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Vom lokalen Aufstand zum internationalen Krieg

Buchautor_innen
Karin Leukefeld
Buchtitel
Flächenbrand
Buchuntertitel
Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat
Das Buch setzt sich mit den Hintergründen des Krieges in Syrien auseinander und geht dabei auf die Rolle unterschiedlicher Akteure innerhalb des Konfliktes ein.

Seit dem Jahr 2011 herrscht Krieg in Syrien: Über 220.000 Menschen sind getöten worden, 11,6 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Das Land liegt in Schutt und Asche. Ein souveränes Syrien gibt es im Grunde nicht mehr, verschiedene Akteure herrschen über unterschiedliche Teile des Landes. Gleichzeitig werden Teile des Landes von einer internationalen Koalition im Rahmen des Kampfes gegen den IS bombardiert. Die Journalistin Karin Leukefeld beschäftigt sich in ihrem gerade erschienen Buch „Flächenbrand“ mit den Hintergründen dieses Krieges.

Das größte Verdienst von Leukefelds Buch ist es, aufzuzeigen, dass dieser Krieg eigentlich kein Bürgerkrieg ist, sondern ein Krieg, in dem fast alle Mächte der Region mit ihren jeweiligen Interessen beteiligt sind. In diesem Krieg werden Interessen und Interessensgegensätze auf internationalem Maßstab ausgetragen. Dabei verliert Leukefeld aber keineswegs den Blick für die hausgemachten Probleme Syriens, die überhaupt erst zum Volksaufstand geführt haben, der dann im Laufe der Zeit mit der Intervention der regionalen und internationalen Mächte zweckentfremdet wurde.

Das Buch unterteilt sich in drei große Abschnitte: Der erste Teil gibt einen knappen aber präzisen Überblick über die Entwicklung des Krieges in Syrien von 2011 bis 2015 und stellt die nationale und internationale Ebene des Krieges dar. Der zweite Teil ist die große Stärke des Buches: Er untersucht en detail die unterschiedlichen Interessenslagen und Eingriffe der bestimmenden Regionalmächte des Nahen Osten in Syrien. Wer wissen möchte, was die zentralen Thesen der Autorin zum Syrienkrieg sind, der sollte sich den letzten Teil zu Gemüte führen. In ihm werden die zentralen Argumente der Autorin knapp und systematisch dargestellt.

Vom Aufstand zum Krieg

Der massenhafte Aufstand gegen Bashar al-Assad begann als Aufstand gegen staatliche Willkür in der Al-Omari-Moschee in Daraa im März 2011. Leukefeld arbeitet heraus, warum es in Syrien zum Entflammen von Massenprotesten nur mehr eines Funkens bedurfte: Die neoliberale Öffnung des Landes unter Assad verursachte massive Armut, wegen anhaltender Dürren kam es zu einer massiven Landflucht, der zunehmend nicht mehr funktionierende Sozialstaat wurde durch islamische Wohlfahrtsorganisationen ersetzt und Korruption, Vetternwirtschaft sowie staatliche Willkür sorgten für großen Unmut in der Bevölkerung. Es formte sich die paramilitärische Freie Syrische Armee (FSA), die sehr brutal gegen Regierungskräfte und Zivilist_innen vorging und sich von Anfang an den Sturz von Assad zum Ziel setzte. Leukefeld weist darauf hin, dass in der massiven Ausweitung und Bewaffnung der Proteste auch die Muslimbrüder stark involviert waren.

Mit Waffen ausgerüstet und trainiert wurden die bewaffneten Gruppen dabei vom Westen und anderen Regionalmächten: Leukefeld rekurriert zum Beispiel auf Berichte von des Medienkonzerns McClatchy und der New York Times, die nachweisen, dass Jordanien als Ausbildungslager für die bewaffnete Opposition unter Leitung des britischen Geheimdienstes MI6 und des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA diente und dass es vor allem Katar, Saudi-Arabien und Jordanien waren, die die Waffen für die Oppositionellen kauften und über Ankara nach Syrien einschleusten.

Aber nicht nur mit Waffen unterstützten der Westen und andere Regionalmächte die Aufständischen, auch politisch griffen sie zugunsten der bewaffneten Gruppen ein: Das Projekt The Day After entwarf eine Perspektive für Syrien ohne Assad; der Syrische Nationalrat (SNC), später Nationale Koalition (Etilaf), wurde von der Exilopposition mit Sitz in Istanbul gegründet, lehnte jeden Dialog mit Assad ab und wurde von den „Freunden Syriens“ – ein Zusammenschluss von westlichen Staaten, die abseits der UN die bewaffnete Opposition unterstützten – als legitime Vertretung des syrischen Volkes erklärt. Auch die falsche und teils vom Westen massiv unterstützte „oppositionelle“ Medienpropaganda stellt Leukefeld anhand der Geschichte des angeblich lesbischen Mädchens Amina Abdullah Araf aus Damaskus dar, die sich als männlicher Blogger entpuppte. Außerdem geht sie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ein, die ihren Sitz in London hat und von der Europäischen Kommission finanziert wird.

