Da geht noch was
- Buchautor_innen
- Johanna Bussemer / Katja Kipping
- Buchtitel
- Green New Deals als Zukunftspakt
- Buchuntertitel
- Die Karten neu mischen
Der Green New Deal hat viele falsche Freunde. Wichtig wäre eine Linke, die die Transformation innerhalb des bürgerlichen Staats vorantreibt.
Erst grün angemaltes Wachstumsprogramm, dann von der EU-Kommission vereinnahmt. Dass der Green New Deal viele falsche Freunde hat, spricht nicht zwingend gegen ihn. Im Gegenteil. Angesichts des knapper werdenden CO2-Budgets bis zur Erreichung kritischer Kipppunkte sind programmatische Entwürfe zur Bewältigung der Klimakrise gefragt. Folgerichtig hat sich auch die ehemalige Vorsitzende Katja Kipping dem Green New Deal zugewandt.
Im parlamentarischen Abstiegskampf nach der Bundestagswahl ist das angesagter denn je. Denn auch die Linke als gerupfte sozialdemokratische Partei muss nach einem neuen Transformationsprojekt Ausschau halten, will sie nicht noch weiter an Einfluss verlieren. Dafür aber muss sie zentrale gesellschaftliche Debatten führen. Und da kommt der Vorschlag eines Green New Deal von sozialdemokratischen Linken aus Großbritannien und den USA gerade recht, strebt dieser doch eine Verbindung ökologischer und sozialer Kämpfe an. Gleichzeitig haftet ihm der Verdacht einer angeblich unzulässigen Vermengung von verschiedenen Politikfeldern an. So heißt es aus grün-liberalen Kreisen, dass die Klimakrise von der Linken genutzt werde, um Forderungen durchzusetzen, die mit der Klimakrise nichts zu tun hätten, etwa Gesundheitsversorgung für alle oder die Reduzierung der Arbeitszeit. Stattdessen gelte es, auf ökologische Modernisierung durch Förderung entsprechender Unternehmen zu setzen und dies nicht mit sozialpolitischen Forderungen zu belasten.
So wird das nichts
Um dem gesellschaftlich seit Fridays for Future erwachten Klimabewusstsein eine politische Heimat zu geben, braucht es für die Linke daher eine kohärente Erzählung, warum die soziale und ökologische Krise nur in eins zu bewältigen ist. Kipping und ihrer Mitautorin Bussemer ist das bewusst, aber leider gelingt ihnen die Verbindung nicht. Das macht die Lektüre quälend und wirkt besserwisserisch. Es entsteht der Eindruck, die Klimakrise wäre nur das neueste, letzte Argument, sich endlich der sozialen Frage zuzuwenden, und die Linke hätte es schon immer gesagt.
Wesentlicher Punkt ist etwa die Propagierung des Grundeinkommens. Hier wird sich nicht mal die Mühe gemacht, diese Forderung in eine Verbindung mit dem Erfordernis einer ökologischen Transformation zu bringen. Die bekannten Argumente für das Grundeinkommen als Verbesserung des Loses der Prekären werden wiederholt und ergänzt um die Idee eines Weiterbildungsgrundeinkommens. Diese besagt, dass mit dem industriellen Umbau Arbeitsplätze verloren gehen und es den Betroffenen ermöglicht werden soll, sich beruflich weiter zu qualifizieren. Systematisch unterbelichtet bleibt aber das Problem der anstehenden Abwicklung ganzer Industriezweige bei der Umstellung auf erneuerbare Energien. Weiterführend sind hier die Überlegungen von Riexinger in seinem Buch zum Green New Deal aus dem Vorjahr, der – wie im amerikanischen Entwurf des Green New Deals – die Idee einer Jobgarantie propagiert. Arbeiter*innen, die in Folge des Umbaus der Industrie ihren Job verlieren, sollen Anspruch auf einen Job zu gleichen Konditionen im öffentlichen Sektor bekommen oder auf Kosten der Unternehmen neu qualifiziert werden. So soll der Konflikt zwischen den vom Arbeitsplatzverlust Bedrohten und den Forderungen nach einem ökologischen Umbau entschärft werden. Da es sich um häufig gut bezahlte Stellen im Automobil- und Energiesektor handelt, die verloren gehen, ist das Angebot eines Grundeinkommens für die Betroffenen kaum attraktiv. Wieso die Forderung nach der Jobgarantie von den Autorinnen aufgegeben wurde, lässt sich nur erahnen im Vorwurf, dass „Aufstehen“ lediglich den Lebensstil „deutscher Mittelschichten (die dann oft irreführend „Arbeiter“ genannt werden)“ (S. 147) retten wollte.
