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Tappen durchs Dunkel

Buchautor_innen
Siegfried Jacobsohn/ Kurt Tucholsky/ Carl von Ossietzky (Hg.)
Buchtitel
Die Weltbühne
Buchuntertitel
Vollständiger Nachdruck der Ausgaben 1918 bis 1933: 16 Bände

Das Jahr 1932 in der Weltbühne und der aufkommende Geist des Faschismus.

1800 Seiten durchwandert. 1800 Seiten des letzten vollständigen Bandes der WELTBÜHNE. Mit zwei Fragen im Hinterkopf: Einmal mit der, wie sich das Woche für Woche abzeichnete, ansah, was wir aus der Geschichte kennen. Was sich aber den damals Schreibenden und Agierenden Woche für Woche immer neu und schrecklich erst erschloss. Zugleich mit der Freude, über etwas Erstaunliches und Schreckliches schreiben zu können - die Angst. Wann werden wir dran sein? Es fallen Woche für Woche die Schläge - mit der Kündigung eines Chefredakteurs in Berlin fängt es an - mit einer Dauer-Rubrik im zweiten Halbband von Weltbühne hört es auf. In der "Wochenschau des Rückschritts" findet sich Woche für Woche die Zahl der verbotenen Zeitungen und der überfallartig vollzogenen Verhaftungen - wohlgemerkt aus der Zeit Papens und Schleichers, lang vor Hitlers Schlägen. Eine Rubrik "Wochenschau des Fortschritts" ist aus Gründen der Komplettheit angefügt. Meist bleibt sie vollkommen leer. Wie fand die Truppe ihren Weg, nachdem ab Mitte 1932 Ossietzky seine Gefängnishaft antreten musste wegen "Landesverrats"?

Die zweite Frage: Es hatten sich auch ohne Tucholsky und Ossietzky in der Weltbühne die durchdringendsten Geister der Zeit zusammengefunden. Ein großer Teil von ihnen - Jahrgang 1902 bis 1905 - war gerade um dreißig, als das Experiment zu Ende ging. Sie schrieben unentwegt und kenntnisreich. Und griffen an, wo sie konnten. Wer wäre nicht gerne dabei gewesen bei diesen Leuten, die ihren Feinden über der Untat kein Gras wachsen ließen. Und doch: ihr Werk ist gescheitert. Sie haben den Faschismus um keinen Tag aufgehalten. Keine und keiner von denen, die da Büro und Cafés bevölkerten und ihre gedruckte Wochenrate abgaben, sah sich wohl ein Jahr später im KZ, als Flüchtling in einem kalten Zimmer in Paris, Wien oder Barcelona. Von diesem Ende her erhob sich das bis zum gehässigen Vorwurf gesteigerte Bedenken: was haben die falsch gemacht? Hätte sich nicht doch - unter Verzicht auf alle revolutionären Erwartungen - wenigstens der Zustand der Republik unter Brüning aufrechterhalten lassen? Ärmlich, getreten, ängstlich, aber immer noch unter berechenbaren Zuständen. Haben die Schreiber der Weltbühne nicht selbst durch ihre unerbittliche Kritik den Untergang der Republik beschleunigt?

Vorwürfe der Nachgeborenen

Es muss wohl 1962 gewesen sein, als Kurt Rollmann, damals einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten der CDU, bei irgendeiner nur angedachten Ehrung Ossietzkys aufbrüllte, dass die Feinde "unserer" Republik nicht geehrt werden dürften. Sie seien auch heute noch "Feinde". Er hat sicher wenig Ossietzky gelesen. Ich damals auch nicht. Aber als Referendar erschrak ich doch über das leere Geschrei. In Wikipedia findet sich im Artikel über Ossietzky ein ganzer Abschnitt voll solcher Anklagen. Eine stammt vom älter gewordenen Augstein, der zwar auch seine Zeit im Knast abgesessen hatte, nun aber den Staatsmann geben wollte, für den es nur Realitäten zu geben hatte. Realitäten wie Ziegelsteine, zu vermessen, ihre Werfkraft einzuschätzen, nicht weiter zu überprüfen. Er schreibt:

„In ihrem gedanklichen und formalästhetischen Bereich waren die Protagonisten der Weltbühne Persönlichkeiten, dies zweifellos. Aber das verführte sie zu einer überzogenen Persönlichkeitssuche im politischen Raum, wo die Tatsachen bekanntlich nicht aus ätherischem Stoff sind. Ein regierender Sozialdemokrat hatte allemal den Vorzug, als Persönlichkeit glatt durchzufallen. Er hieß dann etwa ‚Füllfederhalterbesitzer Hermann Müller‘.“ (Der Spiegel 42/1978, S. 249)

Also zu hochfahrend nach Persönlichkeiten verlangt, die Herren. Und dabei die plumpe Realität des politischen Geschiebes und Schiebertums übersehen. Schon ernster zu nehmen die Bemerkungen des Troubadours sozialdemokratischer Selbstbescheidung. Professor Wehler erteilt folgende Note:

"Auch radikale publizistische Kritik muß jede Demokratie vertragen können. Aber die Verantwortungsethik demokratischer Journalisten darf sie die Grenze zur prinzipiellen Staatsfeindlichkeit nicht überschreiten lassen. Auf seine Art hat Carl v. Ossietzky mit der Weltbühne jedoch dazu beigetragen, die tief angeschlagene Republik noch weiter zu schwächen, ja durch seine von links aus geübte Kritik, ohne Pardon zu geben, aktiv zu diskreditieren. Von der linken Weltbühne ging, mochte v. Ossietzky auch glauben, stets für die Republik zu kämpfen, schließlich eine tendenziell destruierende Wirkung aus.“ (Wehler 1984)

Hier wird schon ernsthafter gefragt. Immerhin: unter Brüning konnte noch die Weltbühne erscheinen. Wäre es nicht möglich gewesen, sich wenigstens mit dessen Politik zu bescheiden, um zu retten, was zu retten war, wie ärmlich und gering auch immer? Eine nicht leicht wegzupustende Frage. Für alle, die das Ätzende mehr lieben als das Langweilige. Und die Folgen zunächst mal aus dem Bewusstsein schieben. Mit dem Ausdruck "Verantwortungsethik" schließt Wehler an Max Weber an. Sollten Schreibende nicht nur bedenken, was wahr ist, sondern immer auch, wem diese Wahrheit im Augenblick ihrer Veröffentlichung nützt?

Was wollte Brüning?

Im Ernst kann auch ein Wehler nur Anschluss an Brünings Politik von 1930 bis 1932 in Erwägung ziehen. Die nachfolgenden Regierungen Papens und Schleichers gingen nicht an Angriffen von außen zugrunde, sondern an der eigenen Unfähigkeit, sich selbst auf eine erkennbare und berechenbare Linie festzulegen. Am Ende muss die Reichswehr am meisten gestöhnt haben über ihren Papen, dem sie doch selbst aufs Stühlchen geholfen hatte. Brüning dagegen hatte einen langüberlegten, sorgfältig verborgenen Plan, den trotz allem die Schreiber der Weltbühne recht präzise erkannten und herausarbeiteten. In seinen Memoiren, die 1970 erschienen, gibt er rückhaltlos Auskunft. Zum Entsetzen so mancher, die in den dreißiger Jahren noch brav Zentrum gewählt hatten, und - auf Empfehlung Brünings - auch Hindenburg als Präsidenten, obwohl von dem gewiss kein Entgegenkommen gegen linke Bestrebungen zu erwarten war. Brüning also schreibt:

„[Ich beschloss] einen letzten Versuch in allen Konsequenzen mit der Selbstverwaltung zu machen. Länder und Gemeinden sollten ohne weiteres ihre Besoldunganordnungen,ohne Befragung ihrer parlamentarischen Körperschaften, den vorhandenen Mitteln anpassen. Dadurch wären die über die Reichsbesoldungsordnung hinaus erhöhten Gehälter dieser Körperschaften praktisch schon unmöglich gemacht. Darüber hinaus sollten alle Länder und Gemeinden gezwungen sein, ihre Beamten in die der Reichsbesoldungsordnung entsprechenden Gehaltsklassen zurückzustufen. Endlich sollte die staatsrechtliche Möglichkeit geschaffen werden, zur schrittweisen Erleichterung der Steuerlasten der Landwirtschaft in starkem Maße zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit der Verwaltung zurückzukehren, so wie es dem Sinn und Geist einer gesunden Selbstverwaltung entsprach. Ich bekam für diese Notverordnung ohne weiteres die Zustimmung des Reichspräsidenten, konnte aber ihre volle Tragweite und ihre letzte Absicht der Öffentlichkeit nicht enthüllen mit Rücksicht auf den Zusammentritt des Reichstages in der zweiten Oktoberwoche, der erst die Notverordnung passieren lassen sollte, bevor er ihren letzten Zweck erkannt hatte. Nur wenige Pesönlichkeiten der Verwaltung erkannten, dass dieses die einschneidendste staatsrechtliche Änderung seit der Weimarer Verfassung und eine Rückkehr zu den besten Traditionen der preußischen Verwaltung vor hundert Jahren bedeutete." (Brüning 1970, S. 392)

