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Der Sound der Väter

Buchautor_innen
Helmut Lethen
Buchtitel
Der Sound der Väter
Buchuntertitel
Gottfried Benn und seine Zeit
Lethen geht an Benns Beispiel Übergängen nach: Vom Zeitalter der „nervösen Väter” - in den ersten Weltkrieg - in die Zustimmung zum Nazismus - in die Scheinstille der 1950er.

Fünfziger Jahre- Benn! Bennzeit! Er war der Lyriker, der allen seine Sprache aufzwang, den schnellen Vers mit den entlegenen Reimwörtern. Zugleich Prediger des extremen Individualismus, der Selbstabschneidung von der Außenwelt. Heidegger zitierte erschütternd in einer seiner Vorlesungen über den „Satz vom Grund” Benns „Sternenstrich- im leeren Raum um Welt und Ich”, wohl auch sein „Gammastrahlenlamm”.

Wir sahen das genau so. Dichtung als Fluchtraum, geschichtslos, nein: geschichtsabweisend. Auf keinen Fall gegenstandsbezogen. Und wir mittendrin in einem gestylten Nihilismus, der sich langsam mit Sartre und seinesgleichen aufzufüllen begann.

Lethen geht in seinem neuen Buch von dieser Lage nach dem Krieg aus, die keineswegs die Ausgangslage Benns war. „Nach dem Krieg waren Benns STATISCHE GEDICHTE geradezu Nahrungsmittel, die die Leser in ihrer Abkehr von der Geschichte bestärkten.” (S. 10).

Lethen sucht den jungen Arzt Benn auf als Mitglied der „Satisfaktionsgsellschaft”. Den Begriff hatte Norbert Elias geprägt für alle, die im wilhelminischen Deutschland nach 1870 aufgewachsen waren. Elias sieht darin eine Assimilation zwischen der herrschenden Adelschicht und bürgerlichen Aufsteigern. Vermittelt wurde die Haltung über Militärdienst und akademische Verbindung. In der zuletzt auf den Körper bezogenen Fähigkeit, seine Ehre mit der Waffe zu verteidigen und dies von jedem zu verlangen, der „dazuzählen” wollte, sehen Elias und Lethen die entscheidende Ichstütze in einer Welt, die durch Reizbombardierung dem männlichen Körper von allen Seiten zusetzte, ja ihn mit Zerfall bedrohte.

Das „Gammastrahlenlamm” der Spätzeit lebt schon in der Gestalt des Rönne, den Benn in mehreren Prosatexte in Brüssel während des ersten Weltkriegs als sein Ich- Gegen-Ich - im Text erzeugt. Rönne- das ist einer, der sich durch Blicke, Worte der anderen dauernd gefangen, festgelegt, getroffen sieht. Er rinnt sich selber weg. Von da aus das Lebensproblem: der Satisfaktionsgesellschaft gepanzert standhalten - und zugleich im Akt des Notierens der Sekundenwahrheiten im Innern die Empfindung des Besonderen, des Innenraums zu sichern.

In seinen ersten bekannt gewordenen Gedichten - Morgue - setzt Benn seine ärztliche Erfahrung ein. Den geschockten Zeitgenossen und noch uns in den fünfziger Jahren machten Gedichte wie „schöne Jugend” den Eindruck photographischer Detailtreue.

Die Rattenbrut im Brustkorb des ertrunkenen Mädchens - Ophelia kaputtgenagt.

Lethen weist anhand von Sektionsprotokollen des jungen Benn nach, dass diese - in Wissenschaftssprache gehalten - überhaupt nicht schocken.. Im Gedicht jedoch mischen sich Sprachbereiche, die traditionell für unvereinbar galten:

„vanitasbilder der Barocklyrik werden mit populären Schreckbildern der Anatomie überlagert; Anspielungen auf die Passionsgeschichte Christi mit modernen Bildern des Geschlechterkampfs ‚gekreuz‘; Metaphern wie ‘Tempel des heiligen Geistes‘ und ‚fliehet die Hurerei‘ aus dem Korintherbrief von christlicher Heilserwartung losgekoppelt und mit obszönen Bildern kombiniert” (S. 76).

