Mit Geld und Einfluss zu Gottes Reich auf Erden
- Buchautor_innen
- Annika Brockschmidt
- Buchtitel
- Amerikas Gotteskrieger
- Buchuntertitel
- Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet
Eine umfangreiche Analyse untersucht die Entstehungsgeschichte religiöser Rechter in den USA und ihre Einflussnahme auf die US-Politik.
Die Bilder des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 gingen um die ganze Welt. Bei den Demonstrant*innen sah man neben Südstaatenflaggen riesige Holzkreuze und „Jesus is my saviour/Trump is my President“-Banner. Christen und extreme Rechte drangen nicht zufällig nebeneinander in das Zentrum der Macht der USA ein. Christlicher Nationalismus ist ein lang angelegtes Gesellschaftsprojekt der religiösen Rechten, in der Rassismus, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit und Wohlstandschauvinismus propagiert und gesellschaftlich verankert werden.
Annika Brockschmidt geht in ihrem klugen und intensiv recherchierten Buch den Ursprüngen, Einflussnahmen und Netzwerken der religiösen Rechten in den USA nach. Sie zeigt die gefährlichen Strategien und ihre Effekte auf – sei es in Hinblick auf das Bannen von Filmen und Schulbüchern bis hin zu transfeindlicher Gesetzgebung oder Steuererleichterungen für religiöse Gruppen. Dabei bietet sie tiefe Einblicke, wie weitreichend diese Netzwerke sind – und wie groß die Nähe zu gewaltvollen und militanten Zukunftsfantasien ist.
Heterogene Hintergrundnetzwerke
Brockschmidt beginnt dankenswerterweise mit einer begrifflichen Einordnung und bietet so im weiteren Verlauf eine differenzierte Blickweise insbesondere auf Evangelikale. Die Begriffe Christlicher Nationalismus und christliche/religiöse Rechte als kulturelle und politische Bewegung werden von ihr deckungsgleich verwendet und beschreiben eine heterogene Akteursgruppe:
„Unter dem Begriff Christlicher Nationalismus finden sich konservative Katholiken ebenso wie Pfingstkirchler, Charismatiker (ebenfalls in pfingstkirchlicher Tradition), Wohlstandsevangelisten, Calvinisten und Baptisten, aber auch orthodoxe Juden, Mormonen und Menschen, die keiner bestimmten Glaubensgemeinschaft angehören oder nicht regelmäßig zur Kirche gehen.“ (S. 17)
Dabei zeichnet sie nach, dass die im christlichen Nationalismus aktiven Netzwerke oftmals im Verborgenen agieren, dafür aber über die letzten Jahrzehnte stetig ihre Einflussnahme ausgebaut haben. Historisch wird dabei häufig die Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der 1970er Jahren als Mobilisierungspunkt der Christlichen Rechten benannt. Dabei war dies eher eine strategische Entscheidung: Bereits in ihren Anfängen ist die christliche Rechte eine weiße Bewegung, die ganz klar eine multikulturelle und liberale USA ablehnt. Dies zeigt sich anhand der Auseinandersetzung um christliche Privatschulen, in der nur weiße Kinder unterrichtet werden – während öffentliche Schulen als Orte des Sündenverfalls polemisch abgewertet werden.
Geschlechterrollen als Basis für den Kulturkampf
Brockschmidt zeigt die Verschiebung von Themen auf, mit der die christliche Rechte öffentlichkeitswirksam mobilisiert. So lösten „Pro Life“-Diskurse Forderungen nach der Aufrechterhaltung der Segregation in Bildungsinstitutionen ab, und nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990 und dem Feindbild Kommunismus konnte mit den Anschlägen des 11. September 2001 mit „dem Islam“ ein neues Feindbild ausgebaut werden. Ähnlich zeigt sich eine Verschiebung in der Ablehnung von Homosexualität hin zu öffentlicher Stimmungsmache gegen trans*Personen. Dabei werden auch auf den ersten Blick widersprüchliche Themen vermengt, so lange dies dem höheren Ziel dient, den christlichen Kulturkampf voranzutreiben. Dies zeigt sich maßgeblich in Bezug auf Sexualität und Geschlechtervorstellungen.
Anhand von Dating-TV-Serien wie The Bachelor beziehungsweise The Bachelorette zeichnet Brockschmidt nach, dass sich hier Frömmigkeit und Purity Culture – der Glaube, dass sich für Sex in der Ehe aufgespart wird – bei evangelikalen Teilnehmenden und die ständige Thematisierung von Sex nicht ausschließen. Eine Modernisierung tradierter Geschlechtervorstellungen, ohne das Geschlechterungleichheit in Frage gestellt wird, bedient sich hier neuer medialer Formate. So werden evangelikale Themen einem breiteren Publikum vorgestellt. Dabei ist auch außerehelicher Sex besprechbar, solange er heterosexuell zwischen Mann und Frau stattfindet.