Das Ironische an der massiven westlichen Intervention ist, dass sich Syrien unter Assad eigentlich dem Westen annäherte und vor allem die Wirtschaft für die EU und den restlichen Westen öffnete. Gerade diese wirtschaftlichen Umgestaltungen waren es, die einen wesentlichen Grund für den Volksaufstand darstellten.

Während jedoch das syrische Regime im Sommer 2012 kurz vor dem Zusammenbruch stand – mehrere Bombenanschläge trafen zentrale Staatsapparate –, konnte sich das Regime unter anderem mit Hilfe und Unterstützung von Russland, Iran und der Hizbullah weiterhin an der Macht halten. Ein umstrittener Giftgasanschlag im Sommer 2013 – Leukefeld diskutiert umfassend mehrere Berichte zu Ursachen und Urhebern des Anschlags, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von der syrischen Regierung ausging – führte fast zu einer umfassenden Militärinvasion der USA, die aber im letzten Moment abgeblasen wurde. Kaum konsolidierte sich das syrische Regime im Jahr 2014, trat mit dem ISIS eine Kraft auf den Plan, die den Krieg weiter verschärfte, Assad maßgeblich schwächte, ihn zum Rückzug auf bestimmte Gebiete zwang sowie zu einem massiven „Anti-Terror-Kampf“ des Westens führte. Damit wurde de facto die Souveränität Syriens begraben.

Der Kampf der Interessen in Syrien

Für den Syrienkrieg von großer Bedeutung ist die Stellung der Türkei. Interessanterweise pflegte die Türkei, insbesondere unter der AKP, ein sehr intimes Verhältnis zu Syrien: Alte Feindschaften wurden abgebaut, neue politische und vor allem Handelsbeziehungen traten an deren Stellen. Vor allem die Türkei profitierte in ökonomischer Hinsicht von diesen neuen Beziehungen. Im Zuge der zunehmend wichtiger werdenden Rolle der Türkei im Nahen Osten vermittelte die Türkei 2007/08 sogar zwischen Syrien und Israel bezüglich der Golanhöhen. Diese positiven Beziehungen änderten sich radikal, als der Aufstand 2011 in Syrien begann: Die Türkei wurde zum politischen Sitz der Exilopposition, die AKP forderte mehrmals den Rücktritt Assads beziehungsweise Zugeständnisse an die Muslimbrüder in Syrien; die Türkei fungierte aber gleichzeitig auch als Rekrutierungslager für die bewaffnete Opposition und lieferte Waffen an sie, was aufflog und für Skandale sorgte. Leukefeld hebt hier hervor, dass es der AKP darum geht, in neoosmanischer Manier zu einer bedeutenden Großmacht zu werden, gleichzeitig jedoch getreuer Verbündeter der USA zu bleiben, um weiterhin Unterstützung zu erhalten.

Leukefeld dokumentiert, wie Israel mehrmals im Sinne der Aufständischen per Luftwaffe oder Artillerie in den Krieg eingriff und wie es, seit der Übernahme der Golanhöhen seitens der al-Nusra Front, zu einem logistischen Hinterland für die islamistischen Krieger wurde. Die Motive Israels liegen Leukefeld zufolge darin, Syrien zu schwächen, um den Golan nicht wieder zurückgeben zu müssen.

Vor allem am Beispiel vom Libanon sieht man, wie der Syrienkrieg auch benachbarte Länder berührt. Die politische Krise des Landes im Jahre 2011 wurde verschärft durch Spaltung der politischen Lager in Befürworter und Gegner des Syrienkrieges, wobei sich die Hisbollah als größter Gegner des Syrienkrieges vortat, die Zukunftsbewegung um Saad Hariri hingegen als Befürworter. Ab 2011 brachen auch im Libanon bewaffnete Kämpfe zwischen Befürwortern und Gegnern des Syrienkrieges aus, bewaffnete Gruppe in Syrien versorgten sich über den Libanon, teils ungeklärte Bombenanschläge erschütterten das Land. Als es 2013 im libanesisch-syrischen Grenzgebiet (Al-Qusair) und auch innerhalb des Libanons (Arsal) zu Großoffensiven oder Angriffen der bewaffneten syrischen Opposition kam, intervenierte die Hisbollah militärisch auf Seiten der syrischen Regierung, woraufhin die Kämpfe in Tripoli sowie Attentate und Anschläge im ganzen Land zunahmen.

