Der rote Schreck Amerikas
- Buchautor_innen
- Ron Ormond
- Buchtitel
- If Footmen Tire You What Will Horses Do?
Der beste Christploitation-Film aus den 1970er Jahren zeigt uns die Panik der USA vorm Kommunismus – und vor den Freuden des Alltags.
Was macht den US-Amerikaner*innen seit über 100 Jahren am meisten Angst? Die Antwort lautet: der Kommunismus. In der US-Geschichte spricht man von zwei Phasen der sogenannten Red Scare – der hysterischen Panik vor kommunistischen Einflüssen in der Gesellschaft –, die sich insbesondere in der Stigmatisierung und Verfolgung von Linken und Migrant*innen äußerte: Die erste Phase von 1917 bis 1920 folgte auf die bolschewistische Machtübernahme in Russland im Zuge der Oktoberrevolution, die zweite während der McCarthy-Ära nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von 1947 bis 1957, in der es zu einer regelrechten Jagd auf oft auch nur vermeintliche Kommunist*innen kam und bei der sich die christliche Rechte als ein wichtiger Akteur im Kampf gegen kommunistische Umtriebe herausstellte. Diese Zeiten mögen vorüber sein, doch die republikanischen Wahlkämpfe der letzten Präsidentschaftswahlen, die Programme rechter US-Medienhäuser sowie die Predigten in evangelikalen Megakirchen zeigen, wie die Panik vor allem, was links, sozialistisch, marxistisch und kommunistisch ist, bis heute anhält. Dort herrscht eine Stimmung, die sich immer wieder gut in den Produkten der Traumfabrik Hollywood erfassen lässt. Doch sollte man nach den passenden Filmen suchen.
Wovon Hollywood träumt
Will man einen unverstellten Blick auf die im Blockbuster-Kino oft verschleierten Ideologien erhalten, muss man fragen, wovon Hollywood träumt, wenn es schlafen geht. Im Schlaf würde Hollywood von den abertausenden kleinen Low-Budget-Produktionen sprechen, die in seinem Unbewussten wuchern: vom sogenannten Exploitation-Kino, ein Filmgenre, das mit geringen finanziellen Mitteln und wenig Drehzeit, oft auch mit zweifelhaftem Talent der Beteiligten, darauf abzielt, sein Publikum mit schockierenden und provozierenden Inhalten zu locken. Es ist sich nie zu schade, eine reißerische Situation „auszunutzen“, um schnelles Geld zu machen und kopiert oft ganz unverblümt Trends großer Erfolgsfilme: Gibt es einen Trend zu Vampirfilmen, entsteht die hundertste Version von Dracula; ist Bruce Lee der Star der Stunde, werden unzählige Kung-Fu-Kopien auf die Leinwand gebracht.
Ohne die Kontrolle der Zensur oder des guten Geschmacks wurden vor allem ab den 1960er und 70er Jahren einige der wildesten und schockierendsten Filme gedreht, die man je auf der Leinwand sehen konnte. Versehen wurden diese vielen Subgenres mit Bezeichnungen wie Sexploitation, Blaxploitaion, Naziploitation, Bruceploitation, Nunsploitation, und so weiter und so fort. Ein Grund für das bis heute anhaltende Interesse an diesen Filmen – zugegebenermaßen natürlich nur in Kreisen von Film-Aficionados; dort aber mit einer gewissen Obsessivität – liegt darin, dass sie einerseits die künstlerische Vision und Originalität einzelner Regisseur*innen auf fast transzendente Weise zum Ausdruck bringen und andererseits Ideologien sowie gesellschaftliche Begehren und Ängste ganz offen zu Tage fördern.
Von Hollywood in den Himmel
Wühlt man tief genug, stößt man auf die Filme des Regisseurs Ron Ormond, die unter den vielen Kuriositäten noch einmal in einer ganz eigenen Liga spielen. Sie entstanden oft als Familienunternehmung gemeinsam mit seiner Frau June (Produktion) und seinem Sohn Tim (unter anderem: Kamera, Licht, Schnitt). Ron, Jahrgang 1910, und June Ormond, Jahrgang 1912, begannen ihre Karriere als Sänger*innen und Zauber*innen im Unterhaltungstheater, bevor sie ab Mitte der 1940er Jahre versuchten, in Hollywood Fuß zu fassen. Dort drehten sie eine Reihe von Billig-Western, später folgten Exploitation-Filme. 1967 kam es zu einem einschneidenden Ereignis: Die drei Familienmitglieder befanden sich mit einem kleinen Privatflieger auf dem Weg zu einer Vorführung ihres aktuellen Films, als der Motor der Maschine überhitzte und das Flugzeug abstürzte. Die drei Familienmitglieder überlebten das Unglück. Für Ron Ormond war dieser Absturz eine Offenbarung, ein Zeichen Gottes. Es läutete seine Abkehr vom Sex- und Horrorkino ein. In den folgenden Jahren sollten er und seine Familie ihre Filmkunst in den Dienst des Christentums stellen.
