Kontroverse Kommunismen
- Buchautor_innen
- Alain Badiou, Slavoj Zizek
- Buchtitel
- Die Idee des Kommunismus II
Der Sammelband zur zweiten „Idee des Kommunismus“-Konferenz bietet einen guten Überblick über aktuelle marxistische Ansätze und führt einen alten Streit fort.
Der zweite Band „Die Idee des Kommunismus“ enthält die Beiträge, die 2010 in der Berliner Volksbühne im Rahmen einer Konferenz gehalten wurden. Zu den Referent_innen gehörten etwa das polnische Kollektiv Goldex Poldex, der türkische Professor für vergleichende Literatur Bülent Somay, Frank Ruda und Jan Völker aus Deutschland und viele andere. Das Treffen war der Nachfolger der Konferenz in London, aus der ebenfalls ein Sammelband entstanden ist, der auch bei kritisch-lesen.de rezensiert wurde (kritisch-lesen.de #25). Von der ersten Konferenz in London sind lediglich noch Alain Badiou, Slavoj Zizek und Antonio Negri anwesend. Der ursprünglichen Idee der Herausgeber, die Schwerpunkte auf die ehemals kommunistischen Länder im Osten sowie auf Indien und die Türkei zu richten, kommt der Band nur bedingt nach. Außerdem wird dieser Antrieb überschattet durch eine heftige Polemik zwischen Negri und Badiou – aber dazu später mehr.
Fangen wir an mit dem Beitrag von Artemy Magun. Der Professor in Sankt Petersburg, ein ausgezeichneter Kenner des europäischen Marxismus, umreißt die europäisch-marxistischen Hauptlinien in seinem Beitrag „Negativität im Kommunismus: 'Ontologie' und 'Politik'“. Er erkennt zwei Schulen, die sich in Frankreich in den 1980er Jahre herausgebildet haben, welche aufgrund von unterschiedlichen Herangehensweisen nicht immer einer Meinung waren, sich aber jedenfalls gegen und als Alternative zum ehemaligen Realsozialismus entwickelt haben. Alain Badiou auf der einen und Jean-Luc Nancy auf der anderen Seite sind ihre bekanntesten Vertreter. Dazu kommen die Denker aus der italienischen linksradikalen Autonomia, Antonio Negri und Paolo Virno, sowie aus den USA, etwa Michael Hardt, die dem sogenannten Post-Operaismus zugeordnet werden. Leider fehlen die Vertreter_innen der Weltsystem-Theorie (etwa Immanuel Wallerstein oder Giovanni Arrighi) hier völlig. Das ist insofern schade, als es sich um einen interessanten Ansatz handelt, der sich hauptsächlich in Nordamerika ebenfalls gegen den Realsozialismus entwickelte und der im Gegensatz zum Post-Operaismus analytischer mit der Systemkonkurrenz der ehemaligen Blöcke des Kalten Krieges umgeht, etwa wenn er die Systemkonkurrenz als Hauptantriebskraft des paneuropäischen Keynesianismus und Wohlfahrtsstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg ausmacht. Mit dem Zusammenbruch des ehemaligen Warschauer Paktes war es damit vorbei. Jedenfalls geht es in Maguns Beitrag um Ontologie, jener Lehre vom Sein, welche immer auch ein interpretationsbedürftiges Konstrukt ist, wie das Gegenwärtige immer auch Vergangenes beinhaltet. Magun stellt die richtigen Fragen, zum Beispiel wie es denn sein könne − wie Hardt/ Negri behaupten −, dass der Kommunismus eine progressive Tendenz innerhalb des Kapitalismus sei, wie könne er dann seine eigenen Voraussetzungen zerstören (nämlich den Kapitalismus)?
Saroj Giri, Professor für Politische Wissenschaft in Delhi (Indien), geht ähnlich vor, in dem er die neueren sozialen Bewegungen (Nicht-Regierungs-Organisationen, Regenbogenkoalitionen) und deren Vordenker_innen (etwa Naomi Klein und John Holloway) mit den realen Bewegungen in Südamerika (Venezuela, Bolivien) konfrontiert. Seiner Meinung nach gibt es zwei Positionen, die in großen Teilen der heutigen Linken dominieren:
„Die eine Position ist die der sozialen Bewegung, welche gegen den Neoliberalismus opponiert, aber den Kapitalismus selbst nicht problematisiert – und ganz besonders nicht die politische Form des Kapitalismus. Die zweite Position geht über den Anti-Neoliberalismus hinaus und problematisiert den Kapitalismus, aber (...) nicht die politische Form des Kapitalismus.“ (S. 64)
Hier knüpft der Autor an die modischen Ansätze an, die den „Klassismus“ bekämpfen wollen, aber nicht die Klassenverhältnisse.
Antonio Negri setzt zu einer umfassenden Polemik an, welche sich gegen Alain Badiou und Jacques Rancière richtet (der bei dieser Konferenz gar nicht anwesend war). Es handelt sich um Differenzen, die sich Außenstehenden nur schwer erschließen dürften; wenn er aber zum Beispiel vom Geschichtshass des französischen Maoismus spricht, wird deutlich, dass es sich um Dinge handelt, die lange zurückliegen und um die magischen 1968er Jahre angesiedelt sind. Jedenfalls kritisiert Negri (zurecht) das „Ereignis“ bei Badiou (gemeint ist etwa die Französische Revolution oder die Kulturrevolution in China), da es niemals geschichtlich hergeleitet wird und Badious Abneigung gegen polit-ökonomische Analysen offensichtlich werden lasse. Stattdessen betont Negri zum wiederholten Male die Notwendigkeit einer Ontologie, welche sich insbesondere mit den veränderten Verhältnissen seit Marx zu beschäftigen habe. Gibt es noch eine Arbeiterklasse, ließe sich fragen. Entwicklungen, die diese Frage geradezu herausfordern, seien etwa die der Lohnarbeit zur selbständigen Arbeit, von der Sicherheit zur Unsicherheit, von der Ablehnung der Arbeit zum Fehlen der Arbeit. Und es gibt tatsächlich etwas neues von dem alten Operaisten, wenn er meint: „Und an die Stelle der Industriearbeit (als Quelle der Produktivität) tritt die soziale Aktivität“ (S. 176). Was könnte dies bedeuten? Etwa, dass es nur noch angeregt kommunzierende Individuen gibt, die ganz nebenbei noch Mehrwert produzieren?
Alain Badiou antwortet auf diese klassische franko-italienische Diskordanz (wie er sie im Vorwort bezeichnet) nur mit einer kurzen Replik in einem längeren Text, für die er extra in die englische Sprache wechselt, um sich gemäßigter auszudrücken, wie er anmerkt. Er wirft Negri vor, seine Bücher nicht aufmerksam gelesen zu haben und wendet sich strikt gegen dessen Analysen des Spätkapitalismus. Außerdem sei die Idee, nach welcher der Kapitalismus in gewisser Weise den Weg zu einer kommunistischen Organisation der Gesellschaft eröffnen würde, vollkommen obsolet.
Man sollte sich diesen Arbeitstexten nicht als Zeuge einer Reihe theoretischer Karussell-Runden nähern, sondern immer im Hinterkopf behalten, dass Jacques Derrida zu solchen Situation formuliert hat, Theorien können zu Monstern mutieren. Mit diesem Satz im Gepäck kann es aufwärts gehen mit dem akademischen Marxismus.
Die Idee des Kommunismus II.
Laika Verlag, Hamburg.
ISBN: 978-3-942281-29-4.
250 Seiten. 24,00 Euro.