Das schöne Leben ist eine Baustelle
- Buchautor_innen
- Meinhard Creydt
- Buchtitel
- Die Armut des kapitalistischen Reichtums und das gute Leben
- Buchuntertitel
- Ökonomie, Lebensweise und Nachhaltigkeit
Warum Lebensqualität mehr bedeutet als Nachhaltigkeit.
Dieses Buch liefert neue Impulse für die Diskussion über zentrale Fragen der Nachhaltigkeit: Was sind die objektiven Ursachen für die ökologische Krise? Welche Mentalitäten und Ideologien fördern sie? Warum kann sich das Thema Nachhaltigkeit so schlecht durchsetzen?
„Wer sich auf die Bedingungen des Lebens fokussiert, tut sich oft schwer, die Ursachen für deren Ruinierung in den Blick zu bekommen. Denn dafür ist es erforderlich, dem Inhalt eines solchen Lebens auf seinem eigenen Terrain zu Leibe zu rücken, der dafür sorgt, dass – auch – seine Bedingungen unter die Räder kommen. Nicht nur die Übernutzung natürlicher Ressourcen ist zu thematisieren, sondern auch die soziale Energieverschwendung, nicht nur die Umweltverschmutzung, sondern auch die Innenweltverschmutzung, nicht nur die Erwärmung der Erde, sondern auch das Klima in den Betrieben und Organisationen sowie in den sozialen Beziehungen. Gutes Leben ist nicht nur emissionsärmer und energiesparender“ (S. 180).
Die vorliegende Darstellung der Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Ökonomie und Lebensweise unterscheidet sich von populären Charakterisierungen wie „Haben statt Sein“, „Konsumismus“ oder „Wachstumswahn“. Creydt bringt die rationalen Momente und die massiven Mängel dieser Problemdiagnosen fair auf den Punkt. Kapitalismuskritik beschränkt sich meist auf Klagen über Ungerechtigkeit, Sozialstaatsabbau und „Umverteilung von unten nach oben“. Vorstellungen über Alternativen zum Kapitalismus verbleiben oft im Horizont einer anderen Wirtschaftspolitik. Creydts Buch geht andere Wege. Der Autor analysiert etwa die Grenzen von Preisen. Als unterkomplexe Informationskonzentrate vermögen sie die Schädigungen menschlicher Physis und Psyche sowie der Natur nicht darzustellen. Um den Stellenwert von Märkten zu verringern, sei das Wirtschaften mit Umwelt- und Geweinwohlbilanzen sowie Technikfolgenabschätzungen zu durchziehen. Als Beispiele für die auszubauenden und weiter zu entwickelnden qualitativen Indikatoren nennt der Autor den MIPS (Materialintensität pro Serviceeinheit) und den DGB-Index für gute Arbeit.
Creydt lässt sich auf die Argumente für die kapitalistische Marktwirtschaft ein und prüft sie und ihre Maßstäbe. „Erlahmen ohne Konkurrenz Motivationen für sinnvolle Neuerungen?“ (S. 24) und „Ist die kapitalistische Ökonomie effizient“ (S. 55)? Der Autor zeigt, dass nicht erst die Verteilung des Reichtums Anlass zu grundlegenden Zweifeln gibt, sondern bereits dessen stofflicher Inhalt. Viele der angebotenen und nachgefragten Waren und Dienstleistungen, wie beispielsweise das Auto oder das Eigenheim, seien nicht nur unökologisch, sondern würden auch massiv problematische Entwicklungen der Lebensweise befördern.
Kapitalistische Ökonomie und Lebensweise
Creydt geht den verschiedenen Auswirkungen des Marktes, der Konkurrenz, des Privateigentums, der betrieblichen Hierarchien und der Kapitalakkumulation nach. Er zeigt, wie der kapitalistischen Marktwirtschaft ihre Erfolge durch vergleichsweise preiswerte Produktion und Produkte nur deshalb gelingen, weil in ihrer Rechnungsweise viele problematische Effekte nicht zählen. Ihm geht es um eine Bilanzierung des Wirtschaftens, die deren Wirklichkeit komplett in den Blick bekommt. Wer die „Effektivität“ des kapitalistischen Wirtschaftens lobe, lege sich keine Rechenschaft von ihren umfassend verstandenen und gegenwärtig verschwiegenen Kosten ab. Um das zu vergegenwärtigen unterscheidet der Autor sieben Dimensionen der Entfaltung von menschlichen Sinnen, Fähigkeiten und Reflexionsvermögen. Sie entwickeln sich etwa im Arbeiten, in der Auseinandersetzung mit Gegenständen außerhalb der Arbeit (also im Umgang mit ihnen oder in ihrer Rezeption), in Sozialbeziehungen und in der Gestaltung der Gesellschaft durch ihre Mitglieder. Creydt beschreibt, wie problematisch die Konzentration vieler Menschen darauf ist, in ihrer Arbeit individuell Momente der „Selbstverwirklichung“ erleben zu können, wenn dafür die problematischen Folgen der Betätigungen ausgeblendet werden müssen.
