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Konsum mit gutem Gewissen

Ein kräftiger, vollkommen grüner Baum, dessen Krone nicht nur aus Blättern, sondern auch aus verschiedenen Symbolen besteht, zum Beispiel einem Flugzeug, einem Peace-Zeichen, einer Weltkugel und dem Zeichen des Dualen Systems für Recycling. Inmitten der Krone steht in roten Buchstaben "Ende der Märchens
tunde".
Buchautor_innen
Kathrin Hartmann
Buchtitel
Ende der Märchenstunde
Buchuntertitel
Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt

Das Buch zeigt, wie die egoistische Lebensphilosophie der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) die Gesellschaft zerstört.

In ihrem Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die LOHAS und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ aus dem Jahr 2009 widmet sich die Autorin und Journalistin Kathrin Hartmann dem in den vergangenen Jahren aufgekommenen Phänomen der LOHAS, ihren Konsumeigenschaften und deren Auswirkungen auf den Markt. Der Begriff LOHAS („Lifestyle of Health and Sustainability“) hat seinen Ursprung in den USA und beschreibt eine Personengruppe, die ihren Lebensstil nach Aspekten der „Gesundheit und Nachhaltigkeit“ ausrichtet. Hartmann stellt jedoch relativ schnell fest, dass LOHAS „ein Großstadtphänomen der westlichen Bildungselite“ und vor allen Dingen „frei von politischer Haltung“ (S. 20) sei. Wenn es also keine politischen Motive sind, was treibt die so genannten Lifestyle-Ökos an?

Konsum mit gutem Gewissen

LOHAS wohnen in renovierten Altbauten in Szenevierteln, lassen ihre Kinder in Kinderläden von Elterninitiativen betreuen, kaufen biologisch und im besten Fall auch noch Fairtrade ein. Ihre Kleidung ist aus Bio-Baumwolle, sie trinken Bionade oder fair gehandelten Chai Latte, treffen sich in kleinen angesagten Cafés und praktizieren Yoga. So das Bild der LOHAS, welches wohl viele im Kopf haben. Auch Kathrin Hartmann geht in ihren Überlegungen von solchen Vorstellungen aus. Es muss jedoch dazu gesagt werden, dass es keine allgemeingültige Definition des LOHAS an sich gibt. Die Lifestyle-Ökos genießen ihr Leben und tun dabei auch noch Gutes, indem sie auf ihre Gesundheit achten, auf Bildung und auf fair gehandelte, gesunde Ernährung. Doch die Autorin macht schnell deutlich, dass diese Rechnung nicht aufgeht: „Der größte Irrtum, dem die LOHAS und Lifestyle-Ökos aufsitzen, ist zugleich ihr Prinzip: die durch den Kapitalismus ruinierte und ungerecht gewordene Welt durch guten Kapitalismus zu retten“ (S. 19). Die LOHAS wollen nicht demonstrieren oder Aktionen machen. Sie wollen nur fair und biologisch kaufen oder höchstens mal bei Campact eine Online-Petition unterschreiben. Und so zeigt Hartmann sehr präzise auf, dass die LOHAS keineswegs bereit sind, durch einen veränderten Konsum auch auf Privilegien, Markenprodukte oder Qualitätssiegel zu verzichten. Denn die Konsumeigenschaften der LOHAS seien vor dem Hintergrund der immer stärker entideologisierten und entsolidarisierten Politik und Gesellschaft zu sehen und somit „eigentlich eine Suche nach dem wahren Leben. Ziel ist die Stimmigkeit des eigenen Lebens“ (S. 73). Da werden Marken und Lifestyleprodukte schnell zum Lebensgefühl (gemacht). Der oder die LOHAS definiert sich über den eigenen Konsum.

