Arbeitskampf im Interesse Aller
- Interviewpartner_innen
- Gespräch mit Elena Rossi über migrantische Kämpfe in Berlin.
Federica Fermo sprach für kritisch-lesen.de mit Elena Rossi von den Berlin Migrant Strikers über die Rolle des Netzwerks in der Organisierung von migrantischen Arbeiter_innen und die Möglichkeiten des Widerstands gegen Ausbeutung. Die Berlin Migrant Strikers sind ein Kollektiv, das vor knapp anderthalb Jahren gegründet wurde und dessen Aktivist_innen aus Italien kommen.
kritisch-lesen.de Kannst du euch und eure Organisierung kurz vorstellen?
Elena Rossi Wir kommen aus unterschiedlichen Kontexten und haben uns entschlossen, unser politisches und soziales Potenzial in unserer neuen Situation als Migrantinnen und Migranten zusammenzutragen. Wir versuchen, eine neue Praxis zu schaffen, die auf Mutualismus, also Gegenseitigkeit, Kooperation und Solidarität basiert und in der wir als politisch aktive Subjekte wahrgenommen werden. Wir haben mit einem Kit für die Selbstverteidigung auf dem Arbeitsplatz begonnen und haben das vor bestimmten Läden plakatiert. Dann haben wir Filmabende mit Volksküchen und Diskussionen zum Thema Migration veranstaltet. Irgendwann wurden wir immer mehr Menschen und haben uns entschlossen, ein politisches Manifest zu schreiben. Wir wollten uns an den Kämpfen hier beteiligen, Teil des Ganzen sein. In unseren Heimatstädten haben wir schon immer Politik gemacht, wir wollten den Kampf nicht aufgeben.
KL Weshalb seid ihr nach Deutschland gekommen?
ER Wir haben Italien aus unterschiedlichen Gründen verlassen. Diese sind schwer zu verallgemeinern, man müsste die Geschichte jedes Einzelnen erzählen. Wir begreifen uns nicht als typische Krisenmigranten, dennoch ist Arbeit ein wichtiger Faktor. Auch wenn man nicht an das Märchen glaubt, Deutschland sei das Paradies und der Motor Europas: In dem Moment, in dem man weggehen muss, um einen Job zu finden, sucht man sich einen Ort, der einem eine Perspektive gibt, an dem man sich, wenn auch nur ansatzweise, frei fühlen kann. In den kleinen Provinzstädten in Italien ist die Atmosphäre erdrückend. Es gibt nichts, was eine Perspektive schafft, und keinen Raum, etwas zu verändern, auch nicht in der radikalen Linken. Das Thema Perspektive ist also eines, das uns verbindet. Fast alle Migrantinnen und Migranten, die wir in Berlin kennengelernt haben, haben ein Projekt, eine Idee. Wenn ich mich aus Arbeitsgründen entschlossen hätte auszuwandern, wäre ich sicher nicht nach Berlin gezogen. Aber Berlin ist eine Stadt, in der wirklich viele unterschiedliche Gemeinschaften und Nationalitäten zusammenleben. Es könnte die Stadt sein, von der aus man den Funken zünden kann.
KL Welche politische Heimat habt ihr?
ER Wir sind ein heterogenes Kollektiv. Die Zusammenführung unterschiedlicher politischen Praktiken und Positionen ist eines unserer Ziele. Wir haben es geschafft, interne Widersprüche zu überwinden und an einem Tisch mit Leuten zu sitzen, mit denen wir in Italien kaum gesprochen hätten. Viele von uns waren in Italien organisiert, manche Leute haben auch erst hier angefangen, politisch aktiv zu werden.
KL Wie ist eure Arbeitssituation hier - und was hat sich durch eure Organisierung verändert?
ER Wir arbeiten fast alle in der Gastronomie - auch aus politischen Gründen. Wir versuchen, etwas anderes auf die Beine zu stellen. Etwas, das auf Selbstorganisierung und gleichberechtigtem Anteil am Profit basiert. Die Basis für unsere Analysen sind die Konzepte von „smart community“ und „sharing economy“. Einige von uns treiben die Idee voran, sowohl eine selbstorganisierte politische Gruppe zu sein als auch eine Gruppe von Menschen, die sich ökonomisch wechselseitig unterstützen. Das ist noch nicht Teil unserer politischen Grundsätze, aber wir arbeiten daran.
KL Kannst du uns Beispiele eurer politischen Arbeit geben?
