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Im neuen Gewand: Offensive Bundeswehr an Schulen

Buchautor_innen
Lena Sachs
Buchtitel
Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bildungseinrichtungen.
Buchuntertitel
Eine kritische Analyse

Sachs nimmt in der vorgelegten Publikation die offensiv-subversiven (An-) Werbemethoden der Bundesregierung in Bildungseinrichtungen unter die Lupe. Ein kritischer Beitrag zur Normalisierung von militärischer Gewalt im Schulalltag.

Deutschland war lange ein aktiver Kriegstreiber und ist heute ein Kriegsteilnehmer. In Hinblick auf die deutsche Geschichte liegt das Thema militärische Intervention, Krieg und nicht zuletzt Bundeswehr schwer im Magen. Eine Vielzahl von Kriegen und zwei Weltkriege wurden durch Deutschland als Aggressor entfacht und fanden auf deutschem Territorium statt. Ging es zunächst primär um die Verteidigung des eigenen Landes, standen später Angriffskriege im Zentrum politischer Entscheidungen. Gestern war und heute ist das Ziel von Militäreinsätzen im Ausland der Ausbau politischer und wirtschaftlicher Macht, das heißt der nationalen Einflusssphäre über internationale Konfliktherde.

Lena Sachs arbeitet in der vorgelegten Publikation den Veränderungsprozess der Ausrichtung der Bundeswehr im Allgemeinen und des Engagements in Bildungseinrichtungen im Besonderen heraus. Nach der Aufarbeitung und gesellschaftspolitischen Einbettung der Kooperation von Bundeswehr und Schule nach dem zweiten Weltkrieg wendet sich Sachs der aktuellen Werbeoffensive an Schulen zu. Besonderes Augenmerk lenkt die Verfasserin dabei auf die Rolle von Jungoffizieren und Jungoffizierinnen sowie Wehrdienstbeauftragte als zentrale Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen für Schulleitungen, Lehrende und nicht zuletzt Heranwachsende. Sachs stellt die kritische Auseinandersetzung mit den Unterrichtsmaterialien „Frieden und Sicherheit” exemplarisch in den Mittelpunkt ihrer Studienabschlussarbeit. Als Referenzpunkte dienen ihr der Beutelsbacher Konsens, die Arbeit der Friedenspädagogik und das zivile Engagement gegen Bundeswehr in Schulen auf Bundes- und Länderebene.

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und spätestens seit dem Jahrtausendwechsel wird sichtbar, dass immer öfter militärisch offensiv geführte Auseinandersetzungen zu Gunsten einer aktiven Sicherheitspolitik und „Helfen, Retten, Schützen” (S. 22) in den Hintergrund treten. Erklärtes Ziel ist nunmehr der Erhalt und die Herstellung von Sicherheit als Grundlage für Frieden und Entwicklung. Die – präventive - Abwehr von Bedrohungen, wie beispielsweise von Terrorismus, nimmt seit den Ereignissen des 11. September 2001 eine zentrale Rolle bei der Entwicklung militärischer Strategien ein. Die Ausweitung von Überwachung im öffentlichen Raum ist ein weiteres Element der Normalisierung polizeilich-militärischer Präsenz im Alltag. Sie geht Hand in Hand mit der Sammlung von personenbezogenen Daten auf nationaler und internationaler Ebene im Namen der Sicherheit und Abwehr – potentieller – Bedrohungen durch als gefährlich eingestufte Personen, Gruppen und / oder Netzwerke.

Während die Politik immer wieder die internationalen militärisch-humanitären Einsätze der Bundeswehr mandatiert, gehen diesbezüglich die Meinungen und Ansichten in der Bevölkerung weit auseinander. Laut einer Studie der Hochschule der Bundeswehr stimmen jeweils 70% der Befragten Einsätzen der NATO und der EU im Kosovo, in Bosnien und Herzogowina zu (Fiebig/Pietsch 2010). Hingegen kommen Chors und Brähler (2009) vom Meinungsforschungsinstitut USUMA zu dem Ergebnis, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung für die Kürzung von Rüstungsausgaben ist. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Militärische Interventionen als Rechtfertigung von Kriegen werden von einem Großteil der Bevölkerung als „moralisch verwerflich“ beurteilt (vgl. Forsa 2009). Fakt ist, die Bundesregierung hat mit dem Beschluss zum Rückbau der Bundeswehr ab 2010 ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gesetzt. Teil des Beschluss war unter anderem die Abschaffung des verpflichtenden Zivildienstes. Nachwuchsprobleme und das Finden „geeigneter“ Rekruten und Rekrutinnen sind die Folge. Pressemeldungen von Misshandlungen unter Jungoffizieren sowie Jungoffiezierinnen. Geschlechtsbezogener Belästigung tragen zusätzlich zur sinkenden Bereitschaft freiwilligen „Engagements“ bei. Die aktuelle Bundesregierung tritt diesem Trend nicht nur durch eine aktive Rekrutierungsstrategie durch die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter gegenüber. Auch wurde die Anwerbung von Berufssoldaten und Berufssoldatinnen durch Wehrdienstberater und Wehrdienstberaterinnen sowie Jungoffiziere und Jungoffizierinnen in staatlichen Bildungseinrichtungen ausgebaut.