Brüning sieht voraus, dass die Länder von sich aus die neuen Verantwortungen abschütteln wollten. Dann, malt er sich aus, er könne ohne Reichstag, nur mit Hilfe der Länderkammer, "die finanzielle Grundlage der Reichsreform" schaffen:

„Das einzige, was mir dann noch praktisch fehlte zur rechtlichen Stabilisierung gesunder Verhältnisse in politischer und finanzieller Beziehung, war der freiwillige, durch Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages herbeizuführende Verzicht auf die dauernden Misstrauensanträge, die ich ausschließlich auf die Etatsberatungen und auf das erste Auftreten einer neuen Regierung im Reichstag zu beschränken gedachte. Dann war die Stellung des Staatsoberhauptes eine stärkere als in der Bismarckschen Verfassung. Die Kontinuität der Politik auf allen Gebieten war gesichert, und es war eine Frage des richtigen Augenblicks, um an die Stelle des Präsidenten wieder einen Monarchen zu setzen." (Brüning, S. 394)

Zurück ins Kaiserreich!

Das also Wehlers Vorschlag: Lieber die Einschränkungen der offensichtlich rückschrittlichen Politik Brünings hinnehmen, als den Weg ins Nazisystem - wie unwillentlich auch immer – weiterbefördern.

Den Ratschlag befolgen - das hätte als erstes bedeutet, alles Detektivische aufzugeben. Mit Brüning gehen hätte heißen müssen: mit seiner Geheimniskrämerei gehen. Brüning klagt in den Memoiren immer wieder über die Hinterhältigkeit Schleichers. Nur muss er auf andere nicht weniger verschlagen gewirkt haben. Vor allem: Er klagt mit vollem Recht die Abgehobenheit der zwei Kabinette nach ihm an. Wirklich: Papen und Schleicher wollten gar keine Zustimmung vom Reichstag mehr. Sie klammerten sich ausdrücklich an die Autorität des Reichspräsidenten Hindenburg, dem sie freilich jeden Tag erst einblasen mussten, was sie aus ihm als Offenbarung herausmelken wollten. Nur wer hatte Hindenburg - vor allem in den Wahlen 1932 - zum Mythos der republikanischen Unfehlbarkeit erhoben? Niemand anders als Brüning. Ab 1930 regierte er absichtlich über Notverordnungen, auch in Fällen, in denen sich durchaus eine parlamentarische Mehrheit hätte finden lassen. Er selbst war der Erfinder des überparteilichen Regimes, das sich von seiner Basis befreit hatte. Er selbst ist der, der das Fundament der Volkszustimmung mit Füßen trat, während er schon am Baum hing. Der Baum Hindenburg trug keine Früchte. Wer an ihm hing, der war zu Lebzeiten verloren. Die von Wehler gestellte Aufgabe hieß also präzise: die Linke an Brüning heranführen unter Verschweigung von dessen Absichten.

Zusammengehen der gesamten Linken

Damit hätte sich eine Doppelaufgabe gestellt. Die Weltbühne hat ja wirklich die ganze Zeit ihres Bestehens immer wieder ein Zusammengehen von SPD, KPD und SAP gefordert. Mit geringem Erfolg. Ossietzky hatte kurz vor dem Antritt seiner Haft 1932 in dem Artikel "Ein runder Tisch wartet" nach Papens Preußenschlag vom 20.Juli immer wieder gefordert, dass die gesamte Linke sich geschlossen und gemeinsam gegen die Reaktion erhebe. Auch in seiner Gefängniszeit unterließen die jungen Redakteure nichts, um immer wieder von kleinen oder großen Zusammenschlüssen in Kassel oder Frankfurt an der Oder usw. zu berichten. Mit genau so geringem Erfolg.

