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Stopp NATO

Buchautor_innen
Konstantin Brandt/ Karl Rehbaum/ Rainer Rupp (Hg.)
Buchtitel
Stopp NATO
Buchuntertitel
60 Jahre NATO - 60 Jahre Bedrohung des Friedens

Rechtzeitig zu den Abwehrbewegungen gegen den Imponieraufmarsch der NATO und den Aufbau des Camp in Strasbourg ist ein Büchlein erschienen, das noch einmal einen Überblick über Geschichte und Vorgeschichte der NATO bietet.

Zahlreiche Autorinnen und Autoren - zum größeren Teil der ehemaligen DDR verbunden - haben ihre Kenntnisse und Erinnerungen zusammengetragen.

Egon Krenz lieferte den Anfangsartikel, in welchem er allerdings die Mauer in Berlin aus der allgemeinen Ost-West-Konfrontation herleitet. Logisch: ohne Kalten Krieg keine deutsche Teilung und damit keine Grenzziehung unter Bewachung. Nur - die Teilung war 1949 besiegelt. Die Mauer gab es erst 1961. Hier hätte Krenz die Kraft aufbringen sollen, zu erklären, dass die Mauer ein Akt der Diktatur des Proletariats war, um dem massenhaften Erliegen vieler DDR-Bürger gegenüber der Anziehungskraft der westlichen Waren entgegenzuwirken. Erst unter diesem Blickwinkel lässt sich dann sinnvoll diskutieren, wieso diese Maßnahme auf Zeit nachträglich nicht wieder geregelt aufgehoben werden konnte, ohne die Zusammenbruchserscheinungen, die die wirkliche Öffnung 1989 mit sich brachte.

Nützlicher als dieser Beitrag sind die vier Texte Rainer Rupps, der als ehemaliger Spion “Topas” aus dem Innern des Walfischs berichtet. Man tut am besten, seine vier Beiträge als erste nacheinander zu lesen. Wichtig vor allem der Artikel über die sogenannten “Wintex-Manöver”. Jahr für Jahr kamen die NATO-Strategen zusammen, saßen im Atombunker unter der Rhön und hatten Funk-Verbindung mit den jeweiligen Staatsoberhäuptern. Trainiert wurde jedes Jahr ein Krieg mit dem “Osten”, der konventionell begann und immer wieder bis an diejenige Grenze getrieben wurde, wo die Übermacht des Ostens durch atomare Waffen gebrochen werden sollte. Am Anfang, so Rupp, wurde mit dem - simulierten - atomaren Erstschlag aufgehört. Am Ende tauchte die trübe Ahnung auf, dass “die im Osten” nicht wie Japan nach dem ersten Schlag klein beigäben - sondern weitermachten und zurückbomben würden. Heiße Manöverfrage: reicht unser Vorrat noch für “Response”?

Die meisten Beiträge im Buch behandeln notgedrungen Vergangenes; an den von Rupp beigebrachten Beispielen lässt sich aber aus dem Vergangenen ein Schluss auf Gegenwart und Zukunft ziehen: Wer so bedenkenlos noch vor zwanzig Jahren mit dem Tod von Millionen im Manöver spielte, wird der in der Gegenwart nicht alles einsetzen zur Selbstbehauptung in einer immer noch umkämpften Welt?

Dass NATO nicht friedfertiger geworden ist nach 1989 zeigen die Rückblicke auf die Überfälle gegenüber Jugoslawien. Ralph Hartmann und Gabriele Senft beschreiben detailliert, die schrecklichen Folgen des Bombenkriegs. Noch einmal ein Beleg für die totale Unvermeidbarkeit ziviler Opfer bei jedem Flächenbombardement, ob in Gaza oder in Belgrad. Nur ist der flinke Spruch von den Kollateralschäden keine Entschuldigung für die Kriegsführenden. Er sollte vielmehr ein absolutes Verbot des Einsatzes solcher Mittel begründen. Dankenswerterweise wird im Zusammenhang mit diesem Krieg auch an einen hemmungslosen Deliranten erinnert, der damals von Serben gegrillte Föten entdeckte, in einem Stadion: Scharping, jetzt nur noch General aller Fahrradfahrer. Schröder zog ihn in berechtigter Scham ganz zum Schluss aus dem Verkehr. Leider nicht wegen erfundener Gräuel, nur wegen billig gefundener Hosen. Über die Anekdote hinaus enthält auch das bleibende Wahrheit und Warnung. Kriege, wie die NATO sie geführt hat und weiter plant, sind nicht zu führen ohne den entschlossensten Willen zum gnadenlosen Lügen. Bushs Sauereien vor dem Irak-Krieg sind noch in bester Erinnerung. Und waren leider nicht die letzten, die aufzudecken sein werden.

Dem entscheidenden Schwenk zum Verlassen des ursprünglichen Territoriums der NATO geht Tobias Pflüger nach. Er greift auf das Jahr 2002 und die Prager Konferenz der NATO zurück. Konkret wurden da den USA für den Irak-Krieg unkontrollierte Überflugsrechte und Flugplatznutzung zugestanden. Als allgemeinere Richtlinie Übernahme der zwei Grundelemente der Bush-Doktrin für die Zukunft. Einmal Bereitschaft zu Präventivkriegen, wenn die Hegemonie der westlichen Herrschenden sich bedroht sieht. Und: niederschwelliger Einsatz von Atomwaffen. Schließlich endgültige gegenseitige Lossprechung von Voten der UNO. Wie schon im Jugoslawienkrieg praktiziert, erheben sich NATO und EU zu den eigentlichen Trägern der “Staatengemeinschaft”.

Einige Beiträge sind zugegeben stark nostalgisch und bieten wenig für die Gegenwart. So die Erinnerung an die Singekreise in der DDR mit lieben Liedern, die damals angestimmt wurden. Werden sich schwer rocken lassen. Alle zusammengenommen entwerfen die Beiträge das furchtbare Bild einer Maschine, die sich zur Welt-Niederwalzung anschickt - und bietet zugleich die entscheidende Waffe dagegen: Die Erinnerungen und Feststellungen des Buchs ziehen der breiten Selbstverständlichkeit des Angriffswesens die Haut ab - und zeigen es in seiner ganzen Gefährlichkeit. Aber auch in seiner Besiegbarkeit. Wie es bei Brecht in einem kleinen Epigramm heißt: “Der Tank(Panzer) hat einen Fehler: er braucht einen Fahrer.” Diesen Fahrer und Monteur zum Abspringen vom Führersitz zu bringen: darauf wird es ankommen nicht nur in den ersten Apriltagen, sondern für absehbar den Rest unseres Lebens.

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Die Rezension erschein zuerst im März 2009 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 12/2010)

Konstantin Brandt/ Karl Rehbaum/ Rainer Rupp (Hg.) 2009:
Stopp NATO. 60 Jahre NATO - 60 Jahre Bedrohung des Friedens.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin.
ISBN: 978-3-939828-38-9.
317 Seiten. 14,00 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Stopp NATO. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/s/dbgyh. Abgerufen am: 21. 11. 2024 13:07.

Zur Rezension
Zum Buch
Konstantin Brandt/ Karl Rehbaum/ Rainer Rupp (Hg.) 2009:
Stopp NATO. 60 Jahre NATO - 60 Jahre Bedrohung des Friedens.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin.
ISBN: 978-3-939828-38-9.
317 Seiten. 14,00 Euro.