Wofür wirst Du eigentlich bezahlt?
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- Götz Aly
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- Möglichkeiten praktischer Erzieherarbeit zwischen Ausflippen und Anpassung
Götz Alys früher Weg zum Staat.
In unserem Hinweis auf Götz Alys gewichtige Entdeckung, dass die Antifaschisten von 1968 eigentlich Nazis und die Internationalisten von damals die peinlichsten Nationalisten waren, hatten wir das erste Buch Alys nur in Erinnerung, aber nicht zur Hand. So können wir erst jetzt berichtigen. “Wofür wirst Du eigentlich bezahlt” ist keine Zwischenüberschrift, sondern der Titel des ganzen Buchs, Dritte Auflage von 1980. Rotbuch-Verlag Büchereinummer 163.
Zunächst ist dem Buch ein Geheimnis zu entnehmen: Was Aly selbst eigentlich in der Studentenbewegung getrieben hat. Er studierte ab 1966 nach eigenen Angaben am Otto-Suhr-Institut, machte 1971 sein Examen und war dann mehrere Jahre Sozialarbeiter in Spandau. 1971 hatte sich Götz Aly nach eigenen Angaben an einem studentischen Go-In beteiligt und war 1975 zu einer Geldstrafe von 750 DM verurteilt worden. Das zuständige Bezirksamt sah die damalige Tat oder das Verschweigen derselben bei der Einstellung als so schwerwiegend an, dass es zur vorläufigen Dienstenthebung kam. Die Kündigung wurde vom Landesarbeitsgericht aufgehoben. Nur wollte Götz Aly dann nicht mehr. Er betonte, dass er sich, um seine berufstätige Frau zu entlasten, ab damals - nicht ganz klar 1976 oder 1980 - als Hausmann der Erziehung seiner Kinder gewidmet habe.
Daraus geht zunächst hervor, dass die Kinder inzwischen an die dreißig Jahre alt sein müssen. Götz Aly sorgt sich inzwischen öffentlich, was er “einmal” seinen Kindern über die sechziger Jahre “sagen” wird. Etwas spät! Auch über die Literatur der damaligen Zeit war Götz Aly in jenen Jahren noch ganz anderer Meinung. Heute attestiert er sämtlichen damals Schreibenden, dass sie nichts Lesenswertes hervorgebracht und hinterlassen hätten. Im damaligen Buch zitiert er immerhin lobend das wirklich sehr lesenswerte Buch von Jan Karl Raspe, dem später mit in Stammheim einsitzenden, ”Die Sozialisation des proletarischen Kindes” im Rote-Stern-Verlag herausgekommen. Immerhin dieses eine!
Götz Aly schildert seine Erfahrungen und Tätigkeiten in einem Spandauer Jugendzentrum. Dankenswerterweise mit vielen Fallbeispielen, Gesprächsprotokollen, auch amtlichen Aktenstücken. Das ist für sich selbst sehr aufschlussreich, weil es, im Schlusswort noch einmal unterstrichen, die bekannte Situation des “öffentlich” Erziehenden darstellt, der einerseits die Auflehnung der Jugendlichen billigt und - soweit möglich – unterstützt, andererseits - wie der Titel schon sagt - die Abhängigkeit von der vorgesetzten Behörde kennzeichnet, die den Erzieher für die Zöglinge immer “den anderen” sein lässt. Mit Recht unterstreicht Aly in zahllosen Beispielen die Inkonsequenz des beamteten oder auch nur staatlich angestellten Lehrers und Erziehers. Anders als brüchig kann eine solche berufliche Existenz nicht durchgehalten werden. Nur, dass er am Ende des Buchs - im kleinen Rückblick auf seine Erkenntnisse - den Widerspruch einfach so auflöst, dass die staatlichen Einrichtungen nun einmal den Rahmen nicht nur seiner Existenz, sondern auch den der zu Erziehenden darstellen. Diese müssen sich eben dem Anpassungszwang unterwerfen - und was er kleinlaut dann noch fordert - “ aber mit aufrechtem Gang” ist ein geringer Trost.
Man muss nur an das ungefähr zur gleichen Zeit zunächst besetzte, dann geduldete Georg-von-Rauch-Haus denken. Die dortige Parole “Gemeinsam kämpfen - Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen” führte denn doch zu einer konsequenteren Haltung. Damals wurden drei (?) Erzieher gekündigt, weil sie Anordnungen des Jugendamts nicht gegen die Insassen durchgesetzt hatten.