Nach Wehler unterließen sie vor allem, den Kommunisten und allen sonstigen Linken die revolutionären Phrasen aus dem Schädel zu schlagen. Ein solches Bündnis von links und links hätte unter der gegebenen Machtverhältnissen nur genau so laufen können, wie Gabriel und Nahles es heute fordern:

„Gebt erst einmal die revolutionären Hoffnungen auf! Im Augenblick kann es nur um das Erbärmliche gehen, das Festhalten an der gut rationierten Gesetzlichkeit eines Brüning. Also: Zähne zusammenbeißen, durchhalten, sich - vielleicht für die ganze kommende Lebenszeit mit den Brosamen vom Tisch der Reichen zufriedengeben. Die Organisation der Linksparteien bliebe dabei möglicherweise gewahrt. Als - leider leeres - Gehäuse. Auf alles andere muss Verzicht geleistet werden. Für lange. Vielleicht für immer."

Die SPD unter Wels hielt sich an das Rezept. Als Brüning schon abgeschüttelt war, flehten sie, dass Brüning bliebe. Sie wollten ihre Anhänger auch weitere Opfer bringen lassen. Es hat nichts genützt, wie wir inzwischen wissen. Es hat der SPD den letzten Kampfgeist genommen.

Es ist nicht nötig, den Blick aufs deutsche Inland zu beschränken. Karl Kraus mit seiner „Fackel“ vollzog nach dem Putsch von Dollfuß das Opfer wirklich. Die österreichischen Faschisten hatten es den Deutschen nachmachen wollen. Tatsächlich gab es dort nur "Anhaltelager", keine KZs mit "Stehgefängnissen" wie Kraus immer wieder betonte. Er hatte Glück, vor dem Einmarsch der Deutschen 1938 zu sterben. Er hätte sonst erleben müssen, wie das ganze Volk widerstandslos sich dem Einmarsch ergab.

Es wäre wünschbar gewesen, man hätte wenigstens Brünings Reste vom bürgerlichen Frühstückstisch schweigend bewahren können. Nur: das hätte vorausgesetzt, auch die linke Rhetorik, die revolutionäre Analyse aufzusparen. Das Projekt wäre nur denkbar gewesen als eines des kollektiven Schweigens. Als eines des bewussten Vergessens, dessen, was man doch wollte. Wie aber kann eine Haltung aufbewahrt werden ohne Ausdruck. Ohne Stimme?

Truppe im Zusammenhalt – unbeugsam

Ergibt sich also: Ein Anschluss auch an Brünings Politik war nicht möglich. Schon deshalb nicht, weil schon bei Brüning die Elemente der Selbstisolierung, der Massenverachtung angelegt waren, die dann die folgenden Kabinette notwendig zu Fall brachten.

Was dann bleibt ist das Bild einer Truppe, die sich in der langen hoffnungslosen Zeit nicht auseinandertreiben ließ. Tucholksky, den Ossietzky eigentlich zum Stellvertreter in seiner Abwesenheit ausersehen hatte, fehlte es schon damals an Lust, sich am heimischen Land die Füße dreckig zu machen. Der dann ausersehene v. Gerlach, viel älter als die Mehrzahl der Truppe, kämpfte unverdrossen. Zwar sah er oft in nur rechtlichen Gewinnen wirkliche, und wurde von anderen Mitgliedern der Redaktion darauf hingewiesen, dass alle Gesetzesfragen immer auch Machtfragen seien.

Als ausgezeichnet erweisen sich im Zusammenspiel der Redaktion die Reportagen Gabriele Tergits. Sie nahm an den lang sich hinziehenden Prozessen gegen die Brüder Sklarek teil. Ohne einen Augenblick zu bezweifeln, dass es sich um das strukturell vorauszusehenden Gemisch großstädtischer Erpressung und Bestechlichkeit handelte, wie es überall auftritt, schält sie trotzdem aus dem Allgemeinen den Einzelnen heraus, in seiner Klebrigkeit und Schäbigkeit, seiner Privatgier. Ausgezeichnete Analysen der verschiedensten Fachwissenschaftler traten den damals wie heute verbreiteten Behauptungen entgegen, die Krise sei eigentlich schon vorbei.

