Vor dem Angriff
- Buchautor_innen
- Jörg Kronauer
- Buchtitel
- Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg
- Buchuntertitel
- Russland, China und der Westen
Das kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges erschienene Buch kristallisiert detailliert die Konfliktlage und die Konfliktgeschichte heraus.
Jörg Kronauers neues Buch „Der Aufmarsch“ spricht aus einer neuen Gegenwart zu uns. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist ein neuer kriegerischer Konflikt von weltpolitischem Ausmaß ausgebrochen. Der seit dem 24. Februar 2022 geführte Angriff Russlands auf die Ukraine ist Ausdruck eines politischen Machtstrebens und Rückeroberungskurses, schreibt Kronauer. Der Journalist für Außenpolitik und Redakteur bei german-foreign-policy.com legt eine „Vorgeschichte zum Krieg“ als Resultat der Machtkämpfe zwischen dem Westen und Russland vor. Doch auch die seit einigen Jahren wieder verstärkte Phase von Spannungen zwischen den USA und China kommen zur Sprache. Das Buch ist keine spezifische Untersuchung der (Vor-)Geschichte des Ukrainekrieges, sondern war schon zuvor als Publikation zur westlichen Außenpolitik geplant. Einige wenige Kapitel des Buches wurden infolge des russischen Angriffes hinzugefügt, ehe es dann im April erschien.
Natürlich liegt bei der Lektüre über allem der Krieg als neue Großwetterlage. Das gibt dem Buch eine enorme Aktualität. Man hätte es sich anders gewünscht. Und es wird besonders klar, dass man das aufkommende Unwetter nicht hat kommen sehen. Ein Eingeständnis, das sich auch die Linke machen muss.
Kanonenbootdiplomatie
Die Gründe für den Ukrainekrieg wuchsen nach Kronauers Einschätzung nicht zuletzt unter der Beteiligung des Westens und des NATO-Bündnisses heran. Gerade die Rolle der NATO im Ukrainekrieg ist infolge der russischen Mobilmachung wieder stark diskutiert worden. Mit der fortschreitenden Osterweiterung der NATO – oder zumindest ihrer steten Androhung – sah sich Russland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Der Autor zeigt anhand einer Reihe von militärischen Übungen und Manövern von NATO-Ländern, wie sich die nationalen und NATO-Militärs in den letzten Jahren auf kriegerische Handlungen gerade auch im Osten Europas vorbereiteten. Das Aufmarschieren und die Stationierung von Waffen ist Ausdruck einer schwer zu bremsenden Aufrüstung im Ringen um geopolitische Vormacht. Die NATO macht auf diese Weise Herrschaftsansprüche geltend. Auch kurzweilige Eskalationen, Kampfesdrohungen und außenpolitische Krisen werden dafür in Kauf genommen.
Zugleich ist Russland nach den 1990er Jahren wieder zu neuen Kräften und nationalem Selbstbewusstsein gekommen. Es wusste sich mehr und mehr auf der globalen Politikbühne zu verteidigen und eigene Ansprüche zu deklarieren, die dem Westen ein Dorn im Auge sind und ihm wirtschaftliche Nachteile bringen. Schon bald nach dem Niedergang des Realsozialismus stellte die Russische Föderation für den Westen eine Konkurrentin dar, von der man zugleich aber abhängig war. Die Geschichte der Beziehungen des Westens und der NATO zu Russland birgt bereits eine Menge von Konfrontationen in sich. Dem heutigen Kanonendonner ging schon der Knall der Auseinandersetzung um die separatistischen Gebiete Luhansk und Donezk und der Lärm um die zunehmende Aufrüstung der Ukraine durch den Westen voraus. Die „Vorgeschichte zum Krieg“ war geprägt von einem polternden Drohen, das viele nicht hören wollten. Das macht Jörg Kronauer in seinem recht kursorisch verbleibenden Überblick allemal deutlich. Gleichzeitig handelt „Der Aufmarsch“ von mehreren Konfliktherden des Westens. Es ist also kein Buch, dass sich ausschließlich dem Ukraine-Krieg widmet.
Kein Ende der Geschichte
Während Russland jüngst von der NATO als unmittelbare und größte Bedrohung eingestuft wurde, gibt es noch ein anderes Land, um das sich die Strategiepapiere der NATO verstärkt drehen: Die Volksrepublik China wird zwar nicht als kriegerische Aggressorin, aber dennoch als Bedrohung für den Staatenbund angesehen. Kronauer legt auch zu diesem von der NATO verstärkt geführten Machtkampf ein Kapitel an und prognostiziert mit China als neue Achsenmacht und als Partner Russlands die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges.
