Enge Bande
- Buchautor_innen
- Felix Krebs / Jörg Kronauer
- Buchtitel
- Studentenverbindungen in Deutschland
- Buchuntertitel
- Ein kritischer Überblick aus antifaschistischer Sicht
Die Autoren ermöglichen Einblicke in das Innenleben und Denken von Studentenverbindungen.
Dieses Jahr zu Pfingsten feierte in Eisenach die Deutsche Burschenschaft (DB), Dachverband vieler Verbindungen, den Burschentag. Auf diesem sollte der Antrag einer Burschenschaft eingebracht werden, der forderte, dass die in der Verbandsverfassung festgehaltene Bedingung zur Mitgliedschaft - das Teilen eines „gemeinsamen Schicksals“ - die „deutsche Abstammung“ beinhalte. Desweitern war die Forderung, eine andere Verbindung aus dem Verband auszuschließen, da diese einen „chinesischstämmigen“ Studenten aufgenommen habe (Nebst vielen anderen geleakten Burschentag-Dokumenten nachzulesen in den „Tagungsunterlagen ‚Burschentag‘ 2011 auf linksunten.indymedia.org - ab S. 51). Der DB distanzierte sich nicht von der öffentlichen Kritik, sondern spielte sich in die Opferrolle; ein Antrag sei ja noch kein Beschluss und man könne nicht die Meinung mancher als die Meinung eines ganzen Verbandes werten. Die Meinung mancher? Sind rassistische und völkisch-nationalistische Haltungen in Studentenverbindungen wirklich die Ausnahme und nicht repräsentativ für ein Gros der Verbände? Um dieser Frage nachzugehen, lohnt es sich, einen Blick in das Bändchen „Studentenverbindungen in Deutschland“ von Felix Krebs und Jörg Kronauer zu werfen, das kürzlich in der Unrast transparent-Reihe erschien. Auf knapp 60 Seiten stellen die Autoren bereit, was sie im Untertitel versprechen: Einen kritischen Überblick aus antifaschistischer Sicht, der Fakten liefern soll aus den schwer zugänglichen Studentenverbindungsszenen.
Strukturen
Einführend erläutern Krebs und Kronauer die wichtigsten Begriffe und Strukturen, mit und in denen sich Studentenverbindungen, auch Korporationen genannt, bewegen. Die Tradition des Verbindungswesens in Deutschland und Österreich ist gut 200 Jahre alt und wird umfassend gepflegt. Derzeit sind in 900 Verbünden in Deutschland und Österreich rund 19.000 Studierende und 137.000 Alte Herren und Damen gezählt. Zu dem Regelwerk, dem Comment, gehören das Lebensbundprinzip (lebenslange Mitgliedschaft), das Conventsprinzip („Basisdemokratie“) und in vielen Verbindungen das Schlagen von Mensuren, einem Fechtkampf, der die Tapferkeit der fast ausschließlich männlichen Verbündeten unter Beweis stellen soll. Unterschiede bei den Verbindungen (katholische und christliche Verbindungen, Corps, Burschenschaften, Turnerschaften etc.) und ihren Dachverbänden (DB, Coburger Convent etc.) gibt es hinsichtlich der religiösen und politischen Orientierung, der Bräuche und Prinzipien und der sportlichen und musischen Aktivitäten. Das Tragen oder Führen von Farben (Band und Mütze) und das Schlagen von Mensuren sind ebenfalls verbindungsabhängig.
Ein wichtiger Brauch der Korporationen ist die Kneipe - ein schlichtes Besäufnis, jedoch von großer Gemeinsamkeit stiftender und erzieherischer Bedeutung, weil zahlreiche Trinkregeln im „Biercomment“ festgelegt sind. Oder der Kommers - Veranstaltungen, bei denen ein Festredner geladen ist (nicht selten aus Reihen der extrem Rechten) und bei denen der Alkoholkonsum genauso wichtig ist, Hierarchien und Autoritäten müssen trotz Volltrunkenheit anerkannt und beibehalten werden, eine gewünschte Übung in Selbstdisziplin.
