Hexenverbrennung und die ursprüngliche Akkumulation
- Buchautor_innen
- Silvia Federici
- Buchtitel
- Caliban und die Hexe
- Buchuntertitel
- Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation
Das Buch über die Zusammenhänge von ursprünglicher Akkumulation und der Kriminalisierung und Naturalisierung des „weiblichen Körpers“ stellt einen zentralen Beitrag zur materialistisch-feministischen Geschichtsschreibung dar.
Silvia Federicis Buch „Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ gehört für mich zu jenen Büchern, welche sich tief in mein Gewebe einschreiben, mich an sich binden und nicht mehr loslassen. Es ist ein Buch, das die Jahrhunderte der Disziplinierung, der Zurichtung und der Vernichtung von Frauen nachzeichnet und diese in den Kontext kapitalistischer Vergesellschaftung stellt. Der Titel des Buches verweist auf William Shakespeare Theaterstück „Der Sturm“, in dem der Kolonisator Prospero auf den rebellischen Native Caliban trifft. Caliban verbündet sich mit zwei europäischen Proletariern gegen Prospero. Der Aufstand scheitert jedoch. Nichtsdestotrotz steht die Figur des Calibans für den Widerstand der amerikanischen Natives gegen die Kolonisierung und wurde in der Geschichte von südamerikanischen Revolutionären zum Symbol für ihren Kampf. In Federicis Interpretation steht Caliban „jedoch nicht nur für den antikolonialen Rebellen [...] sondern er ist Symbol des Weltproletariats, genauer: des proletarischen Körpers als Terrain und Mittel des Widerstands gegen die Logik des Kapitalismus“ (S. 12). Der proletarische Körper, den es zu erobern und zu disziplinieren galt und gilt. Die Hexe Sycorax, die Mutter Calibans, der Shakespeare nur eine unbedeutende Rolle zuschreibt, steht bei Federici im Mittelpunkt: „Sie verkörpert einen Kosmos weiblicher Subjekte, den der Kapitalismus zerstören musste: die Ketzerin, die Heilerin, die ungehorsame Ehefrau, die Frau, die alleine zu leben wagte, die Obeah-Frau, die die Speisen des Herren vergifte und die SklavInnen zum Aufstand anstifte“ (ebd.). Die Hexe wird somit zum Symbol für den weiblichen Widerstand als Ganzes.
Der Titel des Buches verweist somit auf Federicis zentrales Anliegen: eine Neuschreibung der Geschichte der Frauen unter den Vorzeichen der Hexenverfolgungen, die den Übergang zwischen Feudalismus zum Kapitalismus markieren. Dabei begreift sie die „Marxsche Gleichsetzung des Kapitalismus mit dem Aufstieg der Lohnarbeit und des ‚freien' Arbeiters“ (S. 9) als unzureichend und verschiebt den Fokus auf die Sphäre der Reproduktion. Mit dem Begriff der „ursprünglichen Akkumulation“ hat Marx im ersten Band des Kapitals versucht den historischen Prozess nachzuzeichnen, welcher dem Aufstieg des Kapitalismus zu Grunde liegt. Für Federici liegt das Besondere des Begriffs jedoch nicht in einem rein historischen Gehalt, sondern in der „Tatsache, dass die ‚ursprüngliche Akkumulation' von Marx als grundlegender Vorgang behandelt wird, in dem die strukturellen Bedingungen für die Existenz einer kapitalistischen Gesellschaft erkennbar werden“ (S. 13). Während Marx jedoch vor allem den „Standpunkt des entlohnten männlichen Proletariats“ herausarbeitet, betrachtet Federici die ursprüngliche Akkumulation „hinsichtlich der Stellung der Frauen und hinsichtlich der Produktion der Arbeitskraft“ (ebd.). Indem sie die Hexenverfolgung des 16. und 17. Jahrhunderts in den Blick nimmt, entfaltet Federici nicht nur eine feministische Erweiterung der Marxschen Kategorien, sondern ergänzt auch die Foucaultsche Theorie des Körpers um eine feministische Perspektive.
