Im Denkmalwahn der Deutschen
- Buchautor_innen
- Wolfgang Wippermann
- Buchtitel
- Denken statt Denkmalen
- Buchuntertitel
- Gegen den Denkmalwahn der Deutschen
Deutschland ist ein „Denkmalland“. Dieses Buch nähert sich dem deutschen „Denkmalwahn“ in den Zeitläuften.
Nach „Autobahn zum Mutterkreuz. Historikerstreit der schweigenden Mehrheit“ (2008) und „Dämonisierung durch Vergleich. DDR und Drittes Reich“ (2009) ist nun das dritte Essay des renommierten Historikers Wolfgang Wippermann zur deutschen Geschichts- und Erinnerungspolitik im Rotbuch Verlag erschienen. „Die Deutschen scheinen von einem wahren Denkmalwahn befallen zu sein.“ (S. 8), erklärt Wippermann, der seinen lesenswerten Band als „Streitschrift“ gegen das „[D]enkmalen“ (S. 10) verstanden wissen will. So stelle sich die Frage, ob die Deutschen in ihrem „Denkmalwahn“ auf einem Sonderweg waren und noch immer sind.
Einführenden Erläuterungen zur Sprachgeschichte des Wortes Denkmal und seiner inflationären Verwendung folgend zeigt der Autor, wie schon am Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit die ersten Heldendenkmäler entstanden und wie wahllos man später im bajuwarischen Parthenon, der „Walhalla“, die Büsten angeblich „großer Deutscher“ zusammen trug, von denen so mancher „weder deutsch noch groß“ (S. 30) war. Neben irgendwelcher Germanen-Häuptlinge findet sich in dem germanischen „Ehrentempel“ immerhin seit 2003 eine Büste der Sophie Scholl. Doch die Denkmalhauptstadt der deutschen „Kulturnation“ findet sich nicht in Bayern, sondern im Thüringischen: Weimar. Um 1800 schließlich setzte eine wahrliche „Denkmalinflation“ (S. 35) ein, deren Ergebnis bis 1883 800 Denkmäler in deutschen Landen waren. Dieser deutsche „Denkmals-Sonderweg“ (S. 47) entspringt einem völkischen Nationsverständnis. Diese Denkmäler sind Zeugnisse einer „verspäteten“ Nation, die sich bald ethnisch definierte. Und eben dies, so Wippermann, sei der Unterschied zu anderen westeuropäischen Nationen, die ebenso monumentale Denkmäler aus dem Boden stampften. Den „deutschen“ Urahnen widmeten die kaisertreuen Denkmalsväter das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald und eine pompöse Statue der Germania am Rhein. Zusammen mit dem Kyffhäuserdenkmal stehen sie in der Tradition eines kriegerischen Kaiserreichs – und sind heute touristische Attraktionen. Doch die meisten Denkmäler und -türme sind Otto von Bismarck dediziert. So kann das Hamburger Bismarck-Denkmal noch heute an den Landungsbrücken „bewundert“ werden. Auch Kaiser Wilhelm I. wurde so manches Denkmal gewidmet. Und die Kaiser-Wilhelm-(I.)-Denkmäler sind „mindestens genauso hässlich und scheußlich wie die für Bismarck“ (S. 54). Eines der geschichtsträchtigsten Wilhelm-Denkmäler befindet sich am „deutschen Eck“ im Rhein. Weil es im Zweiten Weltkrieg durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt wurde, musste es abgerissen werden. Doch als die französische Besatzungsmacht auch noch den Sockel abtragen wollte, regte sich Volkes Zorn. So wurde aus dem einstigen Kaiser-Denkmal ein „Mahnmal der deutschen Einheit“ - inklusive Wappen der ehemals ostdeutschen Provinzen, die sich nun auf Staatsgebiet der DDR oder Polens befanden. Finanziert durch Privatspenden hatte Deutschland 1993 seinen Kaiser wieder.
Bis heute stehen in der Bundesrepublik 100.000 Kriegerdenkmäler überall herum. Diese, so der Autor, „sind tatsächlich Dokumente und Quellen der Geschichte, genauer der Ideologiegeschichte des jeweiligen Staates und Volkes“ (S. 66). Dabei nennt Wippermann auch positive Beispiele der Aneignung dieser Ungetüme: Während viele dieser oft nach dem Ersten Weltkrieg errichteten Denkmäler in der Bundesrepublik um die Jahreszahlen „1933-1945“ erweitert wurden, verwandelte man das 1936 in Hamburg-Dammtor erbaute Monument Mitte der 1980er Jahre in ein „Antikriegsdenkmal“. Der martialische Klotz sollte nämlich von einer Anlage umrahmt werden, die einem zerbrochenen Hakenkreuz nachempfunden sein sollte. Das neue Denkmal wurde jedoch nie fertig gestellt. Dem kundigen Leser wären weitere Beispiele eingefallen, die bei Wippermann keine Erwähnung finden, wie das „Antikolonialdenkmal“ in Bremen.