Hervozuheben vor allem ein damals junger Mann namens Kaminiski, der von der Schulbank weg sich schon Ossietzkys Vorgänger Jacobsohn angeschlossen hatte. Er lieferte die kämpferischsten Artikel. Immer leicht im Clinch mit einem etwas älteren Mitarbeiter - Hiller - der öfter seine eigenen Attacken ritt. Er war, wenn nicht Erfinder, so doch eifrigster Verwender des Worts von den "Geistigen", die zur Herrschaft kommen müssten. Lenin hatte seinerzeit mit Recht davor gewarnt, mit orthodoxen Kollegen über die Dreifaltigkeit zu streiten, wenn es um die gleichmäßige Besetzung der Fabrikportale ging. Hillers Angriffe gegen den Materialismus der Marxisten störte zwar nicht entscheidend, aber wirkt - nachträglich - doch recht überflüssig.

Mitten in einer Welt voller Nationalismen widerstand die Truppe unangefochten. Einmal schlich sich ein Artikel ein, in welchem halbwegs für den Eintritt in den damals noch freiwilligen Arbeitsdienst geworben wurde - die Gewerkschaften und linken Gruppen, hieß es da, würden sich mal noch freuen, bei diesen Diensten ihre Schulungen aufrechterhalten zu können. Es war wieder Kaminski,der entschieden daran erinnerte, dass die militaristischen Formen, die der Arbeitsdienst damals schon angenommen hatte, selten bis nie freiem Nachdenken seinen Raum gelassen hätten.

Erkenntnis mitten im Irrtum

Es wäre vielleicht der Mühe wert, einmal einen Sammelband herauszubringen mit Artikeln von Kaminski. Gerade dieser damals gerade dreißigjährige legt immer wieder Zeugnis ab von den analytischen Fähigkeiten der ganzen Gruppe. Kaminski, einer der jüngsten und eifrigsten Mitarbeiter der Weltbühne - gerade während der Zeit der Gefangenschaft Ossiezkys - schreibt in der letzten Zeit der Herrschaft Papens:

„Den Einfluss der Parteien zu brechen und den Staat unabhängig zu führen, sollte der Sinn der autoritären Regierung sein - 'denn jede Obrigkeit ist letzten Endes von Gott', wie Papen sagte. Mit seinem Fiasko ist auch diese Idee unheilbar kompromittiert. Kann die Autorität denn demissionieren? Kann sie die Macht der Parteien auch nur vorübergehend wiederherstellen? Kann sie ihr Gottesgnadentum pausieren lassen und dann auf einen neuen Reichskanzler übertragen? (…) Es wird der Sieg des parlamentarischen Systems über Papen dem Parlament nicht die Stellung zurückgeben, die es schon unter Brüning verloren hat. Die Mittel des Parlamentarismus sollen vielmehr nur helfen, die Diktatur Papens in eine andere Diktatur umzuwandeln. Und die Schwierigkeit der gegenwärtigen Krise besteht gerade in der Notwendigkeit, eine parlamentarische Majorität gleichzeitig zu schaffen und lahmzulegen, ein Koalitionskabinett in ein Präsidialkabinett zu verzaubern und aus der Demokratie die Diktatur durch Selbstzeugung entstehen zu lassen. (…) Als Schleicher Groener stürzte, also noch bevor Brüning fiel und v. Papen an seine Stelle trat, schrieb ich hier: "Am 12.Mai 1932 hat ein neuer Abschnitt der deutschen Geschichte begonnen." An diesem Tage erhielt die deutsche Republik den entscheidenden Stoß. Seitdem rückt die Gegenrevolution vor. Und seitdem ist Krise, Dauerkrise, Staatskrise. Auch diese Regierungskrise ist nur ein Teil davon. Die Staatskrise aber wird erst beendet sein, wenn sich ein neues System stabilisiert haben wird, sei es durch den Sieg der Rechten oder der Linken." Allerdings dann die Schlussworte des Artikels im gewohnten Heroen-Ton: „Die Linke ist geschlagen, doch sie ist noch nicht besiegt. Deutschland steht noch vor großen Auseinandersetzungen, und wahrscheinlich werden auch böse Tage für uns kommen. Aber nur keine Furcht! Auch die Götter sind sterblich." (Band 2, S.747)

Kaminski hat scharf vorausgesehen, dass eine bloße Regierung die - immer noch verfassungsmäßige - Vollmacht des Reichspräsidenten unter keinen Umständen dauerhaft binden kann. Es muss darüber hinausgegangen werden durch einen zweiten Schritt: die Wiedereinsetzung des Parlaments, für den einen Augenblick der Selbstabdankung, der Überreichung der totalen Vollmacht an die Reichsregierung. Im selben Augenblick vollzieht sich die Doppelermächtigung: die durch die alte Staatsgewalt und die durch die als Formation des einheitlichen Volkswillens gedachte Parlamentsmehrheit. Wie das alles im Februar 33 dann auch geschah. Hindenburgs Ermächtigung von oben wurde ergänzt durch die Zustimmung der Parteien im Reichstag - ohne die SPD. Nur wäre nach der richtigen Voraussicht schleuniges Ausweichen ins Ausland und Aufbau von Zweigstellen der Weltbühne die richtige Schlussfolgerung gewesen.

