Von der Fabrik zum Jobcenter
- Buchautor_innen
- Für eine linke Strömung (FelS)
- Buchtitel
- „Macht mit, macht‘s nach, macht‘s besser!”
- Buchuntertitel
- Militante Untersuchung am Jobcenter Neukölln. Broschüre
Eine Militante Untersuchung von FelS (Für eine Linke Strömung) am Jobcenter Neukölln.
Bei der November 2011 erschienenen Broschüre handelt es sich um einen Werkzeugkasten zur Untersuchung des modernen Klassenkampfs. Methodisch schließt FelS damit an die Militante Untersuchung mit dem Gleich-zu-Gleich Gespräch und das Community Organizing an.
Die Studie ist zunächst eine Einführung in eine neue politische Praxis: die der Militanten Untersuchung sowie des Community Organizing. Die Militante Untersuchung entstammt dem Operaismus, der in Italien in den 1960er Jahre aufkam. Er beschäftigt sich mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeiter_innen, vorwiegend in den Fabriken von FIAT und Olivetti. Ziel dieser Untersuchungen waren die Widerstandsformen der Arbeiter_innen.
Ergänzend dazu wird in der Jobcenter-Studie das Konzept des Community Organizing von Saul Alinsky, das in den 40er Jahren in den USA entwickelt wurde, herangezogen.
Diese beiden Ansätze waren Teil der Befragung am Jobcenter Neukölln. Aus ihnen ergibt sich das Gleich-zu-Gleich Gespräch (gegenseitige Befragung von selbst Betroffenen), welches dazu dienen soll, zunächst die als ungerecht empfundenen Zustände der Erwerbslosen zu benennen, damit in einem zweiten Schritt die Hoffnung auf Veränderung gestärkt werden kann. In einem weiteren Prozess soll dadurch Protest oder eine gemeinsame Aktionsform erwachsen können. Die Broschüre von FelS soll als Werkzeugkasten dienen und die Motivation für weitere Untersuchungen bei anderen Interessent_innen wecken. Ihr können sowohl Anleitungen des Gleich-zu-Gleich Gesprächs, als auch Ideen geeigneter Orte des modernen Klassenkampfs entnommen werden. Das Jobcenter Neukölln wurde als Untersuchungsgegenstand gewählt, weil es der Ort ist, an dem soziale Unsicherheit und Entrechtung zusammen kommen und für viele spürbar werden.
Die Broschüre besteht aus sechs Kapiteln. Beginnend mit Hintergrundinformationen über die angewendete Praxis, wird der_die Leser_in zu den Gesprächen und deren Auswertung geführt. Leider erweckt die Auswertung den Anschein, dass die Probleme beim Jobcenter bereits vor der Untersuchung bekannt waren und der Fragebogen zu keinen neuen Erkenntnissen führte. So werden Mehraufwandsentschädigungen (MAE) als sinnlos empfunden, da sie keine Aussicht auf eine Stelle bieten. Auch wird die späte Geldüberweisung des Jobcenters für die Miete als Problem beklagt, da dies bereits zu Wohnungsverslust führte. Die langen Wartezeiten werden als Schikane empfunden, weil sie den Beftroffenen signalisieren sollen, dass Erwerbslose sowieso nichts Besseres zu tun hätten. Diese Vorannahmen verwundern nicht, wenn der_die Leser_in das Kapitel über die Innenansicht am Jobcenter Neukölln liest, in dem es genau um die Massenabfertigung der Antragsteller_innen und die Überforderung der Sachbearbeiter_innen geht. Im Anschluss daran folgt eine theoretische Ausführung der Klassenzusammensetzung im Individualkapitalismus und der darauf aufbauenden Idee des „Zusammen dagegen!“ – eine Form des Widerstands gegen Stigmatisierungsversuche des Jobcenters Neukölln. Die Studie fasst den Klassenbegriff relativ breit, damit er der individuellen Behandlung der Antrag_stellerinnen am Jobcenter entgegen wirkt. Laut der Leitung des Jobcenters Neukölln gibt es einen Verhältnisschlüssel, der 150-170 Antragsteller_innen pro Sachbearbeiter_in festlegt. Tatsächlich liegt die Quote aber bei 400 Erwerbslosen pro Mitarbeiter_in. (S. 48) Daraus lässt sich die Strategie erklären, dass Hartz IV-Empfänger¬_innen als „Kunden“ behandelt werden, sodass sich die Menschen als Bittsteller_innen und nicht als Menschen mit sozialen Rechten verstehen.
„Die Methode der Militanten Untersuchung entwickelt sich dabei nicht zufällig gemeinsam mit dem Konzept der Klassenzusammensetzung. Bei einer solchen eingreifenden Untersuchung geht es darum, die derzeitige Situation zu analysieren und gleichzeitig zum Aufbau einer politischen Klassenzusammensatzung beizutragen, zur Organisierung und Sichtbarmachung eines kämpferischen Subjekts.“ (S. 37)
Im letzten Kapitel folgen schließlich noch Interventionsmöglichkeiten, die bereits zur Anwendung kamen. Die Autor_innen stellen fest, dass es sich als nicht ganz einfach erweist, gemeinsame Kämpfe von Erwerbslosen zu formieren. So haben Industriearbeiter_innen beispielsweise die Möglichkeit, zu streiken und somit einen materiellen Schaden zu verursachen. Erwerbslose haben relativ wenig Druckmittel in der Hand. „Sie können lediglich Jobcenter besetzen oder andere Arme dazu aufrufen, massenhaft ihre ‚verdeckte Armut‘ offen zu legen und öffentliche Leistungen zu beantragen, um auf diese Weise Sozialbürokratie zu überfordern.“ (S. 97)
Es lässt sich erkennen, dass die Broschüre aus einer Studie hervorgegangen ist, die aus vielen einzelnen Teilen besteht und in unterschiedlichen Phasen entstanden ist, die von verschiedenen Menschen durchgeführt wurde. So wurde jedes Kapitel mit einer eigenen Einleitung versehen, in dem die Vorgehensweise jedesmal neu beschrieben wird. Schade ist, dass dadurch die Themen relativ vereinzelt nebeneinander stehen, was hoffentlich wiederum anregt, weitere Untersuchungen anzustellen und neue Wege auszuprobieren.
Die Broschüre lebt andererseits auch von ihren unterschiedlichen stilistischen Mitteln. Dadurch lässt sich einerseits der Aufbau einer Militanten Untersuchung nachvollziehen, andererseits bieten die Interviews mit Aktivist_innen einen Einblick in die persönliche Erfahrung der gesprächsführenden Personen. Des Weiteren dienen die Illustrationen der besseren Übersicht zum Aufbau des Jobcenters Neukölln. Dem Anhang lassen sich gut vorbereitete Arbeitsmaterialien für weitere Ansätze entnehmen. In diesem Sinne: ein guter Ansporn um es nach zu machen!
**
Diese Broschüre zum Runterladen gibts umsonst hier
„Macht mit, macht‘s nach, macht‘s besser!”. Militante Untersuchung am Jobcenter Neukölln. Broschüre.
132 Seiten.