Der Genuss soll also im Fokus stehen und wird en passant mit ein bisschen Weltrettung verbunden. Ausgehend von den Konsument_innen haben sich Wellness, Freizeitbranche und auch der (private) Bildungsbereich schnell auf die Anforderungen der Lifestyle-Ökos eingestellt: Basierend auf der kapitalistischen Idee müssen zwar alle Konsumartikel und Dienstleistungen einen Öko-Anstrich haben, ob die Öko-Bilanz aber dann tatsächlich positiv ausfällt, sei dahingestellt. Die Bio-Verkaufszahlen in Deutschland sprechen ihre eigene Sprache. Der Umsatz von Bio-Lebensmitteln macht gerade mal vier Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes aus. Außerdem achten die Deutschen bei ihren Kaufentscheidungen immer noch zuallererst auf den Preis, sodass von dem Bio-Boom der letzten Jahre insbesondere die Discounter profitiert haben (28 Prozent Anteil an Bio-Produkten insgesamt). Die ernüchternde Erkenntnis in Hartmanns Ausführungen ist, dass die LOHAS eigentlich am großen Ganzen – also auch am ungerechten Wirtschaftssystem – gar nichts ändern wollen. Sie sind aufgewachsen im Kapitalismus und genießen ihre gesellschaftlichen Privilegien. Das heißt, sie profitieren davon, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland stark vom Geld abhängt. So sind sie unter sich und vor allem nicht so viele.

Das Buch gibt einen gut recherchierten Überblick über das Verhältnis von Wirtschaft und LOHAS-Interessen. „Indem der Lifestyle-Öko konsumiert und den CSR-Versprechen [Corporate Social Responsibility] der Konzerne glaubt, nimmt er den Druck von Politik und Kapital, wirklich etwas zu ändern“ (S. 20, Anm. L.A.). Immer mehr Unternehmen fahren eine „win-win-Strategie“, indem sie ihr Image durch „Greenwashing" und „Corporate Responsibility" verbessern (und damit ihren Profit steigern), und die Kund_innen haben das Gefühl, sie hätten mit ihrem Kauf etwas Gutes getan. Aber berechtigterweise stellt die Autorin die Gretchenfrage: Kann ein profitorientiertes Unternehmen überhaupt Gutes tun? LOHAS sind meist gebildete Menschen – müssten die Unternehmensstrategien nicht zu durchschauen sein? Kaufen sich die Unternehmen und die LOHAS nicht einfach von ihrer Verantwortung für die Gesellschaft frei? An dieser Stelle wird auch einer der größten Widersprüche deutlich: Die Konsument_innen sind unpolitisch, fordern also auch von der Politik nichts ein. Die Gesellschaft ist nicht mehr in der Lage, große politische Forderungen an ihre Repräsentant_innen zu stellen. Wie aber auch, bei der starken Individualisierung und Angst um den eigenen Status? Auf der anderen Seite präsentieren sich Unternehmen als Weltretter und Problemlöser. Wo bleibt die Demokratie in diesem Beziehungsgeflecht? Welche Rolle spielen Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer solchen, wirtschaftlich orientierten „win-win-Situation“?

Die neuen Bürgerlichen?

