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Das ewige Märchen von Gut und Böse

Buchautor_innen
Lucius Teidelbaum
Buchtitel
Die christliche Rechte in Deutschland
Buchuntertitel
Strukturen, Feindbilder, Allianzen

Das kleine, aber gut recherchierte Nachschlagewerk gibt Einglick in das Who-is-Who der Christlichen Rechten in Deutschland.

Dies ist meine erste Rezension. Es waren nicht zuletzt auch private Gründe, weshalb ich mich dazu entschieden habe, über dieses Thema lesen und schreiben zu wollen: Eine sehr enge Freundin von mir hat ihre gesamte Kindheit in einer freikirchlichen (fundamentalistischen) protestantischen Gemeinde erleben müssen und war jahrelang emotionalem und psychischem Missbrauch ausgesetzt. Von jüngster Kindheit an wurde ihr dort beigebracht, dass alles, was nicht von Gott kommt, satanischen Ursprungs und somit böse ist. Und das nicht nur im Äußeren: Alle „unerlaubten“ Emotionen – wie zum Beispiel sexuelle Bedürfnisse, sich selbst zu lieben und schön zu finden oder sich kritische Gedanken bezüglich der Bibel zu machen – wurden als Versuch Satans erachtet, die Seele zu vergiften und direkt in die Hölle zu befördern. Dies bedeutete für meine Freundin, dass es keinen sicheren Ort gibt, dass alles ständig ein Kampf zwischen Gut und Böse ist, auch und vor allem innerlich. Und wer versagt, den erwartet die ewige Verdammnis. Auch auf positiv gewertete Eigenschaften durfte man nicht stolz sein: Alles war schließlich allein Gottes Verdienst, niemals das eigene. Urvertrauen, Selbstwirksamkeit, Neugier auf die Welt und wie sie funktioniert – all das durfte meine Freundin nicht entwickeln und ausleben. Als erwachsene Frau litt sie unter spontan auftretenden sehr heftigen Panikattacken und kam so in therapeutische Behandlung. Sie konnte mit Unterstützung die Auslöser ihrer Panikattacken ausmachen: eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund des jahrelangen Missbrauchs in ihrer Kindheit in einer fundamentalistischen Familie und Gemeinde. Die Arbeit an diesen Erfahrungen ist langwierig, anstrengend und ohne eine adäquate traumatherapeutische Begleitung kaum möglich. Ihre Erzählungen vermittelten mir einen tiefen persönlichen Einblick in Strukturen und Manipulationsstrategien dieser spezifischen fundamentalistischen Gemeinde. Durch das Buch „Die christliche Rechte in Deutschland“ von Lucius Teidelbaum erhoffte ich mir nun einen genaueren Gesamtüberblick über die verschiedenen Gruppen und Strömungen und ihre Wirkungskreise und Methoden - nicht zuletzt auch in Beziehung zur politischen Rechten in Deutschland.

Drei Strömungen unter dem Radar

In der Einleitung des Buches wird darauf hingewiesen, dass fundamentalistische christliche Strömungen und Kirchen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit gar nicht als solche wahrgenommen und dementsprechend auch nicht oder sehr selten medial aufgegriffen werden:

„Auch wird der christliche Fundamentalismus in anderen Ländern wie etwa in den USA durchaus als Machtfaktor wahrgenommen, aber eine realistische Einschätzung für Deutschland findet sich eher selten. Eine leicht verständliche und aktuelle Einführung für Nichtkundige in dieses Thema fehlt offenbar ganz. Diese Lücke soll dieses Buch schließen.“ (S. 5)

Teidelbaum zeigt in Folge zunächst die Wirkmächtigkeit der verschiedenen fundamentalistischen Strukturen und deren Agenda auf. Er benennt drei große Strömungen: die Evangelikalen, die Protestantischen Fundamentalist*innen und die Katholischen Traditionalist*innen. Die Evangelikalen verstehen sich selbst durch das Verständnis der Bibel als Wort Gottes. Sie sind davon überzeugt, dass es einzig ihren Weg zu Gott geben kann und verweigern somit auch jegliche Ökumene. Sie halten ihre Religion für die einzig richtige, obwohl auch unter ihnen wiederum verschiedene Ausrichtungen möglich sind: Ungefähr die Hälfte der 1,3 Millionen Evangelikalen in Deutschland, so schreibt Teidelbaum mit Blick auf die Zahlen zum Zeitraum der Veröffentlichung, sind Mitglied in den Landeskirchen, die andere Hälfte sind in Freikirchen, unabhängigen Gemeinden und Hauskirchen organisiert.

