.) Dieser fehlgeleitete Wohnungsbau bleibt indes folgenlos für die Immobilienunternehmen, weil die Wohnungsnot dafür sorgt, dass auch ein mangelhaftes Angebot ausreichende Nachfrage garantiert.
Leidenschaftlich verteidigt Hubeli die Möglichkeiten, die sich Menschen in urbanen Räumen bieten. Mit einem Befreiungsgedanken verbunden sei die Stadt immer ein Ort gewesen, um heterogene Lebensentwürfe zu erproben und soziale und kulturelle Vielfalt zu (er-)leben. Damit dieses urbane Versprechen auch in Zukunft eingelöst werden kann, müsse es städtebaulich zweckungebundene Freiräume geben, die als „notwendiges Korrektiv des Planbaren“ (S. 78) der Gesellschaft die Möglichkeit gibt, sich ihre Stadt selbst anzueignen.
Ein Schreckgespenst für die kapitalistische Ordnung
Dieser Anspruch wird von Konzernen wie der Deutsche Wohnen, deren einflussreichster Anteilseigner der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock ist, zunehmend in Frage gestellt. Im finanzialisierten Kapitalismus ist die Wohnung vor allem eines: eine Ware, deren Verwertungslogik auf die Ausschüttung von Renditen an Aktionäre zielt.
In einem eigenen Kapitel widmet sich Hubeli den sich zuspitzenden Entwicklungen der Wohnungsfrage in Berlin. Von Marktgläubigkeit und Privatisierungswahn getrieben, verkaufte die Stadt Berlin zu Beginn der 2000er Jahre unter einem Senat aus SPD und PDS (!) einen Großteil der kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbestände an private Immobilienkonzerne – allen voran die Deutsche Wohnen. Die fehlende staatliche Regulierungsmöglichkeit hatte eine regelrechte Mietpreisexplosion zur Folge, bei der die Löhne nicht mehr mithalten können. In diesem Kontext ist nun die neuentfachte Debatte um Enteignungen zu sehen: „Die Wohnungsnot, die zur Existenznot geworden ist, hat den Berliner Aufstand ausgelöst.“ (S. 27) Wie die Berliner Mieter*inneninitiativen verweist auch Hubeli auf die im Grundgesetz verankerte Möglichkeit zur Vergesellschaftung von Eigentum und auf den Gemeinwohlgrundsatz.
Doch gibt es den Antagonismus zwischen Eigentümer*innen und Mieter*innen, den Engels vor 150 Jahren ausmachte, überhaupt noch und wird dieser auch als solcher wahrgenommen? Ein Beispiel aus Hubelis Buch lässt daran Zweifel aufkommen: In der Schweiz stimmte in den 1970er Jahren bei einer Volksabstimmung die Mehrheit gegen ein Gesetz zum Schutz von Mieter*innen, obwohl die überwiegende Mehrheit der Schweizer*innen selbst zur Miete wohnte. Hubeli vermutet hinter dieser Abstimmungslogik, die sich gegen die eigenen Interessen und für die der Eigentümer*innen richtet, die Hoffnung, irgendwann selbst einmal den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Als Land der Mieter*innen bildet in Deutschland Berlin mit 85 Prozent die unangefochtene Mieter*innenhauptstadt. Sofern es im September zu einem Volksentscheid über die Enteignung großer Immobilienkonzerne kommt, bleibt abzuwarten, wie sich die Mehrheit der wahlberechtigten Berliner*innen entscheidet.
Gleichwohl machen die Initiativen von Mieter*innen in Berlin Hoffnung: In vielerlei Hinsicht zeigt sich schon jetzt, dass sie es geschafft haben, die Vereinzelung der Mieter*innen auf einem hochgradig kapitalisierten Wohnungsmarkt zu stoppen und ihr durch ihren basisdemokratischen Aufbau und kollektiven politischen Aktionen zu begegnen. Obwohl der herrschende Wohnungsmarkt wie „ein repressiver Disziplinierungsapparat […] unterwürfige Mieter“ (S. 15) produziere, konnte gewissermaßen ein Mieter*innenbewusstsein geschärft werden, um sich gegen die ausufernde Ausbeutung von Immobilienkonzernen zu organisieren.
Hubeli bescheinigt der Enteignungsdebatte, dass sie vor allem ein Gefühl von Hoffnung vermittelt und zur Entideologisierung beiträgt:
„Die Berliner Bestrebungen nach einer Vergesellschaftung sind weder parteipolitisch noch systematisch, noch ideologisch fixiert. Man könnte auch sagen, dass politische Naivität ihre Unschuld verliert und Macht beansprucht. So ist der Berliner Aufstand ein Aufruf, aus der politischen und ökonomischen Fantasielosigkeit auszutreten.“ (S. 115)
Die Wohnungsfrage ist eine Bodenfrage
Hubeli macht deutlich, dass auch Korrekturen – wie der in Berlin erprobte Mietendeckel – in der Wohnungspolitik nicht reichen werden, denn: „Ohne die Sozialisierung des Bodens sind Entwicklungen der Städte nicht zu lenken“ (S. 21). Schon jetzt mache in Städten der Anteil des Bodenpreises am Immobilienpreis ein Drittel bis die Hälfte aus. Als stabiles Kapital sichert der Boden den Immobilienfonds in boomenden Städten sprudelnde Einnahmequellen. Die Pfründe können über steigende Bodenpreise leistungslos von den Immobilienunternehmen abgeschöpft werden. Mancherorts ist der Bodenpreis sogar wichtiger als die Mieteinnahmen, sodass für die Eigentümer*innen auch Leerstand sinnvoll sein kann, wenn die Verknappung des Angebots zu ausreichend großen Mietpreissteigerungen auf dem Immobilienmarkt führt. Hubeli fordert daher, dass Städte beherzt eine Bodenreform angehen müssten, „damit Städte von Stadt- und nicht von Aktiengesellschaften regiert werden.“ (S. 75)
Hubeli ruft mit seinem Buch Einsichten in Erinnerung, die eigentlich zu linken Selbstverständlichkeiten zählen müssten: Boden ist Gemeingut, Wohnen ist ein Menschenrecht und der freie Wohnungsmarkt ist nicht in der Lage, die Grundversorgung von Wohnungen zu gewährleisten. Keine Berücksichtigung findet leider die mit Krisenzuständen in Städten verknüpfte Wohnungs- und Obdachlosigkeit, über deren systemischen Charakter im Kapitalismus leider zu wenig zu lesen ist. Dennoch bietet sein Buch pointierte Denkanstöße zur Wohnungsfrage und philosophische Erkenntnisse über das Verhältnis von privatem Wohnen und öffentlichem Raum.
Die neue Krise der Städte. Zur Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert. 2. Auflage.
Rotpunktverlag, Zürich.
ISBN: 978-3-85869-865-0.
189 Seiten. 15,00 Euro.