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Automatisierung damals und heute

Automatisierung damals und heute
Thema
Essay von Jason E. Smith
Warum im digitalen Kapitalismus nicht alles neu ist und weshalb der derzeitige Technologieschub mehr Jobs schaffen als vernichten wird.
Essay von Jason E. Smith

Alle 30 Jahre das gleiche Lamento. Die Angst vor technologischen Innovationen und damit verbundene Entlassungswellen kehrte im vergangenen Jahrhundert regelmäßig zurück. Interessanterweise wurden solche Bedenken vor allem von den Gesandten der herrschenden Klasse vorgebracht und keineswegs von jenen, die dem Risiko der Arbeitslosigkeit tatsächlich ausgesetzt gewesen wären. Schon 1930 schrieb Lord Keynes von der „neuen Krankheit“ der „technologischen Arbeitslosigkeit“, welche eine Gesellschaft heimsuchte, die ansonsten die Früchte des technologischen Fortschritts erntete: die allumfassende Elektrifizierung der Industrie, die breite Nutzung von Verbrennungsmotoren auf neu asphaltierten Straßennetzen, die Wunder häuslicher Sanitäranlagen sowie die massenhafte Verfügbarkeit von billigem Stahl als Baumaterial.

Die nächsten Sorgenfalten wurden Mitte der 1950er Jahre sichtbar, als sich die technologischen Quantensprünge der 1930er nachhaltig bemerkbar zu machen begannen: Die Aussicht auf Atomstrom zeichnete sich ab und die ersten Computer wurden mit schwerer Produktionsmaschinerie verdrahtet. Aufsätze, Studien und Bücher über die Wunder der Kybernetik erschienen in Hülle und Fülle. Eine boomende Industrie der Populär-Soziologie spekulierte mit dem größten Optimismus über eine vor der Tür stehende „Freizeit-Gesellschaft“.

Die für die Kapitalistenklasse so typische Faszination für die Kräfte der Technologie wurde nur durch das vermeintliche Schicksal jener Arbeiter_innen getrübt, die aus der Produktionssphäre hinausbefördert werden sollten. Sorgen bereitete vor allem die Aussicht auf Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Verelendung und eine damit einhergehende Zuspitzung des Klassenwiderspruchs. Jene, die diese Situation durch die Brille der Kapitalistenklasse betrachteten, fürchteten vor allem eine Konsumptionskrise, sprich: Eine Masse an Arbeiter_innen, die – ihres Lohnes beraubt – nicht in der Lage wären, all die günstigen Waren zu kaufen, die von den wunderbaren Maschinen hergestellt wurden.

Nur ein Jahrzehnt später – Ende der 1960er Jahre – begannen viele dieser sorgenvollen Beobachter_innen mit der fröhlichen Verkündung eines kommenden postindustriellen Zeitalters. In den 1970ern schließlich wurden Zehnmillionen von Frauen auf den Arbeitsmarkt geworfen. Meist fanden sie sich in Bürotätigkeiten und Unternehmensdienstleistungen wieder. Persönliche Dienstleistungen, die vormals als unbezahlte Haus- oder Reproduktionsarbeit verrichtet wurden, wurden nun in Waren verwandelt. In den 1990ern schließlich – just als die „New Economy“ Schwung aufnehmen sollte und die „Dotcom-Blase“ anzuschwellen begann – schwappte erneut eine Welle der Sorgen und Nöte über die Plappermäuler der herrschenden Klassen hinweg. Abermals mit perfektem Timing. Bezeichnend war ein Artikel aus dem Wallstreet Journal, der hastig in die altbekannte Leier einstimmte: „technologischer Fortschritt ist heute so rasant, dass Unternehmen weit mehr Arbeiter entlassen können als sie anstellen müssen, um neue Technologien einzuführen oder Verkaufszahlen zu erhöhen“.

Jeremy Rifkins 1995 erschienenes Buch „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“, das auf einen „nahezu automatisierten“ Dienstleistungssektor gegen Mitte des 21. Jahrhunderts baute, fand in intellektuellen Diskursen ebenso weite Verbreitung wie in Wirtschaftsmagazinen. In wirtschaftsstarken Ländern haben seit der Veröffentlichung von Rifkins Buch jedoch Millionen von Arbeiter_innen Beschäftigungen im Dienstleistungssektor aufgenommen, während die industrielle Produktion weiter zusammenschrumpfte. Zugleich legten Millionen von chinesischen Bauern und Bäuerinnen ihre eigene „Große Wanderung“ hin und strömten in die emporschießenden Städte des riesigen Landes. Tagein tagaus haben sie seither ihre Arbeitskraft gegen Yuan eingetauscht.

