Antisemitismus gegen Israel?
- Buchautor_innen
- Holz, Klaus / Haury, Thomas
- Buchtitel
- Antisemitismus gegen Israel
Ein Buch versammelt neue und alte Erkenntnisse darüber, wann Kritik an Israel angemessen ist und wann nicht.
Das neueste Buch über Antisemitismus von Klaus Holz, der in der Vergangenheit wissenssoziologisch das Wesen des modernen Antisemitismus als Weltanschauung herausarbeitete, und Thomas Haury, der materialreich und quellengesättigt den nationalistischen Ideologien der frühen DDR nachgegangen ist, trägt den irritierenden Titel „Antisemitismus gegen Israel“. Irritierend, denn Antisemitismus trifft und agiert gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden. „Gegen Israel“ zu sein, ist kein hinreichendes Merkmal des Antisemitismus. Mit Aussagen wie: „So gilt zu Recht als ein Kennzeichen der antisemitischen Israelfeindschaft, dass der Staat Israel delegitimiert wird“ (S. 14), scheinen die Autoren sich der fragwürdigen Drei-D-Definition von Natan Scharanski anzuschließen, die besagt, dass Aussagen, die Israel dämonisieren, delegitimieren oder doppelte Standards an israelisches Handeln anlegen, antisemitisch seien. Richtig ist zweifelsfrei, wenn Haury und Holz schreiben, dass
„dem weltweiten Antisemitismus durch die bloße Existenz eines sich als jüdisch definierenden Staates (ganz abgesehen und unabhängig von dessen Politik im Realkonflikt im Nahen Osten) eine neue Projektionsfläche entstanden [sei], der die antisemitischen Fantasien von jüdischer Weltverschwörung, jüdischer Macht, Bösartigkeit und Zersetzung auf sich ziehen kann“ (S. 85).
Richtig ist wiederum auch, dass es bis heute in der deutschen Gesellschaft eine klassische Täter-Opfer-Umkehr gibt: Sie kann entlastende Funktion haben, indem Vergleiche angestellt werden, die das Handeln des israelischen Staates auf eine Stufe mit dem Handeln der Nazis im Dritten Reich stellen (S. 94). Und natürlich sind die krypto-antisemitischen Passepartout-Begriffe bekannt, die allesamt den Antisemitismus ummanteln, aber ihn doch in aller Deutlichkeit transportieren und auch transportieren sollen: Begriffe wie „Ostküste“, „Rothschild“, "Goldman-Sachs“, „Soros“ und so weiter; Symbole und Personen, denen allesamt eine geheime und zersetzende Macht attestiert werden.
Lernerfolge der deutschen Linken?
Doch diese Begriffe und Attacken beziehen sich ja mehrheitlich gerade nicht auf Israel. Wer sind also nun – folgt man Haury und Holz – die Protagonist*innen einer antisemitischen Israelanfeindung? Fünf Gruppen werden behandelt, war bereits im Inhaltsverzeichnis übersichtlich dargelegt wird: Linke Protagonist:innen aus dem Spätstalinismus bis zur westdeutschen antiimperialistischen Szene der 1970er Jahre; Islamistische Akteure; Antirassistische Gruppen und Theoretiker*innen; Christ*innen für und wider Israel; sowie die Neue Rechte.
Haury und Holz stellen heraus, dass es eine aus dem Sozialismus kommende Zionismuskritik als Kritik einer nationalen und mit dem Kolonialismus in Verbindung gebrachten Bewegung gibt. In dieser sozialdemokratischen „Zionismuskritik“ sei „nichts zu finden, was als antisemitisch zu werten wäre“ (S. 66). Hier möchte man nachfragen: Gilt diese Aussage nur für die Sozialdemokratie? Gilt dies nicht auch für andere Spielarten des Sozialismus, etwa den Bolschewismus und Trotzkismus, einige Strömungen und Protagonist*innen des Anarchismus, ja weite Teile des Neomarxismus um 1968?