Die Protestantischen Fundamentalist*innen gehen generell von der Irrtums- und Widerspruchslosigkeit der Bibel aus: Sie gilt als Wort Gottes, eine metaphorische Auslegung wird abgelehnt. Der Fundamentalismus äußert seine Bestrebungen auch oft politisch und versucht diese dann auch durchzusetzen: Zum Beispiel gegen Individualismus, Pluralismus, gegen sexuelle Selbstbestimmung und die Säkularisierung allgemein.

Der Katholische Traditionalismus konnte sich lange in die römisch-katholische Kirche integrieren, da diese insgesamt konservativer als die evangelische Kirche ist. Nachdem jedoch die Katholiken in den 1960er Jahren Modernisierungen der Riten vornahmen und teilweise auch gemäßigtere Ansichten vertraten, bildeten sich verstärkt Gruppen, die dies ablehnten und die Kirche zum Teil auch verließen. Gesicherte Angaben zur Anzahl der Katholischen Traditionalisten gibt es Teidelbaum zufolge nicht.

Wege in den Fundamentalismus

Weiter im Buchverlauf wird auf die Motive für den Anschluss an religiös konservative bis fundamentalistische Strukturen geblickt. Teidelbaum hat hier zum Ziel, die Hintergründe betroffener Menschen zu durchleuchten. Er stellt dar, in welchen Gegenden der Welt welche Gruppierungen wie stark ausgeprägt sind und inwiefern gesellschaftliche Hintergründe für die Hinwendung zu den religiösen Gruppen mitverantwortlich sein könnten. Der Autor schreibt, dass eine Studie der Universität Chicago für das Jahr 2012 ergab, dass auch nach der Wende in Ostdeutschland weniger Menschen an Gott glauben als in jeder anderen Region der Welt. Das Kapitel ist definitiv superspannend, aber aus meiner Sicht reichen die wenigen Seiten trotzdem nicht aus, um die Motive Betroffener ausführlich aufzuzeigen und beleuchten zu können. Denn so wichtig es ist, die strukturellen Zusammenhänge und deren Einfluss detailliert zu beschreiben, ist es meiner Meinung nach unerlässlich, gleichzeitig aufzuzeigen, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass Menschen in diesem Umfang irrationalen und menschenverachtenden (bis hin zu sich selbst verachtenden) Glaubensbildern oder Ideologien verfallen können.

Teidelbaum meint mit dem Begriff „christliche Rechte“ übrigens nicht nur fundamentalistische christliche Strömungen, welche in der politischen Rechten agieren: „Als Alternative zum Begriff ‚Fundamentalismus‘ schlage ich deswegen den Begriff ‚christliche Rechte‘ als Sammelbegriff vor.“ (S. 14) Er nimmt vielmehr Bezug auf das fundamentalistische Weltbild, zum Beispiel konservativ-traditionelle Werte wie die heterosexuelle Familie, und erklärt, dass dieses für Fundamentalist*innen nicht verhandelbar sei. Dies sieht er im Gegensatz zum Rechtspopulismus, dessen politische Agenda, trotz Überschneidungen, insgesamt nicht ganz so starr sei.

Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Meiner Erfahrung nach gibt es durchaus Dinge, die für Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsradikalen und Neonazis nicht zu verhandeln sind: Angefangen bei der Erschaffung eines Weltbildes/Ideologie mit der strikten Aufteilung in Gut und Böse, welches nicht rational auf der kognitiven, sondern vielmehr auf einer emotionalen und dann auch schnell radikalen Ebene verfangen soll; hin zum Verbot zu hinterfragen, Kritik zu üben und andere Anschauungen einzubringen. Nicht zuletzt gibt es Ähnlichkeiten bei den Schwierigkeiten und Ängsten, welche Betroffene haben, wenn sie die Gruppierung verlassen wollen – ob es eine fundamentalistische Kirche oder eben auch die rechtsradikale Szene ist. All das verbindet die christliche und die politische Rechte und ist das, was sie gefährlich macht.