Eine Welt ohne Arbeit?

Ganz dem Zyklus folgend gab es seit dem globalen Wirtschaftskollaps von 2008 und insbesondere in den vergangenen fünf Jahren nun wieder eine Schwemme von Artikeln und Büchern, die die Wunder und Fallen eines bevorstehenden Aufstiegs der Roboter beschreiben. Mitunter wird behauptet, dass wir gerade ein „zweites Maschinenzeitalter“ (Brynjolfsson/McAfee 2014) durchleben, obwohl vor einem halben Jahrhundert – in den 1960er Jahren – bereits die „dritte industrielle Revolution“ ausgerufen wurde. Während jener erste technologische Quantensprung, der durch die Verschmelzung von Automatisierung und Atomkraft entfesselt wurde, inmitten eines explosionsartigen ökonomischen Wachstums behauptet wurde, folgen heutige Übertreibungen auf eine beinahe fatale Finanzkrise.

Derzeitige Trends deuten darauf hin, dass diese wirtschaftliche Flaute keineswegs überwunden ist. Tatsächlich gab es seit 1999 – dem Höhepunkt der sogenannten „Dotcom-Blase“ – einen Rücklauf an privaten Investitionen in Software und Computerequipment um ganze 25 Prozent. Heute sind diese Investitionen so schwach wie zuletzt 1995. Dem Großteil der Beobachter_innen entgeht diese Lage nicht. Sie haben ihre liebe Mühe, die Potentiale und Gefahren von selbstlernenden Algorithmen (die angeblich in der Lage sind, ihre eigenen Programme zu schreiben) mit den Entwicklungen am Boden der ökonomischen Tatsachen in Übereinstimmung zu bringen. In den USA erholen sich die Beschäftigungsraten erst seit kurzem wieder. Anderswo, vor allem in Südeuropa, bleiben sie auf einem historischen Tiefstand. Diese Jobverluste haben allerdings weniger mit der „Rache der Roboter“ zu tun als vielmehr mit der Fülle an brachliegendem Kapital.

Einige der jüngeren linken Auseinandersetzungen mit dem strukturellen Drang nach Ersetzung von menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen haben einen anderen Weg eingeschlagen. Autoren wie Antonio Negri sehen die Veränderungen in der Zusammensetzung des Kapitals in einem ganz und gar positiven Licht und lesen die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals durch die Brille von Marx’ sogenanntem „Maschinenfragment“ aus dem Jahr 1858. Dabei im Mittelpunkt: das „monströse Missverhältnis“ zwischen der Produktivität von computergesteuerter großer Maschinerie und der verschwindenden Menge an Arbeitszeit, die es braucht, um diese Systeme in Bewegung zu setzen. Eine weitverbreitete Spielart dieses Standpunkts malt sich etwa eine automatisierungsbedingte „Abschaffung der Arbeit“ aus. Die daraus folgende Massenarbeitslosigkeit solle durch die Einführung eines staatlichen bedingungslosen Grundeinkommens abgefedert werden. Solche Zahlungen, so der Gedanke, würden die unantastbare Verbindung zwischen Lohn und Arbeitszeit nach und nach auflösen, indem zugleich die Nachfrage angeregt und die Produktion auf ein Minimum reduziert wird.

Vollautomatisierter Luxus-Kommunismus: Eine sozialdemokratische Idee

So kündigt auch Nick Srnicek und Alex Williams’ aktuelles Buch „Die Zukunft erfinden“ eine post-kapitalistische Welt ohne Arbeit an. In ganz eigener Weise führen sie dabei die oben beschriebenen Gedanken von Negri fort. Die vollständige Automatisierung der „Ökonomie“ – ein Begriff, dem Srnicek und Williams nicht näher nachgehen – wird zu ihrem programmatischen Kernanliegen. Genau wie die Mainstream-Meinungen, die sie reproduzieren, sehen sich auch Srnicek und Williams gezwungen, einem tiefliegenden Widerspruch gegenüberzutreten: Denn trotz allen Hypes um Big Data, das Internet der Dinge und Fabriken ohne Arbeiter_innen werden weiterhin bestenfalls laue Wachstumsraten verzeichnet, insbesondere, wenn man sie mit ihrem Hoch zu Mitte des 20. Jahrhunderts vergleicht. Srnicek und Williams zufolge ist das Ersetzen von Menschen durch Maschinen daher „etwas, das linke Politik aufgreifen, begeistert begrüßen und beschleunigen sollte“ (Srnicek/Williams 2016, S. 178).