Schocktechnik war das eine - absichtliches Hervorzerren des toten Körpers, als der wir alle einmal auf dem Schragen liegen. Auf der anderen Seite Auflösungsträume - Suche nach „Rausch”und „Wallungswort”. Das bleibt nach Lethen die Situation der zwanziger Jahre, bis die Krise auch solchen freischaffenden Ärzten klar macht, wie isoliert und verarmungsbedroht sie eigentlich sind. Die äußere Lage in der düsteren Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten tritt in immer qualvolleren Gegensatz zu der imaginierten Ich-Welt-Vollkommenheit, die den Anspruch erhebt, über allen zu stehen.

Von dieser Ausgangslage her erklärt Lethen - darin weitgehend Theweleits Buch der Könige folgend - die Anziehungskraft des Faschismus gerade für den, der sich jahrelang als den bösen Benn, „den Asozialen” stilisiert hatte.

Theweleit folgt den Schriften Benns von 1928 bis 1934 über hundert Seiten lang minutiös. Wie Lethen auch zeichnet er den Führertraum dessen, der sich an die Macht anzuklammern sucht, während er schon sinkt und schwankt. Zugleich hat Benn vom Arzt her das übernommene „Biologische” immer weiter gesteigert bis hin zu den Züchtungs-und Ausmerzungsgedanken seines Essays Dorische Welt aus dem Jahr 1934.

Von Lethens Ansatz her ließe sich sagen: er versucht Satisfaktionsfähigkeit zu halten, erhalten in der faschistischen Männergesellschaft - durch eine Art Trick und Selbsttäuschung zugleich: die Hinneigung zur Frühe, dem angeblichen Dauerrauschzustand urtümlicher Völker sollte in ihm das selbe sein wie der Germanenkult, das Schwärmen von der „blonden Bestie”, ohne Nietzsches Gesamtwerk weiter zu behelligen

Lethen wie Theweleit gehen mit Recht davon aus, dass Faschismus nur die Fetzen von Theorie von Zeit zu Zeit um sich wirft, selbst aber weder Theorie ist noch hat. Beweisen und Widerlegen entfallen in diesem Lager.

Die Macht, der sich Benn und Heidegger und viele andere zeitweise beugen, ist mit dem Doppelsinn von „umstellen” vielleicht am treffendsten bezeichnet. Umstellung wie auf dem Aufmarschplatz des Ersten Mai 1933 - alles lässt durch Fahne, Uniform, Marschgebärde keinen anderen Gedanken zu und durch als: das ist ab jetzt die Wirklichkeit. Umstellen im anderen Sinn: wie man die Möbel in einer Wohnung umstellt. Revolutionäres Räume frei legen - dem ersten Augenschein nach - aber nachher bleibt alles doch, wie es war.

Beide Formen des Umstellens wirken allerdings nur solange das Versprechen glaubhaft bleibt, dass der umstellende Block nicht nur dauert, sondern den einmal Unterwerfungswilligen aufnimmt. Zeichnet Untergang sich ab, zieht weiter kein Magnet.

Benn hatte kein Glück bei den braunen Machthabern. Er musste froh sein, beim Militär unterkriechen zu können. Das von ihm geprägte Bon-Mot „Wehrmacht die aristokratische Form der Emigration” führt von der ekstatischen Form der „Wallungsgemeinschaft” wieder zu der traditionelleren „Heeresformation” , in der die hergebrachten Satisfaktionsregeln noch eine Zeitlang gelten.

Die Zeit in Hannover und später in Landsberg ist die, die Benn in „Doppelleben” beschreibt: aus dem Ineinander ist ein Nebeneinander geworden. „Dienst ist Dienst, und Rausch ist Rausch”. Eben in dieser Haltung nimmt Benn exemplarisch die Haltung der Ernüchterung vorweg, auf die sich alle nach 1945 zurückzogen.

Faschismus ist Amalgam, Zusammensetzung vieler Elemente. Die Gewaltmaschine des Nazi-Staates funktioniert nur, so lange sie die einzelnen Elemente zusammenhält. So etwa Hermann Abs von der Deutschen Bank und Streicher vom Stürmer : Beide haben Judenenteignung, Judenvertreibung und Judenvernichtung betrieben, jeder an seiner Stelle, ohne ein einziges Mal eine gemeinsame Sprache zu finden. Nach 1945 verachteten sie einander - wie vor 1933 auch. Sobald die Zwangsverbindung über die Befehlsgewalt der Organisation und des Staates gefallen war, rutschte jeder Nazi wieder in seine alte Position zurück. Die Enttäuschung, dass es mit dem Rittergut in der Ukraine nichts geworden war, hielt man für ausreichend Umkehr.

