Gott ist Brasilianer
- Buchautor_innen
- Peter Overbeck
- Buchtitel
- Gott ist Brasilianer
- Buchuntertitel
- Erlebnisse eines Kameramanns
Eine beeindruckende Lebens- und Zeitgeschichte zugleich: Biografie eines politischen Aktivisten und Dokumentarfilmkünstlers.
Einblicke in eine ungewöhnliche Biographie: Peter Overbeck, in Mannheim geboren und in Brasilien aufgewachsen, Dokumentarfilmer, politischer Aktivist und Weltenbummler hat seine Erinnerungen aufgezeichnet. Herausgekommen ist keine Schriftgattung, die gefällig und trügerisch zugleich ist, eine Autobiographie. Overbeck erlebt die letzten Tage des Tausendjährigen Reiches als fünfzehnjähriger Flakhelfer in Berlin, gerät in russische Gefangenschaft, kehrt nach Mannheim zurück und studiert Kunst. 1950 bekommt sein Vater eine Stelle in Monte Alegre, Brasilien. Zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin wandert auch der Autor nach Brasilien aus. Sie lernen ein anderes Land kennen, als das die Medien gewöhnlich liefern. Die Mehrheit des Volkes hat mit ernsthaften Problemen zu kämpfen, um überleben zu können. 1964 kam es schließlich zum Militärputsch, die langen Jahre der Militärdiktatur und des Widerstandes dagegen. Das Paar schließt sich der ALN an, der Allianz zur Nationalen Befreiung, welche bewaffnete Aktionen ausführt und ist dort vor allem im logistischen Bereich aktiv, während Peter Overbeck mit Werbefilmen sein Brot verdient. Man erkennt leicht: Dies ist nicht die heroische Geschichte lateinamerikanischer Guerilleros, sondern von Aktivisten an der Basis. Der Druck der Militärs wird schließlich so gewaltig, dass sie 1971 beschließen nach Salvador Allendes Chile auszuwandern. Overbeck dreht jetzt Dokumentarfilme, die den Prozess der Unidad Popular begleiten. Nach dem Putsch Pinochets ein Jahr in der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria), dann mal wieder zurück nach Deutschland und Neubeginn in Brasilien. Die Metallarbeiterstreiks 1981 in Sao Bernado, dem Zentrum der Automobilindustrie, angeführt vom heutigen Präsidenten Lula de Silva, läuteten das langsame Ende der Militärdiktatur ein. Wieder ein historischer Moment, Overbeck ist mittendrin. Brasilien hatte sich in seiner Abwesenheit gewaltig verändert: Zu einem Schwellenland, welches sich auch technologisch dem Weltmarkt öffnet, während die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer werden. Industriereportagen, das Leben der Arbeiter in der Zucker- und Alkoholindustrie, die Streiks dort werden Themen von Dreharbeiten. Und die Bewegung der landlosen Bauern (MST-Movimento dos Sem Terra) werden dokumentiert, überraschender Weise Nachkommen deutscher, polnischer und italienischer Einwanderer. Es wäre zu wünschen, dass diese Filme es endlich ins deutsche Fernsehen schaffen. 1994 zieht Overbeck und seine neue Lebensgefährtin, eine Jüdin, nach Israel in einen Kibbuz, wieder ein neues Land, völlig unterschiedliche Interessenkonflikte und wieder in der Anti-Kriegsbewegung. Ein beeindruckendes Leben und Zeitgeschichte in einem. Chronik im besten Sinne des Wortes.
**
Die Rezension erschien zuerst im Januar 2006 stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, lj, 12/2010)
Gott ist Brasilianer. Erlebnisse eines Kameramanns.
Edition Nautilus, Hamburg.
ISBN: 978-3-89401-452-0.
224 Seiten. 19,90 Euro.