Zwei Antworten

Die vereinigte Redaktion der Weltbühne hat den Faschismus um keinen Tag aufgehalten. Es ist wahr, dass Ossietzky und Tucholsky sich die Realität einer Terrorherrschaft nicht vorstellen konnten, in der den Unterworfenen alles genommen wurde - bis auf den hinfälligen und schmerzenden Leib selbst. Nur: alle Vorschläge, etwas leiser zu treten, hätten keineswegs das trockene Brot der Gesetzlichkeit eines Brüning retten können. Der hatte sich selbst aus der Verbindung mit den Massen herausgesprengt.

Wohl aber hat die Truppe kollektiv Zeugnis abgelegt: Zeugnis vom Wegfallen, Wegbröseln all dessen, was andere noch für wohlerhalten und selbstverständlich hielten. Für das, was diese Truppe erlebte und überlebte, ist der Ausdruck "Faschisierung" schon am Platz. Die verschiedenen verknäulten Herrschaftsgruppen von oben waren schon lange vor 1933 in einem einig: im Willen zur Beschneidung von Bürgerrechten und zur systematischen Einengung jeder geistigen Bewegung, die vielleicht einmal bis zum Widerstand hätte führen können.

Insofern lieferten die Aushaltenden ein kollektives Bild dessen, was sich vollziehen kann, während die Fassade immer noch hält. Was dabei nicht vergessen werden sollte: "Faschisierung" hat für sich selbst nirgends ausgereicht, um Faschismus als Herrschaftsform durchzusetzen. Es brauchte immer noch zusätzlich den brutalen Auftakt: Mussolinis Marsch auf Rom - im Schlafwagen. Den Brand des Reichstags, der Hitlers Zerstörungswillen kurzfristig als Rettungstat maskierte. Diese letzte Folge freilich blieb den Denkenden und Deutenden noch im Dezember des Jahres 32 verborgen. Außer Kästner, der dann beim Film unterkam, blieb kaum einem KZ, Knast oder Asyl erspart. Von Kaminski zum Beispiel hörte man noch aus dem spanischen Bürgerkrieg. 1941 floh er dann nach Argentinien. Was bleibt - trotz der Niederlage - ist ein Erkenntniswille, der bis zum Ende der Zeitschrift nicht aussetzte.

Zusätzlich verwendete Literatur:

Eine Republik und ihre Zeitschrift, in: Der Spiegel, 42/1978, S. 239–249.

Wehler, Hans-Ulrich (1983): Leopold Schwarzschild contra Carl v. Ossietzky. Politische Vernunft für die Verteidigung der Republik gegen ultralinke ‚Systemkritik‘ und Volksfront-Illusionen, in: Wehler, Hans-Ulrich: Preußen ist wieder chic. Politik und Polemik in zwanzig Essays. Frankfurt a.M., S. 77-83.

Brüning, Heinrich (1970): Memoiren 1918-1934. Zwei Bände. Stuttgart.

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Die Rezension erschien zuerst im Januar 2010 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 12/2010)

Siegfried Jacobsohn/ Kurt Tucholsky/ Carl von Ossietzky (Hg.) 1978:
Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Ausgaben 1918 bis 1933: 16 Bände.
Athenäum, Königstein im Taunus.
ISBN: 3-7610-9301-2.
Zitathinweis: Fritz Güde: Tappen durchs Dunkel. Erschienen in: kritisch-lesen.de startet. 0/ 2011, Italienischer Faschismus. 6/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/s/yY9s6. Abgerufen am: 04. 10. 2024 14:08.

Zum Buch
Siegfried Jacobsohn/ Kurt Tucholsky/ Carl von Ossietzky (Hg.) 1978:
Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Ausgaben 1918 bis 1933: 16 Bände.
Athenäum, Königstein im Taunus.
ISBN: 3-7610-9301-2.