Im Abschnitt über Antisemitismus von links werden nochmals bekannte Quellfunde präsentiert, viele aus den maoistischen K-Gruppen der 1970er Jahre oder der DDR-Ideologie. Sie gehen allesamt in einer Melange aus Affirmation eines nationalistischen Volksbegriffs, einer simplizistischen Frontstellung gegenüber „dem Imperialismus“ und einer Dämonisierung Israels zuweilen über den aufklärerischen und materialistischen – also auf den wirklichen Konflikt um Land im Nahen Osten bezogenen – Rahmen des Marxismus oder imperialismustheoretischer Analysen hinaus und nehmen zumindest sprachlich Anklänge an antisemitischen Feindschaftserklärungen. Die beiden Autoren machen dafür „[d]as dichotome antiimperialistische Weltbild“ (S. 130) verantwortlich. Auffallend und problematisch ist, dass Henryk M. Broder hierbei als historische Referenzfigur in Sachen „Antisemitismus von links“ angegeben wird, obwohl dessen Seriosität in der Quellenarbeit von mehreren Historiker*innen in Zweifel gezogen wurde. Allerdings attestieren die beiden Autoren der Linken in Deutschland in Hinblick auf die Behandlung der Nahostproblematik und dem Israelbild „Lernerfolge“ (S. 240). Worin diese allerdings bestehen, wird nicht näher ausgeführt; andere Autor*innen machen ja gerade in Deutschland und unter sich aktuell links fühlenden Protagonist*innen einen „postarischen Streberzionismus“ aus (etwa Per Leo). Tatsächlich könnte man auch zu dem Ergebnis kommen, dass vor dem Hintergrund eines deutschen Schuldbewusstseins notwendige Kritik an israelischer Politik zuweilen ausgespart bleibt. Sollte diese Diagnose stimmen, wären auch diese „Lernerfolge“ der deutschen Linken zweifelhaft.
Solidarität und Abgrenzung
Für Haury und Holz scheinen besonders aktuelle Protagonist*innen einer Palästina-Solidarität von einem „Antisemitismus gegen Israel“ angetrieben, wobei sie auch hier differenzieren: Die Boykottbewegung BDS sei „erstens zwar nicht komplett antisemitisch, aber erhebliche Teile von BDS sind eindeutig antisemitisch“ (S. 220). Allerdings schließt sich hier wiederum die Frage an, von welchen BDS-Gruppen gesprochen wird. In Berlin beispielsweise sind es oftmals linke bis linksradikale Israelis, für die die gewaltfreie Boykottforderung ein Austritt aus dem Teufelskreislauf von Besatzung, Terror und Staatsterrorismus verspricht. Mit Haury und Holz kann man aber d‘accord gehen, dass die „Solidarisierung mit BDS im Namen von Anti-Rassismus, Universalismus und Menschenrechten“ zu einer Verstrickung in „schwerste Selbstwidersprüche“ (ebd.) führt. Denn tatsächlich haben weltweit in dieser Organisation islamistische, autoritäre, antifeministische und homophobe Positionen eine Stimme. BDS hat also in der Tat ein Abgrenzungsproblem. Dennoch werden reaktionäre Stimmen von den linken, aufklärerischen, sogar queer-feministischen, neutralisiert. Eine Autorin, die in diesem Zusammenhang prominent behandelt wird, ist die Philosophin Judith Butler, der die beiden Antisemitismuswissenschaftler hauptsächlich vorhalten, dass sie BDS kritiklos unterstütze und Antisemitismus als eine Kategorie des Rassismus behandele. Allerdings müssen sie festhalten: „Ihr Text selbst reproduziert jedoch keine antisemitischen Stereotype.“ (S. 221) Warum sie dennoch prominent Beachtung in einem Buch unter dem oben diskutierten Titel findet, ist folglich fragwürdig.
Irritierend unklar bleibt insgesamt die Auseinandersetzung mit linken Protagonist*innen der Israelkritik. Hier scheitern die Autoren auch an ihrem Anspruch, hermeneutisch zu arbeiten. So wird ausgerechnet der Theologe Ulrich Duchrow als Vertreter einer „antijudaistischen Palästina-Solidarität“ (S. 288) bezeichnet. Bei diesem liegt allerdings eher – um mit dem Moralphilosophen Michael Walzer zu sprechen – eine merkwürdige Form von Philosemitismus vor, der erwarte, dass „die Juden eine höhere, universelle Moralität repräsentieren würden“ (Walzer 2004, S. 53). In dieser verheerenden Logik kann man sich dann empört abwenden, wenn die realen Jüdinnen und Juden oder Israelis diesem an sie herangetragenen Ideal nicht entsprechen. Dies trifft sicherlich auf Duchrow zu. Schließlich versucht dieser theologisch-aktivistisch und unter positivem Verweis auf „Propheten und Thora“ das Regierungshandeln Israels als vom eigentlich rebellischen Anspruch des Juden Jesus entfremdetes Handeln zu kritisieren. Das kann als problematische Moralisierung kritisiert werden, aber zum gewichtigen und gefährlichen Protagonisten eines „Antisemitismus gegen Israel“ wird Duchrow so mitnichten.