Es geht hier nicht darum, ob im einzelnen doch noch Hinausschieben ein Kompromiss nötig gewesen wäre. Auch gar nicht um eine Verurteilung von Alys Rückzug ins Privatleben. Bedenklich scheint bloß, dass Aly aus seiner berechtigten Sonderposition schnell den Schluss zieht für alle: Zöglinge zum Leben in der Gesellschaft erziehen, wie sie ist. Sich selbst als links noch betätigen und definieren in ÖTV, GEW, Betriebsrat und so weiter. Ganz so eng sind die Kleider des Erziehers doch nicht geschnitten. Diese Hinwendung zum Bestehenden zeigt sich auch in Alys Einschätzung der Bürokratie. Wieder häuft er Beispiele von Behördenträgheit, Behördenwillkür, Behördenunwissenheit. Bestreitet aber fast erbittert, dass diese Behörden irgendwie hindernd, unterdrückend, repressiv wirken. In Wirklichkeit liegt die Repression genau in jener Sorte Untätigkeit, die den wohltuenden Schein erzeugt, man hätte das Problem der arbeitslosen Jugendlichen (oder heute der Jugendkriminalität) voll im Begriff. Das sei jetzt für die Gesamtgesellschaft abgetan - und keiner Sorge mehr wert.
Dabei zeigt Aly an seiner eignen Suspendierung, dass - wenn es hart auf hart geht - die Behörden durchaus unterdrückerisch eingreifen. Gut - Einzelfall, mag man sagen. Das Verbreitete, scheinbar gutmütige Laisser-faire der Behörden schildert er aber genau so. Es steht jeder Erzieherin, jedem Erzieher, den Lehrkräften genau so, völlig frei, sich ein paar Jahre abzustrampeln, bis sie - am Ende der Kräfte - sich doch in Routine retten. Das schon damals und heute erst recht bejammerte Phänomen des Burn-Out ist keine Naturerscheinung: Es ist Folge genau jener Ermattungsstrategie, die die Ämter - ganz ohne ausdrücklichen Vorsatz - hinbekommen, seit sie bestehen. Und eben diese Strategie wirkt als offene, kalkulierte, immer erfolgreiche Unterdrückung.
Zeichnet sich in diesem Buch voll interessanter Beispiele nicht doch schon der Gang des heutigen Götz Aly ab, des Lieblings unseres Bundespräsidenten, zur Verklärung des liberal-sozialen Staates, gegen den sich zu erheben damals - 1968 - und heute sich kein Grund findet. Eines muss man dem frühen Aly zugeben: Er hat seinerzeit, im ersten Büchlein, noch gewissenhaft nach Belegen gesucht und diese in allen Einzelheiten ausgebreitet. Die Fähigkeit dazu ist ihm inzwischen völlig abhanden gekommen. Oder macht er es sich einfach bequemer?
Über seine Großgleichung hinaus Jugend 1933 - Jugend 1968 wandert er derzeit mit Behauptungen aller Art durchs Land und die raschelnden Blätter. So tut er sich mit der Behauptung hervor, die ganze Bewegung von 1968 - der Zeitpunkt als Kurzformel genommen - hätte sich nie um die Nazi-Vergangenheit im eigenen Land gekümmert. Dürfen wir den Vergesslichen an einen Mann namens Reinhold Strecker erinnern, der in Karlsruhe eine Ausstellung “Ungesühnte Nazijustiz” mit Material aus der DDR begann. Der SDS übernahm diese Ausstellung. Sollte er ein paar Jahre später seine eigene Aktion vergessen haben. (Strecker flog übrigens hochkant aus der SPD. Nur als der damalige Generalbundesanwalt, kurz vor seinem Abschwirr oder Rückzug in den Bundestag, nach Durchsicht der Belege, ihm Recht gab, ließ das die Parteigrößen stottern.)
Noch ein Beispiel, an das Aly sicher nicht gern erinnert wird, jetzt, da er gerade Kiesinger als den wohlwollenden Jugendfreund stilisiert hat, der - in Erinnerung eigener Jugendtaten - der 1968-er Jugend verzeiht, dass sie - angeblich - in seinen Spuren wandelt. Als Beate Klarsfeld Kiesinger die Ohrfeige verpasste - warum tat sie das wohl? Es könnte sich doch um eine unsanfte Erinnerung an Kiesingers Nazi-Vergangenheit gehandelt haben?
Soviel zu Götz Alys Bedenkenlosigkeit im Behaupten im Jahre 2008. Es ist ein großes Unglück, wenn einem das Alter Erinnerung aus dem Hirn frisst. Ein noch viel größeres, wenn man sie im eigenen Kopf willentlich totschlägt, nur um mit neuem Buch neuen Buhei zu erwecken.
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Die Rezension erschien zuerst im Februar 2008 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)
> Wofür wirst du eigentlich bezahlt? <. Möglichkeiten praktischer Erzieherarbeit zwischen Ausflippen und Anpassung.
Rotbuch Verlag, Berlin.
ISBN: 3-88022-163-4.
127 Seiten.