Schlagseite nach rechts
Die DB erklärte schon vor vier Jahrzehnten die Zugehörigkeit in einer Burschenschaft nicht für unvereinbar mit einer NPD-Parteimitgliedschaft. Demnach und der ideologischen Ausrichtung des Verbands entsprechend gibt es einige Burschenschaftler, die in der NPD oder anderen extrem rechten Organisationen aktiv sind. Die jüngsten Auseinandersetzungen um die DB erstaunen also nicht. Kronauer und Krebs stellen fest, dass das Spektrum an politischen Haltungen in den verschiedenen Korporationen von liberal über konservativ hin zu völkisch reicht, Überschneidungen personeller und ideologischer Art mit neofaschistischen Gruppierungen jedoch in geringer Anzahl verbleiben. Deshalb unterstreichen die Autoren die Notwendigkeit eines differenzierten Blicks, um Kritik auch fundiert äußern zu können. (S. 19) Denn dem Vorwurf der Pauschalisierung seitens der Verbindungen sollte nicht recht gegeben werden.
Der Verband, der immer wieder durch Beziehungen zur extrem Rechten auffällt, ist der DB. In diesem gründete sich 1961 die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG) aus dem rechten Flügel als Fraktion. Dieser gehören mittlerweile 45 Burschenschaften aus Deutschland und Österreich an. Die BG pflegt enge Kontakte zur NPD und zur österreichischen FPÖ. In ihrem Gründungsprotokoll bekennt sie sich „zum volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ (S. 50) und geht davon aus, dass durch die an Polen übertragenen Gebiete „eine einseitige Verletzung des Völkerrechts vorliegt“ (S. 51), da dies aus „deutscher Perspektive“ nicht freiwillig geschah. Auch außerhalb dieses Verbands feiern zahlreiche Burschenschaften zum Jubiläum der Reichsgründung 1871 sogenannte „Reichsgründungskommerse“ und auf den Internetseiten einiger Verbindungen findet sich das „Lied der Deutschen“. Diese Beispiele werden von Kronauer und Krebs um viele weitere erweitert und liefern Indizien dafür, dass es in vielen Burschenschaften nicht bei konservativem Dünkel verbleibt. Doch ist dies nicht bei allen so, und so erstaunt die Autoren vor allem,
„dass sich die konservativen und liberalen Verbände zu wenig öffentlich von ihren völkischen und extrem rechten Verwandten abgrenzen, stattdessen zu deren politischer Einstellung schweigen oder sogar mit ihnen in vielfältiger Weise kooperieren.“ (S. 19)
Ein einziges Beispiel für eine konsequente Distanzierung wird an dieser Stelle angebracht: Als es Teilen der DB durch die Aktivitäten der BG zu rechtslastig wurde, traten einige Verbindungen aus und gründeten die Neue Deutsche Burschenschaft (NBD). Die SPD hingegen scheiterte kläglich an einem Beschluss zur Unvereinbarkeit von Parteimitgliedschaft und Mitgliedschaft in einer Burschenschaft, woran mitunter hohe Funktionäre, die beidem angehören, beteiligt waren. Die Distanzierung von völkischen oder extrem rechten Verbindungen scheint oftmals tatsächlich nicht gewollt. Was schon sehr für sich spricht. Grund dafür mag – neben personeller Verstrickung – auch die hochgehaltene Solidarität sein, mit der die Verbindungen sich gegen Kritik von außen und Selbstreflexion wehren. Da erscheint es doch fast merkwürdig, dass sich Verbände wie der Coburger Convent und andere seit den neusten Ereignissen um den DB öffentlich von diesem distanzieren. Vielleicht fanden sie in diesem rassistischen Verband ein gefundenes Fressen, um sich selbst zu rehabilitieren. Dieser Verdacht der Instrumentalisierung ließe sich vielleicht noch durch die Information aus dem Buch erhärten, dass schon längst einige Dachverbände nur Mitglieder aufnehmen, die „deutscher Abstammung“ sind. (S. 44)
Geschichtsrevisionismus und Deutschtümelei
Die im 19. Jahrhundert entstandenen studentischen Korporationen dienen den heutigen Verbindungen als Vorbild. Die Burschenschaften, die sich aus den Kriegen Anfang des 19. Jahrhunderts zusammenschlossen, waren von dem Wunsch beseelt, einen deutschen Nationalstaat zu schaffen. Die völkische Orientierung war von Beginn an stark präsent und mündete sehr bald in einen ausgeprägten Hass gegen den „französischen Gegner“ und im Antisemitismus. 1920 fasste der DB den Beschluss, dass „‚nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich offen zum Deutschtum bekennen, in die Burschenschaft aufgenommen werden.‘“ (S. 27)
Der Verband der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt), vertrat, wie viele andere Korporationen, eine „aggressive Deutschtums-Politik“ (S. 28) und stellte die „‚Erhaltung des Deutschthums‘“ (S. 29) und die enge Bindung der deutschsprachigen Gebiete im Ausland an oberste Stelle der Agenda. Eine Politik, die bis heute eine große Rolle in Verbindungen spielt: „Burschenschaftler sorgen sich nicht nur um Deutschtum, Volk und Vaterland heute, sondern auch um den Ruf des verblichenen Deutschen Reichs“ (S. 52), konstatieren Krebs und Kronauer. So spielt die Deutschtums-Politik nach wie vor in vielen Verbindungen eine große Rolle. Dabei geht es tatsächlich um eine „blutliche Abstammungsgemeinschaft“ und „die Ansicht, diejenigen Gebiete in Europa, in denen Deutsch als Muttersprache gesprochen wird, bildeten einen besonderen ‚Kulturraum‘ und müssten sich durch besonders enge Beziehungen verbinden.“ (S. 44) Deshalb pflegen nicht nur der VVDSt und der DB enge Beziehungen zu Verbindungen in Österreich und zu einigen Vertriebenenverbänden, um Einfluss auf die ehemaligen Ostgebiete zu nehmen und die „deutschsprachigen Minderheiten“ zu schützen.