ER Unsere politische Arbeit fokussiert die Rechte der Arbeiter und Migranten, worunter wir auch den Zugang zu sozialen Leistungen fassen. Der Standard deutscher Staatsbürger sollte für alle gelten. Jede Woche machen wir Sozialberatung. Die Probleme, die wir durch diese Arbeit mitbekommen haben, waren Auslöser für eine zielgerichtete Kampagne gegen die Ausbeutung in der Berliner Gastronomie. Diese ist ein Wirtschaftssektor, der jährlich Millionen Euro Umsatz schafft, und oft basieren die Profite auf Ausbeutung. Es handelt sich meist um Saisonarbeiter, die es nicht schaffen, sich zu integrieren. Denn wenn du zwölf Stunden am Tag arbeitest, hast du nicht die Möglichkeit, zur Schule zu gehen und die Sprache zu lernen. Du bleibst dann in diesem ausbeutenden System gefangen. Wir organisieren Streikposten, versuchen, politischen Druck zu erzeugen, Menschen fernab des Arbeitsplatzes zu organisieren, bestimmte Vorfälle öffentlich zu machen. Ein anderes wichtiges Thema ist für uns die Nicht-Arbeit. Vielen von uns fällt es schwer, staatliche Sozialleistungen nicht als Almosen zu betrachten, sondern als ein Recht. Zudem haben wir angefangen, uns mit der Wohnproblematik auseinanderzusetzten. Es ist ein zentrales Problem: Wenn du keine Anmeldung hast, bekommst du keinen rechtsgültigen Mietvertrag, wenn du keine Arbeit hast, kannst du keine Wohnung finden, wenn du keine Wohnung hast, kannst du dich nicht anmelden. Hier beißt sich der Hund in den Schwanz.
KL Unter welchen Bedingungen führt ihr die Arbeitskämpfe hier durch?
ER Es ist ein anderes Land, mit anderen Gesetzen, einer anderen Bürokratie. Das waren keine einfachen Startbedingungen. Wir mussten erst einmal damit klarkommen, dass hier nicht jeder einen Tarifkonflikt führen kann. In Italien läuft das Ganze nämlich etwas anders. Man muss keine eingetragene Gewerkschaft sein, um die Arbeiter zu organisieren. Wir sind keine Gewerkschaft, wir wollen auch keine werden. Wir konzentrieren uns mehr auf die politischen Kampagnen. Die Sprache ist ein anderes großes Problem, nicht nur für die einzelne Arbeiterin, sondern auch für das politische Kollektiv. Du musst die Sprache können, um an bestimmte Informationen zu kommen, die es dir ermöglichen, bestimmte Kämpfe zu führen. In diesem Sinne ist die Arbeit der Beratung für die Weitergabe von Informationen bereits eine Art Kampf. Es klingt banal, ist aber sehr wichtig: Wenn du nichts weißt, kannst du auch nichts machen.
KL Seid ihr von Diskriminierung betroffen?
ER Die ersten Fälle von Diskriminierung hatten wir erst vor kurzer Zeit, sie betrafen in Gewerkschaften organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter. Es ist normal, dass du dich angreifbar machst, wenn du als Gewerkschafter die Entscheidung triffst, nicht mehr alles zu akzeptieren und auch Kollegen dazu ermunterst. Ich würde das aber nicht als Diskriminierung bezeichnen, sondern als politische Repression. Die Diskriminierung spüren wir eher bei der Wohnungssuche.
KL Seid ihr im Austausch mit Menschen aus anderen „Krisenländern“?
ER Wir versuchen es, das ist jedoch nicht einfach. Viele kommen aus südeuropäischen Ländern, aber unsere politischen Traditionen und die Situationen in unseren Herkunftsländern sind sehr unterschiedlich. Mit den spanischen Genossen arbeiten wir immer wieder zusammen. Das ist möglich, weil wir ähnliche politische Arbeit leisten, etwa die Sozialberatung. Auch die Verknüpfung von Politischem und Sozialem ist bei uns ähnlich. Die Gemeinsamkeit, „Migrant“ zu sein, beeinflusst stark die politische Arbeit und die Felder, die man dabei fokussiert. Eines der Dinge, die uns am besten gelungen sind und die durch die Zusammenarbeit mit den Leuten aus Spanien zustande kam, war die Organisierung eines migrantischen Blocks auf der Kreuzberger Gay Pride. Unser Block war einer der größten. Das zeigt noch einmal, dass man nicht immer aus ökonomischen Gründen flieht.
KL Wie ist eure Einschätzung der gemeinsamen Klassenkämpfe - sind diese überhaupt möglich?