Der Theoretiker Michel Foucault hat große Teile seines Werks der Analyse der Disziplinierung des Körpers gewidmet und der Unterwerfung des Körpers unter die sogenannte Disziplinarmacht. Im Vordergrund der Disziplinarmacht steht eben jener singuläre Körper, der – so Foucault in „Überwachen und Strafen“ – im klassischen Zeitalter „Gegenstand und Zielscheibe der Macht“ wird (Foucault 1976, S. 174). Das Neue der Disziplinarmacht ist, dass sie versucht den Körper nicht „als eine unterschiedslose Einheit zu behandeln, sondern ihn im Detail zu bearbeiten; auf ihn einen fein abgestimmten Zwang auszuüben; die Zugriffe auf der Ebene der Mechanik ins Kleinste gehen zu lassen“ (ebd., S. 175). Es ist also eine Technologie des Details – eine „Mikrophysik der Macht“ (ebd., S. 178). Federici zufolge hat Foucault durch seine Auslassung der Hexenverfolgung und des Diskurses der Dämonologie den „repressiven Charakter der gegen die Frauen entfesselten Macht“ nicht berücksichtigt (S. 19), wobei sich einwenden ließe, dass er zumindest in „Die Anormalen“ darauf Bezug nimmt – eine Bezugnahme, die jedoch Federicis Kritik nicht in Frage stellt. Federici lässt sich nicht so sehr von der produktiven Seite der Macht beeindrucken wie Foucault und zeigt auf, wie eine spezifische weibliche Sexualität für lange Zeit tatsächlich vernichtet wurde.
(Weiblicher) Widerstand im Mittelalter
Federicis „Caliban und die Hexe“ ist in fünf Kapitel gegliedert, die sich aufgrund ihrer jeweils abgeschlossenen Struktur auch gut einzeln lesen lassen. In ihrem ersten Kapitel zeichnet sie soziale Bewegungen im mittelalterlichen Europa nach, die sich vor dem Hintergrund einer sozialen Krise formierten. Ihr Ausgangspunkt ist dabei, dass die Geschichte der Frauen und der Reproduktion bei „den Kämpfen ansetzen [muss], die das mittelalterliche Proletariat – Kleinbauern, Handwerker, Tagelöhner – gegen die feudale Macht in all ihren Formen führte“ (S. 25). Der Kapitalismus wird in diesem Zusammenhang als eine Konterrevolution verstanden, als eine gewaltvolle Antwort auf die politischen und sozialen Bewegungen und antifeudalen Kämpfe des Mittelalters. Federici zeichnet unter anderem nach, wie sich Bäuerinnen am Ende des 14. Jahrhunderts massenhaft gegen die Herrschaft der Lehnsherren aufbäumten und das „mittelalterliche Dorf Schauplatz eines alltäglichen Krieges“ wurde (S. 31). Besonderes Augenmerk wirft Federici jedoch auf millenaristische und häretische Bewegungen, die den feudalen Verhältnissen Widerstand entgegenbrachten. Die häretischen „Sekten“ werden bei Federici als die bedeutendste Opposition des Mittelalters nachgezeichnet. Dass ihre Ideen und emanzipatorischen Bestrebungen heute nur so wenig bekannt sind, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie zu „tausenden auf dem Scheiterhaufen verbrannt“ und von der Heiligen Inquisition der Katholischen Kirche vernichtet wurden (S. 41). Umso wichtiger halte ich Federicis Ansatz, diesen Teil widerständiger Geschichte wieder zugänglich zu machen.
Besonders bedeutend ist für Federici der hohe Status der Frauen innerhalb der häretischen Bewegung: „Es überrascht nicht“, so Federici, „dass die Frauen in der Geschichte der Häresie präsenter sind als in irgendeinem anderen Bereich des mittelalterlichen Lebens“ (S. 48). Mit der Pest, die zwischen 30 bis 40 Prozent der europäischen Bevölkerung tötete, trat ein Wendepunkt der mittelalterlichen Kämpfe ein. Zunächst schienen sich durch die Knappheit der Arbeitskräfte die Herrschaftsverhältnisse zu Gunsten der Beherrschten zu verschieben. Dies wurde jedoch mit einer Konterrevolution, getragen von einem Bündnis zwischen Adel, Kirche und Bürgertum beantwortet und der Weg zum absolutistischen Staat eingeleitet.
