Es geht um Symbole und Begriffe
- Buchautor_innen
- Miteinander e.V. / Arbeitsstelle Rechtsextremismus (Hg.)
- Buchtitel
- Sirenen des Hasses
- Buchuntertitel
- NS-Hardcore aus Sachsen-Anhalt
Diese Broschüre zeigt, wie die Nazi-Musikszene Symboliken aus dem Bereich des Hardcore übernimmt und diesen inkognito mehr und mehr für sich einnimmt.
In der Broschüre „Sirenen des Hasses“ wird über die N(ational)S(ocialist)H(ard)C(ore)-Szene in Sachsen-Anhalt informiert. Gerade Magdeburg und Umgebung gilt neben Altenburg in Sachsen, aus der die neonazistischen Hardcore-Bands Moshpit und Brainwash stammen, als eine Hochburg dieser NS-Subkultur. Neben vielen bekannten Bands wie Daily Broken Dream (Ex-Race Riot) und Fear Rains Down beherbergt die Landeshauptstadt auch das umtriebige NSHC-Label Until The End Records. Verlegt wurde auf diesem Label unter anderen der vielbeachtete „Hardcore Until The End“-Sampler, der szeneintern für sehr viel Aufsehen sorgte und durch sein unauffälliges Erscheinungsbild sicher auch den Weg in das CD-Regal von so manchem „unpolitischen“ Hardcore-Fan gefunden hat. Neben Erläuterungen zu den einzelnen Bands bereitet die Broschüre auch die Geschichte der „klassischen“ Hardcore-Szene auf und zeigt bereits bei frühen Hardcore-Punk-Bands ideologische Anknüpfungspunkte für erz-konservative und antikommunistische Attitüden.
„Ich bin der Meinung, dass gerade Musik wie unsere, die ihre Vorbilder doch allesamt außerhalb der „rechten Szene“ findet, nicht zwangsläufig extreme Polit-Texte braucht, um Wirkung zu zeigen: Schon oft habe ich begeisterten Zuspruch von Leuten aus der Hardcore-Szene bekommen, wenn ich ihnen CDs wie die von Teardown oder Path Of Resistance gab. Dadurch kam man auch ins Gespräch über Politik. Inzwischen sind einiger dieser Leute selbst in der nationalen Bewegung aktiv.“ Maik (Ex-Race Riot, jetzt Daily Broken Dream)
Dieses Zitat des Bassisten der Magdeburger NSHC-Band Daily Broken Dream legt die Strategie offen, die seit einigen Jahren in der neonazistischen Szene betrieben wird. Nicht nur stilistische, sondern teilweise auch inhaltliche Schnittmengen zur „klassischen“ Hardcore-Szene werden bewusst herbeigeführt, um nicht auf den ersten Blick schon als Neo-Nazi zu gelten, obwohl man natürlich genau das ist. Es geht um Symbol- und Begriffsaneignung. Es geht darum die Ästhetik der ehemals als links geltenden Subkultur zu deuten. Auch wenn das Thema des sogenannten Hatecore, bzw. des NSHC an anderer Stelle oft schon erschöpfend behandelt wurde, bemerkt man doch in der Debatte oft Lücken, die manchmal mit Ignoranz, aber meist mit der schnellen Entwicklung dieser Szene zu tun haben. Immer mehr Bands mit immer schwerer zu durchschauenden Symboliken scheinen die Szenerie geradezu zu überschwemmen. Oft fallen die T-Shirts einschlägiger rechter Bands gar nicht mehr auf, da auch die Designs von Hardcore-Bands kopiert werden. Man ist verloren. Wenn man sich nicht gerade täglich mit dieser Thematik beschäftigt, weiß man bald nicht mehr ob der Bandname auf dem T-Shirt des Gegenübers jetzt vielleicht nicht doch irgendwie „rechts“ ist.
Zu dieser Unübersichtlichkeit kommt noch die Ambivalenz in den rechten Lebenswelten hinzu. Man bedient sich linker Symboliken und Begrifflichkeiten und ist von außen nicht mehr einzuordnen. Durch einfaches Wechseln des Band-Shirts kann man sich z.B. auf einem Hatebreed-Konzert im berliner SO36 genauso wohl fühlen, wie beim NS-Konzert in einer eigens dafür angemieteten Gaststätte in der brandenburgischen Provinz. Aus dem Mangel an technisch guten Bands musste man viele Jahre auf die verhassten „Zeckenbands“ ausweichen, wenn auch mal gut gespielte Musik gehört werden wollte. Diese Aspekte lassen sich in diversen Konzertberichten und anderen Beiträgen in den einschlägigen Neo-Nazi-Foren nachlesen. Da gibt es auch keine Berührungsängste, für die besonderen Gelegenheiten, mal ein T-Shirt einer antifaschistischen Band wie Heaven Shall Burn zu tragen. Dies veränderte sich nicht schlagartig, aber vergleicht man Bands der vergangenen 3-4 Jahre mit den Rechts-Rock-Bands der 1990er, so ist ein stetiger Professionalisierungsprozess zu verzeichnen, der wiederum zu einer stärkeren Bindung der Zielgruppe führte. Gerade NSHC-Bands wie Moshpit (Altenburg), oder Path Of Resistance (Rostock) muss man, bei aller Abneigung gegen ihre Geisteshaltung, schon ein gewisses spielerisches Können zugestehen. Auch das Artwork und die Texte sind fast nicht mehr von denen „linker“ Hardcore-Bands zu unterscheiden. Textliche Entschärfungen und die Übernahme des rebellischen Gestus und Styles der Hardcore-Szene tragen ihr Übriges zum relativen Erfolg dieser Bands bei. Es heißt nicht mehr nur, wie noch vor 20 Jahren, „Türken raus“ oder „Barbecue in Rostock“, vielmehr wurden subtilere Wege gefunden um Antisemitismus und Rassismus zu propagieren.
Die Herausgeberin der Broschüre, der Bildungsverein Miteinander e.V., leistet mit der Broschüre eine sehr gute Arbeit im Sinne der Öffentlichmachung von Strukturen und der Informationen über die vielen jugendkulturellen Codes und Symboliken, die Erwachsene nicht mehr verstehen wollen oder können. Hier werden differenzierte Informationen über die Zusammenhänge der Strukturen der NSHC-Szene gegeben, die für viele Neonazis identitätsstiftend sind und die Möglichkeit verschafft, ihre Ideen in die Öffentlichkeit zu tragen, ohne mit dem Stigma der Neo-Nazi-Skins der 1990er Jahre behaftet zu sein. Gerade für Leute, die nicht aus einem subkulturellen Umfeld kommen, hat diese Broschüre einen besonderen Wert. So kann schon frühzeitig - im sogenannten vorpolitischen Raum – erkannt werden, wo man mit pädagogischer Arbeit ansetzen kann. Denn auch für diese Multiplikatoren ist die Broschüre, als Teil der pädagogischen Auseinandersetzung mit der Einflussnahme neonazistischer Jugendlicher auf unterschiedlichste Subkulturen und somit einem wichtigen Bereich jugendlicher Lebenswelten, gedacht. Auch wenn eine Broschüre allein kein Allheilmittel darstellen kann, enthält sie dennoch wichtige Informationen, die in der antifaschistischen Arbeit von großem Wert sein können.
Sirenen des Hasses. NS-Hardcore aus Sachsen-Anhalt.
Miteinander e.V..
25 Seiten.