Besonders seit dem Jahrtausendwechsel baut China seine politische und vor allem ökonomische Macht stark aus. Kronauer führt eine Analyse der Gravitationszentren des Weltmarktes an und macht trotz dieser nur schematischen Darstellung auf eine interessante Entwicklung im machtpolitischen Weltgefüge aufmerksam: Die chinesische Wirtschaft wächst ungebrochen und könnte schon in zehn Jahren auf dem Stand der US-amerikanischen Wirtschaftsleistung sein. Der ökonomische Gravitationspunkt rücke vom Westen immer mehr in den Osten.
Der hegemoniale Kampf des Westens gegen China wird vor allem auf dem Weltmarkt und in vermeintlichen Schlüsselsektoren geführt. 2018 initiierte die Trump-Administration einen Handels- und Zollstreit unter anderem mit dem chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei, um chinesische Warenflüsse zu unterbrechen und den eigenen Absatz zu sichern. Es folgten Gegenzölle. Ob derlei „Strafzollschlachten“ (S. 92) erfolgsversprechend sind, um den Bedeutungsverlust am Weltmarkt umzukehren, ist fraglich. Im Fall der Ausfuhrsperre von Halbleitern nach China zahlten am Ende US-amerikanische Unternehmen, Arbeiter*innen und Konsument*innen einen Großteil der Kosten und verlören wichtige Absatzmärkte. In US-Wirtschaftskreisen wird sogar über ein „Decoupling“, was eine vollständige Trennung der Wirtschaftssphären zur Folge hätte, debattiert. Die Zeiten der Handelskonflikte zwischen dem Westen und China gehören mitnichten der Geschichte an.
(K)Ein Gespenst geht um
Gibt es also eine Rückkehr des Blockdenkens? Geht ein Gespenst um, das nie weg war? Die Logik nationalstaatlichen Denkens und Wirtschaftens äußerte sich schon immer im Wettkampf um Vormachtstellungen, bereits bevor es zu einer kriegerischen Zuspitzung kommt. Konfrontationen zwischen Staaten und Blöcken sind Kronauer zufolge im Politikgeschäft an der Tagesordnung. Das Wort Imperialismus ist dabei jedoch immer mehr Hinweis als eine Antwort. Es lässt sich fragen, ob sich an der auch in der Linken geführten Kriegsdebatte etwas geändert hat oder ob gerade ihr antiimperialistischer Flügel einen Wiederkäuermagen besitzt. Kritik muss sich der Antiimperialismus nämlich einbringen, wenn er das Urteil über einen sich aufbauenden Konflikt schon längst gefällt hat. Man geht so über die konkrete und zugleich noch nebulöse Lage hinweg.
Die umfassenden Gründe für den nun militärisch geführten Konflikt zu schmälern, ist einer der Kapitalfehler in der tieferen Analyse dieses (selbstverständlich imperialistischen) Krieges, den Kronauer nicht begehen möchte. Er unternimmt mit seinem Buch als einer der Ersten im deutschsprachigen Raum den Versuch einer Einordnung. Einige Aspekte des Krieges gehen ihm dabei allerdings unter. Dem Autor muss allerdings zugutegehalten werden, dass sich erst jetzt, vier Monate nach Kriegsbeginn, ein detaillierteres Bild der Konfliktlage und auch der Konfliktgeschichte herauskristallisiert.
Doch stellt sich am Ende eine gewisse Hilflosigkeit beim Lesen ein. Ein Gefühl, das die Linke gerne zu vermeiden sucht. Im herrschenden Kriegsgeschehen, wie auch in jeder Blockkonfrontation, ist der Großteil der Gesellschaft und mit ihr die Linke stets auf den Zuschauerposten verwiesen. Perspektiven der Abwendung von Kriegen oder gar Handlungsmacht fehlen ihr im kriegspolitischen Diskurs völlig. Auch in Kronauers Buch ist und bleibt Außenpolitik eine Frage des Staates.
Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg. Russland, China und der Westen.
Papyrossa Verlag,Köln.
ISBN: 978-3-89438-778-5.
207 Seiten. 14,90 Euro.