Stets bemüht, aber selten erfolgreich
- Buchautor_innen
- Friedrich von Borries
- Buchtitel
- Weltentwerfen
- Buchuntertitel
- Eine politische Designtheorie
Warum es mehr braucht als Wortspiele, um dem Designbetrieb politische Impulse zu geben.
Der Designbetrieb ist ein Hort des kreativen Größenwahns und all seine Protagonist_innen leiden an pathologischer Egomanie. Auf Teufel komm raus wollen sie ihre Entwürfe realisiert sehen. Und dennoch erbringen sie nichts anderes als kundenorientierte Dienstleistungen. So jedenfalls klingen die landläufig bekannten Vorurteile gegen diejenigen Leute, welche Städte planen, Häuser entwerfen oder Salzstreuer designen. Im einen wie im anderen Fall werden kurzerhand moralische und gesellschaftliche Verantwortung zu Gunsten des nächsten Auftrags suspendiert. Man läuft Gefahr, sich zum nützlichen Idioten des Systems zu machen. Der US-amerikanische Stararchitekt Frank Gehry hielt diese Tendenz einmal ironiefrei in dem Credo fest: „Am besten wäre ein wohlwollender Diktator – einer mit Geschmack“. Gegen eben diese Praxis wendet sich Friedrich von Borries, Designprofessor an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, in seinem Manifest „Weltentwerfen – Eine Politische Designtheorie“. Darin appelliert er an eine politische Bewusstwerdung der Designerinnen und Designer und – kurz gesagt – an deren Möglichkeit, die Welt zum Positiven zu verändern. Sein Anliegen: Utopie gestalten und dadurch einer Gesellschaft freier Individuen ein Stück näher kommen.
Design: Herrschaftswerkzeug oder Instrument der Befreiung?
Von Borries definiert einen Designbegriff, der alle Sphären des Lebens berührt. Entwerfen ist für ihn ein konstituierender Teil des Menschseins. Geistiger Vormund ist ihm dabei der Graphiker Otl Aicher. In seiner Textsammlung „die welt als entwurf“ (1991) postuliert Aicher, dass im Entwurf der Mensch das werde, was er sei. Sprache und Wahrnehmung hätten auch Tiere, aber sie würden nicht entwerfen. Neben den Gedanken Aichers greift von Borries auch auf die im Design-Metier zum Standard gewordenen Überlegungen Martin Heideggers zurück (dessen nationalsozialistische Gesinnung dabei jedoch stets unbeachtet bleibt). Der Philosoph entwickelte einen eigenen Entwurfsbegriff in seinen Schriften „Sein und Zeit“, „Der Ursprung des Kunstwerks“ sowie „Bauen Wohnen Denken“. Heidegger hält fest: „Der Entwurf ist die existenziale Seinsverfassung des Spielraums des faktischen Seinkönnens. Und als geworfenes ist das Dasein in die Seinsart des Entwerfens geworfen“ (1986, S.145). Also das, was uns in einer Welt voller äußerer Zwänge zum Menschen macht, das Moment persönlicher Verwirklichung beziehungsweise der Augenblick von individueller Freiheit, wird überhaupt erst durch das Entwerfen ermöglicht. Aus der Geworfenheit des Menschen in die Welt folgt die Unterworfenheit des Menschen unter die Bedingungen dieser Welt. Die Möglichkeit zur Emanzipation von diesen Bedingungen liegt im Entwerfen. Als den konkreten Gegenstand von Design definiert von Borries die sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen des menschlichen Lebens. Auf diese soll sich seiner Meinung nach die kreative Energie der Gestalterinnen und Gestalter konzentrieren.