Auch die Unterstützung Donald Trumps durch die christliche Rechte lässt sich durch deren Geschlechtervorstellungen erklären. Trump verkörpert dabei den erfolgreichen Mann, dessen aggressives Auftreten Stärke suggeriert. So wird Trump als Instrument Gottes gesehen, der dessen Willen auf Erden kundtue. Dabei werden biblische Vergleiche zu Salomon und König David herangezogen, um zu legitimieren, warum Trump kein guter Christ sein muss, um trotzdem dem Christentum zu dienen. So wundert es nicht, dass diese Bestärkung des Trumpschen Größenwahns sich positiv für eine christliche Rechte auswirkte, indem zahlreiche Vertreter ihrer Bewegung in das Weiße Haus geholt wurden.
Mit langem Atem zum Königreich Gottes
Die Verbindung von Neoliberalismus und christlichem Nationalismus zeigt sich an dem Konstrukt der heterosexuellen Kernfamilie. Diese diene der Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen und geschlechtlicher Arbeitsteilung, die wiederum wirtschaftliche Stabilität und vermeintlichen Wachstum sichere. In Form von dog-whistle politics, also dem Nutzen bestimmter Codes und Kennwörter, die harmlos klingen, aber für Eingeweihte mehr Bedeutungsebenen mit sich bringen, fungiert beispielsweise der Begriff „Familie“ als klares Chiffre für die Ehe mit Kind(ern) zwischen Mann und Frau. Diese dog whistles zeigen sich auch im Diskurs gegen Gewerkschaften, wenn Arbeitskämpfe mit dem vermeintlichen Argument des „Recht auf Arbeit“ ausgehöhlt werden sollen. Christlicher Nationalismus lehnt dabei eine kollektive Selbstvertretung von marginalisierten Interessensgruppen strikt ab.
Das ausgeklügelte System der christlichen Rechten „aus politischen Organisationen, Medienimperien, Basis-Aktivismus und die Unterstützung von Großspendern“ (S. 171) hat dabei dazu beigetragen, die republikanische Partei zu übernehmen. Dabei geht es ihren Netzwerken gar nicht zwangsläufig um Erfolge in der jeweiligen Legislaturperiode, sondern um eine langfristige Veränderung der politischen Machtverteilung – in den Augen einiger Evangelikaler hin zur „weltweiten Expansion des Königreich Gottes“ durch die „totale Mobilisierung der Kirche“ (S. 251). Dass hier Bilder von faschistischer Weltherrschaftsvorstellung geweckt werden, kommt nicht von ungefähr. Der rechte christliche Kulturkampf setzt dabei nicht nur auf Worte, sondern auch auf gewalttätige Apokalypse-Fantasien, die in Filmen und Büchern mit der Bestrafung von Nicht-Christen dargestellt werden. Jesus ist dieser Vorstellung nach nicht barmherzig und fürsorgend, sondern zieht mit Schwert in der Hand „gegen Satan, Sünde und Tod in den Krieg“ (S. 209).
Bei der Dichte und Menge an Netzwerken, Personen und Organisationen, die genannt werden, fällt es zum Teil schwer, den Überblick zu behalten. Ein Index oder auch eine Netzwerkgraphik hätten hier die Erleichterung schaffen können, sich in diesem gefährlichen Netz der Religiösen Rechten zu orientieren – vielleicht war dafür neben den 60 (!) Seiten Quellenangaben aber auch einfach kein Platz mehr. Stellenweise wäre eine Systematisierung und zusammenfassende Analyse der Themen in den einzelnen Kapiteln wünschenswert gewesen – auch wenn die angesprochenen Themen und Netzwerke verwoben sind, würde eine klare Schwerpunktsetzung dem Lesefluss gut tun.
Insgesamt hat Brockschmidt wichtiges und verstörendes Buch geschrieben – nicht nur, um die Religiöse Rechte in den USA zu verstehen, sondern auch, um Parallelen in deutschen und europäischen Netzwerken zu ziehen und deren Strategien im langsamen und stetigen Kampf um Einfluss zu entlarven.
Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet.
Rowohlt Taschenbuch, Hamburg.
ISBN: 978-3-499-00648-7.
416 Seiten. 16,00 Euro.