Der Weg war nun geebnet für die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem ultrakonservativen Baptistenprediger Estus W. Pirkle aus New Albany, Mississippi, und für eine Trilogie von rechten christlichen Filmen, die die Ormond-Familie in den Kanon des Trash-Films eintragen sollte: „If Footmen Tire You What Will Horses Do?“ von 1971, „The Burning Hell“ von 1974 und „The Believer’s Heaven“ von 1977 lauten die Titel der Filme. Insbesondere der erste Film der Reihe genießt heute Kultstatus unter Cineast*innen.
Bevor er mit den Ormonds zusammentraf, reiste Estus W. Pirkle, der in Motels gerne die Fernseher zur Wand drehte, um dem teuflischen Einfluss der Medien zu entgehen, durch die Südstaaten der USA und versuchte, mit seiner Predigt „If Footmen Tire You What Will Horses Do?“ – der Titel ist eine Bibelparaphrase, die sich in etwa übersetzten lässt mit: „Wenn dich schon die Fußsoldaten ermüden, was ist dann erst mit den Pferden?“ – Menschen zum Christentum zu bekehren, beziehungsweise abtrünnigen Christ*innen das wahre Christentum einzuhämmern und vor einer drohenden kommunistischen Invasion zu warnen. Diese Predigt verbreitete er auch als kleine illustrierte Broschüre, doch um ein größeres Publikum zu erreichen, schien ihm der Film das geeignete Medium zu sein. Über einen gemeinsamen Kontakt wurde er mit der Ormond-Familie bekannt gemacht und die Arbeit am Film begann.
Die Kommunisten haben alle Süßigkeiten
In der 53-minütigen Laufzeit des Films hören und sehen wir, wie Estus W. Pirkle seine Brandrede in der Kirche einer kleinen Gemeinde in New Albany hält. Er ist fest davon überzeugt, dass liberale gesellschaftliche Entwicklungen, etwa sexuelle Emanzipation, zwangsläufig zur kommunistischen Machtübernahme führen. Dabei spricht er nicht nur eindringlich auf die zahlreichen Gemeindemitglieder ein, sondern auch mit direktem Blick in die Kamera uns als Zuschauer*innen an. Diese Aufnahmen werden im Folgenden immer wieder mit nachgestellten Szenen der kommunistischen Gräueltaten gegengeschnitten, die Pirkle in seiner Predigt heraufbeschwört. Schon in der ersten, mit bedrohlicher Konservenmusik unterlegten Einstellung des Films galoppieren kommunistische Kavalleristen wie die apokalyptischen Reiter der Kamera entgegen. Eine Stimme aus dem Off fragt: „Reverend Pirkle, sind die Szenen, die wir gleich sehen werden, wahre Fakten oder Produkte Ihrer Fantasie?“, Pirkle versichert, dass alle Szenen Nachstellungen echter (!) Ereignisse aus Russland, Korea, China und Kuba sind. Es gibt weder Ironie noch doppelten Boden: Estus W. Pirkle ist von allem überzeugt, was er predigt – und Regisseur Ron Ormond plus Anhang schöpfen aus den Vollen ihres Exploitation-Handwerks, um die Vision des Predigers auf die Leinwand zu bringen.
