Wegbereiter neoliberalen Denkens
- Buchautor_innen
- Mark Schieritz
- Buchtitel
- Die Inflationslüge
- Buchuntertitel
- Wie uns die Angst ums Geld ruiniert und wer daran verdient
Mark Schieritz zeigt, wie mit der Angst vor Inflation neoliberale Politik begründet und gemacht wird.
Die deutsche Diskussion rund um die Finanzkrise weist zahlreiche Spezifika auf. So dürfte Austeritätspolitik, also das radikale Kürzen von Staatsausgaben und Löhnen mit dem Ziel ausgeglichener öffentlicher Haushalte, in kaum einem westlichen Industrieland so unumstritten sein wie hier. Ein zweites Spezifikum ist der hohe Stellenwert, den die Angst vor Inflation beziehungsweise Geldentwertung in wirtschaftspolitischen Debatten einnimmt. Mit drohender Inflation begründen konservative und neoliberale PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und JournalistInnen nicht nur ihre Kritik an der vorsichtig expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, sondern auch die Austeritätspolitik als solche: Steigende Staatsschulden, so behaupten sie, führten notwendig zur Entwertung „unseres“ Geldes. Mark Schieritz zeigt in seinem kleinen Bändchen in knappen Worten, aber in weitgehend überzeugender Weise, dass solche Behauptungen jeglicher empirischer und ökonomischer Begründbarkeit entbehren.
Er tut dies, indem er sich sowohl an politisch Interessierte als auch an verunsicherte Geld-AnlegerInnen wendet. Zwar möchte er keine Anlageberatung im eigentlichen Sinne leisten, wohl aber nützliches volkswirtschaftliches Wissen für AnlegerInnen einführend aufbereiten. Was auf den ersten Blick eine überraschende Zielgruppen-Formation zu sein scheint, gewinnt gerade angesichts der derzeit von neoliberalen Verbänden und Medien vorangetriebenen Diskussion um die vermeintliche oder tatsächliche Entwertung von Sparvermögen Relevanz und Sinnhaftigkeit. Immer schon nämlich diente die Angst um den Wert der eigenen Lebensversicherungen und der eigenen Sparbriefe als Einfallstor für reaktionäres Denken. Und gerade deshalb stehen das aktuell niedrige Zinsniveau und die – wirtschaftlich angemessene – Ausweitung der Zentralbank-Geldmenge derzeit im Fokus neoliberaler KritikerInnen.
Schieritz will hier einen Kontrapunkt setzen, indem er eine ganze Reihe Vorurteile widerlegt und zahlreiche Aufgeregtheiten nüchtern seziert. Dazu widmet er einen guten Teil des Buches grundlegenden historischen Ausführungen. Zu Recht. Bis heute nämlich werden die Hyperinflation der 1920er Jahre sowie die Währungsreform nach dem Zweiten Weltkrieg als Begründung für die in Deutschland besonders ausgeprägte Inflationsangst herangezogen. Schieritz zeigt, dass die damit verbundenen Annahmen und Behauptungen aber weit überwiegend keine reale Grundlage haben. Weder lassen sich die Wahlerfolge der NSDAP mit der Hyperinflation von 1923 begründen, noch hat diese vorwiegend KleinsparerInnen um ihr Vermögen gebracht. Auch war keineswegs Inflation verantwortlich für die Verelendung der Massen am Ende der Weimarer Republik. Ganz im Gegenteil war es die durch rigide Austeritätspolitik verschärfte Krise der späten 1920er und frühen 1930er Jahre, die zu drastischen sozialen und wirtschaftlichen Verheerungen führte. Nicht Inflation, sondern Deflation war damals das Problem: Die Preise sanken.
