Die Angst vorm Automaten
- Buchautor_innen
- Aaron Benanav
- Buchtitel
- Automatisierung und die Zukunft der Arbeit
Es heißt: Technologie führt entweder ins Paradies oder in den Untergang. Wie es anders geht, zeigt eine solidarische Kritik an Zukunftsvorstellungen.
Digitalisierungsdebatten haben wieder Konjunktur. Nicht zuletzt wegen Corona scheint ein erneuter Anschub der Digitalisierungsbestreben auf allen Ebenen notwendig geworden zu sein. Dabei verschwimmen Forderungen nach iPads in Schulen mit der Diskussion um Vorratsdatenspeicherung, das Corona-Tracking mit dem Einsatz von Kampfdrohnen, der Ausbau von Robotik am Fließband mit dem in der Pflege. Eins ist klar: Wer die Digitalisierungsdiskurse bestimmt, bestimmt auch zu einem gewissen Grad das Bild der Zukunft.
Nicht zuletzt der Diskurs um die Klimakatastrophe hat gezeigt, dass lieber auf noch nicht vorhandene Zukunftstechnologien spekuliert wird, als grundlegend an den Strukturen des Kapitals zu rütteln. Dabei herrscht, was den Ausbau der Digitalisierung angeht, erstaunliche Einigkeit über die politischen Lager hinweg. Auch wenn linke Kräfte mit einem Digitalisierungsanschub anderen Motiven folgen mögen, stimmen diese insofern mit dem liberalen Lager überein, dass ein Mehr – an Daten, an Entwicklungen, an technologischer Durchdringung – die zunehmend einzige Option für eine bessere Gesellschaft zu werden scheint. Der Digitalisierungs- oder Automatisierungsdiskurs bejaht – meist unkritisch – das Transformationspotenzial einer allgemeinen Technologisierung, die in schwammigen Begriffen zu einem zentralen, gar dem einzigen, Akteur für das Einhalten lebenswerter Zukunftsvorstellungen geworden ist.
Automatisch in den Kommunismus?
Aaron Benanavs „Automatisierung und die Zukunft der Arbeit“ hält sich erfrischend wenig mit solchen Phantasmen einer potenziellen Vollautomatisierung auf. Auch wenn Benanav sich solidarisch zeigt mit den Träumen, die Automatisierung würde zur Entlastung der Arbeiter*innenschaft führen: An den Vorstellungen eines vollautomatisierten Luxuskommunismus zum Beispiel, oder Ideen einer algorithmisch durchexerzierten Planwirtschaft, zeigt er überzeugend auf, dass diese eben vor allem eines sind: Phantasien, die die Eingebundenheit des Technologischen in kapitalistische Verhältnisse unterschlagen. Sein Hauptanliegen ist daher, tatsächliche Automatisierungs- und Digitalisierungsbestrebungen in ihren sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen zu verankern, um den Fehlschlüssen der Automatisierungsdiskurse auf die Schliche zu kommen.
Ein Großteil des Buches widmet sich daher der Widerlegung der These, die zunehmende Automatisierung führe zwangsläufig zu einer Situation, in der Computer und Maschinen menschliche Arbeit komplett übernehmen. Die gängige Überzeugung, durch die Automatisierung würden Menschen weniger Arbeit haben, erweist sich Benanav zufolge als verkürzt, da sie einen vagen Automatisierungsbegriff als allgemeingültige Ursache für zunehmende Arbeitslosigkeit aufgrund von steigender Produktivität setzt. Damit werden sowohl das dominante Schreckensszenario eines überflüssig gewordenen (weil arbeitslosen) Menschen angezweifelt, wie auch die These, dass durch die Digitalisierung automatisch eine neue Wirtschaftsform eintreten müsse, die beispielsweise Gehalt von Lohnarbeit abkoppele und somit automatisch in den Kommunismus führen würde.
Viel eher sieht Benanav das Problem in einer Stagnation der Weltwirtschaft – erfolgt aus jahrzehntelanger Überkapazität bei gleichzeitigen Unterinvestitionen. Anhand von tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungen in unterschiedlichen Ländern zeigt er, dass Massenarbeitslosigkeit und Deindustrialisierung nicht zwangsläufig mit Prozessen der Digitalisierung einhergegangen sind, sondern sich schon davor als Problem abzeichneten. So setzen Automatisierungstheoretiker*innen (wobei die meisten wohl doch eher Männer sind) falsche Kausaleffekte an den Anfang ihrer Überlegungen.