In welche Sackgasse die innerparteiliche Debatte um das Verhältnis von ökologischer und sozialer Ausrichtung die Beteiligten manövriert hat, wird deutlich. Die Darstellung des Konflikts zwischen Wagenknecht und Kipping als Milieukonflikt zwischen altindustrieller, männlicher, weißer Arbeiterklasse und urbanem, ökologisch-bewusstem aber auch prekärem und migrantisch geprägtem Lohnabhängigen erscheint somit nicht nur als Karikatur sondern trifft einen wahren Kern. Der innerlinke Anspruch einer verbindenden Klassenpolitik, der diese Gegenüberstellung überwindet, bleibt unerfüllt.
Riexinger fordert immerhin zu einem Nachdenken über die anstehende Konversion auf, haben doch Entwertung und Abwicklung der fossilen Industrie die Frage nach Enteignung und Vergesellschaftung mit aller Wucht auf die Agenda befördert. Bei Kipping und Bessemer fehlen solche Debatten zur Gänze. Allenfalls werden Industriepolitik und Planung zaghaft mit der Formulierung vom „Umsteuern“ angedeutet. Dass die beiden international intensive Debatten geführt haben, ist sehr erfreulich; als Leser*in hätte man allerdings gern mehr von ihnen erfahren. Überhaupt werden die innerlinken Debatten zum Green New Deal nicht vorgestellt, was die Chance geboten hätte, den Vorschlägen weitere Tiefe und Ernsthaftigkeit zu verleihen. Dass die Autorinnen das Buch mit einer Not-to-do-Liste aus albernen Glückskekssprüchen ausklingen lassen („das Lachen nicht verlernen“, „ins Private flüchten“), wirkt da symptomatisch.
Die Zeit ist reif
Somit bleibt die Aufgabe unerledigt, für die Linke einen programmatischen Entwurf für den Green New Deal zu formulieren. Immerhin: Dass die Autorinnen den Anspruch formulieren, die Klimakrise nicht nur als Vehikel für sozialpolitische Forderung zu nutzen, sondern die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation anerkennen und hierfür Vorschläge machen, ist ihnen hoch anzurechnen. Zusammen mit Riexingers konzeptionellen Überlegungen und konkreten Vorschlägen weisen sie die Richtung. Denn die Notwendigkeit einer neuen Hegemonie aus sozialen und ökologischen Kämpfen, aus parlamentarischen Linken, Gewerkschaften und Klimabewegung steht außer Frage. Gerade angesichts des Bedeutungsverlusts der Gewerkschaften und der institutionellen Schwäche der Klimabewegung besteht Bedarf nach einem linken Akteur, der innerhalb des bürgerlichen Staats die Transformation vorantreibt. Wie selten zuvor ist eine sozialdemokratische Politik gefordert, die Ressourcenverbrauch reduziert durch die Schaffung von Gemeingütern – insbesondere im Verkehrssektor – und das notwendige Geld in die Hand nimmt, um eine neue Infrastruktur aufzubauen. Wie lange nicht sind Schuldenbremse und marktbasierte Lösungen als Antwort auf die Klimakrise diskreditiert und die Rufe nach einem intervenierenden Staat laut zu vernehmen. Dem Primat der Profitmaximierung, das für die aktuelle soziale und ökologische Krise verantwortlich ist, ganze gesellschaftliche Bereiche wieder zu entreißen, um diese nachhaltig umzubauen, dies mit dem Ziel der Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktion auf einer geringeren Energiebasis, ist das Gebot der Stunde. Mag auch noch konzeptionelle Arbeit ausstehen, kaum ein Vorschlag verkörpert dieses Vorhaben gesellschaftlichen Fortschritts so überzeugend wie ein radikaler Green New Deal.
Green New Deals als Zukunftspakt. Die Karten neu mischen.
August Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-941360-88-4.
176 Seiten. 12,00 Euro.