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Wir Deutschen

Buchautor_innen
Matthias Mattusek
Buchtitel
Wir Deutschen
Buchuntertitel
Warum uns die anderen gern haben können
Ein Buch, in dem Matthias Mattusek offen zugibt, wie es mit ihm steht - und wie er andere dazu bringen will, es ihm als Deutsche gleichzutun.

Heine war Mehrfachverwerter seiner Produktion. Das rühmt Mattusek in seinem Buch am lautesten. Und beeilt sich, es ihm nachzutun. Er hat seine größeren Artikel aus dem SPIEGEL der letzten Jahre zwischen zwei Buchdeckel geschoben und dieser Sammlung unter dem Titel “Wir Deutschen” höhere Bedeutsamkeit verliehen.

Mit wenig Sorgfalt bei der Überarbeitung. So kommt in einem der ersten Kapital Alice Schwarzer als Bewunderin der neuen Kanzlerin zu höchstem Lob, ein paar Kapitel später wird sie verwarnt wegen Kritik an den angeblichen Versuchen Merkels, das Hausfrauentum zu Ehren zu bringen. Wären die Artikel datiert, wäre nichts einzuwenden... Bei etwas, das Traktat sein will, schon.

In seinem Auftritt, kürzlich in der früher FRÜHSCHOPPEN genannten Talk-Sendung Sonntags um Zwölf, steigerte sich Mattusek in einen Wutanfall, als er mit einer Unterscheidung nicht durchkam. Er wollte partout Patriot sein, nicht Nationalist. Als ein Mitunterredner ihn auf den Nationalismus festnagelte, rastete er auf offener Bühne aus, und soll nach dem Bericht der SÜDDEUTSCHEN nachträglich - als die Kameras wegschauten - seinem Kontrahenten den Arm auf die Tischplatte gedrückt haben. Aus Wut.

Wer wundert sich aber mehr als der neugierig gewordene Leser bei der Lektüre von Kapitel 2: da wird Nationalismus und Patriotismus völlig unterschiedslos gebraucht. Mit Definitionen und scharfen Unterscheidungen hat es der schreibende Autor offenbar weniger als der talkende.

Was es mit dem Deutschen und seinem ewigen Charakter auf sich hat, erfährt man in diesem Buch am wenigsten. Die kühnsten Behauptungen über das Thema lastet Mattusek seinen Interviewpartnerinnen und -partnern an. So der Enkelin Baldur von Schirachs: "Das Deutsche hat viele Wörter, die sich auf Höheres richten, ohne theologisch zu sein. Wörter, die sich hinausschwingen." Um es einfach zu sagen: Die Transzendenz in der Immanenz. "Das ist nur im Deutschen ein ganz simpler, verständlicher Satz." (S. 60)

So ungerecht sollte man nicht sein. Nicht nur das Deutsche, nein jede Sprache steht schreiendem Unsinn weit offen. Mattuseks weitere Versuche, sich des deutschen Wesens zu bemächtigen, bestehen aus Namedropping. Mit welchen anderen berühmten und bedeutenden Leuten war er sich einig, dass Nation wieder etwas bedeutet und dass man gut tut, sich auf sie zu beziehen?

Zwischendurch weitet sich das enge Deutsche wieder zum Westlichen. Als er mit anderen gleichempfindenden in dem bekannten türkischen Film war, der alle so aufregte, weil dies eine Mal die Amis die Bösen waren, sieht er bedeutungsvoll die Kluft zwischen Orient und Okzident aufgetan. Eine Türkin versucht Mattusek mit “Du gutt Kino” anzumachen. Stößt aber auf eine Informatik-Studentin. Die ihm ganz ohne Fanatismus und weitere Erregung mitteilt, in “perlendem Deutsch”, genau so sei es. Die Amerikaner seien so, die Türken auch, die Kurden auch. Sollte Mattusek jetzt zu ihr halten, wegen dem guten Deutsch, oder doch lieber zu BILD-Wagner,der als Autorität und Weggefährte dabei war und den aufrechten Westler und Atlantiker gab? Das erfahren wir leider nicht. Auch gar nichts über Deutsch oder Antideutsch.