Die Kommunisten terrorisieren die Dorfgemeinde, erschießen wahllos Menschen, foltern sie, zwingen sie, dem Christentum abzuschwören und sich zum Kommunismus zu bekennen. Pastor Pirkle hat stets die Zahlen parat, wie viel tausend Menschen in den kommunistischen Ländern täglich hingerichtet werden und was den USA blühen könnte. Das Kunstblut fließt in Strömen und die Gehirnwäsche erfolgt per Dauerbeschallung: „Der Kommunismus ist gut! Der Kommunismus ist gut! Das Christentum ist dumm! Das Christentum ist dumm! Gebt auf! Gebt auf!“ In einer Schule werden Kinder von einem finster dreinblickenden Schergen indoktriniert: „Bringt euch der Heiland, Jesus Christus, Süßigkeiten?“ Nichts passiert. Sie sollten doch lieber zu Fidel Castro beten, dann würde das Schlaraffenland auf sie warten. Woraufhin ein Genosse den Raum mit einer Tüte Süßigkeiten betritt. Hurra! Doch wer engstirnig bleibt und sich nicht bekehren lässt, der muss dran glauben. So ergeht es einem vielleicht achtjährigen Jungen, der kurz vor seinem brutalen Ableben noch standhaft gen Himmel ruft: „Jesus, einst bist du für mich gestorben, jetzt bin ich bereit, für dich zu sterben.“ Dann rollt sein Kopf. In diesen steten Wechsel von Predigt und Gräueltaten ist zudem eine kleine Parallelhandlung eingeflochten, die uns die intendierte Rezeptionshaltung vorführt. Eine junge Frau – im Übrigen die einzige professionelle Schauspielerin des Films – besucht den Gottesdienst. Sie war zuvor noch mit ihrem Freund zusammen und anfangs sehen wir, wie ihre Gedanken immer wieder zu den unchristlichen Genüssen abschweifen, zu denen sich junge Leute so gerne verlocken lassen: Alkohol, Zigaretten, Liebesbeziehungen, Tanzen gehen. Doch ihre Stimmung ändert sich zunehmend, nach und nach sieht sie ihr sündiges Vergehen ein, bis sie – so sehr von Pirkles Schauergeschichten malträtiert – unter Tränen zusammenbricht und sich zu Jesus bekennt. Am Ende wird sie von Pastor Pirkle in die Arme genommen und in den sicheren Hafen des Himmels geführt.
Die Guten ins Töpfchen
Mit „If Footmen Tire You What Will Horses Do?“ erzielten Estus Pirkle und die Ormond-Familie zwar noch nicht den gewünschten Erfolg. Das hielt sie aber nicht davon ab, für zwei weitere Filmproduktionen miteinander zu kollaborieren. Nachdem „If Footmen Tire You What Will Horses Do?“ die Gefahren auf Erden ausbuchstabiert, zeigt uns „The Burning Hell“ drei Jahre später, dass die Hölle buchstäblich real ist und aussieht, wie ein Lagerfeuer mit einer mehr schlecht als recht verkleideten Dorfgemeinschaft, die vor sich hinleidende Sünder*innen spielen. Auch hier hält Pirkle präzises Zahlenmaterial für uns bereit: „Statistiken belegen, dass jede Stunde 6.000 Menschen sterben. Das bedeutet, dass die Hälfte dieser Menschen in die Hölle kommt. Das bedeutet, dass jede Stunde über 3.000 Menschen in die Hölle gehen, jede Minute über 60.“ Den Abschluss der Trilogie bildet „The Believer’s Heaven“ von 1977, der uns das Gegenstück zu „The Burning Hell“ präsentiert und ein seliges Nachleben im himmlischen Jenseits ausmalt. Es ist mit Abstand der langweiligste der drei Filme.
Was lernen wir aus all dem? Der Kommunismus verspricht Süßes, sich für Jesus zu opfern leider nur Langeweile im Himmel. „If Footmen Tire You What Will Horses Do?“ ist ein intensiver Einblick in den Geist ultrakonservativer und rechter Christ*innen in den 1970er Jahren und eine Kuriosität aus dem an Kuriositäten nicht armen Fundus des Exploitation-Kinos. Da die Machart so amateurhaft und das Weltbild dermaßen hanebüchen ist, kann man viel Spaß mit dem Film haben. Aber man sollte nicht übersehen, dass der Film zu seiner Zeit durchaus Menschen erreichen konnte. Er entfaltete sowohl eine gewisse Propagandawirkung als auch half er dabei, ein bis heute lukratives Geschäft mit christlichen Filmproduktionen zu etablieren, deren aktuelle Veröffentlichungen sich in ihrer ideologischen Grundhaltung nicht allzu sehr von derjenigen ihrer Altvorderen unterscheiden. Zu nennen wäre da beispielsweise die inzwischen fünfteilige „God’s Not Dead“-Reihe, die ein Vielfaches ihrer Produktionskosten eingespielt hat. Brach die Bedrohung vor 50 Jahren noch von außen, konkret durch die kommunistischen Staaten, über die Gesellschaft herein, lauern die Gefahren, die die tugendhafte und gottesfürchtige US-Gesellschaft heutzutage zersetzen, im Inneren des Landes: Kulturmarxismus und Sozialismus sind die Süßigkeiten von heute, Pro-Choice-Aktivist*innen, Trans-Personen und Migrant*innen ihre Apologet*innen.
If Footmen Tire You What Will Horses Do?.
The Ormond Organization.