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Marx and Sons

Buchautor_innen
Jacques Derrida
Buchtitel
Marx & Sons

Derrida antwortet auf die Debatten, die sein Buch "Marx’ Gespenster" ausgelöst hat, mit einer radikalen Auseinandersetzung mit der historischen Bedeutung des Marxismus.

Marx‘ Gespenster löste im angelsächsischen Sprachraum eine zum Teil heftig Debatte aus, die schließlich 1999 von Michael Sprinker als Ghostly Demarcations, A Symposium on Jacques Derrida’s Spectors of Marx, bei Verso, London, herausgegeben wurde. Ins Deutsche übersetzt wurde lediglich Derridas Beitrag dazu, der die (marxistischen) Kritiker zurückweist. Vorsicht, mit Marxisten (vor allem mit alten, griesgrämigen, bärtigen, wir kennen das Klischee...) ist nicht zu spaßen. Vor allem, wenn sie alle etwas völlig anderes sagen. Was kann eine angemessene Antwort sein, fragt sich Derrida zurecht?

„Es handelt sich dabei eigentlich um eine dreifache Frage: 1. Die Frage nach dem 'Politischen' (nach dem Wesen, der Herkunft und der Begrenzung des 'Politischen', insbesondere bei 'Marx'); 2. auch die Frage nach dem 'Philosophischen' (nach der Philosophie als Ontologie, insbesondere bei 'Marx'); und folglich 3. die Frage nach den Orten, die man unter diesen Namen, insbesondere unter dem von Marx miteinander identifizieren zu können glaubt, auch wenn es nur darum geht, eine abweichende Meinung auszudrücken.“

Dann wird es aber doch noch richtig lustig: Wenn die Kritiker seinen Postmodernismus anprangern (Eagleton / Ahmad / Lewis), schließlich seinen Post-Srukturralismus (Ahmad), sehr dehnbare Begriffe also; oder aber gar die „poetische Sprache“ (Eagleton) Derridas bemängeln, seine „Entpolitisierung“ (Lewis). Die virtuose Art des Philosophen, Texte quer zu lesen, gegen den Strich zu bürsten – die den Leser zwingen die „Klassiker“ nachzuschlagen – hat ihm gerade in Deutschland und England viel Kritik eingebracht, im romanischen Sprachraum und in den USA dagegen Bewunderung. So gesehen ist Marx & Sons eine erstaunlich nüchterner Lektüre, gar nicht „DerriDada“, wie er in Frankreich scherzhafter Weise gerne genannt wird. Antonio Negri, Co-Autor von Multitude (2004) und Empire (2000), der die Arbeit von Derrida im übrigen begrüßt, hält die marxistische Ontologie ebenfalls für veraltet, vor allem die Beschreibung der Ausbeutung, bedauert jedoch das dieser Begriff bei Derrida nicht vorkommen würde, was dieser zurecht zurückweist. Negris spintisieren auf eine „post-dekonstruktive Ontologie“, welche Derrida gerade nicht will, hält er entgegen:

„Warum wollen Sie eine neue Ontologie vorschlagen, nachdem Sie eine Veränderung festgestellt haben, die das marxistische Paradigma der Ontologie zunichte macht? Warum wollen Sie um jeden Preis eine neue Ontologie auf die Gefahr hin, dass alles darin seine Ordnung, eine große Ordnung, aber immerhin eine Ordnung findet?“

Hätte der Autor von Marx & Sons mehr Seiten gehabt als die knapp über hundert, welche die Verleger ihm zugestanden haben, was hätte er geschrieben? Erinnert Negri nicht frappierend an den späten Georg Lukács, der Zeit seines Lebens zwischen Politik und Wissenschaft schwankte? Dessen letztes großes philosophisches Projekt einer Ontologie des gesellschaftlichen Seins galt, die niemals abgeschlossen wurde und erst posthum erschien, des letzten großen Marxisten des realen Sozialismus in Ungarn. Der gelegentlich bei seinen Gegner auf deren Beerdigungen auftauchte, um eine Abschiedsrede zu halten (z.B. bei Brecht), und dessen Frühwerk die 68er-Bewegung entschieden beeinflußt haben dürfte. Der Einfluß auf Adorno war gewaltig und wir hören wieder düsteres Raunen der Gespenster. Schließt sich der Kreis?

Anläßlich der Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt 2001 hielt Jacques Derrida eine schöne Laudatio auf Adorno, nicht ohne zu bemerken, dass er gerne, würde Gretel Adorno noch leben, ihr einen vertraulichen Brief über die Beziehung zwischen Teddie (Adorno) und Detlef (alias Walter Benjamin) schreiben würde. Er würde sie fragen, weshalb es keinen Benjamin-Preis gibt, und ihr seine Hypothesen dazu mitteilen (Le Monde Diplomatique, Januar 2002). Jacques Derrida ist im Oktober 2004 in Paris gestorben.

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Die Rezension erschien zuerst im Februar 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 03/2011)

Jacques Derrida 2004:
Marx & Sons.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-29260-0.
144 Seiten. 9,00 Euro.
Zitathinweis: Adi Quarti: Marx and Sons. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/2jXkm. Abgerufen am: 03. 12. 2024 18:14.

Zum Buch
Jacques Derrida 2004:
Marx & Sons.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-29260-0.
144 Seiten. 9,00 Euro.