Ansprache auf gleicher Augenhöhe

Ein neues, junges, frisches, dynamisches Profil soll die Akzeptanz der Bundeswehr unter jüngeren Menschen erhöhen. Jungoffiziere und Jungoffizierinnen sowie Wehrdienstbeauftragte sind Ansprechpartnerund AnprechpartnerinnenInnen für Heranwachsende. Theoretisch teilen sich beide den Auftrag. In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen Darstellung der Arbeit und Werbung vielfach (vgl. Schulze von Glaßer 2010). Grundlage der aktiven Nachwuchsgewinnung in Bildungseinrichtungen sind die acht zwischen 2008 und 2011 geschlossenen Kooperationsvereinbarungen zwischen den Kultusministerien und Bundeswehr, die das Ziel verfolgen, für die Arbeit der Bundeswehr im In- und Ausland sowie das Angebot von außerschulischen Aktivitäten im Rahmen des Fachunterrichts zu werben. Zugleich wurden Friedensaktivisten und Friedensaktivistinnen mit einem 20 Jahre anhaltenden Verbot der Präsenz in Schulen mundtot gemacht. Doch die zunehmende Präsenz der Bundeswehr in Bildungseinrichtungen blieb nicht ohne Gegenwind.

Die Werbung der Bundeswehr und die aktive Rekrutierung von Heranwachsenden in Bildungseinrichtungen werden nicht kritiklos hingenommen. Langjährig arbeitende Projekte (unter anderem Stolpersteine, Zug der Erinnerungen) und Friedensinitiativen beobachten und begleiten die Entscheidungen der Bundesregierung als auch die Einsätze der Bundeswehr kritisch. In jüngster Zeit wird das Thema zunehmend durch gesellschaftskritische Schüler und Schülerinnen, Studierende sowie Lehrende in die Öffentlichkeit getragen. Unterstützt werden sie unter anderem durch die Friedenspädagogik, die Gewerkschaftsjugend und die Bildungsgewerkschaft GEW. Zunehmend schließen sich Eltern den Protesten an.

Lehrkräfte im Fokus: Bildungsangebote nicht nur durch die Bundeswehr

Die Friedensbewegung scheint in die Jahre gekommen zu sein. Außerschulische Netzwerke haben den Sprung in den Schulalltag nicht geschafft. Anders verhält es sich mit der Bundeswehr. Zunehmend gewinnt sie Einfluss nicht nur auf Heranwachsende durch erlebnispädagogische, spass-orientierte Spiele und Simulationen (unter anderem POL&IS). Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften zählt inzwischen ebenfalls zum Aktionsfeld Bundeswehr. Der zunehmende Einfluss ist vergleichbar mit der Präsenz und Verbreitung von Unterrichtsmaterialien durch Unternehmen und parteinahe Stiftungen in Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel Bertelsmann. Kritik an dieser Art es Public-Partner-Privatship (PPP) wird unter anderem durch die Initiative Böckler macht Schule der Hans-Böckler-Stiftung geübt.

Friedensnetzwerke lehnen fast flächendeckend die Kooperation mit den Kulturministerien ab. Eine Ausnahme stellen NRW und das Saarland dar. Dabei können die unterschiedliche Arbeitsweise und der Zugang von Schülerschaft, Eltern, Lehrenden, Gewerkschaften und Friedensinitiativen einen Mehrwert für die kritische Arbeit mit Krieg, Frieden, Sicherheit und humanitärer Hilfe im In- und Ausland generieren. Dies wiederum setzt auch eine pro-aktive Friedensbewegung an Schulen voraus. Eine Friedenspädagogik beruft sich auf den Beutelsbacher Konsens (1976). Der in die Jahre gekommene Konsens definiert Qualitäten pädagogischen Handelns in der politischen Bildung, ohne dabei bestimmte inhaltliche Ziele vorauszusetzen. Vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen, wie der zunehmenden Präsenz außerschulischer Interessengruppen in Bildungseinrichtungen durch den voranschreitenden Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung, erscheint dies wenig zielführend.

Sachs blickt über den Tellerrand: Neben der Bundeswehr als staatlicher Einrichtung gewinnen zunehmend einflussreiche, finanzstarke Gruppen und Organisationen Einfluss in Bildungseinrichtungen. Die Bereitstellung von kostenfreien, fertigen Bildungsmaterialien, die Präsenz im Rahmen von Jobmessen und die sinkenden öffentlichen Ausgaben für Bildung lassen Alternativen zu einer Kooperation mit externen Einrichtungen (Banken, Unternehmen) verblassen. Die Definitionsmacht für Lehr- und Lerninhalte entfernt sich zunehmend von einem ausgewogenen pädagogischen Konzept.

Der jahrelang geforderte und geförderte Antifaschismus, einhergehend mit einer pazifistischen gesellschaftlichen Grundmoral durch Bildungseinrichtungen wird durch die aktive Werbung insbesondere der Bundeswehr konterkariert. Die vorgelegte Publikation stellt subversiv Fragen. Wo fängt Beeinflussung von Heranwachsenden an? Wo hört unser gemeinschaftlicher Moralbegriff bezogen auf den Einsatz von Waffen zur präventiven Sicherung von Frieden auf? Welche Alternativen haben wir im Miteinander, ein friedliches Zusammenleben zu gestalten? Diese Frage müssen sich nicht nur das Kultusministerium, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure wie die Friedensbewegung, pädagogische Fachkräfte und Eltern stellen. Sie schaffen den Rahmen für eine Zukunft für und gemeinsam mit der nächsten Generation in einer friedlichen Welt.

Lena Sachs 2012:
Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bildungseinrichtungen.. Eine kritische Analyse.
Centaurus, Herbolzheim.
ISBN: 9783862261345.
100 Seiten. 18,80 Euro.
Zitathinweis: Elke Michauk: Im neuen Gewand: Offensive Bundeswehr an Schulen. Erschienen in: Deutschland im Krieg. 32/ 2014. URL: https://kritisch-lesen.de/s/H5BYn. Abgerufen am: 21. 12. 2024 16:09.

Zur Rezension
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Lena Sachs 2012:
Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bildungseinrichtungen.. Eine kritische Analyse.
Centaurus, Herbolzheim.
ISBN: 9783862261345.
100 Seiten. 18,80 Euro.