In der Tat sind sinkende Preise ein weitaus größeres ökonomisches Problem als steigende. Schieritz legt dar, dass und weshalb eine gewisse Geldentwertung volkswirtschaftlich durchaus richtig und angemessen ist. Er zeigt dies zum einen, indem er die negativen Folgen von Deflation beschreibt. Zum anderen aber geht er argumentativ über diese letztlich doch recht spezielle Fragestellung hinaus: Er liefert eine zwar kurze und einführende, thematisch aber doch umfassende Beschreibung dessen, was Geld in einer kapitalistischen Volkswirtschaft ausmacht, welche Funktion es hat und wie es entsteht. Die Angst vor Geldentwertung, so die dahinterstehende Annahme, lässt sich durch Kenntnisse über das Geldsystem am ehesten verringern. Einen wesentlichen Teil dieser grundlegenden Überlegungen zu Funktion und Rolle von Geld in modernen Volkswirtschaften bilden Ausführungen zu Funktion und Rolle von Schulden. Auch sie zielen darauf ab, die aktuellen Debatten um vermeintlich zu hohe Staatsschulden durch mehr Nüchternheit zu versachlichen. Schieritz macht deutlich: Nicht die von reaktionärer Seite immer wieder genannte „Druckerpresse“ oder die Staatsverschuldung war und ist das Problem, sondern die angesichts von Austerität und sozialer Verelendung derzeit am Boden liegende Wirtschaft in Europa.
Führt man sich vor Augen, dass dieses Büchlein lediglich 141 Seiten umfasst, die zudem nur wenige Zentimeter breit und in großer Schrift bedruckt sind, so erstaunt die thematische Breite, in der Schieritz seine Argumentation darlegt. Es handelt sich um weitaus mehr als um ein Buch nur über Inflation. Gerade deshalb würde man sich an der einen oder anderen Stelle zusätzliche Informationen und Erläuterungen wünschen – der Komplexität des Themas wäre dies durchaus angemessen. Doch scheint dieses Manko verzeihlich. Aus linker Sicht weniger verzeihlich ist hingegen, dass Schieritz an mehreren Stellen doch Anleihe bei neoliberalem Denken nimmt. So fordert er beispielsweise zum Ausgleich der Außenhandelssaldi im Euroraum eine stärkere Lohnzurückhaltung in Südeuropa, wenn auch ergänzt um die richtige Forderung nach überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen in Deutschland. Er widerspricht damit seiner eigenen, berechtigten Warnung vor deflationären Tendenzen. Er bereitet damit zugleich einer Austeritätspolitik argumentativ den Boden, gegen die er doch eigentlich anschreibt: Denn der Zusammenbruch der Binnennachfrage, eben gerade auch der Nachfrage durch die Beschäftigten, ist derzeit in den südeuropäischen Ländern das Hauptproblem und im Kern die Ursache der Wirtschaftskrise. An solchen Textstellen wäre eine stringentere Argumentation wünschenswert gewesen.
Dem gerade auch politischen Wert des Buches tut dies allerdings keinen Abbruch: Gerade angesichts der Hetze, die derzeit von neoliberaler Seite gegen eine expansivere Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik läuft, ist Schieritz‘ Veröffentlichung nachdrücklich zu begrüßen. Da die aktuelle neoliberale Hetze geschickt am Alltagswissen und an alltäglichen Ängsten der Menschen ansetzt, bleibt zu hoffen, dass das Buch entsprechend große Verbreitung findet. Genau in diesem Sinne ist es richtig, dass sich Schieritz explizit an verunsicherte Geld-AnlegerInnen wendet, dass er eine äußerst einfache Sprache wählt, dass er sich auf eine allgemeine Einführung in das Thema beschränkt und dass er einen Verlag gewählt hat, mit dem er ein Massenpublikum erreicht. Es gilt schließlich, all jenen das Handwerk zu legen, die von der Inflationsangst profitieren und die Schieritz am Ende seines Buches auch explizit seziert: den Banken, bestimmten PolitikerInnen und Parteien, vermeintlichen ExpertInnen und konservativ-liberalen Medien.
Die Inflationslüge. Wie uns die Angst ums Geld ruiniert und wer daran verdient.
Droemer Knaur, München.
ISBN: 978-3-426-78633-8.
144 Seiten. 7,00 Euro.