Titan
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- Robert Harris
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Robert Harris zeichnet unbarmherzig nach den Zusammenbruch der Klicken-Normen in Herrschaftskreisen, dem Caesar seinen Aufschwung, Cicero seinen Fall verdankte.
Robert Harris Krimis haben allen anderen eines voraus: sie spielen in irgendeiner Vergangenheit, stellen dieser aber Fragen, die aus den Erfahrungen der Gegenwart sich speisen. So schon sein erstes Werk, das ihn in Deutschland bekannt gemacht hat: Vaterland. Es spielt in einer Zeit nach einem in letzter Minute gewonnenen Weltkrieg des Deutschen Reichs. Aber nirgends etwas vom erwarteten Glanz des Imperiums, trotz der unterworfenen Teile der UDSSR und Südeuropas. Überall herrscht miefige Traurigkeit. Der Krieg ist dem System unverzichtbar. Aber kostet zuviel. Die begangenen und wieder zugedeckten Verbrechen des Reichs erinnern auffällig an diejenigen, die unter Adenauer und Kiesinger wirklich begangen und wirklich verscharrt wurden. Ganz ähnlich geschieht es auch mit den Romanen, die in der Antike spielen. Drei sind es inzwischen: “Pompeji”, “Imperium” und eben erschienen “Titan” (Auf englisch mit dem passenderen Titel “Lustrum” - Fünfjahresfrist, um den Beginn des gallischen Kriegs von Caesar zu kennzeichnen).
Der Roman “Titan” umfasst die letzten Jahre der römischen Republik, festgemacht am einzigen Jahr des Konsulats von Cicero und seiner Niederwerfung der Revolte des Catilina. Er endet mit der Zerstörung sogar der äußeren Regeln der Republik durch den Zusammenschluss von Caesar, Pompeijus und Cassius. Ab da herrscht rohe Gewalt. Dieser erliegt am Ende auch Cicero, der als genau so trickreich, genau so verbrecherisch dargestellt wird wie seine Gegner, dem aber ein gewisser patriotischer Glauben zugeschrieben werden soll. Es soll am Ende bei ihm um das Reich gehen, nicht um den bleichen Ego-Kult von Gier und Ruhmsucht der drei Gewaltigen.
Die Erfahrung, die diesem Roman - schärfer als dem ersten über Ciceros Aufstieg – zugrunde liegt, ist die der Krise im Herrschaftssystem unter einem anderen Blickwinkel gesehen als dem nur ökonomischen. Was nämlich bei den Regierungsgeschäften aller mittleren Staaten in Europa auffällt, ist die zunehmende Unfähigkeit der herrschenden Klasse, sich in einem ganz altertümlichen Sinn “zusammenzunehmen”. Das heißt: über den natürlich immer mitzurechnenden Egoismus hinaus Formationen zu bilden, Gruppen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Der Zerfall ganzer Parteiensysteme in Italien wie auch in Frankreich zeigt es überdeutlich. Vom Gekreische hinter dem Rücken der Schutzmantelmadonna Merkel in unseren Zeiten gar nicht zu reden. Woher aber dieses Versagen, das am Ende notgedrungen jedem Einzelnen der Herrscherschicht so schaden muss, wie es vielleicht zu Beginn Einzelnen zum Vorwärtskommen dient?
Zweifellos ist es zunächst die Herrschaft des unermesslichen Geldes, das über die Eroberungszüge nach Rom zieht. Nach kurzer Zeit ist es doch wichtiger, reich zu sein als Mitglied der Herrschaftsklasse der Senatoren - nur dass das neue Prinzip nirgends deutlich ausgesprochen werden kann. Als Clodius Pulcher aus der Senatsklasse ausgestoßen werden möchte, um als Plebejer fürs Tribunenamt kandidieren zu können, so ist das für die gesamte - untereinander verwandte - Schicht des Senatsadels größter Greuel - zugleich aber auch Gegenstand schaudernder Bewunderung. Denn der abgesunkene Adlige als Tribun gewinnt die größte Macht über die Schicht der Alten, wenn er im Hintergrund von Angehörigen dieser Alten gezügelt und befördert wird.
Damit stellt sich die heutige Krise in der Beleuchtung des alten Rom doch noch einmal in neuem Lichte dar. Zwar ist die Vorherrschaft des Reichtums und des Geldes zweifellos die primäre Bewegkraft. Diese könnte sich aber nicht durchsetzen, wenn nicht die alten Klammern versagten, die bisher die Menschen zu einzelnen gesellschaftlichen Gruppen zusammen schmiedeten.