Dem Autor geht es nicht vorrangig um eine Berücksichtigung der unterschlagenen Kosten, sondern um ein Wirtschaften, das die Schädigungen nicht hervorbringt und schon gar nicht sie zum Anlass für Problemvermarktung macht. Es geht Creydt um eine Gesellschaft, die die „problematischen Auswirkungen der kapitalistische Marktwirtschaft auf zentrale Dimensionen des Lebens“ (S. 101) überwindet. Diesem Thema widmen sich die Abschnitte 4 bis 6 des Buches.
Arbeit und gutes Leben
Eine der „Kernspaltungen“ der Bevölkerung, die Creydt beschreibt, besteht in der Gleichgültigkeit zwischen Produzent_innen und Konsument_innen. Viele Linke beklagen die Grenzen des Lohns, die ihm insofern gesetzt sind, als er am Maßstab der Kapitalverwertung gemessen wird. Selbst ein hoher Lohn könne die Lohnabhängigen aber nicht für das entschädigen, was ihnen die Lohnarbeit nimmt. Arbeit im Sinne des guten Lebens hieße: Die Arbeit ist nicht allein Mittel zur Produktion eines Gebrauchswerts, sondern auch eine zentrale Realität, in der sich die Sinne, Fähigkeiten und Reflexionsvermögen der Arbeitenden bilden. Dieser Begriff von Arbeit als Moment des guten Lebens umfasst zudem die gemeinsame Auseinandersetzung darüber, wie das Arbeiten die Lebensweise entwickelt.
Creydt formuliert im letzten Teil seines Buches einen Begriff der anzustrebenden Lebensqualität. Die verschiedenen Momente des guten Lebens fordern und verstärken sowie korrigieren sich gegenseitig. Der Verfasser diskutiert dies am Beispiel der These vom Gegensatz zwischen einem vermeintlich „männlich-instrumentellen“ Arbeitsbegriff und einer angeblich humaneren, weil interaktiven „weiblichen“ Sorgetätigkeit. Das Konzept der widerspruchsvollen Einheit der sieben Momente des guten Lebens bildet ein Modell dafür, das auseinanderstrebende Ganze zu re-integrieren. Creydts These lautet: Ohne eine Integration der vielen Teilkritiken und ohne ihre positive Artikulation im Konzept des „guten Lebens“ kann es keine grundlegende Veränderung geben.
Warum Nachhaltigkeit alleine nicht ausreicht
Das Engagement für Nachhaltigkeit, so umfassend es ist, müsse eine Aufmerksamkeit für die „Stärken“ der gegenwärtigen Gesellschaft und für Hindernisse gegenüber ihrer Transformation entwickeln. Sonst bleibe es bei einem Ein-Punkt-Thema und es komme nicht in den Blick, warum das vermeintlich so Evidente – hier die Nachhaltigkeit – sich nicht durchsetzen lässt. Für alle substanziellen Veränderungen – auch in Richtung Nachhaltigkeit – sei entscheidend, wie sich nicht nur die Schadensursachen, sondern auch die Gründe für die Akzeptanz der herrschenden Rechnungs- und Denkweisen überwinden lassen. Dafür müssen gesellschaftliche Strukturen und Lebensweisen in Frage gestellt werden. Dies werde nicht allein aus Motiven der Nachhaltigkeit geschehen können.
Das Buch ist in 65 Kapitel gegliedert und kommt insofern Kurzstreckenlesern entgegen. Gut gewählte Beispiele lockern den Text auf und verdeutlichen die Argumentation. Creydt macht einleuchtend klar, warum grundlegend verändertes Nachdenken über vermeintlich Bekanntes nottut.
Die Armut des kapitalistischen Reichtums und das gute Leben. Ökonomie, Lebensweise und Nachhaltigkeit.
oekom verlag, München.
ISBN: 978-3-96238-004-5.
212 Seiten. 19,00 Euro.