Genau an dieser Stelle stoßen wir jedoch auf das Grundproblem in Srnicek und Williams’ Zukunftsvision. Ihr Versuch, die Verzögerungen bei der Einführung von Automatisierungstechnologien zu erklären, ist allenfalls halbherzig und treibt sie zu allerhand geistigen Verrenkungen. Es sei „hochwahrscheinlich“, schreiben sie etwa, „dass niedrige Löhne die Bereitschaft hemmen, in produktivitätssteigernde Technologien zu investieren“ (Srnicek/Williams 2016, S. 183). Das ist ohne Zweifel ein Faktor, den es zu bedenken gilt: Warum sollten Konzernleiter_innen in fixes Kapital investieren, das über die Jahre hinweg an Wert einbüßt, wenn schwach regulierte Arbeitsmärkte es gestatten, billige Arbeitskraft in Sekundenschnelle zu rekrutieren und, falls nötig, auch wieder vor die Tür zu setzen? Dieser Logik folgend argumentieren Srnicek und Williams weiter: Um „der Forderung nach umfassender Automatisierung Nachdruck zu verleihen, ist es unumgänglich, weltweit zugleich für höhere Löhne zu kämpfen“ (ebd.).

Ganz abgesehen von der Herkulesaufgabe, einen Arbeitskampf quer über den ganzen Planeten zu organisieren, um höhere Löhne zu erstreiten, bleibt dieser Vorschlag letzten Endes rätselhaft. Anstatt sich zu fragen, warum Niedriglohnjobs und Menschen, die sich gezwungen sehen in diesen zu arbeiten, überhaupt so zahlreich sind oder warum diese Arbeiter_innen nicht in der Lage sind, sich innerhalb des Niedriglohnsektors zu organisieren, legen die zwei Autoren nahe, dass höhere Lohnniveaus allein durch politische Anordnung oder bürokratisches Dekret erzielt werden sollten. Doch das wäre, dieser Logik folgend, nur ein Zwischenschritt: Sollten Arbeitgeber_innen dazu gezwungen werden, höhere Löhne zu zahlen, dann würde sie das ebenso dazu bringen, Automatisierungstechnologien einzuführen. Der Zwang zu höheren Lohnzahlungen würde also den „gewünschten“ Effekt der Massenarbeitslosigkeit nach sich ziehen. All die, die soeben höhere Löhne eingeheimst haben, hätten sogleich auch ihre Arbeit verloren. So viel zur strategischen Weitsicht des sozialdemokratischen Akzelerationismus.

Wir müssen dieses Problem vom Kopf auf die Füße stellen. Die Verzögerung bei der Umsetzung vollständiger Automatisierung über alle Wirtschaftsbereiche hinweg und die entsprechende lang anhaltende Verzögerung bei Produktivitätssteigerungen müssen vom Standpunkt der Dynamiken des globalen Kapitalismus als Ganzes betrachtet werden. Gegenwärtige Spekulationen über die Versprechen und Gefahren der Automatisierung stehen einer fortwährenden Akkumulationskrise gegenüber. Es ist diese wirtschaftliche Großwetterlage, die verhindert, dass eine stellenweise Einführung von Automatisierungstechnologien weder größere Teile der Menschheit vom Arbeitszwang befreien noch jene Art von Massenarbeitslosigkeit auslösen wird, wie sie sich verschiedene Theoretiker_innen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts immer wieder ausgemalt haben. Das technologische Potenzial, die meisten wenn nicht gar alle Beschäftigungen automatisieren zu können, sei angeblich schon vorhanden. Diese Überzeugung wird von vielen in der Linken geteilt. Entsprechend dieser Einschätzung ist jegliche Verzögerung bei der Umsetzung ausschließlich „Fehlern in der Regierungspolitik“ geschuldet: Es brauche nur den richtigen Mix aus sozialdemokratischen Anpassungen (kürzere Arbeitswochen, höheren Mindestlohn, Grundeinkommen und so weiter) sowie die richtigen „politischen Weichenstellungen“, um eine Welt der „knappen Arbeitsmärkte“ und einen guten Lebensstandard für alle zu erreichen.