Cicero, bei all seiner eigenen Verschlagenheit, tritt als der auf, der stellenweise - nach dem Sieg über Caligula - an die alten Zusammengehörigkeiten appellieren kann. Er wird zum “pater patriae” ausgerufen. Vater des Vaterlandes - und dreht sofort ab. Nach dem Senatsjahr beschäftigt er sich am wenigsten damit, seinen Sieg auszubauen. Er läuft im Studio auf und ab und stellt seine Regierungszeit in mehreren Fassungen dar: lateinisch für die breiteren gebildeten Schichten, griechisch für die Genießer rhetorischer Feinheiten, schließlich in Hexametern, um Homer nicht nachzustehen. Das heißt: selbst derjenige, der die alten Werte noch mal geschickt zur Geltung bringt, erliegt anschließend nicht ihnen, sondern ihrem Erscheinen. Dem Spiel mit den hochgeworfenen Bällen, die nicht wieder die Erde berühren dürfen.
Beide Bände “Imperium” und “Titan” werden erzählt aus dem Blickwinkel des greisen Privatsekretärs Tiro. Es muss ihn gegeben haben. Er hat eine Kurzschrift erfunden und war wohl einer der ersten, der nach gehaltener Senatsrede unmittelbar wiedergeben konnte, was da eben an Flat und Unflat vorgebracht worden war.
Kunstvoll verwendet Harris alles, was uns noch aus träumerisch hingenommenen Lektüren von Cicero selbst, Sallust und anderen Zeitzeugen halbwegs in Erinnerung sein mag, falls uns seinerseits der Humanismus angetan wurde. Harris Kunstgriff, um dies Tranig-Allzubekannte wieder gegenwärtig zu machen, ist eben der Standpunkt Tiros: des Wissenden, der doch nicht alles weiß. Der die Kenntnisse nacheinander hervorholt. Ihnen den Charakter des erhabenen, aber auch abgenützten Zitats wieder entzieht.
Harris dagegen lässt Catilina, den jeder schon im Ausland vermutet, oder bei seinen Truppen, unvermutet in den Senatssaal treten, um seinen angestammten Sitz einzunehmen, als wäre nichts passiert. Tiro berichtet das so: ”Das Schweigen hielt an, bis ich schließlich in meinem Rücken die sehr ruhige Stimme Ciceros vernahm: ”Wie lange noch, Catilina, willst Du unsere Geduld missbrauchen?” (S. 221) Und dann lässt er Cicero ausholen, herausschöpfen aus allem, was diesen gegen Catilina die Monate vorher bewegte.
Ein Roman, der das Unheimliche und Hoffnungslose einer Verfallszeit zusammenfasst und zugleich ausbreitet. Er endet damit, dass die zusammentretende Dreiergewalt es so weit bringt, dass Cicero in Acht gerät - das heißt, dass jeder römische Bürger, der ihm Wasser und Brot bietet, Todesstrafe zu erwarten hat. Cicero muss alles zurücklassen und ins Exil verschwinden.
Es steht zu erwarten, dass Harris die vom Heiligen Hieronymus bezeugte Hundertjährigkeit des ehemaligen Schreibsklaven Tiro dazu nutzen wird, auch noch Ciceros letzte Hochzeit zu feiern: die Patronage des jungen Octavian, späteren Augustus in einem zweiten Triumvirat nach dem erfolgreichen Attentat auf Caesar. Bekanntlich endet diese Epoche recht glorreich für Augustus, unangenehm freilich für den Lehrer der Völker. Hatte doch jeder der Triumvirn zum Zeichen einer ungewöhnlichen Treue dasjenige hergeben müssen, was ihm das liebste gewesen sei. Opferfroh meldete Octavian seinen Lehrer. Der, auf der Flucht aus der Villa, in einer Sänfte, musste den Hals aus den Tüchern strecken. Da die Enthauptung am allerdürrsten Halse der Epoche misslang, folgte anschließend Erstechung. So starb der, der noch zu Lebzeiten den Schulmännern überantwortet worden war, und bei diesen zweitausendjähriges Asyl erhielt. Harris hat ihn in seinen beiden Romanen kurzfristig wieder zum Leben erweckt und wird sicher die Gelegenheit nicht vorbei gehen lassen, sein Ende in einer dritten Hervorrufung aus dem Grabe würdig - unschulmeisterlich - zu begehen.
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Die Rezension erschein zuerst im Januar 2010 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 12/2010)
Titan.
Heyne Verlag, München.
ISBN: 978-3-453-00158-9.
544 Seiten. 21,95 Euro.