In begrifflich verwirrender, Kategorien der Kritischen Theorie auf den Kopf stellender Weise attestieren sie „dem Antirassismus“ schließlich ein „unglückliches Bewusstsein“ (S. 229), weil dieser keine angemessene Antisemitismuskritik (wohl auch gegenüber antisemitisch agierenden Opfern von Rassismus und Kolonialismus) formulieren könne; Antisemitismus nicht kritisch integrieren, nur autoritär in den eigenen Reihen als abwesend behaupten könne. Doch zeigt eine qualitativ wie quantitativ unzureichende Behandlung des Antisemitismus bereits einen Antisemitismus selbst an?
Bewertung ohne Maßstab
So bleibt der Befund doch etwas dünn: Einige Beispiele eines vermeintlichen „Antisemitismus gegen Israel“ sind schlicht „Israelkritik“, so falsch man sie auch finden mag. Handfester Antisemitismus, der Israel ins Zentrum seiner Aggression rückt, bleibt so entweder Nazi-Ideologie oder folgt einer antisemitischen Verschwörungsmythologie, die „Israel“ oder „die Zionisten“ in die Rolle bringt, die vor Auschwitz ganz direkt „dem Juden“ zuteil wurde: Strippenzieher, Inkarnation des Bösen, mächtiger Verantwortlicher wie Profiteur aller möglichen Erscheinungen der kapitalistischen Moderne. Hier liefert das Buch klarerweise wenig neue Erkenntnisse. Am überzeugendsten sind jene Passagen des Buches, die den islamistischen Antisemitismus – also Hamas, Islamischer Staat, türkische Gruppen – als große Gefahr für Israel, Israelis wie generell Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt herausstellen. Dieser Antisemitismus gegen Israel agiert sich im arabischen Nationalismus und nahöstlichen Islamismus aus und gehorcht dabei auch spezifischen Konjunkturen des Israel-Palästina-Konflikts, der längst fundamentalistisch-religiös und mit Kulturkampfszenarien überwölbt ist. Über Migrationsprozesse findet dieser Antisemitismus auch einen Weg in andere Regionen. Dass dabei migrationsfeindliche, rechtskonservative und rechts-christliche Akteure durchaus „für Israel“ sein können und trotzdem Rassismus, Antisemitismus und andere reaktionäre Feindbilder pflegen, bemerken die Autoren, widmen dem Problem aber nur ein eher inkonsistentes Abschlusskapitel, das für die Grundkonstruktion des Buches folgenlos bleibt.
Es bleibt auch fraglich, wie sich die beiden Autoren zu tagesaktuellen Themen und Streitpunkten stellen, wie zum Beispiel der Amnesty International-Positionierung, wonach Israel ein „Apartheid-Staat“ sei. Hermeneutik als Anspruch ist edel, aber die Sache selbst muss immer noch der Bewertungsmaßstab sein, ob ein Urteil falsch oder richtig ist. Erst dann könnte man klären, ob die Verkehrung oder eine falsche Zeichnung antisemitischen Motiven folgt. Ohne eine klare Darlegung des Gegenstands, also Israels, das ja nicht nur Heimstätte der Juden sein will, sondern auch Besatzungsmacht ist, lässt sich nur schwer sagen, ob man von Antisemitismus gegen Israel sprechen kann.
Zusätzlich verwendete Literatur
Walzer, Michael (2004): Über linke Israel-Kritik. Ein Gespräch. In: Rabinovici, Doron / Speck, Ulrich / Sznaider, Natan (Hg.): Neuer Antisemitismus? Suhrkampverlag, Frankfurt am Main, S. 52- 59.
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Gerhard Hanloser ist Herausgeber des Sammelbandes „Linker Antisemitismus?“, der 2020 beim Wiener mandelbaum Verlag erschienen ist.
Antisemitismus gegen Israel.
Hamburger Edition, Hamburg.
ISBN: ISBN 978-3-86854-355-1.
424 Seiten. 35,00 Euro.