Da diese Bedingungen alle von Menschenhand gemachte sind, trägt Design eben nicht nur das Potential der Befreiung von Unterworfenheiten in sich, sondern kann die Menschen genauso in neue Unterworfenheiten verwickeln. Diese Doppeldeutigkeit fasst von Borries in den Begriffen von entwerfendem und unterwerfendem Design. Besonders in dem von ihm zum alleinigen Weltübel erklärten, aber leider nicht näher erläuterten, „totalen Kapitalismus“ bestätige unterwerfendes Design bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse. Er geht dabei jedoch weder auf die Klassenverhältnisse ein, noch auf die unterdrückende und zerstörerische Struktur von Rassismus oder Sexismus. Opfer dieses Systems sei vor allem die aus Michel Foucaults Disziplinargesellschaft und Gilles Deleuzes Kontrollgesellschaft schwammig zusammengeworfene „Suggestionsgesellschaft“. Deren Mitglieder unterwerfen sich, so von Borries, freiwillig einer Kontrolle, von der sie sich einen persönlichen Vorteil versprechen. Nachzuvollziehen ist dies an technischen Errungenschaften:
„Ein modernes Hochhaus wirkt dabei nicht anders als eine barocke Schlossanlage, und eine Monstranz unterscheidet sich in ihrer Wirkungsweise nicht von einem Smartphone. In beiden Fällen dient die Gestaltung der Verherrlichung eines Identifikationsangebots, dem der Mensch sich unterwerfen soll“ (S. 21).
Unterwerfendes Design manifestiert also die bestehenden Herrschaftsstrukturen. Sie finden in der gebauten Umwelt oder in alltäglichen, technischen Geräten ihren substanziellen Ausdruck. Dabei blendet der Autor aus, dass das Leiden unter den Schattenseiten eines spätkapitalistischen Systems zwar sehr viel mit den vermeintlichen Heilsversprechungen technischer Innovationen zu tun hat, es aber daneben vor allem Menschen in marginalisierten gesellschaftlichen Positionen am härtesten trifft, wenn es um designte Umwelt und gestaltete Bedingungen geht. An die Leidtragenden dieses Systems wie Geflüchtete, welche man in Lagern und Containern hausen lässt, oder Obdachlose, die mittels hostile architecture oder durch private Sicherheitsdienste aus den Innenstadtzonen getrieben werden, denkt von Borries nur am Rande. Insbesondere die hostile architecture ist ein übliches Gestaltungsinstrument, um Menschen, die nicht in das Vermarktungsbild einer Innenstadt passen, aus dieser fern zu halten. Man findet sie beispielsweise als Sitzbänke mit übertriebenen Armlehnen, auf denen niemand schlafen kann oder als Metalldornen, die auf den Sohlbänken von Schaufenstern montiert werden.
Dennoch hält von Borries korrekterweise fest: Auch „ein vermeintlich neutrales, funktionalistisches Design, das sich nur einer unpolitischen Problemlösung verschrieben zu haben meint, entgeht nicht der immanenten Bedingung des Designs an die Sphäre des Politischen“ (S. 21). Demnach bestimme eine politische Designtheorie ihre Struktur nicht anhand von designimmanenten Themen, sondern nach gesellschaftspolitischen Fragestellungen. In Bezug auf letztere muss der Gegensatz von Entwerfen und Unterwerfen letzten Endes verhandelt werden.
Die Tücken der Form
Das Klischee will, dass den Gestalter_innen die äußere Form etwas bedeutet. Und so zielt von Borries auf formale Klarheit in Stil und Satz. In stich- und schlagwortartiger Weise führt er in sechs Kapiteln durch sein schlankes Buch. In einem sich wiederholenden formalen Schema arbeitet er seine Themenkomplexe vom Überlebens-, Sicherheits-, Gesellschafts- und Selbstdesign durch. Das Diktat der Form bringt jedoch wenig inhaltlichen Gewinn mit sich, wenn in hohlen Tautologien konstatiert wird: „Überlebensdesign ist das Design von Überleben“ (S. 41) oder „Sicherheitsdesign ist das Design von Sicherheit“ (S. 57). An anderer Stelle weist er ebenso stolz wie bemüht auf die eigenen Referenzen hin, so zum Beispiel auf die verwendete Typographie („rotis“ von Otl Aicher) und die Umschlaggestaltung: „Die Konsequenz, oder auch Versessenheit, mit der Wittgenstein sich diesen Details widmet, zeigt, dass theoretische Modelle genauso wichtig sind wie ihre praktische Umsetzung. Deshalb befindet sich ein Bild der Türklinke auf dem Schutzumschlag dieses Buches“ (S. 135).