Meine Analyse nimmt einen anderen Ausgangspunkt. Sie beginnt mit folgenden Fragen: Warum sind – trotz all der Schaumschlägerei um Produktivitätspotenziale, die angeblich in Entwicklungszentren und Testlaboren verborgen liegen – in den vergangenen 15 Jahren die Investitionen in Informationstechnologien ebenso gesunken wie die Produktionsleistungen in IT-gestützten Herstellungsverfahren? Warum stammt fast jeder Beschäftigungszuwachs seit 1990 – ganze 96 Prozent – aus Branchen, „von denen man entweder weiß, dass sie niedrige Produktivitätsraten verzeichnen oder diese aufgrund fehlenden Wettbewerbs oder ungenauer Messverfahren nur vermutet werden können“ (Klein 2016)? Warum stammen ganze 94 Prozent des Beschäftigungszuwachses in den USA seit 2000 aus Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen, Sozialhilfe, Gastronomie und Einzelhandel – sprich: aus dem schier unüberschaubaren, zusammengewürfelten und – allen voran – technologisch stagnierenden Dienstleistungssektor?

Von der Industrie zum Dienstleistungssektor

Es überrascht kaum, dass fast alle Beobachter_innen der kommenden Automatisierungswelle dahingehend argumentieren, dass die Berufe, denen es angeblich massenweise an den Kragen gehen soll, fast ausschließlich aus dem Dienstleistungssektor stammen. Bei aller Ungleichheit in Sachen Löhne und Qualifizierungsgrad definiert sich der Dienstleistungssektor vor allem durch ein gemeinsames Merkmal: seine technologische Rückständigkeit. Im Gegensatz zu kapitalintensiver industrieller Produktion und Landwirtschaft verzeichnet der Dienstleistungssektor durchgehend schwaches Produktivitätswachstum. Die Grundannahme all jener Abhandlungen, die vor den Gefahren einer bevorstehenden Automatisierung weiter Teile der Wirtschaft warnen, lautet: Das Schema, welches man im 20. Jahrhundert in der industriellen Fertigung beobachten konnte, wird nun auch den Dienstleistungssektor heimsuchen. Mit anderen Worten: Es wird angenommen, dass sich ein Sektor, der technologischer Innovation beständig widerstanden und Jahr für Jahr nur minimales Produktivitätswachstum verzeichnet hat, in ein dynamisches, technologisch fortschrittliches Produktionsfeld verwandeln wird.

Jeremy Rifkins Vorhersage aus dem späten 20. Jahrhundert, dass der Dienstleistungssektor bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts beinahe vollständig automatisiert sein wird, wird nicht nur von den meisten populärwissenschaftlichen Texten zum Thema, sondern auch von vielen Linken als bevorstehendes Erlösungsversprechen aufgenommen. Auch Srnicek und Williams verwenden in „Die Erfindung der Zukunft“ nur wenig Energie darauf, den Eigenheiten des Dienstleistungssektors genauer nachzugehen. Wie die meisten Autor_innen, die zu diesem Thema schreiben, stützen sie sich allein auf eine Studie der Martin School der Universität Oxford aus dem Jahr 2013, die prophezeit, dass 47 Prozent aller US-amerikanischen Jobs „Gefahr laufen“, automatisiert zu werden. Andere Untersuchungen wiederum fahren noch drastischere Prognosen auf und setzen die Messlatte auf nahezu 80 Prozent in der nahen Zukunft. Diese Schilderung, die von fast allen Autor_innen unabhängig von ihren politischen Orientierungen oder Motivationen geteilt wird, stützt sich allein auf eine einzige unhinterfragte Annahme: dass jener Wirtschaftssektor, der im vergangenen Vierteljahrhundert nahezu jede neue Beschäftigungsmöglichkeit auf sich zog, bald schon von einer Legion „intelligenter“ Maschinen dezimiert werden wird.

Jeder ernsthafte Versuch, den Eigenheiten der Serviceindustrie auf die Schliche zu kommen, endet mit der Einsicht, dass der Sammelbegriff des „Dienstleistungssektors“ einer genaueren Betrachtung selbst nicht standhält. Die Serviceindustrie macht bis zu vier Fünftel der Beschäftigung in den USA und ähnlich einkommensstarker Länder aus. Hier wird eine enorme Anzahl ökonomischer Aktivitäten vermischt, die nicht nur in Bezug auf Lohn- und Qualifizierungsniveaus enorm variieren, sondern auch in Sachen geographischer Lage, Unternehmensgröße und dem Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Insofern ist jegliche Definition des Dienstleistungssektors zu aller erst negativ: Es geht um alles, was weder etwas mit Landwirtschaft noch mit industrieller Produktion zu tun hat.

