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Terrorziel Europa

Durch drei schräg verlaufende Stacheldrähte sieht man im Hintergrund die schwarze, unscharfe Silhouette eines Hubschraubers sowie die Schnauze eines weiteren, der ins Bild fliegt. In hellgrauen Lettern steht darüber der Titel sehr groß geschrieben.
Buchautor_innen
Jürgen Elsässer
Buchtitel
Terrorziel Europa
Buchuntertitel
Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste

Elsässer hat wieder zugeschlagen. In seinem Buch “Terrorziel Europa” weist er nach, dass die meisten bis jetzt bekannten Terroranschläge nicht ohne Zutun/ Mitwissen eines Teils der westlichen Geheimdienste hätten stattfinden können.

Die taz schrieb bei der ersten Vorstellung des Buchs weh: “Schon wieder der alte Verschwörungsquatsch.” Da müsste eine Vorfrage geklärt werden: gibt es denn gar keine Verschwörung? Ist jede Tat nur Einzeltat? Sieht man das so, ist die offiziell anerkannte Erklärung des Weißen Hauses genauso Verschwörungstheorie. Sagen wir statt Verschwörung einfach Verabredung. Das Weiße Haus geht davon aus, dass durch die lockere nicht-zentralisierte Organisation Al-Quaida Anschläge in New York, London und Madrid verabredet und durchgeführt wurden, mit dem Ziel, die Herrschaft der USA und damit der “freien Welt” zu erschüttern. Diese Hypothese rechtfertigte dann den Krieg gegen die Regierung der Taliban in Afghanistan, die durch Aufenthaltsgewährung an Al-Quaida sich an der gemeinsamen Verabredung beteiligt hätten.

Im Gegensatz dazu zählt Elsässer in den ersten fünfzehn Kapiteln nur Tatsachen auf, zum geringeren Teil aus eigenen Recherchen, zum größeren aus anderen, allgemein zugänglichen Quellen. Nachdem er in allen Fällen ein Zusammenspiel festgestellt hat von Geheimdiensten und Attentatsgruppen, fragt er nach dem warum. Mehrere Antworten sind möglich:

- die Geheimdienste warten zu lange mit Festnahmen schon bekannter Gruppen

- die Geheimdienste und die Bundesregierung profitieren von unbedachten bis unfähigen Terroristengruppen, um nach der pompösen Ergreifung und Verhaftung der Gruppe für brutalere Gesetze und schärferen Staatszugriff Stimmung zu machen

- die Dienste organisieren selbst Attentate - oder unterstützen Gruppen bei deren Durchführung, um die vorher genannte Wirkung schneller zu erreichen.

Für Deutschland führt Elsässer nur Beispiele und Beweise an für die zweite Annahme. Er beschreibt ausführlich den Fall des Bombenanschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt, den der Kofferbomber und den der derzeit von den Fahndern mit immer neuen Rekruten bestückten Sauerlandgruppe.

Alle drei Fälle zeichnen sich durch mitleiderregende Trottligkeit der Akteure aus. Kaum zu glauben, dass das Leute der Organisation sein sollen, die immerhin die komplizierte Logistik des Angriffs auf die Twin Towers oder auf die Züge in Madrid hinbekommen haben. Auch wurden in allen drei Fällen die - mehr Träumer und Angeber als Täter - an der Verrichtung eines ernsthaften Schadens gehindert.

Unbestreitbar, dass hier Fall 2 vorliegt. Die Dienste wussten von Anfang an alles, mästeten sich in Vorfreude am Erfolg und lieferten Schäuble Munition für jeweils einen neuen Posten seines Terrorkatalogs. Dass es dabei zwischendurch immer wieder Ermunterung der Möchte-Gern-Attentäter durch V-Leute gab, ist nicht auszuschließen, wird im Buch aber nicht völlig bewiesen.

Für Fall 3 führt Elsässer überzeugend das Beispiel Italien an: von der Geschichte der “Organisation Gladio” bis hin zu der Entführung aus Mailand, die hier - meiner Kenntnis nach - zum ersten Mal eine vernünftige Erklärung erhält.

Insofern enthält das Gesamtwerk auf jeden Fall einen verdienstvollen Überblick auf die zahlreichen undurchsichtigen Manöver von Attentätern und Diensten, über die man, auch als eifriger Zeitungsleser schon längst den Überblick verloren hat. Wie allerdings der Zusammenhang, den andere Verschwörung nennen, hergestellt wird, bleibt undurchsichtig.

An manchen Stellen lässt Elsässer sich von den Greuelbildern seiner Quellen überwältigen. So wenn er in Scharpings Manier einen Caze Fußball spielen lässt mit Köpfen, die er im Krankenhaus persönlich abgeschnitten hat. (S. 95) Auch anderswo erliegt Elsässer teilweise den Phantasmen der Dienste selbst, wenn er unbedenklich von diesen den Ausdruck “Hassprediger” ausleiht. (So ausdrücklich und mehrfach im Fall London und im Komplex Neu-Ulm). Gemeinsame ungeklärte Annahme: der Hassprediger wirkt auf einige seiner Hörer wie die Programmierungs-CD auf den Rechner. Oder mehr biologisch-medizinisch: Hass des Predigers steckt späteren Djihadisten b- c- d- und e an – zur Aufnahme dieses Hasses.