Die Kapitel schließen jeweils mit einem Fazit im Stile von „Gutes Design hilft beim Überleben“ (S. 53) oder „Gutes Design gibt dem Selbst Freiheit“ (S. 115). Dies sind erst einmal korrekte Aussagen, dennoch bleibt durchweg offen, was sie im Konkreten bedeuten sollen. Von Borries’ Überlegungen zur Überwindung der systemimmanenten Misere durch gutes Design verharren leider so sehr im Schleierhaften, dass man zeitweise an der Ernsthaftigkeit seiner Auseinandersetzung mit dem Thema zweifelt. Vielmehr scheint es, als habe er längst den von ihm kritisierten politischen Ungeist des effizienten Selbstoptimierens im Rücken. Anders lässt es sich jedenfalls nicht deuten, wenn von Borries im trendig motivierenden Ton eines Marketingmitarbeiters die Menschen im Allgemeinen und die Gestalter im Speziellen dazu ermutigt, das System in verschiedenen „Rollen“ zu unterwandern. Sei ein „kreativer Unterstützer“ (S. 125), ein „reflektierender Ermöglicher" (S. 126) oder „radikal-opportunistischer Interventionist“ (S. 126)! Die Ideen hinter diesen Befehlsformen reichen jedoch nur für leere Slogans. Sie bedeuten am Ende alles und nichts.
Das Wichtigste steht in den Fußnoten
Am aufschlussreichsten ist von Borries’ kleine Kampfschrift dort, wo sie nicht versucht, eine universelle Designtheorie zu entwickeln, sondern sich konkret auf den Gegenstand von Design bezieht und anhand von Beispielen beschreibt, wie die Gesellschaft, der Mensch und die Natur gestaltet werden. In seinen Fußnoten schreibt er über Jeremy Benthams Panoptikum als Blaupause für Überwachungsinstrumente, über Baron Haussmanns radikalen Umbau von Paris, um es gegen die innerstädtischen Aufstände militärisch auf Vordermann zu bringen oder die neuesten „wearables“, die zur Veredlung des menschlichen Körpers dienen. Des Weiteren versammelt er Überlegungen von wichtigen Denker_innen, die zum Beginn einer inhaltlichen Beschäftigung mit dem Thema sehr ergiebig sein können. Am Ende kann von Borries das Versprechen und den Anspruch, mit diesem Text eine wirkliche Theorie anzubieten, leider nicht einlösen. Er schafft es aber, ein grundlegendes Problem der Gestaltungsarbeit in den Fokus zu rücken – dass alles Designen stets hochpolitisch ist und sich jede_r Gestalter_in mit dieser Tatsache bewusst auseinandersetzen sollte. Zum Einstieg in diesen Themenkomplex kann man dann getrost Friedrich von Borries „Weltentwerfen“ in die Hand nehmen. Oder noch besser: sich eben durch seine Literaturliste arbeiten.
Zusätzlich verwendete Literatur
Aicher, Otl (1991): die welt als entwurf. Ernst und Sohn, Berlin. Heidegger, Martin (1986 [1927]): Sein und Zeit. Niemeyer, Tübingen. Heidegger, Martin (2012 [1936]): Der Ursprung des Kunstwerks, Stuttgart: Reclam Heidegger, Martin (2000 [1951]): Bauen Wohnen Denken. In: in Eduard Führ: Bauen und Wohnen. Waxman, Münster.
Weltentwerfen. Eine politische Designtheorie.
Suhrkamp, Berlin.
ISBN: 9783518127346.
143 Seiten. 16,50 Euro.