Leukefeld resümiert die Interessen- und Bündniskonstellationen wie folgt: Auf der einen Seite stehen die USA und Europa, die sich zunehmend um die knapper werdenden Ressourcen auf der Welt kümmern müssen. Syrien ist hier insbesondere wegen möglicher Transportwege und Pipelines für Gas und Öl wichtig und wird zum Ziel, weil es sich nicht ausschließlich den Interessen des Westens fügt. Unter Führung dieser beiden Großmächte beteiligen sich unterschiedliche Regionalmächte an der Intervention in Syrien.

Leukefeld hebt hervor, dass die USA spätestens seit 2006 eine offen deklarierte Politik des „konstruktiven Chaos“ zwecks Neuordnung des Nahen Ostens verfolgen, dementsprechend ein „sunnitscher Keil“ den sogenannten „schiitischen Machtbogen“ (Hisbollah, Syrien, Iran) zertrümmern solle. Sie versteht den schiitischen Machtbogen aber weniger religiös und mehr machtpolitisch, nämlich als „eine von regionalen Interessen geleitete Allianz gegen (pro-)westliche Einmischung und Dominanz in der Region“ (S. 193). Nicht von der Hand zu weisen sei aber, dass sich der Konflikt dennoch zunehmend konfessionalisiert.

Bei der Darstellung der jeweiligen Bündniskonstellationen unterschlägt Leukefeld nicht, dass auch die jeweiligen Bündnisse von unterschiedlichen Interessen getragen werden sowie interne Differenzen und Konflikte kennen. So können sich die arabischen Staaten, die sich am Syrienkrieg beteiligen, nicht über die Rolle der Muslimbrüder im Aufstand einigen. Außerdem sind die USA seit 2014 nicht mehr allzu sehr davon begeistert, dass die eigenen Verbündeten die Jihadisten weiterhin unterstützen, während sich die USA mittlerweile auf einen Anti-Terror-Kampf konzentrieren.

Ein detailreiches Buch mit einigen wenigen Mängeln

Leukefelds Buch ist jedem und jeder ans Herz zu legen, der/die an einer umfassenden Darstellung der regionalen und internationalen Interessen und Beteiligung im Syrienkrieg gelegen ist. Leukefeld verknüpft diese mit einem kurzen aber präzisen Überblick über den bisherigen Verlauf des Syrienkriegs, in der sie die Hauptgeschehnisse, Auseinandersetzungen, Interventionen und kritischen Ereignisse sowie Diskussion präsentiert.

Streckenweise fällt Leukefeld allerdings in eine unkritische Sichtweise bezüglich Assad zurück, etwa, wenn sie hervorhebt, dass Syrien zu einem Knotenpunkt im Nahen Osten werden wollte, das die umliegenden Staaten zum wirtschaftlichen und politischen Nutzen aller verbinden wollte. Das trifft nicht auf einen Großteil der syrischen Bevölkerung zu, die unter Assads neoliberaler Öffnung zu leiden hat. Leukefeld hebt zudem die Reformansätze von Assad als Reaktion auf die Aufstände hervor und lässt dabei die äußerst brutale Vorgehensweise der Regierungskräfte auch gegen Zivilisten meist unerwähnt.

Ein riesiger Mangel liegt in der schlampigen Form: ein Literaturverzeichnis fehlt vollständig, Fußnoten werden nicht verwendet, Verweise, Zitate und Quellen im Allgemeinen werden meist gar nicht oder nur sehr schlecht in Klammern nachgewiesen. Das ist umso schlimmer, da es sich gerade was die Quellen angeht, um ein sehr sensibles Thema handelt. Und es ist bedauerlich, weil dadurch die sehr gut gestalteten Inhalte und Argumente an Kraft und Reproduzierbarkeit einbüßen.

Karin Leukefeld 2015:
Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat.
Papyrossa, Köln.
ISBN: 978-3-89438-577-4.
230 Seiten. 14,90 Euro.
Zitathinweis: Alp Kayserilioğlu: Vom lokalen Aufstand zum internationalen Krieg. Erschienen in: Antifa anders machen!. 37/ 2015. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1297. Abgerufen am: 18. 04. 2024 16:24.

Zum Buch
Karin Leukefeld 2015:
Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat.
Papyrossa, Köln.
ISBN: 978-3-89438-577-4.
230 Seiten. 14,90 Euro.