Nur dass Wallung jeder Art Logistik nicht ersetzt. Auf S. 102 erwähnt der Autor angesichts der besonders schäumenden, aber sonst vernagelten Azubis des Anschlagwesens vom Straßburger Weihnachtsmarkt: man muss fähig sein, “seine Emotionen in Vorbereitung und Durchführung des Verbrechens unter Kontrolle zu halten.” Auch wird von Atta und anderen berichtet, dass sie sich im gewöhnlichen Leben durchaus nicht an die “fünf Säulen des Islam” hielten.

Tatsächlich zeigt sich hier eine entscheidende Schwäche des djihadistischen Terrorismus im Vergleich etwa zu den Zarenverfolgern der “Narodnaja Wolna” im neunzehnten Jahrhundert. Verfügten diese ansatzweise über eine gesellschaftliche Theorie, fehlt es - so viel man mitbekommt - den Djihadisten völlig daran. Eine Vera Figner und ihre Genossen in der Zelle verfügten über gedankliche Mittel, die Ziele ihrer Angriffe nach der gesellschaftlich erwarteten Wirkung festzulegen und Prioritäten zu setzen (zum Beispiel auf die Befreiung Netschajews aus der Engelburg zu verzichten, zugunsten des Hauptziels: die Macht des Zaren zu brechen).

Nach was für Kriterien sollen Angehörige der von Al-Quaida selbständig entscheiden, ob sie Massenterror begehen sollen - wie in Madrid und London - oder einzelne Personen angreifen? Diese Beschränkung des Islam - als politische Theorie missverstanden - erklärt vielleicht zum Teil das unter keinen Umständen zielführende Verhalten der Djihadisten.

Zum fünfzehnten und sechzehnten Kapitel: hier zählt Elsässer unwiderlegbar auf, wie sich die Bundesrepublik von 1970 bis zu Schäuble verwandelt hat. Darüber hinaus die düsteren Pläne, die irgendwelche Über-Schäubles propagieren. Was gar nicht geklärt ist: wozu brauchen Schäuble und die heute herrschenden Gruppen den Staat mit immer mehr Überwachung, immer mehr Polizeirechten, umfassendem Zugriff auf das Informationswesen? Gegen die Sauerländer und gleichbegabte Azubis sicher nicht.

Zur Beherrschung der gegenwärtigen Bevölkerung sicher auch nicht. Bisher haben Regierungen und Kapital den Laden über das System des “freiwilligen Zwangs” doch recht reibungslos geschmissen. Gemeint: Immer neue Erpressung oppositioneller Gruppen zur Anpassung, Ausgrenzung Missliebiger, Einwirkung weitgehend gleichgeschalteter Medien. Es ist ein Irrtum, das Kapital strebe jeder Zeit von sich aus nach schärfstmöglicher Härte. Normalerweise gilt die Erkenntnis der Nachkriegszeit. Was brauche ich Lager für Zwangsarbeiter, wenn mir Rumänen und Polen die Türe freiwillig einrennen für Billiglohn. Also Vortritt für den stummen Zwang der Verhältnisse vor dem offenen Staatsdiktat.

Bliebe nur die Erklärung: das Kapital mit seinem Regierungsapparat und seinen Diensten bereitet sich jetzt schon vor auf Zeiten, in denen massenhaft und breit Widerstand sich regen könnte gegen Verarmung und Anzettlung weiterer Kriege in aller Welt.

Das könnte so sein. Nur: das haben viele linke Gruppen, die der RAF keineswegs nahe standen, 1977 auch schon behauptet. Die Zwangsmaßnahmen seien in Wirklichkeit gegen erwartete Streiks und ein “Erstarken der Arbeiterbewegung “ gerichtet. Da ist leider sehr wenig erstarkt - und die Streiks liefen über die Jahre nach Reglement ab, und mit immer mäßigerem Ertrag.

Ein letztes Kapitel über diesen Punkt bleibt Elsässer uns damit schuldig - in einem Buch, das immerhin wertvolles Material zusammenträgt zur Klärung der offenen Frage.

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Die Rezension erschien zuerst im September 2008 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ast, 12/2010)

Jürgen Elsässer 2008:
Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste.
Residenz Verlag, St.Pölten.
ISBN: 978-3-7017-3100-8.
343 Seiten. 21,90 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Terrorziel Europa. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/ovhnu. Abgerufen am: 03. 12. 2024 18:17.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. September 2008
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Zum Buch
Jürgen Elsässer 2008:
Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste.
Residenz Verlag, St.Pölten.
ISBN: 978-3-7017-3100-8.
343 Seiten. 21,90 Euro.