Im vorletzten Kapitel beschreibt Lethen treffend, wie Carl Schmitt, Ernst Jünger und Gottfried Benn einander beäugten. Wer würde zuerst etwas zurücknehmen, von Erkenntnis und Umkehr sprechen? Praktisch tat es keiner. Nach ganz kurzer Zeit wurden ihre Bücher wieder gedruckt, sie selbst vor die Mikros geladen. Warum? Im Rückblick verschafften sie allen die Illusion, sich in ein inneres Reich des Wissens und der Kontemplation zurückgezogen zu haben. Allem - schmerzlich - zugesehen, aber willentlich nichts getan (Ich hörte Ende der fünziger Jahre einen Geschichtsprofessor sagen, der Abitur abnahm: „Es gab doch eigentlich nur die innere und die äußere Emigration”. Mitgemacht hat demnach keiner. Die Verbrechen müssen von Somnambulen begangen worden sein). Genau diese Haltung, wie Lethen ausführt, war dann das Faszinierende für uns Studenten nach dem Krieg.

Rückzug ins sprachliche Gebilde ohne Weltbezug mit Benn, Seinsvergessenheit seit den Vorsokratikern mit Heidegger (und sein Nationalsozialismus war dann eben davon nur der schlimmste und letzte Fall), und für aktivere Gemüter Carl Schmitt: Freund-Feind - passte das auf die Situation des Kalten Krieges nicht wie angegossen? Freund waren dann die, die den reinen Geist hochhielten - Feind die Marxisten, bei denen ein Benn nichts zu melden hatte.

Worin bestünde dann trotz allem für Lethen das Bleibende Benns, über alle Wallungen hinaus, die seine Verstechnik uns aufnötigt? Benns „naturalistische” Einstellung, das heißt die Betonung unserer Abhängigkeit vom Körper, sollte

„vor der Selbstüberschätzung schützen, der Mensch habe sein Leben in der Hand, während sein Schicksal doch von Schaltungen des Gehirns, Charakterzügen des Pyknikers oder Leptosomen, Neurodermitis oder Suchtverhalten reguliert wird. Das ist ein Zug in Benns Essays und seiner Lyrik, der mich [Lethen] fesselt, das ist eine Wendung, die auf die verdunkelte Rückseite der Verhaltenslehren der Kälte führt” (S. 282)

„Verhaltenslehren der Kälte” - Lethens bekannteste Schrift aus der letzten Zeit - bei Suhrkamp erschienen- hatte die Ichpanzerung gepriesen - fast als letztes Mittel gegen die „Schläge”, die Zeit und Welt und Geschichte uns versetzen. Also: Hornhaut ums Herz! Auch Schwielen ums Hirn? Gibt es gar keine Haltung mehr, die Geschichte vorwegnimmt, sie aufgreift und weiterzutreiben sucht? Dass die Bindung an den Körper diesen Verdacht nur bestärkt und bestätigt, ist kein Trost.

Theweleit seinerseits erwägt - gerade bei Behandlung Benns - immer wieder die Chance der Umwandlung der Körper, die Möglichkeit einer anderen Verkabelung und Verpolung. Allerdings erlaubt ihm die penetrante Linksfeindschaft im Buch der Könige keinen Augenblick, eine kollektive Umgestaltung einer gesellschaftlichen Welt und Umwelt zu denken.

Lethens letztes Wort dazu: Benns Töne „gehören zum Sound der Väter” (S. 283), also ganz und gar zu jener Epoche der Bedrohung durch Neurasthenie und der dagegen aufgebotenen „Satisfaktionsfähigkeit”. Sollte sich Söhnen und Töchtern und Enkeln und Enkelinnen nicht doch ein Schritt darüber hinaus eröffnen?

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Die Rezension erschien zuerst im Juni 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, hs, 03/2011)

Helmut Lethen 2006:
Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 978-3-87134-544-9.
320 Seiten. 22,90 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Der Sound der Väter. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/736. Abgerufen am: 25. 04. 2024 15:44.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Juni 2006
Eingeordnet in
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Zum Buch
Helmut Lethen 2006:
Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 978-3-87134-544-9.
320 Seiten. 22,90 Euro.