Christliche Rechte und Islamismus heimlich in Love?

Bei den Themenkomplexen „Feindbild Islam“ sowie „Islamismus als Vorbild“ hätte ich mir gewünscht, sie wären umfangreicher und hätten sich auch ergänzt bzw. kontrastiert. Teidelbaum geht auf das Thema hauptsächlich in einem Kapitel über das Verhältnis zu Gewalt ein. Er schreibt darin über die Bruchlinien zwischen Islam und Christentum, insbesondere aufgund des universellen Wahrheits- und Alleinvertretungsanspruchs des Islams, der damit in direkter Konkurrenz zum Christentum steht, welches ja genau den gleichen Anspruch für sich beanstandet. Gemeinsamkeiten scheint es auf den ersten Blick durchaus mehr zu geben als Gegensätze: Unter anderem wären da der Dualismus von Gut und Böse, die Homophobie, das traditionelle (lies frauenfeindliche) Frauenbild und der Antisemitismus. Auch hier ist schade, dass, obwohl gut recherchiert und dargestellt, zum einen die beiden Kapitel an ganz unterschiedlichen Stellen verortet sind und nicht direkt gegenübergestellt wurden, denn das hätte die Absurdität von den selbsternannten „christlichen Islamkritikern“, die ihre „christlichen Werte“ so gerne gegen den Islam hochhalten, nochmal deutlicher gemacht. Auf diese beiden Kapitel hatte ich mich – da ich in einem, was dieses Thema betrifft, höchst spannungsgeladenen Stadtteil lebe – als nicht religiöse und progressiv eingestellte Frau mit iranischem Migrationshintergrund besonders gefreut und war dann doch etwas enttäuscht ob der aus meiner Sicht sehr kurzen Abhandlung.

Geschichte(n) versus Fakten

Das Buch von Lucius Teidelbaum ist trotz seiner insgesamt nur 95 Seiten ein sehr gut aufbereitetes und umfangreiches Nachschlagewerk. Wer ein solides und sicherlich auch mit viel Ausdauer und Herzblut recherchiertes Werk über die christliche Rechte in Deutschland sucht, ist definitiv sehr gut mit diesem Buch bedient.

Und dennoch: Seit der ersten Auflage des Buches 2018 ist einige Zeit vergangen. In den letzten Jahren hat nochmal ein deutlicher gesellschaftlicher und politischer Rechtsruck stattgefunden. Ich wünsche mir daher definitiv einen zweiten Teil des Buches – einen, in dem zusätzlich inhaltlich vertieft und themenübergreifend auf die Ähnlichkeiten und die Zusammenhänge der Geschichten zwischen sektenähnlichen Strukturen, institutioneller Kirche/Religion sowie den rechtsradikalen vom Faschismus träumenden Parteien und Strömungen in Deutschland eingegangen und mit dem die dahintersteckende psychosoziale Methodik, mit der diese die Leute „einfangen“, demaskiert und aufdeckt wird. Und gleichzeitig auch Raum dafür bleibt, was es im Gegenzug bräuchte, um Menschen dagegen stark werden zu lassen. Denn vielleicht ist es auch das, was mir persönlich in den politischen Diskussionen und Diskursen der Linken zwischen all dem faktischen Wissen über politische Themen und Strukturen und den dazu gehörigen Meinungsverschiedenheiten und Diskursen politischer Inhalte fehlt; nämlich ein Konsens darüber, was nötig ist, um Menschen (politisch) dort abzuholen, wo sie gerade stehen.

Lucius Teidelbaum 2018:
Die christliche Rechte in Deutschland. Strukturen, Feindbilder, Allianzen.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-142-6.
96 Seiten. 7,80 Euro.
Zitathinweis: Anahid Sowa: Das ewige Märchen von Gut und Böse. Erschienen in: Politisches Christentum. 74/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/YViAy. Abgerufen am: 22. 01. 2025 10:43.

Zum Buch
Lucius Teidelbaum 2018:
Die christliche Rechte in Deutschland. Strukturen, Feindbilder, Allianzen.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-142-6.
96 Seiten. 7,80 Euro.