Die Unterwerfung des Körpers
In ihrem zweiten Kapitel geht Federici auf die Herausbildung des Kapitalismus ein und die damit verbundene Herausbildung von Produktions- und Reproduktionssphäre. Sie beschreibt dabei drei zentrale Entwicklungen: Die Enteignung der europäischen Arbeiter_innen, die „Verwandlung“ des Körpers in eine „Arbeitsmaschine“ und die tiefe Spaltung des Proletariats (S. 78). Im späten 15. Jahrhundert begann in Europa die große Privatisierung und Aneignung des Landes. Die sogenannte „Einhegung“ – die Abschaffung gemeinschaftlichen Landeigentums – verdüsterte die Lebenssituation für einen Großteil der Bevölkerung: Besonders die Lebensmittelsituation verschlechterte sich drastisch für das Proletariat. Von der sukzessiven Zerschlagung der Allmende waren vor allem ältere Frauen betroffen, die fortan oft nur durch Leihgaben oder Diebstähle überleben konnten. Insgesamt wurde es für alle proletarischen Frauen schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, da sie zunehmend in den Bereich der unentlohnten Reproduktionsarbeit abgedrängt wurden. So schreibt Federici:
„Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass Frauen im Zuge des ¸Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus' einen einzigartigen Prozess der Degradierung erlitten, der für die Akkumulation des Kapitals von grundlegender Bedeutung war und bis heute geblieben ist.“ (S. 91)
Was Federici daraufhin beschreibt, ist eine massive Disziplinierung mit dem Ziel, die „Gebärmutter“ zu kontrollieren, um die Zeugung „unmittelbar in den Dienst der kapitalistischen Akkumulation“ zu stellen (S. 109). Diese Kontrolle ging mit einer rigorosen Kriminalisierung der Verhütung und einer fast vollständigen „Domestizierung“ der Frau einher. Damit korrespondierte am Ende des 17. Jahrhunderts zudem ein „neues Modell der Weiblichkeit [...] die ideale Frau und Gattin – passiv, fügsam, sparsam, wortkarg, stets beschäftigt und keusch“ (S. 127).
In ihrem dritten Kapitel zeigt Federici, wie die anlaufenden kapitalistischen Produktionsformen ein neues Verständnis des Körpers hervorbringen. Zur Steigerung der proletarischen Arbeitskraft wird der Körper des_der Proletarier_in in seine einzelnen Teile zerlegt. Der Körper wurde so selbst zum Produktionsmittel und somit zum wichtigen Gegenstand sozialer Kontrolle: „Die Scheiterhaufen, auf denen die Hexen (...) starben, waren ebenso wie die Folterkeller, in denen sie gemartert wurden, ein Laboratorium(,) in dem sich einiges an sozialer Disziplin ablagerte, und in dem einiges Wissen über den Körper erlangt wurde“ (S. 178). Während die Proletarier_innen zunehmend über ihren Körper definiert wurden, bildete sich auf der Seite der Richter, der Inquisitoren, der Leiter und der Verwalter die Sphäre der Vernunft aus, die den „rebellischen Körper“ züchtigte: „Das Proletariat war, ebenso wie Caliban, die Verkörperung jener ‚üblen Säfte', die sich im Gesellschaftskörper verbargen, angefangen mit den widerlichen Ungeheuern des Müßiggangs und der Trinksucht“ (S. 191).