ER Das Problem ist sehr einfach: Wenn eine Migrantin für die Hälfte des Geldes und der Rechte ein Jobangebot annimmt, wirst du keine Arbeit mehr finden. Denn es wird immer eine Migrantin geben, die einen Job für weniger Lohn und unter schlechteren Arbeitsbedingungen macht. Wenn dir diese Konditionen als Migrantin aufgezwungen werden, kannst du dich nicht dagegen wehren, weil dir die nötigen Informationen und Mittel fehlen. So werden Ausbeutungshierarchien reproduziert, und die Mächtigen können weiterhin einen Krieg zwischen den Armen anheizen. Davon können wiederum rechte Populisten profitieren. Um diese Hierarchien zu unterwandern, muss uns klar werden, dass es nicht immer um Solidarität geht, sondern auch um das eigene Interesse: Es ist im Interesse nicht migrantischer Arbeiter, dass alle den gleichen Lohn bekommen. Man muss das Bewusstsein schaffen, dass der Mensch, der neben dir sitzt oder steht, gerne für den gleichen Lohn arbeiten würde. Er arbeitet nicht freiwillig für weniger Lohn, sondern weil er dazu gezwungen ist. Der Kampf der Migrantinnen und Migranten ist der Kampf von allen. Wer das versteht, begreift, dass es nicht darum geht, dass jemand immer jemand anderem etwas wegnimmt. Die spanischen Genossen haben eine erfolgreiche Kampagne zum Thema gleicher Lohn für alle im Pflegedienst durchgeführt. Konkrete Arbeit ist sehr wichtig, denn wir können reden, so viel wir wollen, wenn du nie gewinnst und den Leuten kein erfolgreiches Modell anbieten kannst, schaffst du es nicht, sie auf deine Seite zu ziehen.
KL Welche Rolle haben Gewerkschaften?
ER Die Gewerkschaften spielen in Deutschland eine unglaublich wichtige Rolle. Gesetzlich betrachtet sind sie ja die Einzigen, die einen Tarifkonflikt führen können. Man braucht sie, um legalen Druck aufbauen und Widerstand leisten zu können. An erster Stelle muss man gegen die Vorurteile der Migranten arbeiten. Viele lehnen halbstaatliche Strukturen generell ab, denn in unseren politischen Traditionen spielen kleine und selbstorganisierte Gewerkschaften eine viel bedeutendere Rolle. Das wichtigere Problem hier ist ein anderes: Wir müssen die bestehenden Strukturen modernisieren und akzeptieren, dass die Gewerkschaften gerade eine Krise durchmachen. Und die Arbeiterklasse, die größte Klasse, die es gibt, ist schwer zu fassen. Man muss sie wieder aufbauen, ihr eine neue Bedeutung geben. Sie hat einen anderen historischen Hintergrund, und es braucht neue Instrumente für ihre Analyse. Man muss neue Akteure mit einbeziehen: zum Beispiel prekäre Arbeiterinnen, Schwarzarbeiter, Arbeitslose, falsche Selbstständige. Es muss gelingen, diese ganzen kleinen Teile zusammenzubringen und dem Konzept Streik eine neue Bedeutung zu geben. Wir sind eine unglaublich große Klasse mit einem sehr großen Sabotagepotenzial. Es bringt nichts, den Arbeitskampf als isolierten Kampf zu betrachten. Wir müssen ihn mit allen anderen sozialen Themen verbinden und versuchen, dieser Klasse wieder ein Selbstbewusstsein zu geben.
KL Wo gibt es Anknüpfungspunkte für weitere Kämpfe? Und wie können linke Strukturen sich stärker solidarisch zeigen?
ER Das, was hier häufig unter Solidarität verstanden wird, sehen wir kritisch. Wir stießen auf dieses Problem, als wir anfingen, mit deutschen Gruppen zusammenzuarbeiten. Wir brauchen nicht jemanden, der mit uns solidarisch ist. Wir brauchen Menschen, die verstehen, dass unser Kampf auch ihr Kampf ist, ein Kampf, den wir gemeinsam führen müssen. Das ist in den Flüchtlingskämpfen sehr ähnlich: Es geht nicht darum, für Flüchtlinge zu kämpfen, sondern darum, mit ihnen zu kämpfen. Wenn man das nicht versteht, reproduziert man die Logik der strukturellen Spaltungen. So bleiben wir in den Kategorien „Deutscher“, „Migrant erster Klasse“ und „Migrant zweiter Klasse“ verhaftet und denken, wir seien zwar solidarisch, das Problem habe aber nichts mit uns selbst zu tun.