Da die LOHAS neben dem Konsum auch Bildungsfragen oder Freizeitgestaltung dem Gedanken der Nachhaltigkeit und Individualität unterordnen, entwickeln sie sich aus Sicht der Autorin zu einer eigenen Kaste. „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ (S. 22). Dass diese Rechnung nicht aufgeht, ist die Erkenntnis und auch der Appell des Buches. Die LOHAS halten sich, in einer arroganten Art, für Gutmenschen und blicken sogar auf andere gesellschaftliche Gruppen hinab. Hartmann greift hier auf Colin Crouchs Theorie des Sozialdarwinismus zurück und erkennt eine klare Abgrenzung der LOHAS zu unteren Gesellschaftsschichten. Dass die LOHAS durch ihr Verhalten die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, ist ihnen wahrscheinlich zum Großteil gar nicht bewusst. „Das Konzept der LOHAS ist, gerade weil es sich so pragmatisch und gut gelaunt gibt und seine Ideologieferne ein ums andere Mal betont, eine glasklare neoliberale Wirtschaftsideologie“ (S. 20). Ganz deutlich und damit einer der größten Widersprüche der LOHAS: Sie wollen zum Beispiel durch ihren Konsum in der so genannten Dritten Welt Gutes tun, sie wollen die Regenwälder retten und gleichzeitig noch den CO2 Ausstoß reduzieren. Doch ihr Genuss ist nur möglich, weil es diese „Dritte Welt“ gibt, weil Wälder abgeholzt und CO2 im Übermaß produziert wird. Dazu kommt das Ausblenden der gesellschaftlichen Probleme im eigenen Land – ja sogar ihre Verpönung und Verachtung: die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zum Beispiel gegenüber Arbeitslosen lag im Jahr 2002 laut einer Studie der Universität Bielefeld in Deutschland bei 56 Prozent. LOHAS können solchen Entwicklungen nach Hartmanns zumindest Vorschub leisten.

Die Autorin zeichnet aus diesen Entwicklungen ein sehr düsteres Bild der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Immerhin schwanken die Zahlen aktueller Studien zwischen einem 12-30 prozentigen Anteil der LOHAS beziehungsweise Menschen mit ähnlichem Lebensstil in Deutschland. Offen bleibt die Frage, wie aus Sicht der Autorin die Konsument_innen zu bewerten sind, die sowohl biologisch und fair gehandelt kaufen, aber auch durch politischen Aktivismus etwas zu Änderung der Gesellschaft beitragen wollen. Ist auch ihr Konsum zu verurteilen? Oder ergibt sich daraus ein stimmiges Gesamtpaket von Konsumverhalten und politischer Agitation? Fakt ist, dass der LOHAS-Konsum und der Markt sich gegenseitig bedingen. Aber im Gegensatz zu Unternehmen, die immer profitorientiert sein werden, könnten die LOHAS etwas an ihrem Verhalten ändern. Dass sich LOHAS den ihnen ursprünglich von außen zugewiesenen Titel mittlerweile aber zu Eigen gemacht haben und sich so von anderen Gruppen abgrenzen, zeigt das Problem: die von Hartmann zum Teil etwas polemisch formulierten Vorwürfe werden wahrscheinlich von den LOHAS nur belächelt. Wie ein Ausweg aussehen könnte, bleibt unbeantwortet, aber Hartmann versucht durch ein Potpourri an politischen Ansatzpunkten, wie zum Beispiel dem bedingungslosen Grundeinkommen, der Rolle des Feminismus oder auch der Arbeit von Verbänden und Gewerkschaften mögliche Lösungen für das LOHA-Dilemma aufzuzeigen.

Abgesehen von diesen kleinen Schwächen macht dieses sehr lesenswerte Buch seinem Titel alle Ehre: Es ist ein Märchen, zu glauben, dass durch gezielten Konsum die Welt zu verbessern wäre. Dieses Märchen erzählen die LOHAS vor allem aber sich selbst, um der Realität nicht ins Auge zu blicken: Nur durch politische Aktivität könnte man etwas an gesellschaftlichen und globalen Problemen ändern. Dann müssten die LOHAS aber etwas von ihrer bequemen Geltungs- und Genusssucht aufgeben.

Kathrin Hartmann 2009:
Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.
Blessing, München.
ISBN: 978-3-89667-413-5.
384 Seiten. 16,95 Euro.
Zitathinweis: Lea Arnold: Konsum mit gutem Gewissen. Erschienen in: Neue Bürgerlichkeit. 36/ 2015. URL: https://kritisch-lesen.de/s/Xh5R6. Abgerufen am: 23. 11. 2024 09:07.

Zum Buch
Kathrin Hartmann 2009:
Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.
Blessing, München.
ISBN: 978-3-89667-413-5.
384 Seiten. 16,95 Euro.