Die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse innerhalb des Servicesektors wiederum sind von einer tiefen Spaltung gekennzeichnet: Unternehmensdienstleistungen auf der einen, persönliche Konsumdienstleistungen auf der anderen Seite. In ersteren finden wir eine Reihe von Aufgaben, die von Design-, Buchhaltungs- und Überwachungs- bis hin zu Bürotätigkeiten und Verkehrsdienstleistungen reichen. Während solche und ähnliche Tätigkeiten in der Vergangenheit von Produktionsfirmen selbst erledigt wurden, werden sie heute oft an externe Firmen ausgelagert, die sich auf die Bereitstellung von Serviceleistungen spezialisiert haben. Im Laufe der vergangenen 40 Jahre tendierten kapitalistische Unternehmen zunehmend dazu, Prozesse der Arbeitsteilung in einer Weise zu verfeinern, die es ermöglicht, Aufgaben zunehmend auszulagern.

Der Konzern Apple beispielsweise besitzt nicht eine einzige Fabrik. Nur ein verschwindend geringer Teil des Verkaufspreises von Apple-Produkten ist auf den ausgelagerten Fertigungsprozess in China zurückzuführen, in dem Teile verbaut werden, die wiederum an anderen Orten hergestellt wurden. Das führt dazu, dass Aktivitäten statistisch dem Dienstleistungssektor zugerechnet werden, obwohl viele – etwa Forschung und Design, aber auch Fernverkehr und Schiffstransport – Teil eines erweiterten Herstellungsprozesses sind. Wenn also ein erheblicher Teil dessen, was von Ökonom_innen unter der Kategorie „Dienstleistung“ verbucht wird, eigentlich ausgelagerte Herstellungsprozesse sind, dann muss der statistische Beschäftigungszuwachs im Dienstleistungssektor zumindest teilweise als Ergebnis einer zunehmend verzweigten Arbeitsteilung auf globaler Ebene gesehen werden.

Andererseits lagern Firmen wie Apple, die – zumindest nominell – als Hersteller geführt werden, ihre Produktion weitgehend aus und spezialisieren sich auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für ihre Produkte. Solche Dienstleistungen – man denke nur an Apples Musikstreaming-Portal iTunes – versprechen oftmals höhere Gewinnraten als die Produkte selbst. Beispiele wie diese zeigen auf, dass die statistische Trennung von Herstellungsprozessen auf der einen und Dienstleistungen auf der anderen Seite die Sicht auf die gegenseitige Verschränkung beider Bereiche als gegliedertes Ganzes versperrt. Die Geschichte der Automatisierung legt eine komplexe Dynamik zwischen diesen beiden Teilbereichen nahe, deren zyklische und spiralförmige Muster es verlangen, sie in enger Wechselseitigkeit zueinander zu verstehen.

Ganz ähnlich sieht es aus, wenn wir uns auf die andere Seite des Servicesektors bewegen – jene, die auf individuelle Konsument_innen zielt. Erinnern wir uns: Im 19. Jahrhundert waren Berufe im persönlichen Dienstleistungssektor verbreiteter als Beschäftigungsverhältnisse in der industriellen Fertigung. Das Zusammenschrumpfen des persönlichen Dienstleistungssektors im Laufe des 20. Jahrhunderts ist zum Großteil darauf zurückzuführen, dass diese Tätigkeiten in sehr spezieller Art und Weise „automatisiert“ wurden: nämlich dadurch, dass sie in einzelne Produktionsgüter umgewandelt wurden. Allerdings erzeugte das Ersetzen von Dienstleistungen durch Waren – Waschmaschinen statt Haushaltshilfen, das eigene Auto statt kollektivem Bahnverkehr, massenproduzierte Hamburger statt selbstgekochter Mahlzeiten – zugleich einen Anstieg in verwandten Dienstleistungen wie Vertrieb, Marketing, Reparatur oder von Versicherungen und Krediten für Endverbraucher. Ein Großteil dessen, was wir als Dienstleistungs-Ökonomie kennen, ist ein direkter, eng verknüpfter Effekt einer vorherigen Automatisierung von Dienstleistungen. Man könnte gar von einem dialektischen Muster sprechen, in dem ein erster Begriff (persönliche Dienstleistungen) in sein Gegenteil übergeht (massenproduzierte Waren), wodurch eine neue, veränderte Variante des ersten Begriffs entsteht (ein neues oder erweitertes Feld an Dienstleistungen). Erst heute werden diese neuen Beschäftigungen im Dienstleistungsbereich entlang kapitalistischer Kriterien organisiert, was im 19. Jahrhundert in der Regel nicht der Fall war.