„Für diese Fehleinschätzung der Automatisierungstheorie gibt es einen Grund. Bestimmend für die Nachfrage nach Arbeitskraft ist die Differenz zwischen Produktivitäts- und Outputwachstum. Wird das Schrumpfen dieses Abstands falsch herum gelesen – als Folge steigender Produktivität, nicht sinkenden Outputwachstums –, entsteht die verkehrte Welt des Automatisierungsdiskurses.“ (S. 69)
Da die Produktivität in Benanavs Analyse nicht oder nur sehr langsam steigt, ist es eher das Sinken des Outputs – gefolgt von weniger Investitionen und Deindustrialisierung – das zu Negativentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt führt. Lohnarbeitende unterliegen also nicht den Technologien, die Arbeitsplätze automatisieren, sondern leiden unter prä-existierenden kapitalistischen Mechanismen, die Ausbeutung vorantreiben. Selbstbedienungskassen bedeuten eben nicht zwangsläufig mehr Freizeit für Kassierer*innen, sondern führen zur Erwartung, dass gleich mehrere Kassen beaufsichtigt, oder Kassierer*innen entlassen werden können. Es reicht also nicht aus, auf dem Feld der Technologie nach Allheilmitteln zu suchen, nicht zuletzt, weil dies die Technologie aus seinen ökonomischen Bedingungen herauslöst und als nicht-kulturell begreift. So ist beispielsweise die Motivation hinter dem Fortschritt der künstlichen Intelligenz bisher keine, die auf das soziale Allgemeinwohl abzielt. Es ist also kein Wunder, dass die bisherige Automatisierung dies auch nicht tut. Die als so selbstverständlich auftretende These, dass Technologie bisher überwiegend Kapitalinteressen dient, scheint fast schon zu schlicht, ist aber in Anbetracht der Dateneuphorie, wie sie seit Corona wieder herrscht, erfrischend nüchtern und selten in solcher Klarheit formuliert worden.
Der wiederkehrende Blick über die hegemonialen Geographien der Digitalisierung (USA, Europa, Japan) hinaus, erlaubt auch einen Blick auf die unsichtbaren Infrastrukturen der Digitalisierung, welche arme und marginalisierte Menschen – überwiegend Frauen im globalen Süden – prekär und gefährlich beschäftigt hält. Dies betrifft nicht nur Lagerarbeiter*innen bei Amazon oder Lieferando-Kuriere, sondern auch die Arbeiter*innen, die in Bangladesch, auf den Philippinen oder in Kenia Algorithmen trainieren, Daten kategorisieren und Content moderieren; die aufgrund ihrer „flinken Finger“ Handys montieren oder anders die Infrastrukturen erschaffen, aus denen sie systematisch ausgegrenzt werden.
Freiheit von Arbeit oder Arbeit in Freiheit
Aus der detaillierten Kritik ergibt sich aber bei Benanav kein Verweilen in der Negation, ganz im Gegenteil. Seine schlichte und doch eindrücklich formulierte Lösung ist eine Umkehrung der Kausalitäten, die in seiner Herleitung am falschen Ende den Wandel konstruieren.
„Anstatt eine vollautomatisierte Wirtschaft vorauszusetzen und sich die dadurch gegebenen Möglichkeiten zum Aufbau einer besseren und freieren Welt auszumalen, könnten wir von einer Welt der universellen Menschenwürde ausgehen und dann fragen, welcher technische Wandel nötig wäre, um sie zu verwirklichen.“ (S. 133)
Benanav interessiert sich letztendlich auch für andere Zukunftsentwürfe, jedoch jenseits solutionistischer Technologieparadigma. Im schlanken Ausblick, den er zum Ende des Buches bietet, plädiert er für eine radikale Anerkennung aller Verpflichtungen und Verflechtungen, die die Menschheit miteinander verbindet und dafür, diese nicht auf die Schultern des zunehmend unsichtbaren (weiblichen, migrantischen, kolonisierten) Prekariats abzuladen.
Auch in diesem letzten Punkt unterscheidet er sich maßgeblich von anderen Automatisierungspropheten, deren Vorstellungen einer perfekten Welt sich in dem ergießen, was die vielleicht einzige bekanntere Kritikerin der Automatisierungsdiskurse Sarah Sharma 2017 einen „Sexodus“ genannt hat – die (patriarchale) Phantasie des Ausstiegs aus allen gesellschaftlichen Verpflichtungen zum Wohle einer vollautomatisierten und dadurch vermeintlich autonomen Existenz des Einzelnen. Wie Sharma legt auch Benanav seinen Blick auf die selten beachteten reproduktiven Funktionen, die es zu vergesellschaften gilt. Diese historisch feminisierte Sphäre müsse umgestaltet werden, sodass auch die heutzutage als „identitätspolitisch“ abgetanen Kämpfe auf materialistischer Ebene angegangen werden können, um grundlegende Notwendigkeiten wie beispielsweise unter- oder unbezahlte „Frauenarbeit“ nicht unsichtbar zu machen.
Dabei können Technologien durchaus an solchen Umstrukturierungen teilhaben – aber nur, wenn sie im Sinne der Gesellschaft erbaut und eingesetzt werden. Seine Hoffnungen legt Benanav daher auf einen breit geführten Kampf sozialer Bewegungen, der sich an der historischen Aufgabe orientiert, die Eroberung der Produktion zu erlangen und nach demokratischen Begehren umzugestalten. Das, was Automatisierungsutopist*innen sich auf technischem Wege erhoffen, ist nach Benanav nur durch ein kollektives Gesellschaftsprojekt realisierbar, was Zukunft im Plural, mit Ambivalenzen und Offenheit, zu denken schafft.
Zusätzlich verwendete Literatur
Sharma, Sarah (2017): Exit and the Extensions of Man. In: Transmediale Online Journal, online einsehbar hier.
Automatisierung und die Zukunft der Arbeit. Übersetzt von: Felix Kurz.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-518-12770-4.
195 Seiten. 16,00 Euro.