Hexenverbrennung und Kapitalismus
Bezeichnend ist dabei, dass in der Geschichtsschreibung über das Proletariat, so Federicis Feststellung, die Hexenverfolgung kaum Platz findet. Diese „Gleichgültigkeit“ seitens der Historiker sieht sie dem Fakt geschuldet, dass die Opfer vor allem bäuerliche Frauen waren (S. 201). Erst Feminist_innen betrachteten die Folterung und die Tötung hunderttausender Frauen im 16. und 17. Jahrhundert systematisch. In diesem Zusammenhang betont Federici in ihrem vierten Kapitel eindringlich, dass die Hexenverbrennung kein Überbleibsel der feudalen Welt darstellt, sondern strukturell mit der kapitalistischen Vergesellschaftung verbunden ist/war. Zur gleichen Zeit, als die spanischen Kolonisatoren die Bevölkerung Südamerikas unterwarfen, folterten und ermordeten, ging die Verfolgung der europäischen Frauen „von der Inquisition zu den weltlichen Gerichten“ über (S. 205). Federici versteht diese organisierte Vernichtung von Frauen als einen „Angriff auf den Widerstand der Frauen gegen die Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse [...], und ein Angriff auf die Macht, die Frauen durch ihre Sexualität, ihre Kontrolle über die Reproduktions- und ihre Heilfähigkeit erlangt hatten“ (S. 209).
Die Hexenjagd führte nicht nur zu einer Verfestigung patriarchaler Ordnung, sondern auch dazu, dass sich Frauen vor anderen Frauen fürchteten. Dieses allgemeine Klima der Angst – so Federici – untergrub die Klassensolidarität und hatte eine tiefe Spaltung des Proletariats zur Folge. Die Hexenverfolgung schrieb sich auch insofern in den weiblichen Körper ein, als sie den langen Weg zum „sauberen Sex zwischen sauberen Betttüchern“ (S. 233) vorbereitete und die weibliche Sexualität zur „Arbeit und zu einem Dienst an den Männern sowie an der Zeugung gemacht hat“ (S. 234).
Hexenjagd und Kolonisierung
Im letzten Kapitel geht Federici auf die Verbindung von Hexenjagd und Kolonisierung ein – eine Verbindung, die sich in den vorangegangen Kapiteln bereits ankündigte. Federici beschreibt unter anderem, wie die Hexenjagd auf die amerikanischen Kolonien ausgeweitet wurde und dazu diente „kollektiven Widerstand zu brechen, ganze Gemeinschaften zum Schweigen zu bringen und die Mitglieder dieser Gemeinschaften gegeneinander aufzuhetzen“ (S. 266). Federici schildert, wie der Hexenverfolgung der spanischen Kolonisatoren vor allem auch die „Anstifter antikolonialer Revolten“ zum Opfer fielen (S. 279). Die vermeintlichen Hexen waren also insbesondere diejenigen, die sich dem kolonialen Regime des Terrors entgegenstellten. In diesem Zuge weist Federici auch darauf hin, dass vor allem Frauen den antikolonialen Widerstand anführten.
„Caliban und die Hexe“ ist aus meiner Sicht eine bereichernde Lektüre über die gewaltvolle Struktur, die den Anfängen des Kapitalismus zugrundeliegt. Aber „Caliban und die Hexe“ ist auch noch viel mehr: Es ist eine bereichernde Lektüre über die gewaltvolle Struktur, die dem Kapitalismus immer noch zugrundeliegt. Der Prozess, den Federici für das späte Mittelalter beschreibt, ist kein abgeschlossener, sondern ein fortlaufender: „Verelendung, Rebellion und der Anstieg der ‚Kriminalität' sind strukturelle Bestandteile der kapitalistischen Akkumulation, da der Kapitalismus die Arbeiterschaft ihrer Reproduktionsmittel berauben muss, um seine Herrschaft durchzusetzen“ (S. 100). Das bedeutet auch, dass Hexenverfolgungen in der Durchsetzung des Neoliberalismus wieder vorzufinden waren/sind (vgl. S. 287). Doch Federicis Buch handelt nicht nur von Gewalt, sondern auch und vor allem von Widerstand, Alternativen und Möglichkeiten. Es ist in jeder Hinsicht lesenswert.
Zusätzlich verwendete Literatur
Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/Main, Suhrkamp
Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation.
Mandelbaum Verlag, Wien.
ISBN: 978385476-615-5.
316 Seiten. 24,90 Euro.