Küsse gegen Bezahlung

Wenn wir zu jener Zweiteilung des Dienstleistungssektors zurückkehren, von der wir unseren Ausgang genommen haben, dann lässt sich die Vermutung anstellen, dass es vor allem Unternehmens- und professionelle Dienstleistungen sein werden (Tätigkeiten in der Buchhaltung, im Finanzwesen, der Datenverwaltung und so weiter), die mit größter Wahrscheinlichkeit einer erneuten Welle der Automatisierung zum Opfer fallen werden. Ob diese Beschäftigungsfelder nennenswertes Produktivitätswachstum erzielen können, ist eine gänzlich andere Frage. Wenn wir davon ausgehen, dass Innovationen im Bereich der Lernfähigkeit von Maschinen und künstlicher Intelligenz Fortschritte in diesen Feldern machen werden, dann werden die von den Maschinen ausgebooteten Arbeiter_innen in schlecht bezahlte und prekäre Konsum- und Endverbraucherdienstleistungen verdrängt werden.

Traut man den Voraussagen der US-amerikanischen Behörde für Arbeitsstatistiken, dann könnte diese Abwanderung bereits begonnen haben. Die meisten Voraussagen über die Automatisierung des Dienstleistungssektors vernachlässigen nicht nur die spezifischen Eigenheiten dieses Sektors, sie setzen zudem stillschweigend voraus, dass Anzahl und Art von Beschäftigungen begrenzt und fixiert sind. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kolonisierung menschlicher Aktivitäten durch den Dienstleistungssektor hat mit aller Wahrscheinlichkeit gerade erst begonnen. Prinzipiell lässt sich die gesamte Bandbreite menschlicher Aktivitäten in kleinere Teilbereiche zerlegen. Diese Teilbereiche können dann in Beschäftigungen verwandelt und entlang kapitalistischer Prinzipien organisiert werden. In Reaktion auf den Bericht der Oxford Martin School über die „Computerisierung“ gegenwärtiger Berufe, schreibt Paul Mason, dass – sollte auch nur die Hälfte dieser Jobs tatsächlich ausgelöscht werden – das Ergebnis wohl weniger in Massenarbeitslosigkeit bestünde, sondern vielmehr in einer schwindelerregenden Explosion des „menschlichen Dienstleistungssektors“.

Vieles dessen, was wir im Moment noch umsonst tun, müsste in Lohnarbeit verwandelt werden. Neben sex work könnte es auch „Liebes- und Zuneigungsarbeit“ geben. Ansätze davon lassen sich schon heute erkennen – etwa in Phänomenen wie angestellten Freund_innen, kommerziellen Gassi-Geher_innen, privaten Reinigungskräften, Gärtner_innen, Caterern und persönlichen Pförtner_innen. Die Reichen sind bereits von solch postmodernem Personal umgeben. Wenn allerdings ganze 47 Prozent aller Tätigkeiten ersetzt werden sollen, dann erfordert das eine schiere Massenkommerzialisierung des menschlichen Alltagslebens. Eine solche Kommerzialisierung würde tief in die Poren des Alltagslebens reichen und jeglichen Widerstand zu einem Verbrechen machen. Menschen, die sich unentgeltlich küssen, wären so zu behandeln wie Wilderer im 19. Jahrhundert. Keine schönen Aussichten.

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Der Text ist eine übersetzte und gekürzte Version eines zweiteiligen Essays, der 2017 bei The Brooklyn Rail erschien. Zum ersten Teil des Essays geht es hier, zum zweiten hier.

Zum Weiterlesen

Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew (2014): The Second Machine Age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. Plassen Verlag, Kulmbach.

Klein, Matthew C. (2016): The great American make-work programme. In: Financial Times. Online einsehbar hier.

Rifkin, Jeremy (2004): Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Fischer Verlag, Berlin.

Srnicek, Nick/Williams, Alex (2016): Die Zukunft erfinden. Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit. edition Tiamat, Berlin.

Zitathinweis: Jason E. Smith: Automatisierung damals und heute. Erschienen in: Kapitalismus digital. 48/ 2018. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1488. Abgerufen am: 29. 03. 2024 15:07.