In der Weimarer Republik versäumten es die Deutschen, den Kaiser symbolisch zu enthaupten, das heißt die zahllosen Wilhelm-Denkmäler zu schleifen. Aber die Demokratie war zu schwach, die Demokraten und Demokratinnen zu Wenige. Insbesondere die Sozialdemokratie kommt nicht gut weg, unterließ sie doch die Beseitigung dieser Denkmäler, obwohl sie vielerorts die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Führende Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert und Otto Braun wollten den „Denkmalwahn“ der Rechten gar noch übertreffen. Trotz seiner Kritik am „Denkmalwahn“ verfällt der Autor nicht in wahllose „Denkmalstürzerei“: Denn „Denkmalkunst im Besonderen kann politisch wirksam sein.“ (S. 83) In diesem Zusammenhang nennt der Historiker Wippermann das von Walther Gropius erbaute Denkmal für die Opfer des Kapp-Lüttwitz-Putsches.
Das NS-Regime verzichtete, anders als man zunächst annehmen möchte, auf monumentale Denkmäler, wollten sich die Nazis doch mit ihrem architektonischen und städtebaulichen Größenwahn selbst ein Denkmal setzen. Nicht zuletzt fehlten dem Regime die „Helden“. Einer der wenigen genuin nationalsozialistischen „Helden“ war Horst Wessel, den Wippermann entgegen neuerer Erkenntnisse der Geschichtsforschung noch immer als mutmaßlichen Zuhälter bezeichnet. Das Tannenbergehrenmal, in dem Paul von Hindenburg beigesetzt wurde, blieb eines der wenigen Denkmäler, das die Nazis für ihre propagandistische Selbstinszenierung nutzten.
Der DDR-Denkmalpolitik ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Etwas süffisant bemerkt der Autor die überbordende Anzahl von Denkmälern und Gedenktafeln zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Auch „die selektive Wahrnehmung des Widerstands“ (S. 107) wird von ihm bemängelt. Dem bürgerlich-konservativen Widerstand habe man in der DDR erst spät gedacht, dem anarchistischen sowie trotzkistischen gar nicht. So wurde der Antifaschismus instrumentalisiert und „noch dazu auf den kommunistischen reduziert“ (S. 115), anderer Opfergruppen nur unzulänglich gedacht. Die Erinnerungspolitik sei in den ideologischen Kanon einer „[s]iegreichen DDR“ (S. 115) eingebettet worden.
Demgegenüber wollten in der BRD viele die Vergangenheit vergessen machen. Erst spät und nicht auf Initiative des Staates wurden hier die ersten Denkmäler an den Orten des Terrors errichtet. So engagierten sich seit den 1970er Jahren junge Menschen in Geschichtswerkstätten. Trotzdem hatte weder in BRD noch DDR irgendjemand Zweifel, ob das „inflationär eingesetzte Medium Denkmal überhaupt geeignet war, diese beispiellosen Schrecken der NS-Zeit darzustellen und seiner Opfer zu gedenken.“ (S. 127)
Und so nehme auch in der Berliner Republik die „Denkmalinflation“, wie Wippermann sie nennt, kein Ende. Das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ sei wenig gelungen, würden so doch Opfer erster und zweiter Klasse geschaffen. Wirklich problematisch sind jedoch die Denkmäler „gegen Krieg und Gewaltherrschaft“, die im Geiste der Totalitarismus-Doktrin aus dem Boden sprießen. Die „Neue Wache“ ist nur das markanteste Beispiel für diese Entwicklung. Schelte bekommt berechtigterweise auch das Soldatendenkmal der Bundeswehr. Dieses ist der Öffentlichkeit nicht einmal unumschränkt zugänglich, sondern militärisch abgeschirmt. Bei Bedarf könne gar die Außenwand des Denkmals ausgezogen werden, wodurch es völlig abgeschirmt wird.
Denkmäler waren immer schon Teil der Ideologieproduktion des jeweiligen Staates. Und so sollten sie auch heute verstanden werden. Wippermann appelliert mit viel Witz und Anekdotenreichtum an die Mündigkeit der Menschen, sich diesem „Denkmalwahn“ zu entziehen. Darüber sollten wir nach-denken.
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Die Rezension erschien zuerst im Rundbrief der AG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei DIE LINKE, Heft 2/2011, S. 74 – 75, online hier.
Denken statt Denkmalen. Gegen den Denkmalwahn der Deutschen.
Rotbuch Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-115-8.
192 Seiten. 9,95 Euro.