Soweit dem Buch eine Absicht zu unterstellen ist, soll es vor allem der Bourgeoisie ein gutes Gewissen verschaffen. Vor zehn oder fünfzehn Jahren rannten sie alle mit dem Operationsbesteck durch die Flure und versuchten, den Bourgeois vom Citoyen loszuschneiden. Bourgeois wollte keiner sein, Citoyen, Citoyenne jeder und jede. Dass Marx die zwei nur als Einheit hatte denken können- wen störte es noch? Nur dass die Citoyens allzu windig durch die Straßen trieben, ballastlos. Dem will Mattusek jetzt abhelfen. Wenn man das Gemüt wie die Lofts mit Tradition aufmöbelt, gibt das Halt. Suchst Du Tradition, lehn Dich an Nation. Deutschsein heißt dann: nichts beim Namen nennen. Wie es der von Mattusek erträumte junge Wahlredner tat. Er spricht kein einziges Mal von Krankengeld und HartzIV., dafür um so lauter von “Müttern und Hausfrauen”. An ihnen hängen erinnerungstrunken die Bildungsbürger mit guter Erziehung. Sie durchwandern das Buch und werden schultergeklopft. Dass sie zum Erwerb und Erhalt ihrer stilechten van der Rohe-Häuser etwas mehr im Portemonnaie brauchen als gute Gesinnung, behält Mattusek für sich. Auch er stammt aus einem Haus, in dem gelesen und vorgelesen wurde. Jetzt liest er wieder zusammen, was er für seine Artikel braucht. Aber dazwischen muss er eine elende Zeit durchlebt haben. Zwar gibt er in einem Augenblick jäher Erinnerung zu, dass man in der ML-Zeit lesen musste, um mitreden zu können. Aber danach kamen Finsterlinge,die ihm und seinesgleichen jede Lektüre verboten. Bis die Wende kam.

Das Schlimme ab 68 - man kennt es. Alles Miesmachen, keine Vergangenheit gelten lassen. Aus allem nur den Kot des Nationalsozialismus schniefen. Ja, gab es denn vor jenen zwölf Jahren nicht auch eine Zeit? Möglicherweise hält Mattusek den Gedanken für neu. Es tut mir leid, daran zu erinnern, dass er in jeder Geschichtslehrerkonferenz seit 1970 auftrat. Und noch mehr leid, dass die von ihm den 68ern zugeschriebene Neigung, die ganze Geschichte auf Hitler zulaufen zu lassen, in Wirklichkeit in der Epoche der Zerknirschungsinnigkeit nach 1945 aufkam. Da wurde nur noch gerätselt, ob das Unglück mit Duns Scotus oder doch erst mit Occam, dem Nominalisten, begann. Heidegger griff noch ein wenig weiter zurück und brachte die Vorsokratiker in den Verdacht, sie hätten das mit der Seinsvergessenheit angefangen. Ich war schon Referendar, da predigte uns der alte Rüstow in einem Seminar, dass die Sache mit “Hagen, diesem Massenmörder” aus dem Nibelungenlied begonnen hätte.

Mit dem Nibelungenlied hat es auch Mattusek. Er liefert es gleich in POP-Fassung zur Verfilmung. Wie “Luther”. Der wurde vorsichtshalber so geplättet, dass in jedem Land jemand für ihn schwärmen konnte. Aller eigenen Gedanken und jeder wirklich vorhandenen deutschen Eigenart entkleidet, wird er uns als Beispiel vorgehalten. Eine Art kerniger Früh-Schröder, gegen Extremisten von rechts und links. Ein Dutzend solcher Filme- und wir stünden anders da. Dass Mattusek das Nibelungenlied enden lässt, in der Fassung der C-Handschrift: “Das ist der nibelunge”liet” - statt “Not” - zeigt seine Eigenwilligkeit. Dass er als Verfasser Walther von der Vogelweide vermutet, seine Kühnheit.

Am peinlichsten ist, dass er im Buch den toten Heine gefangen nimmt. Der ist ihm Inbegriff des Deutschtums. Er ist nicht 1830 nach Paris gegangen, um die Revolution mitzumachen, sondern wegen der Zensoren. Und soweit Revolutionär, war er es nur wegen des “Muffs”. Mal richtig durchlüften.

Und ganz toll: der Mann beweist mal das, mal das. Immer so locker und flockig. Ohne sich festnageln zu lassen. Man kann den Kommunismus mit ihm beweisen, und den Antikommunismus noch besser. Keinerlei Verpflichtung zu Wahrheit. Was Karl Kraus in “Heine und die Folgen” mehr an seinen Nachahmern als an Heine selbst angriff, ist in Mattusek furchtbar wahr geworden: Die absolute Beliebigkeit.

Allen, die Zweifel bekommen haben, ob der Satz wirklich stimmt: “Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun”, sei dieses Buch warm empfohlen. Es beweist das Gegenteil. Für Mattusek heißt neues Deutschsein: “Jede Sache um meines Ego willen antatschen.“

PS. Wirklich gut ist das Interview Mattuseks mit Harald Schmidt. Der lässt ihn gnadenlos auflaufen. Mattusek hat es nicht gemerkt.

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Die Rezension erschien zuerst im Juni 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ast, 03/2006)

Matthias Mattusek 2006:
Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M..
ISBN: 978-3-596-17151-4.
352 Seiten. 9,95 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Wir Deutschen. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/725. Abgerufen am: 28. 03. 2024 17:56.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Juni 2006
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Zum Buch
Matthias Mattusek 2006:
Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M..
ISBN: 978-3-596-17151-4.
352 Seiten. 9,95 Euro.