Elitekult und Autoritarismus
Die Studentenverbindungen sind durch klare, autoritäre Hierarchien organisiert und das Lebensbundprinzip festigt generationsübergreifende Zusammenhänge. Der verbindungstypische Habitus wird durch zahlreiche Prinzipien, Wertesysteme und Regeln „anerzogen“. Dabei stehen die Persönlichkeitsentwicklung und die Verinnerlichung des „Corpsgeistes“ im Vordergrund. Allein die Weisung der „ritterlichen“ Verhaltensweisen stellt eine elitäre Haltung dar, die die Mitglieder einer Verbindung von den nicht-korporierten abheben soll. Und auch wenn Studentenverbindungen nicht mehr den Einfluss an den Universitäten haben wie einst, „haben sie sich beträchtlichen Einfluss bewahrt“ (S. 36). Noch vor zehn Jahren waren 20 Prozent aller deutschen Vorstandsmitglieder in einer Verbindung. Die Mitgliedschaft in einer Verbindung kann also per Seilschaften immer noch eine Einstiegshilfe in elitäre Berufssegmente bedeuten. Auch ranghohe Politiker wie Jürgen Rüttgers und Peter Ramsauer sowie zahlreiche mediale Persönlichkeiten gehören Verbindungen an. Allein der zahlreichen Namensnennungen wegen lohnt sich ein Blick in das Buch.
Die Autoritätsfixierung, die von einem natürlichen Oben und Unten ausgeht, ist allen Männerbünden gemein und soll möglichst unhinterfragt bleiben. Zum idealen Männerbild der völkisch orientierten Ideologie gehört der „wehrhafte“ Mann, der Autoritäten gehorcht. Der Männlichkeitskult wird vor allem in schlagenden Verbindungen gefeiert, in denen während der Zeit der Aktivitas (während des Studiums) Mensuren gefochten werden müssen. Bei dem Kampf mit scharfen Waffen geht es um „Überwindung von Angst und um das Einstehen für die eigene Korporation“ (S. 11). Deshalb sei er ein „‚Mittel (…) der Persönlichkeitsbildung‘“ und „dient (…) dem Schutz vor angeblicher ‚Verweichlichung‘ und ‚Verweiblichung‘“(S. 11).
Das Frauenbild in den männlichen Verbindungen ist geschlossen sexistisch. In diesem Sinne haben Damenverbindungen kaum Bedeutung bei ihren männlichen Pendants, sind in keinem Dachverband organisiert und auch Seilschaften funktionieren aufgrund der kurzen Lebensdauer der meisten Verbindungen nicht. Frauen spielen in den Burschenschaften meist die Rolle der schmückenden „Couleurdame“ (S. 18) des Sexualobjekts und der Ehefrau.
Das Buch liefert viele Hintergründe und Fakten zu den Studentenverbindungen in Deutschland, die wohl meistens hinter verschlossenen Vereinstüren verbleiben. Aufgrund der Dichte und der sprachlichen Einfachheit sind viele Informationen entnehmbar und so eignet sich das Bändchen tatsächlich sehr als Einstiegshilfe und zum Immer-wieder-nachschlagen. Und so liefert das Buch, obwohl es keinen Ausblick oder Handlungsperspektiven nennt, doch genau das: Aufdecken und Aufklären für eine antifaschistische Position, die die Verbindungen in Erklärungsnot zwingt und aus ihrer elitären Abgeschlossenheit herausholt.
Studentenverbindungen in Deutschland. Ein kritischer Überblick aus antifaschistischer Sicht.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-107-5.
80 Seiten. 7,80 Euro.